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Full text of "Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde"

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ARCHIV 

für  hessische  Geschichte 
und  Altertumskunde 


Herausgegeben  von 

Julius  Reinhard   Dieterich  und  Karl  Bader 


Neue  Folge.     V.  Band 


DARMSTADT  1907 

Im  Selbstverlag  des  Historischen  Vereins  für  das  Großherzogtum  Hessen 


BEITRÄGE 

zur  Geschichte  der  Universitäten 

MAINZ  und  GIESSEN 


Herausgegeben  von 


Julius  Reinhard  Dieterich  und  Karl  Bader 


DARMSTADT   1907 

Im  Selbstverlag  des  Historischen  Vereins  für  das  Großherzogtum  Hessen 


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Der    HISTORISCHE    VEREIN 

für  das   Großherzogtum    Hessen 
zur  dritten  Jahrhundertfeier  der 

ALMA  MATER  LUDOVICIANA 


Inhalt. 

Seite 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Universität  Mainz 1 — L21G 

I.  Professor  Dr.  Gustav  Bauch,  Breslau:  Aus  der  Geschichte 

des  Mainzer  Humanismus 3  —  86 

II.  Pfarrer  Professor  1).  Dr.  Franz  Falk,  Klein- Winternheim: 
Jakob  Weider,  der  erste  Rektor  der  Mainzer  Hochschule 
(1478—1483) 87—93 

III.  Oberlehrer  Lic.  Fritz  Herrmann,  Darmstadt:  Die  Mainzer 
•      Bursen  „Zum  Algesheimer"  und  „Zum  Schenkenberg"  und 

ihre  Statuten 94- D24 

IV.  Oberlehrer  Professor  Dr.  Heinrich  Schrohe,  Mainz:  Die 
Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  Ein  Beitrag  zur 
Mainzer  Universitätsgeschichle  des  ausgehenden  IG.  sowie 

des  1 7.  Jahrhunderts 125—164 

Y.  Universitätsprofessor  Dr.  Wilhelm  Stieda,  Leipzig:  Wie 
man  im  18.  Jahrhundert  an  der  Universität  Mainz  für  die 
Ausbildung  von  Professoren  der  Eameralwissenschaft  sorgte  165-  -216 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  und  Universität  Gießen  .    J17 — ->\i 

VI.  Archivdirektor  Dr.  Gustav  Freiherr  Schenk  zu  Schweins- 
berg, Darmstadt:     Alt-Gießen 219     251 

Anhang:    Giessa    Hassorum.     Eine   in    Kupfer   gestochene 

Ansichl   der  Stadt   aus  dem   .Jahre    1612 252     254 

VII.  Pfarrer  I).  Dr.  Wilhelm  Diehl,  Hirschhorn:  Neue  Bei- 
Iräge  zur  Geschichte  von  Johann  Balthasar  Schuppius  in 
der  zweiten  Periode  seiner  Marburger  Professorentätig- 
keit (1639—1646) 255—326 


VIII 


Seite 

VIII.     Oberlehrer  Dr.  Wilhelm  Martin  Becker,  Darmstadt:    Zur 

Geschichte   des  Pennalismus  in  Marburg  und  Gießen    .    .  3*27     355 

IX.  Oberbibliothekar  b.  Gr.  Hofbibliothek  Dr.  Ludwig. Voltz, 
DarmstadI :  Zwei  Hessen-Homburgische  Prinzen  als  Gießener 
Studenten  (1722—1723) 356—374 

X.  Bibliothekar  b.  Gr.  Hofbibliothek  Prof.  Dr.  Karl  Bader, 
Darmstadt:  „Von  tödlichem  Ableiten  und  solenner  Beerdi- 
gung Rectoris  Magnifici" 375 — 389 

XL     Oberlehrer   Prof.   D.  Dr.  Erwin  Preuschen,   Darmstadt: 

Symbola.    Aus  alten  Gießener  Stammbüchern 390 — 40.") 

XII.     Hülfsbibliothekar b.  Gr.  Hofbibliothek  Dr.  Karl  Esselborn, 

Darmstadt:  Karl  Ludwig  Wilhelm  von  Grolman  in  Gießen  4U6 — 161 

XIII.  Haus-  und  Staatsarchivar  Dr.  Julius  Reinhard  Di  et  er  ich, 
Dannstadt:  Ein  Gießener  Professor  als  hessischer  Staats- 
minister       402—514 

XIV.  Frau  Emi  Dieterich,   Darmstadt:  Register 515—530 

XV.     Bemerkungen  zu  den  Abbildungen  und  Tatdn     ....         531 

Nachtrag  zum  Beitrag  VI:   Alt-Gießen 532 


Beiträge  zur  Geschichte 
der  Universität  Mainz. 


Belüge  /..  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen 


Mainz  um  1450. 


I. 

Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus. 

Von  Gustav  Bauch. 


Die  Mainzer  Universität  galt  im  Anfange  des  XVI.  Jahr- 
hunderts gewissen  Zeitgenossen  sozusagen  als  eine  Spezial- 
universität  für  die  Juristen  und  die  Humanisten  oder  Poeten. 

Das  bezeugt  in  recht  wenig  freundlichem  Sinne  ein 
grämlicher  Bericht1,  den  1511  in  Leipzig  am  Alten  hängende 
Artisten  und  Theologen,  die  sich  über  die  Entwicklung  der 
1502  und  in  den  folgenden  Jahren  von  dem  Herzog  Georg 
von  Sachsen  anläßlich  der  Gründung  der  bald  zugkräftigen 
neuen  Universität,  in  Wittenberg  angeordneten  Reformen 
amtlich  aussprechen  sollten,  an  den  Herzog  sandten. 

Darin  heißt  es:  „Über  alle  obgemelte  stucke  wollen  E. 
F.  G.  gnediglich  hertzlich  betrachten,  das  dise  uniuersitet 
nach  dem  bildtniß  der  Parisischen,  dye  do  aller  uniuersi- 
teten  mutter  ist,  durch  hochloblicher  gedecht.nis  E.  F.  G. 
vi  Meldern  ist  fundirt  und  gestifftct,  in  welcher  alleweg  den 
vorczug  hat  Studium  philozophie,  artium  und  theologie,  wie- 
wol  man  auch  iura  und  poeten  list.  Es  haben  also  dye 
Leyptzischen  lange  das  lob  bey  andern  uniersiteten  ge 
habt,  das  sie  gute  philozophi  weren.  Darauß  gekommen, 
das  Ingelstadt  durch  doctor  Adorff,  Wittenbergk  durch 
Meilerstadt,  Franckfurt  durch   Wympina  als  gelerte  phi- 


1  Codex  diplomaticus  Saxoniae  Regiae,  II.  XI,  317,  318  (No.  252). 
Zur  Datierung  vergl.  F.  Geß  im  Neuen  Archh  für  Sächsische  Geschichte, 
XVI,  85. 


4  Gustav  Bauch. 

lozophos  uffgericht  seyn  und  erwachsen.  Es  hat  auch  Stu- 
dium philozophie  biß  doher  E.  F.  G.  uniuersitet  erhalden, 
wenn  alleweg  dye  meisten  schuler  in  derselbigen  gewest 
seyn.  Darumb  solch  fundament  zurutten  und  weyter  ein- 
zureumen  andern  faculteten,  wird  zu  großem  ungedeyen 
reychen.  Und  so  iura  und  poetica  sollten  dye  obir- 
handt  haben,  wurd  eyne  Mentzische  uniuersitet  ge- 
lieren, do  es  sich  dermaßen  heldt.  Es  seint  aber 
allenthalb  offtmals  aide»  kaum  hundert  supposita." 

Es  ist.  kaum  nötig,  besonders  zu  betonen,  daß  dieses 
schroffe,  einseitige  Urteil  über  die  Mainzer  Universität  ten- 
denziös übertrieben  ist;  denn  wir  können  gerade  dort  trotz 
des  trümmerhaften  Zustandes  der  Überlieferung  wie  sonst 
nicht  bei  allen  alten  Universitäten  den  Nachweis  führen, 
daß  alle  Fakultäten,  auch  die  damals  in  Deutschland  meist 
blutarme  medizinische,  Zeichen  von  ihrem  lebendigen  Da- 
sein hinterlassen  haben.  Und  wenn  wir  soeben  das  Be- 
dauern über  den  trümmerhaften  Zustand  der  Nachrichten 
zur  Geschichte  der  Alma  Mater  Moguntina  äußerten,  so  be- 
trifft die  Klage  ganz  im  besonderen  eben  den  von  Leipzig 
aus  so  mißtönend  stigmatisierten  Humanismus. 

Den  scheinbaren  Widerspruch  in  diesem  Forschungs- 
befunde durch  den  Aufweis  von  wiederaufgefundenen  und 
periodenweise  geordneten  Fragmenten  in  objektiver  Dar- 
stellung aufzulösen  und  durch  die  Betrachtang  des  huma- 
nistischen Spezialgebietes  von  Mainz  die  allgemeine  Ge- 
schichte des  deutschen  Humanismus  zu  fördern,  diesem 
Zweck  sollen  die  folgenden  Zeilen  gewidmet  sein.  Und 
unter  diesem  Gesichtspunkt,  möge  sie  auch  der  gütige  Leser 
würdigen.  — 

Wenn  jemand  sich  in  Übertreibungen  bewegt,  so  liegt 
doch  manchmal  den  Extravaganzen  ein  positiver  Kern  zu- 
grunde, und  so  war  es  auch  bei  den  morosen  Leipziger 
Magistern,  die  sich  am  liebsten  mit  dem  „Ouieta  non  mo- 
vere" hätten  beruhigen  lassen.  Es  war  das  unbehagliche 
Empfinden,  daß  das  ihnen  ehrwürdige,  gewohnte  und  auch 
bequeme  Alte  unter  den  sich  in  der  wissenschaftlichen  Welt 
allmählich  vorbereitenden  Neuerungen  doch  schon  leise  zu 
wanken  anfing  und  daß  die  augenscheinliche  Geneigtheit 
des  Herzogs  Georg  für  das  Neue  noch  Schlimmeres  für 
Leipzig  fürchten  ließ.  Was  war  nun  aber  das  Neue,  das 
sie  so  perhorreszierten  und  das  in  Mainz  schon  in  die  Er- 
scheiiiung   getreten   sein  sollte?    Das  Jus  und  die  Poetica! 

Da  Leider  R.  Stintzing  in  seiner  Zusammenstellung 
der  Entwicklung  des  Rechtsstudiums  an  den  deutschen  Uni- 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  5 

versitäten  im  zuendegehenden  Mittelalter2  Mainz  ganz  über- 
gangen hat,  müssen  wir  diese  Lücke  ausfüllen. 

Es  war  hier  nicht  das  Jus  canonicum,  das  zu  dem  alten 
eisernen  Bestände  der  Universitäten  gehörte,  gemeint,  son- 
dern das  stärkere  Auftreten  des  Jus  civile,  das  wegen  seiner 
wachsenden  praktischen  Bedeutung  immer  größere  Berück- 
sichtigung seitens  der  Landesherrn  der  Universitäten  ver- 
langte und  das  in  Leipzig  noch  immer  eine  schwächliche 
Existenz  hatte3,  während  es  in  Mainz  von  Anfang  an  vor- 
handen und  nicht  bloß  wohlgelitten  war,  sondern  gleich- 
mäßig weiter  gepflegt  wurde. 

Man  hätte  in  Leipzig  nicht  auf  Paris  zu  exemplifizieren 
brauchen,  man  hätte  auf  die  echte  Tochter  von  Paris  in 
Deutschland,  Köln4,  man  hätte  aber  auch,  was  noch  näher 
lag,  auf  Leipzigs  Mutter,  Prag5,  zurückgreifen  können,  w€ 
überall  das  kanonische  Recht  überwog  und  in  der  Reprä- 
sentation der  Universitäten  dabei  doch  von  geringer  Bedeu- 
tung war,  und  wo,  wenn  auch  Doctores  iuris  utriusque  pro- 
moviert wurden,  das  kaiserliche  Recht  trotz  des  Titels  nur 
so  nebenbei  und  bruchstückweise  in  die  Vorbildung  der 
Promovenden  mit  einbezogen  wurde. 

Als  die  eigentliche  deutsche  Juristenuniversität,  die  man 
in  Leipzig  auch  1511  noch  nicht  hätte  nennen  dürfen,  galt 
im  XV.  Jahrhundert  Erfurt.6  Der  Stifter  der  Universität 
Mainz,  Erzbischof  und  Kurfürst  Diether  von  Isenburg, 
damals  Kanonikus  in  Mainz,  hatte  vom  Wintersemester  1432 
ab  in  Erfurt  studiert,  wo  das  bürgerliche  Recht  schon  seit 
1409  vertreten  war.  Als  Rektor  des  Sommersemesters  1434 
wird  er  zwar  nur  als  „in  artibus  baccalarius"  bezeichnet, 
doch  war  diese  Stufe  in  der  artistischen  Gradleiler  auch 
die  erste  Stufe  zum  juristischen  Studium  wegen  der  Vor- 
übung in  der  Kunst  zu  disputieren;  er  ist  sicher  als  Stu- 
diosus iuris  in  Erfurt  zu  denken.  Da  seine  neue  Universitäl 
Mainz  sich  gerade  durch  die  Pflege  der  Jurisprudenz  aus- 
zeichnete, wollen  wir  auch  noch  ein  Wort  über  die  Be- 
deutung des  Jus  an  einer  Universität,  die  einen  geistlichen 
Herrn  zum  Begründer  hatte,  einfügen,  das  uns  dann  zum 
Humanismus   überführen  soll. 

Man  muß  den  anachronistischen  Standpunkl  verlass  sn, 
als    wäre   es    zu    jenen    Zeiten    schon    [lassender    gewesen, 


2  II.  Stintzing,  Ulrich  Zasius.  3231 

3  E.   Friedberg,   Das  Collegium  Juridicum,   28f.,  30 f. 

4  R.  Stintzing,  a.  a.  <>.,  329.         •■  R.  Stintzing,  a.  a.  0.,  325. 

r'  Th.  Muther,  Zur  Geschichte  der  Rechtswissenschaft.     Die  Juristen 
der  Erfuiter  Universitäl   im    14.   und    15.   Jahrhundert. 


6  Gustav  Bauch 

wenn  alle,  die  sich  dem  geistlichen  Stande  zuwandten, 
Theologie  studiert  hätten;  Kanoniker  und  angehende  Bischöfe 
aber  hatten,  so  paradox  das  klingen  mag,  um  zu  selb- 
ständigem Urteil  und  Einfluß  zu  gelangen,  Jurisprudenz 
ebenso  nötig  oder  bisweilen  fast  nötiger  wegen  der  infolge 
der  auf  weltlichem  Besitz  fundierten  Bistümer  und  der 
anderen  kirchlichen  Stiftungen  ihnen  zur  Erhaltung  der 
Grundlage  ihrer  Existenz  obliegenden  und  unumgänglich 
notwendigen  Verwaltungsgeschäfte.  Es  war  gewiß  er- 
wünscht, wenn  ein  Bischof,  ein  Dechant,  ein  Archidiakonus, 
ein  Kanonikus  oder  jeder  Vicarius  in  spiritualibus  (das 
Vikariat  war  häufig,  später  bisweilen  regelmäßig  mit  dem 
Generaloffizialat  verbunden)  theologische  Kenntnisse  hatten, 
doch  konnte  auch  in  den  meisten  von  diesen  Stellungen 
Kenntnis  des  kanonischen  Rechts  nicht  recht  entbehrt 
werden.  Prediger  konnten  des  theologischen  Wissens  nicht 
entraten  und  waren  deshalb  oft  gelehrte  Theologen,  man 
denke  an  Geiler  in  Straßburg,  an  Biel  und  Wimpfeling 
in  Speier,  an  Lutre,a,  Zehender  und  Nausea  in  Mainz; 
für  alle  höheren  Geistlichen,  ja  selbst  für  Pfarrer  genügte 
in  der  Praxis  das  von  theologischen  Kenntnissen,  was  für 
die  Erlangung  der  Priesterweihe  allgemein  vorgeschrieben 
war,  und  das  bedurfte  keines  großen  Studiums.  Daher  wurde 
das  juristische  Studium,  wie  z.  B.  die  Forschungen  an 
italienischen  Universitäten  nachweisen,  im  Mittelalter  be- 
sonders stark  von  Angehörigen  des  geistlichen  Standes  ge- 
trieben. Diether  hatte  dazu  auch  noch,  wie  aus  dem  vor- 
liegenden Tatbestande  hervorgeht,  die  Wichtigkeit  des  Zivil- 
rechts erkannt  und  deshalb  für  beide  Zweige  des  Rechts 
in  Mainz  von  Anbeginn  gesorgt,  ohne  die  Theologie  und 
ihre  Amme,  die  Philosophie  (Mainz  scheint  der  Via  moderna 
angehört  zu  haben),  wie  die  Medizin  zu  vernachlässigen. 
Von  Legisten  können  wir7,  ohne  daß  Vollständigkeit 
zu  erreichen  wäre,  doch,  weil  auch  die  Nachfolger  Diethers 
sich  seinen  Intentionen  anschlössen,  eine  immerhin  respek- 
table Reihe  anführen:  Wigand  Kennicken  aus  Paderborn, 
Doctor  legum  und  Professor,  Kantor  zu  St.  Viktor  und 
schon  Sekretär  Adolfs  IL,  gestorben  1480  als  Dechant  zu 
St.  Bartholomäus  in  Frankfurt;  Alexander  Theodorici 
aus  Memmingen8,  Doctor  legum  und  Licentiatus  canonum. 


7  Zum  Folgenden  vergl.  II.  Knodt,  De  Moguntia  litterata  Common.  II, 
5,  52,  53,  54,  5."». 

!  Nicht  Meinungen  oder  Meiningen.  Er  ist  Anfang  1467  in  Heidelberg 
als  Alexander  Theodriei  de  Memmingen  diocesis  Augustensis  immatrikuliert 
und   am   13.   .luli    14<iS   Üacralaureus  artium   in  via   moderna   geworden. 


Alis  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  7 

1483  Dekan,  1496  Prokurator  am  Reichskammergericht; 
Georg  Schrauff,  Doctor  legum,  1488  Rektor  (f  1504); 
1488  Elorentinus  Holtzweiler  und  Johannes  Mergent- 
heim, Doctores  legum,  Mergentheim  auch  kurfürstlicher 
Rat;  Jakob  Koler,  Doctor  legum,  1493  Dekan  und  Judex 
generalis  (f  1498);  sein  Nachfolger  Nikolaus  Finck  aus 
Lorch,  Doctor  legum  (1504);  Lambertus  Richtergin  aus 
x\achen,  Doctor  legum  und  1501  Ordinarius;  Rolinus  Tinc- 
toris,  Licentiatus  legum  und  Lektor,  1509  Doctor  iuris 
utriusque;  Johannes  Fürderer  oder  Kühorn,  Doctor 
legum,  c.  1508;  Dietrich  Gresemund  Junior,  Doctor 
legum,  der  in  einer  Nachricht  von  seinem  Tode  Ordinarius 
genannt  wird9;  Konrad  Weidmann,  Doctor  legum  und 
1518   Ordinarius.10 

Die  Leipziger  hatten  nicht  unrecht,  Juristen  und  Poeten 
in  einem  Atemzuge  zu  nennen.  Noch  zog  ein  großer  Teil 
der  Scholares  iuris  nach  Italien,  in  das  Mutterland  der 
juristischen  Studien,  besonders  die  Legisten  und  die  Be- 
flissenen des  vollen  Jus  utrumque,  da  in  Deutschland  doch 
im  ganzen  das  Jus  civile  sich  an  den  Universitäten  lang- 
sam einfand  (in  der  kaiserlichen  Residenz  Wien  z.  B.  erst 
1493)  oder  einnistete.  Dort  lernten  sie  die  humanistische 
Eloquenz  kennen  oder  zogen  bald  dahin,  um  sie  sich  bei 
solchen  Lehrern,  wie  Philippus  Beroaldus11  in  Bologna 
anzueignen,  die  Eloquenz,  die  für  die  höhere  Beamten- 
laufbahn einschlagende  Juristen  vor  1500  schon  vonnöten 
war1-',  wenn  sie  bei  Verhandlungen  und  Staatsaktionen  als 
Oratoren  zierliche  (docti)  Reden  halten  oder  als  Kanzler  und 
Sekretäre  elegante  Briefe  schreiben  wollten.  Sie  und  andere, 
die  als  Dozenten  an  deutsche  Universitäten  übergingen, 
pflegten  die  Erkenntnis  auch  ihren  Verwandten  und  Schülern 
einzupflanzen.  Der  Verbreitung  dieser  Anschauungen  wird 
man  inne,  wenn  man  die  Schüler  des  Konrad  Celtis  im 
Wiener  Poetenkollegium13  und  die  Jakob  Lochers  in  Ingol- 
stadt —  bei  diesem  spricht  sogar  die  Ansetzung  seiner  Lehr- 


9  Zu  Dietrich  Gresemund   Junior  vergl.   weiter  unten. 

10  Zu  Konrad  Weidmann  verirl.  weiter  unten  hei  Johannes  Rhagius 
und  den   Epistolae  obscurorum  virorum. 

11  Hierzu  vergl.  die  Dedikationen  seiner  Werke.  G.  Bauch,  Die  Re- 
zeption des  Humanismus  in   Wien,    Ml. 

12  Da  ist.  es  rechl  charakteristisch,  wenn,  wie  Wimpfeling  in  seiner 
Expurgatio  contra  detractores  sagt,  Pfalzgraf  Philipp  „decreueral  in  suo 
gymnasio  (d.  h.  in  uniuersitate  Heidßlbergensi)  lectiones  nouas  in  oratoria, 
in  poetica,   in  graecis  literis  (cum   legistarum   collegio)   instituepe". 

13  G.  Bauch,  Die   l!eze|ifi<>n   des   Humanismus  in  Wien,    1  16. 


8  Gustav  Bauch. 

stunden  durch  die  Universität  dafür u  -  -  oder  die  Erziehung 
der  Söhne  des  Pfalzgrafen  Philipp  in  Heidelberg15  und  in 
Mainz  betrachtet.  Auch  unter  den  aufgezahlten  Mainzer 
Legisten  werden  wir  Vertreter  dieser  Richtung  finden. 
Unsere  Darstellung  aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Hu- 
manismus werden  wir  jedoch  nicht  mit  der  Vorführung 
eines  humanistisch  gebildeten  Juristen,  sondern  eines  Me- 
diziners einleiten,  den  wir  an  die  Spitze  stellen,  weil  er 
am  frühesten  ans  unserer  Schar,  schon  vor  dem  wirklichen 
Inslebentreten  der  Universität,  in  Mainz  war  und  dann  zu 
ihr  übertrat.  Das  ist  Dr.  Dietrich  Gresemund  der  Ältere. 
Dietrich  Gresemund  ist  eine  allen  Mainzer  Forschern 
wohlbekannte  Persönlichkeit,  und  doch  hat  sich  niemand 
um  die  Zeilen  aus  kompetenter  Feder  näher  bekümmert, 
die  sich  über  seine  Stellung  zum  Humanismus  scharf  und 
deutlich  aussprechen.  Er  war  in  Meschede  in  Westfalen  ge- 
boren, weshalb  die  Angehörigen  seiner  Familie  in  Mainz 
manchmal  Meschede  genannt  wurden16,  und  stammte  aus 
einer  Literatenfamilie.  Sein  Bruder,  Magister  artium  Got- 
schalk  Gresemund,  der  im  Sommersemester  1424  die 
Universität  Erfurt  bezogen  hatte,  bekleidete  in  den  Winter- 
semestern 1437  und  1445  und  im  Sommersemester  1456 
das  Rektorat  der  Universität  und  waltete  im  Wintersemester 
1457  als  Vizerektor.  Er  war  nach  Absolvierung  der  arti- 
stischen Studien  Doktor  und  Professor  der  Theologie  und 
Kanonikus,  später  Dechant  zu  St.  Marien.  Ein  anderer 
Bruder,  Hermann  Gresemund,  kam  im  Wintersemester 
1445  nach  Erfurt  und  führte  als  Magister  artium  und  Bac- 
calaureus  theologiae  formatus  im  Wintersemester  1463  das 
Rektorat.  Dietrich  Gresemund  folgte  seinen  Brüdern  im 
Wintersemester  1455  nach  Erfurt17  und  trat  dort  ein  halbes 
Jahr  nach  Berthold  von  Henneberg  und  ein  halbes  Jahr 
vor  Rudolf  Agricola  ein.  Er  wurde  im  Jahre  1459  Bak- 
kalar  und  1465  Magister  der  Künste.  Als  Erfurter  gehörte 
er  wie  seine  Brüder  zu  der  scholastischen  Via  moderna, 
die  allein  daselbst  vertreten  war.  In  Italien  lag  er  dann 
medizinischen  Studien  ob  und  ließ  sich  als  Doctor  medicinae 
zuerst  in  Speier  nieder  und  darauf  in  Mainz.  Kurfürst  Adolf 


14  G.   Bauch,   Die  Anfänge  des  Humanismus  in   Ingolstadt,  84. 

1:'  Lehrer  der  Söhne  waren:  Adam  Werner,  Konrad  Celtis,  Johann 
Reuchlin,    Oecolampadius,    Johannes   Rhagius    Aesticampianus. 

1G  Vergl.  H.  !■'.  Singer,  Der  Humanist  Jakob  Merstetter,  50,  wo  der 
Sohn  Theodor  Meschede  Leg.   Mr.  Del',  heißt. 

17  (i.  Bauch,  Die  Universität  Erfurt  im  Zeitalter  des  Frühhumanis- 
mus, 50. 


Aus  Mer  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  9 

machte  ihn  1470  zu  seinem  Leibarzt  und  ebenso  Kurfürst 
Berthold  1484,  der  ihn  auch  als  Rat  aufnahm.18  Ein  Be- 
weis des  Vertrauens  war  es,  daß  Berthold  ihn  i486  mit 
Dr.  Alexander  Theodorici  und  Magister  Andreas 
Eber  als  Vertreter  dreier  Fakultäten,  mit  Ausschluß  der 
Theologie,  zum  Bücherzensor  des  Erzstifts  Mainz  bestellte.19 

Wohl  schon  in  Erfurt,  wo  der  fahrende  Poet  Peter 
Luder  aus  Kißlau  14G1  und  14G2  lehrte20,  vom  Humanismus 
beeinflußt,  brachte  er  aus  Italien  eine  feine  humanistische 
Bildung  mit  heim  und  gehörte  zu  so  früher  Zeit  schon  der 
schärferen  Richtung  des  Humanismus  an,  die  bereits  an 
eine  Reform  der  Fniversitäten  in  ihrem  Sinne  dachte.  Hier- 
über belehren  uns  Äußerungen  seines  Sohnes  Dietrich 
und  W  i m p f  e  1  i n g s  und  auch  seine  Freundschaft  mit  K o n r a  < I 
Celtis. 

Daß  Wimpfelings  enthusiastische  Worte  an  Dietrich, 
den  Sohn,  bisher  so  wenig  Berücksichtigung  gefunden 
haben,  erklärt  sich  wohl  daraus,  daß  man  seine  etwas 
'geschraubten  Sätze  nicht  richtig  verstanden  hat,  und 
weil  er  gerade  an  der  Stelle,  an  der  er  die  Bildung  des 
Vaters  lobend  anerkennt,  eine  Bezeichnung  gebraucht,  die 
leicht  falsch  verstanden  werden  kann.  Er  sagt  nämlich 
1493  in  der  Widmung  seiner  Elegantiae  maiores21:  „Ich  weiß 
nicht,  Dietrich,  ob  ich  Deine  geistige  Begabung  eher  als 
die  väterliche  Unterweisung  loben  soll,  so  sehr  gefällt  mir 
beides.  Denn  weder  würde  ohne  einen  gewissen  eigen- 
artigen Vorzug  Deines  Fleißes  der  Vater  selbst  mit  großer 
Mühe  etwas  ausrichten,  noch  hätte  Dein  recht  zartes  Alter 
schon  ein  so  gehäuftes  Studium  der  humanen  Wissen- 
schaften bewältigt,  wenn  es  nicht  den  hervorragenden  und 
andere  weit  übertreffenden  Führer  und  Lehrer  in  den  guten 
Wissenschaften  zur  Verfügung  hätte.  Daher  werde  ich  Dich 
loben,  solange  ich  lebe;  ich  werde  aber  auch  Deinen  hoch- 
gelehrten Vater  loben,  der,  obgleirli  er  ein  Deutscher,  doch 
ein  sehr  großer  Liebhaber  der  italienischen  Eloquenz  (italice 
eloquencie),  im  Vertrauen  auf  die  wunderbaren  Gaben  Deines 
(icist.es  glaubte,  daß  Du  in  der  Rhetorik  und  Poetik  unter- 
wiesen   werden    krümlest."      Und    zum    Schluß    schreibt    er 


1    Joannis,   Scriptores   historiae   Moguntinae,    III.   393. 

>'•<  I'.   W.   I'..   Roth   im   Katholik  1898,   II,  243. 

2"  <;.  Bauch,  a.  a.  0.,    III. 

21  Jacobi  I  ymphelingi  Sletstatensis  Elegantiarum  medulla.  oratorie- 
que  preeepta.  In  ordifiem  inuentu  facilem.  copiose.  clare  breuiterque  n  dueta 
0.  0.   und  .1.  (Mainz,   Peter  Friedberg),    I". 

-l  Widmungsbrief:   17.  kal.  Kovbr.    L493 


10  Gustav  Bauch. 

noch :  „Lebe  wohl  und  bringe  mich  durch  dieses  Werkchen 
Deinem  Vater  nahe". 

Die  italische  Eloquenz  ist.  hier  natürlich  nicht  in  der 
Bedeutung  von  Gewandtheit  in  der  italienischen  Sprache, 
sondern  schon  von  der  verfeinerten  lateinischen  Beredsam- 
keit der  italienischen  Humanisten  zu  nehmen,  von  der 
Wimpfeling  und  andere  seiner  humanistischen  deutschen 
Zeitgenossen  noch  weit  entfernt  waren. 

Seine  entschieden  gegnerische  Stellung  zu  der  üblichen 
Behandlung  der  lateinischen  Sprache  an  den  deutschen 
Schulen  und  Universitäten  werden  wir  mit  den  Worten 
seines  Sohnes  aus  demselben  Jahre  später  beleuchten.  Da 
Wimpfeling  den  Vater  ausdrücklich  als  den  einzigen  Lehrer 
des  Sohnes  in  den  Humaniora  preist,  ist  dies  wohl  auch 
zugleich  ein  Zeichen  dafür,  daß  damals  die  Gelegenheit, 
sich  humanistisch  zu  bilden,  in  Mainz  trotz  der  Universität 
noch  ziemlich  sparsam  geboten  war. 

Hiemach  wäre  Dietrich  Gresemund,  der  Vater,  der 
Ahnherr  des  Mainzer  Humanismus.  Sein  Sohn  erwies 
sich  damals  schon  und  noch  mehr  nachmals  als  eines 
solchen  Vaters  durchaus  würdig,  denn  dieser  ist  der  erste 
Mainzer  Humanist  geworden. 

Um  1480  ungefähr  bewegte  sich  ein  Mann  als  Scholar 
der  Medizin  in  Mainz,  der  zwar  eigentlich  niemals .  selbst 
ein  wirklicher  Humanist  geworden  ist,  der  aber  doch  eine 
Rolle  in  der  Geschichte  des  Humanismus  gespielt,  hat,  der 
nachmalige  erste  B.ektor  der  Universität  Wittenberg,  Martin 
Polich  von  Mellrichstadt  in  Franken,  und  deshalb  meist 
kurzweg  Meilerstadt  genannt.22  Es  ist  nicht  ausge- 
schlossen, daß  er  dort,  etwa  in  der  Atmosphäre  Grese- 
munds,  humanistische  Keime  aufgenommen  oder  vorher 
schon  in  Leipzig  aufgenommene  weiter  entwickelt  hat.  Im 
Sommersemester  1470  Leipziger  Student,  1472  Bakkalar 
und  im  Wintersemester  1475/70  Magister  der  Artes,  hatte 
er  fleißig  ausgearbeitete  thomistische  Vorlesungen  gehalten, 
in  Mainz  wurde  er  Doktor  der  Medizin  und  1482  Leibarzt 
des  jungen  Herzogs  Friedrich  von  Sachsen,  der  später 
als  Kurfürst  den  Namen  Friedrich  der  Weise  erhielt. 
Melierstadt  hat  1486  seinen  Freund  und  zukünftigen  So- 
da len  Konrad  Celtis  dem  Herzog  Friedrich  bekannt  ee- 
macht  und  dadurch  der  Krönung  des  ersten  Laureaten  in 
Deutschland  durch  Kaiser  Friedrich  III.  in  Nürnberg  1487 


'-'  Vax  .Mail in  Polich  vergl.  G.  Bauch,  Geschichte  des  Leipziger  Früh- 
humanismus,   7f.   etc. 


AuS  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  11 

vorgearbeitet;  denn  Kurfürst  Friedrich  von  Sachsen  war 
Pate  bei  diesem  Akte.  Daß  Polich  nicht  erst  infolge  seines 
Verkehrs  mit  Celtis  zum  Humanisten  wurde,  läßt  sich  aus 
geinen  poetischen  Versuchen  in  den  achtziger  Jahren,  z.  B. 
ans  seinem  heroischen  Gedicht  auf  den  1486  gestorbenen 
Kurfürsten  Ernst  von  Sachsen,  folgern;  denn  Verse  hätte 
er,  der  Scholastiker,  doch  wohl  kaum  in  einem  Jahre 
schreiben  gelernt.  Als  seine  Mainzer  Lehrer  in  der  Medizin 
sind  wohl  Gresemund  und  Dr.  Peter  von  Viersen,  der 
als  erster  Ordinarius  der  Medizin  1480  dem  Rektorat  der 
Universität  vorstand,  und  vielleicht  auch  Dr.  Albrecht 
von  Minsingen23,  den  Kurfürst  Diether  1478  zu  seinem 
Leibarzt  und  "Rate  machte,  zu  betrachten.  Er  ist  auch  kein 
verächtlicher  Mediziner  gewesen,  sondern  hat  durch  seine 
medizinischen  Produktionen  der  Universität,  die  ihm  den 
Doktorhut  verlieh,  Ehre  gemacht  und  ohne  Schwierigkeit 
den  Weg  von  den  Arabisten  zur  klassischen  Medizin  ge- 
funden. 

Nur  durch  einen  zufälligen  Umstand,  die  Wirkung 
eines  Empfehlungsbriefes,  erfährt  man  von  einem  fahrenden 
Poeten,  doch  einem  Poeten  ohne  Verse,  der  kurz  nach 
Mfellerstadt  in  Mainz  aufgetaucht  sein  muß,  von  dem 
Doktor  des  kanonischen  Rechts  Johannes  Riedner  von 
Ludersheim  bei  Nürnberg,  dem  Freunde  Peter  Schotts 
aus  Straßburg  und  des  berühmtesten  böhmischen  Huma- 
nisten und  vornehmen  Herrn  Bohuslaus  Lobkowitz  von 
Hassenstein.  Mit  diesen  Männern  hatte  Riedner  in 
Bologna  Freundschaft  geschlossen,  wo  er  schon  als  Magister 
von  1473  an  kanonisches  Recht  studierte.  Im  Winter- 
semester 1479  trat  er  in  Krakau  als  Poeta  auf  und  im  No- 
vember 1480  ebenfalls  als  Poeta  in  Rostock.  Daran  schloß 
sich  sein  Aufenthalt  in  Mainz,  der  durch  die  Erfurter  Matrikel 
bezeugt  ist.24  Dort  trug  ihn  im  Wintersemester  1482  der 
Rektor  Graf  Philipp  von  Solms  mit  den  Worten  in  (\;\* 
Alhiini  ein:  ,, Johannes  Ryedner  de  Luderßheim,  iuris  p  n 
tificii  doctor,  gratis  ob  reuerentiam  uniuersitatis  huius  et 
rectoris  studii  Maguntini."  Er  kam  also  recta  via  ans  Mainz, 
doch  ist  leider  der  Name  des  Mainzer  Rektors  niclil  über 
liefert,  der  mindestens  durch  seine  Empfehlung  eine  freund- 
liche Gesinnung  für  das  Studium  humanitatis  an  den  Tag 
gelegt  hat.     Verse   sind    von   Riedner  gar   nicht    bekannt, 


23  Zu  Viersen  und  Minsingen  vergl.  II.  Knodt,  a.  a.  »>.,  II,  2,  6,  61; 
zu  Viersen  auch   Roth,  a.  a.  0.,   L15. 

24  G.  Bauch,  Die  Universitäl   Erfurt,  56f. 


12  Gustav  Baurh. 

er  behandelte  mehr  stilistisch-rhetorische  Disziplinen  und 
fand  endlich  1484  eine  feste  Anstellung  als  Poeta  et  Orator 
in  Ingolstadt,  wo  er  1491  ein  Stein  des  Anstoßes  für  Ko ri- 
nn I  Celtis  wurde,  der  ihn  als  vetulus  poeta  verächtlich 
angriff  und  seinetwegen  erst  1494  dort  dasselbe  Ziel  er- 
reichte. 

Wenn  dieser  Fahrende  so  ohne  Sang  und  Klang  durch 
die  Hörsäle  von  Mainz  gegangen  ist,  kommt  man  wohl  leicht 
zu  der  Frage,  ob  nicht  ein  anderer  aus  der  beweglichen 
Schar  der  Wanderpoeten  deutlichere  Spuren  von  seiner 
Anwesenheit  in  Mainz  zurückgelassen  hat.  Nur  an  Celtis 
wäre  hierbei  zu  denken,  aber  auch  seine  Einwirkung  auf 
die  Mainzer  Verhältnisse  außer  durch  seine  Schüler  und 
Sodalen  ist  ziemlich  schemenhaft.  Erst  Aesticampianus 
hat  nachweislich  befruchtend  auf  empfängliche  Geister  ge- 
wirkt. Doch  bevor  wir  zu  Celtis  und  Aesticampianus 
übergehen,  haben  wir  dem  Sohne  und  Schüler  Gr e Se- 
nium! s  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Nur  einem 
Mainzer  Gelehrten  wollen  wir  noch  den  Vortritt  können, 
der  vermutlrch  anregend  für  Gresemund  gewesen  ist,  weil 
dessen  Biograph  Gebwiler  seine  historischen  Studien  be- 
sonders hervorhebt  und  die  Publikationen  Gresemunds 
das  ebenfalls  bestätigen,  wie  er  denn  auch  schon  in  seinem 
ersten  Jugendwerke  auf  die  Geschichte  hinweist,  deren 
antike  Vertreter  doch  damals  immer  wie  die  anderen  pro- 
saischen Autoren  unter  den  Begriff  Rhetorik  subsumiert  oder 
nach  der  Weise  der  Scholastiker  gar  unter  die  Poeten  ein- 
gereiht wurden.  Dieser  erste  Mainzer  Humanist  mit  nicht 
bloß  sprachlichen  und  poetischen,  sondern  auch  mit  histori- 
schen Interessen  war  Ivö  Wittich  aus  Hamelburg25,  der 
Sohn  des  Klaus   Wittich  und  seiner  Frau  Margareta.26 

Ivo  Witt  ich  war  im  Sommersemester  1473  in  Leipzig 
immatrikuliert  worden  wie  schon  im  Sommer  1463  ein  Jo- 
hannes Witt  ich  de  Hamelborgk,  der  wohl  sein  Bruder 
gewesen  ist,  und  hatte  im  Wintersemester  1475  das  ar- 
tistische Bakkalaureat  erworben,  war  aber  dann  zum  Stu- 
dium des  kanonischen  Rechts  übergegangen  und  Doctor 
decretorum  geworden.  Zu  der  Zeit,  als  Konrad  Celtis 
nach  Leipzig  kam,  1486,  unterrichtete  er  in  Magdeburg 
mit  dem  italienischen  Humanisten  Fridianus  Pishinucius 


25  Zu  Ivo  Wittich  vergl.  Roth,  a.  a.  <>.,  1061;  lt.  Knodt,  a.  a.  0., 
Sf. ;  <;.  Bauch;  Geschichte  des  Leipziger  Frühhumanismus,  6f.,    li>,  21,  22. 

20  Für  die  Eltern,  die  Roth  fälschlich  Ivo  and  Katharina,  nennt,  vergl. 
Wittichs  Legitimationsbrief  im  Zentralblati  für  Bibliothekswesen,  XIV,  52(3. 


Aus  «.der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  13 

aus  Lucca  den  jugendlichen  Erzbischof  Herzog  Ernst  von 
Sachsen,  Pighinucius  in  der  besseren  Latinität  und 
Wittich  im  Jus.  Das  Zusammensein  mit  dem  fein  ge- 
bildeten italienischen  Poeten  hat  ihn  in  seinen  humanisti- 
schen Neigungen  und  Studien  gefördert,  aber  an  seiner 
gut  deutschen  Gesinnung  nichts  geändert.  Beide  hielten 
mit  Celtis,  der  zeitweise  auch  in  Magdeburg  geweilt  hat27, 
auf  brieflichem  Wege  freundschaftlichen  Verkehr.  Noch  1487 
war  Wittich  in  Magdeburg  und  trat  in  diesem  Jahre,  mit 
Pighinucius  vereint,  als  Herausgeber  eines  römischen 
Historikers  hervor.  Auf  der  Rückreise  von  der  Vermählung 
der  Schwester  des  Erzbischofs  Ernst,  Mar  gare  ta,  mit 
dem  Herzog  Heinrich  von  Braunschweig-Lüneburg  im 
Februar  1487  unterhielt  sich  der  gelehrte  Rat  und  Orator 
Ernsts  Johannes  Wolf  von  Hermannsgrün",  ein 
Schüler  des  Pomponius  Laetus,  in  Halberstadt  mit  Pighi- 
nucius über  römische  Geschichte,  und  man  kam  dabei  auf 
Florus  zu  sprechen.  Wolf  besaß  eine  Handschrift  des  Florus 
und  schickte  sie  einige  Tage  später  Pighinucius.  Nach 
dieser  guten  Handschrift  gaben  Wittich  und  Pighinucius 
den  Autor  heraus,  und  Wättich  las  in  Leipzig  darüber. 
Zu  seinen  Zuhörern  zählte  der  junge  Konrad  Wimpina.29 
In  der  Widmung  des  Florus  an  Erzbischof  Ernst  hat  Pighi- 
nucius sich  scharf  gegen  die  leeren  scholastischen  Haar- 
spaltereien und  das  zwecklose  übermäßig  lange  Verweilen 
bei  den  logisch-dialektischen  Disziplinen  ausgesprochen  und 
er  hat  damit  die  humanistische  Parole  zum  Kampfe  gegen 
das  Althergebrachte  in  Leipzig  ausgegeben. 

Ans  so  guten  und  schneidigen  Vorbedingungen  kam 
Witt  ich  nach  Mainz  und  er  ist  hier,  obgleich  bald  viel- 
seitig als  juristischer  Gelehrter  und  Fachmann  tätig  und 
verwandt,  nicht  wie  so  mancher  andere  Mann  der  Praxis 
den  Bestrebungen  seines  Vorlebens  untreu  geworden  und 
hat  dadurch  dem  Humanismus  in  Mainz  mehr  genützt,  als 
das  die  flüchtigen  Zugvögel  der  fahrenden  Poeten  imstande 
waren.  Wir  lassen  zuerst  die  Entwicklung  seiner  Laufbahn 
am    Rhein   an    uns   vorüberziehen. 

Am  Dienstag  nach  [nvoeavit  14(.)1  nahm  ihn  Kurfürst 
Berthold  von  Henneberg  zu  seinem  Ral  und  Diener 
auf,  ein  Verhältnis,  in  dem  sich  Witt  ich  zur  Zufriedenheil 
seines  Herrn  vollkommen  bewährte.    Den  3.  November  1495 


-'   Nach  einem  Briefe  Adam  Werners  von  Themar  an  Celtis  in  Celtis* 
Codex  epistolaris. 

28  (i.  JBauch,    Die   Universität    Erfurt,    107f. 

29  (i.  Bauch,  Geschichte  des  Leipziger  Frühhumanismus,  7. 


14  Gustav  Bauch. 

wurde  er  in  Frankfurt  als  erster  mainzischer  Beisitzer  des 
Reichskammergerichts  von  dem  Kammerrichter  GrafenEitel 
Friedrich  von  Zollern  in  Pflicht  genommen,  und  am 
4.  Mai  1496  befreite  ihn,  der  noch  Subdiakon  war,  Ber- 
thold von  der  nach  kanonischem  Recht  durch  sein 
Assessorat  am  Reichskammergericht  hervorgerufenen  Irre- 
gularität nnd  öffnete  ihm  dadurch  den  Weg  zu  den  höheren 
Weihen  und  zu  höheren  geistlichen  Würden.  Zum  Jahre 
1499  soll  er  dann  seine  Stellung  am  Reichskammergericht 
niedergelegt  haben.30  1494  war  er  in  seiner  Eigenschaft 
als  kurfürstlicher  Rat  mit  am  kaiserlichen  Hoflager  in  den 
Niederlanden  und  saß  in  Antwerpen  in  Sachen  des  Bischofs 
von  Worms  Johannes  von  Dal'berg  contra  Worms  zu 
Gericht.  Später,  1498,  fiel  ihm  in  den  Streitigkeiten  zwischen 
dem  Bischof  und  der  Stadt  noch  eine,  allerdings  erfolglose, 
Vermittlerrolle  zu.  Am  18.  Dezember  1494  wurde  er  und 
der  Doctor  legum  Johannes  Schad,  ebenfalls  in  Antwerpen, 
von  Maximilian  I.  beauftragt,  dem  kaiserlichen  Sekretär 
Matthäus  Lans;  aus  Augsburg,  dem  der  Kaiser  die  Licentia 
in  legibus  verliehen  hatte,  die  Doktorinsignien  zu  erteilen.31 
Lang,  damals  schon  und  später  als  kaiserlicher  Locuin- 
tenens  in  noch  höherem  Grade  eine  bedeutende  Persön- 
lichkeit am  kaiserlichen  Hofe,  ist  der  nachmalige  Bischof 
von  Gurk  und  Kardinal-Erzbischof  von  Salzburg.  Im  Jahre 
1499  erhielt  Wittich  von  Bertholcl  die  durch  den  Tod 
des  Matthäus  Eber  wein  erledigte  Lektoralpräbende  zu 
St.  Viktor  und  wurde  damit  Ordinarius  des  kanonischen 
Rechts  an  der  Universität.  Das  Jahr  1501  brachte  ihm  die 
Würde  des  mainzischen  Sigillifer.  1504  endlich  hatte  er 
das  Rektorat  der  Universität  inne,  nachdem  er  1501  und 
1502  ihr  Kanzler  gewesen  war.  Zu  dem  Kanonikat  bei 
St.  Viktor  und  einem  andern  bei  Beatae  Mariae  Virginis 
ad  Gradus  empfing  er  1506  noch  eins  an  der  Kathedrale  zu 
St.  Johann  in  Breslau.32  Am  4.  Dezember  1507  ist  er  aus 
diesem  Leben  allgeschieden,  er  gehörte  aber  zu  den  bevor- 
zugen Privatleuten,  die  ein  bleibendes  Andenken  in  der 
deutschen   Literatur  haben. 

hie  ;in  der  Elbe  in  ihm  geweckte  Vorliebe  für  die  Ge- 
schichte33, der  er  an  (\rv  Pleiße  darauf  durch  Vorlesungen 

3»  Harpprecht,  II.  50,  60. 

:!l  Paul  Legers,  Kardinal  Matthäus  Lang,  74,  wo  für  Joani  Iuoni  zu 
lesen  ist.   —    :i-  Vergl.   hierzu  den  oben  zitierten   Legitimationsbrief. 

'■'■'■  Roth,  111,  berichtet,  daß  Wittich  mit  Konrad  Peutinger  im  Brief- 
verkehr gestanden  und  L503  sich  Ihm  ihm  nach  dem  Erscheinen  seiner 
Arbeit   über  «ist-  und  weströmische  .Münzen  erkundigl   habe.     Diese  Arbeit 

hat   wahrscheinlich   heute  die   Wiener  Hofbibliothek   handschriftlich  aus  dem 

Besitz  Peutingers. 


Au*  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  15 

Rechnung  getragen  hatte,  pflegte  er  am  Rhein  weiter  und 
bewährte  sie  in  zwiefacher  Weise.  Zunächst  stiftete  er 
1504  als  Rektor  eine  Lektur  für  Geschichte  an  der  Uni- 
versität und  dann  beteiligte  er  sich  an  einem  großen  Über- 
setzungswerke, das  der  erste  Inhaber  seiner  Lektur,  Doctor 
Legum  Bernhard  Schöfferlin3*,  begonnen  hatte.  Es  ist 
sonderbar,  daß  die  landläufigen  Darstellungen  der  wissen- 
schaftlichen Renaissance  dieser  Seite  des  Humanismus  meist 
nicht  gerecht  werden  oder  sie  gar  nicht  kennen,  so  daß 
man  leicht  zu  der  falschen  Anschauung  kommt,  als  wären 
die  Humanisten  weltfern  auf  romantischen  Wolken  über 
die  Masse  des  deutschen  Volkes,  also  ohne  jegliche  Fühlung 
mit  ihm  und  ohne  Streben  danach,  hinweggeschritten.  Für 
die  Humanisten  am  Rhein  und  zu  dieser  wie  zu  der  fol- 
genden Zeit  eilt  das  in  keiner  Weise,  denn  hier,  in  Heidel- 
berg,  in  Straßburg  und  in  Mainz,  suchte  man.  von  patrioti- 
schen, pädagogischen  und  moralischen  Gesichtspunkten  ge- 
leitet, positive  Früchte  aus  dem  Studium  des  Altertunis 
auch  anderen,  die  der  lateinischen  Sprache  nur  wenig  oder 
gar  nicht  mächtig  waren,  zugänglich  zu  machen. 

Wie  Schöfferlin  nach  Mainz  gekommen  ist,  entzieht 
sich  der  Kenntnis,  vielleicht  setzte  er  sich  dort  zur  Ruhe. 
Er  war  in  Eßlingen  geboren  und  am  19.  Oktober  1454  als 
Student  in  Heidelberg;  eingetreten,  wo  er  am  10.  Juli  145b' 
Baccalaureus  in  artibus  viae  modernae  wurde.  Seine  juristi- 
schen Studien  hat  er,  nach  seiner  humanistischen  Bildung 
zu  schließen,  in  Italien  gemacht.  Im  Jahre  1485  war  er 
Assessor  des  württembergischen  Hofgerichts,  dem  auch 
Johann  und  Ludwig  Vergenhans  (Nauclerus),  Martin 
Nittel  und  Johann  Reuchlin  angehörten.  Mit  Reuchlin 
war  er  befreundet.  Im  Jahre  1495  wurde  er  erster,  vom 
Lande  Schwaben  präsentierter  Beisitzer  des  Reichskammer- 
gerichts und  als  solcher  am  2.  November  in  Frankfurt 
vereidigt.  1499  winde  er  aufs  neue  Rat  bei  Herzog  Fl  rieh 
von  Württemberg,  vorbehaltlich  seiner  Stelle  bei  dem 
Reichskammergericht,  und  1500  schwäbischer  Bundesrichter 
namens  der  Städte.  Schon  1503  ist  er  in  Mainz  mit  der 
Übersetzung  des  Livius  für  die  Schöffersche  Offizin  be- 
schäftigt  gewesen. 

Von  welchen  Anschauungen  getragen  er  an  diese  lite- 
rarische Aibeii  ging,  das  gibt  seine  Vorrede  wieder.  Er 
sagt:  „So  ich  ol'H  und  vil  by  mir  selbs  betrachl  bab.  was 
einem   weltlichen    man    allermeist    zu    vernunlTl    dienen,    zu 


:;'  Zu  Schöfferlin  vergl.  Roth,  a.  a.  <>..  1021'.:  Harpprecht,  II.  62,  03. 


16  Gustav  Bauch. 

m;i nheit.  (virtus)  und  einem  tugenrichen  leben  bringen  müchl., 
find  ich  nach  mynem  bedunken  nit  nützers  noch  frucht- 
barlichs,  dan  ilyßig  historien  und  alt  geschienten  ze  lesen, 
wa  die  allein  ordenlich,  als  sich  des  die  alten  Roemer 
geflyssen  haben,  beschriben  werden ;  wan  von  inen  ein 
yde  geschieht  warlich,  wie  sich  die  an  ir  selbes  begeben 
hat,  mit  allen  umbstenden,  Worten  und  tatten,  daran  icht 
gewesen  ist,  beschriben  wirt.  Wa  das  nit  beschicht,  moecht 
syn,  das  sich  uff  historien  zu  geben,  kleine  frucht  gebar. 
Dan  was  hilfft  mich  oder  warzu  dienet  es  mir.  das  ich  weiß, 
das  die  Roemer  ir  küng  vertrieben  und  ein  ander  regiment 
an  sich  genommen  haben,  so  ich  nit  weiß,  warumb  und  uß 
was  Ursachen  es  besehenen  ist."  Ebenso  setzt  er  ausein- 
ander, wie  wichtig  und  lehrreich  es  sei,  die  Taten  Scipios 
zu  betrachten :  „das  dynet  einem  yeden,  der  sich  in  ritter- 
lichen oder  weltlichen  Sachen  üben  soll  und  muß,  daruß 
nympt  der  alt  wißheit,  der  hing  manheit  und  geschiklicheit 
und  lernet,  wie  man  sich  zu  tugenten  keren,  schand  und 
laster  flihen  und  myden  soll"  etc.  Zu  der  Entwicklung  Roms 
von  geringen  Anfängen  zur  Weltherrschaft,  dem  Rückgang 
und  Verfall  bemerkt  er :  ,,das  dynet  nit  wenig  einem  yden, 
der  von  gott  dem  almechtigen  darzu  angesehen  und  ver- 
ornet  ist,  das  er  land  oder  stett  regieren  soll".  Zum  Schluß 
spricht  er  von  seinem  nationalen  Standpunkt  aus:  ,,So  ich 
nun  befynd,  das  in  tütscher  zungen  sollicher  waren  und 
recht  beschribner  historien  großer  mangel  ist,  hab  ich 
Bernhard us  Schoeferlin,  doctor  in  keyserlichen  rechten, 
mir  selber  fürgenommen,  mit  hilft  des  almechtigen  gotz, 
der  myn  vernunfft  und  zungen  leyten  wol,  dem  gemeinen 
nutz  zu  gut,  zu  lob  und  eer  tütscher  nation  zu  beschriben 
die  lochten  waren  roeniischen  hystorien  von  Ursprung  der 
stall  Rom,  wie  sie  von  erst  gebuwen  ward,  wie  ir  regiment 
von  anbegynn  durch  die  küng,  darnach  durch  iarlichen 
gewalt  zweyer  burgermaister,  die  sie  Consules  genent  halten, 
und  eins  ratz  ein  lange  zyt  bestanden  sy,  wie  ouch  das 
roemisch  volck  durch  die  gemeind  oder  zuniftmeister,  die 
sie  Tribunos  plebis  genannl  haben,  den  hogsten  gewalt  an 
sich  und  die  gemeind  pracht  hat  und  wie  es  am  ledsten  zu 
(\cv  Monarchia,  das  ist  zu  <j;ewall  und  regiment  eins  einigen 
menschen  kommen  sy,  dadurch  die  keyserlich  würde  iren 
Ursprung  und  anfang  genommen  hat,  und  was  zwytragti- 
keit,  krieg  und  stryl  sich  darunder  zwyschen  fründen  und 
tynden  begeben  haben,  tch  würd  ouch  zu  synen  zyten  der 
tütschen  manheil  und  tugent  nit  vergessen,  sonnder  orden- 
lich beschriben,  was  in  vor  l'ünITzehenhundert  iaren  mit  den 


Aus  nler  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  17 

Roemern  und  ander  nation  begegnet  ist,  wan  ich  fynd 
souil  manheit  und  ritterlichs  werben  von  inen  beschriben, 
das  sie  in  dem  für  alle  nation  gelobt  syen."  Nachdem  er 
noch  darüber  Auskunft  gegeben  hat,  daß  er  eklektisch  ver- 
fahre und  frei  übersetze,  kommt  er  zuletzt  mit  einem  Hiebe 
gegen  die  literarischen  Neigungen  der  Zeit,  einem  schul- 
meisterlichen Gegenstück  zu  den  satirischen  Intentionen  <\<'* 
Cervantes:  „Ich  hoff,  es  soll  zu  dem  mynsten  mer  nutz 
pringen,  dann  das  man  die  fabel,  die  man  nennet  die  ritter- 
bucher,  die  erdachte,  ungeschehene,  ouch  ungloepliche  ding 
in.  sich  halten,  lese,  die  ouch  den  menschen  zu  sollicher 
vernunfft  und  geschiclicheit  als  dise  warhafftige  hystorien 
nit  sturen  noch  pringen  mügen". 

Schöff erlin  starb  nach  Vollendung  der  beiden  ersten 
Teile,  wahrscheinlich  noch  1504,  und  Witt  ich  führte  das 
Unternehmen  fort.  Er  setzte  mit  dem  Kriege  der  Römer 
gegen  Philipp  von  Mazedonien  ein  und  schloß  den  dritten 
Teil  mit  dem  Regierungsantritte  des  Perseus  (Ruch  XXXI 
bis  XL) ;  1505  erschien  die  stattliche,  vornehm  gedruckte 
Ausgabe.  Ihre  Wiederholung  und  Erweiterung  zeigt,  daß 
die  Mühe  der  beiden   Gelehrten  nicht  verloren   war. 

In  der  dem  Rande  vorgesetzten  Widmung  an  Kaiser 
Maximilian  I.,  in  der  der  Verfasser  ohne  Namensnennung 
nur  mit  ,,ich"  spricht,  steht  das  bekannte  Zeugnis  für  die 
Erfindung  der  Buchdruckerkunst  in  Mainz  durch  Johann 
Gutenberg,  das  Johann  Fust  und  Peter  Schöffer  nur 
den  Ruhm  der  Weiterbildung  der  schwarzen  Kunst  zuge- 
steht.35  Da  sich  die  Vorrede  Schöff  erlins  unmittelbar 
hinter  dem  Register  anschließt,  so  ist  doch  wohl  dieser  der 
Verfasser  der  Widmung36,  und  das  würde  die  Bedeutung 
des  Zeugnisses  noch  heben,  da  in  Eßlingen,  der  Heimat 
Schöffer]  ins,  schon  in  den  siebziger  Jahren  ein  tüchtiger 
alter  Drucker,  Konrad  Feyner  aus  Gerhausen,  tätig  war, 
der  ihn  doch  am  Ende  über  den  Ursprung  der  Typographie 
genügend  halle  unterrichten  können. 

Sonderbarerweise  hat  Johann  Schöffer,  der  doch 
bald  mit  seinen  gefälschten  Angaben  über  die  Erfindung 
hervortrat,    nichl    nur   hier   die    Widerlegung   seiner   Lügen 

3:'  ...  in  welicher  Stadt  anch  anfengklicb  die  wunderbare  kunsl  dei 
Trückerey  und  Im  ersten  von  dem  kunstreichen  Johan  Güttenbergk, 
du  man  zall  nach  Christi  unsers  heren  gehurt  Tausenl  vierhundert!]  und 
fünffzig  jare.  erfunden  und  darnach  mit  vleyß,  kosi  und  arbeyf  Johan 
Fausten  und  Peter  Schoeffers  zu  Mentz  gebesserth  und  bestendig 
gemacht    ist   worden. 

"';  II.  Heidenheimer  Irin  für  Ivo  Wittich  ;ils  Verfasser  ein.  Zeitschrift 
für  Bücherfreunde,  2.   Jahrgang,   II,  368 f. 

Beitrüge  z.  Gesell,  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  '-' 


1s  Gustav  Bauch. 

selbsl  abgedruckt,  sondern  er  hat  sie  auch  ruhig  in  den 
Wiederholungen  des  Livius  von  1514  und  1523,  die  doch 
auch  von  ihm  hergestellt  wurden,  unverändert  stehen  lassen. 

Wittich  hat  allen  Mainzern  sichtbar  durch  einen  in 
seinem  Rektorats]  ahre,  1504,  gesetzten  Denkstein  gleichfalls 
sein  Zeugnis  für  Gutenberg  vor  aller  Welt  abgelegt.37 
I  ml  mag  auch  die  Revolutionszeit  diesen  Stein  vernichtet 
haben,  die  Federn  der  Historiker  und  die  Lettern  der  Drucker 
haben  dieses  unanfechtbare  Zeugnis  der  Wahrheit  auch 
für  alle  Zeilen  sichergestellt.  So  haben  die  beiden  humani- 
stischen Freunde  der  Geschichte  für  die  Geschichte  der 
Menschheil  und  der  Verdienste  der  Deutschen  um  sie  ein 
Monumentum  aere  et  saxo  perennius   geschaffen. 

Reicher  an  eignen  Werken  und  Editionen  als  Wittich 
und  auch  produktiv  in  Versen,  die  wir  von  Wittich  gar 
nicht  besitzen,  war  Dietrich  Gresemund  der  Jüngere38, 
obgleich  sein  Leben  noch  rascher  ablief  als  das  Wittichs; 
aber  er  war  auch  seßhafter  in  Mainz  und  hatte  zugleich 
einen  größeren  Freundeskreis,  der  ihn  immer  wieder  zu 
literarischen  Arbeiten  anregte. 

Als  Riedner  in  Mainz  lehrte,  war  er  ein  Knabe  von 
fünf  Jahren.  Er  ist  1477,  obwohl  stets  Moguntinus  genannt, 
weil  er  als  ganz  kleines  Kind  nach  Mainz  kam,  in  Speier 
geboren.  Seine  Mutter  Barbara  war  eine  Irhelin  oder  Im- 
molar i  a. 

Wie  oben  berührt  wurde,  übermittelte  ihm  der  Vater 
eine  tüchtige  humanistische  Vorbildung  nach  italienischem 
Vorbilde,  die  von  Besuchern  des  väterlichen  Hauses  schon 
an  dein  Kinde  bewundert  wurde,  und  ließ  ihn  zwar  an  der 
i  riiversität  die  dialektischen  Studien  in  via  moderna  ver- 
folgen, doch  nur  soweit,  als  für  einen  Juristen  nötig  er- 
schien. Durch  eigene  Erfahrungen  belehrt,  wollte  er  nicht, 
daß  der  Sohn  bis  zum  Magisterium  fortschritte,  damit  er 
nicht  zwecklos  seine  geistigen  Fähigkeiten  und  die  kostbare 
Zeit  in  den  üblichen  leeren  Wortgefechten  der  Logiker  — 
die  Modernen  galten  darin  als  die  Weitschweifigsten  ver- 
geudete. Während  dieser  Vorbereitungszeit,  bereits  1493, 
wandle  er  sich  auch  schon  den  ersten  Studien  im  Zivil- 
recht  zu.39 

In    diesem   Jahre   trat  dev   Vierzehnjährige,   wohl  durch 

1  Vergl.  II.  Heidenheimer,  Vom  Ruhme  Johannes  Gutenbergs,  26f. 
Zu  Dietrich  Gresemund  Junior  vergl.  die  liebevolle  Darstellung 
Heidenheimers  in  <\<-i  Zeitschrift  liir  Kulturgeschichte,  X.  F.  1,  III,  21f.; 
G.   Bauch  im  Archiv    für  Literaturgeschichte,   XII,  346f. 

''  lv   Hartfelder,  Adam  Werner  von  Themar,   19. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  19 

einen  Besuch  bei  seinen  Verwandten  in  Speier,  mit  W im- 
pf el  in  g  in  Verbindung,  der  einen  großen  und  dauernden 
Einfluß  auf  seine  ganze  humanistische  Richtung  gewann, 
und  den  er  deshalb  dankbar  als  seinen  Lehrer  verehrte. 
Man  könnte  auch  sagen:  damit  beginnt  die  Wimjpfe- 
lingsche  Periode  des  Mainzer  Humanismus.  Ebenso 
knüpfte  er  1493  mit  dem  pfälzischen  Prinzenerzieher  Adam 
Werner  von  Themar  auf  brieflichem  Weg?  an  und  durch 
Verse,  die  beide  bis  zum  Jahre  1495  miteinander  wechselten. 
Der  Anknüpfungspunkt  war  das  Gedicht,  das  Werner  zu 
den  Versen  Wimpfelings  De  conceptu  et  triplici  Mariae 
candore  beigegeben  hatte,  und  das  Gresemund  durch  Zu- 
Sendung  eines  eigenen  zum  Lobe  Wimpfelings  erwiderte4-0, 
welches  an  Kurfürst  Berthold,  dem  Wimpfeliiig  sein 
Werkchen  gewidmet  hatte,  gerichtet  ist.  Der  Schluß  preist 
Berthold,  und  das  wollen  wir  aus  weiter  unten  noch 
zu  erörternden  Gründen  nicht  seitwärts  liegen  lassen,  als 
Gönner  der  humanistischen  Dichter : 

.  .  .  res  placida  est  magisque  multo, 

Quod,  Bertholde,  tibi,  beate  presul 

Moguntine,  dicauit  hoc  celebre 

Carmen,    tu   solita    benignitate 

Donis  atque  doces  amare  Musas. 

Eternum  merito  tibi  parandum  est 

Nomen  post  cineres  cado  tepentes. 
Mit  einem  andern,   wohl   1495  entstandenen  Gedichte, 
einer   Elegie,   feierte    er    Berthold   als    Säule    der   Kirche, 
als  Hüter  des  Reichs,  als  treuen  Helfer  Maximilians  und 
als   unermüdlichen  Anwalt    des  ewigen  Landfriedens.11 

An  dem  Briefwechsel  nahm  auch  ein  Schüler  Werners 
teil,  der  nachmalige  Lehrer  Philipp  Melanchthons, 
Peter  Günther  aus  Neustadt  an  der  Haardt,  und  kam  da- 
durch ebenfalls  in  Freundschaft  mit  Gresemund.  1496 
war  Günther  Schulmeister  in  Oppenheim  und  Freund  und 
wissenschaftlicher  Helfer  des  Stadtschreibers  und  Druckers 
Jakob  Kübel.1-  Im  Sommer  1517  stand  er,  nun  Magister 
artium  und  Doktor  heider  Rechte,  der  Fniveisilät  Heidel- 
berg als  Rektor  vor.  Lud  L521  gab  Johann  Schöffer  in 
Mainz   zwei    Bücher   De   arte    rhetoriea,    von   ihm    heraus.*3 


to  k.   Hartfelder,  a.  a.  0.,  93.  -  «  K.  Hartfelder,  a.  a.  <>.,  '.»1. 

42  Vergl.  Das  Bistum  Wurms  in  den  Historisch-politischen  Blättern, 
Jahrgang  1876,  II,  (.):iii. 

±s  Petri    Guntheri    iurisconsulti,    et    oratoris,    ac    | tae    laureati   de 

arte  rhetoriea  libri  duo,  eloquentiae  candidatis  mire  utiles  futuri  &  breui- 
tate  praeeeptionum,  &  exemplorum  uarietate.     Moguntiae  M.  IX  XXI.    4°. 


2* 


•jii  Gustav  ßaucb. 

Hier  heißl  er  auf  dem  Titel  noch  Orator  ac  poeta  laureatus. 
Wir  werden  ihn  später  als  Streitgenossen  für  Wimpfeling 
Seile  an  Seile  mit   Gresemund  antreffen. 

Als  dritten  im  Jahre  1  193  gewonnenen  Freund  Grese- 
munds  haben  wir  noch  den  Benediktinerabt  zu  St.  Martin 
in  Sponheim,  Johannes  Trithemius,  anzureihen,  denn 
schon  am  1.  Januar  1494  schrieb  er  an  diesen  als  an  einen 
Bekannten  und  ehrte  ihn  mit  der  Anrede  Praeceptor.  In 
einem  Briefe  dankte  Werner  Gresemund  für  die  Zu- 
sendung seiner  Lucubratiunculae.44  Das  war  die  erste, 
Trithemius  gewidmete  Arbeit,  die  der  bei  der  Abfassung 
erst  sechzehnjährige  Gresemund  1494  durch  die  Presse 
ausgehen  ließ.  Sie  bildet  unter  der  Form  eines  Traumes 
ein  dreiteiliges  Werk,  das  1493  in  Mergenthai  entstanden 
war,  wohin  er  vor  einer  pestartigen  Seuche  geflüchtet  war. 
Ihr  Titel  heißt:  Theoderici  Gresemundi  iunioris  Mo- 
guntini  lucubraciuncule  bonarum  Septem  artium  liberalium 
Apologiam  eiusdemque  cum  philosophia  dialogum  et  ora- 
tionem  ad  rerum  publicarum  rectores  in  se  complectentes.45 
Sie  sind  begleitet  von  Applausen  von  Johannes  Trithe- 
mius, Konrad  Leontorius  aus  Maulbronn,  dem  Zister- 
zienser, von  Jakob  Wimpfeling  und  dem  Regularkano- 
niker  in  Heina  Rutgerus  Venrai  Sicamber,  die  sich  sämt- 
lich nur  auf  das  erste  Stück  beziehen.  Trithemius  und 
Wimpfeling  hatten  wohl  die  andern  Dichter  angeworben, 
die  Verse  aller  bildeten  eine  nicht  verächtliche  Glorie  für 
das  jugendliche  Haupt  des  Verfassers.  Es  wird  uns  später 
klar  werden,  wie  gewichtig  immerhin  die  Jünglingsarbeit 
iu  dein  damit  auch  in  Mainz  beginnenden  Kampfe  gegen  die 
alles   überwuchernde  scholastische  Methode  mitspricht. 

Iu  der  Einleitung  zum  ersten  Dialoge,  der  zwischen 
den  Inlerlocutores  Chiron  und  Aristobolus  geführt  wird, 
die  Dietrich  zum  Schiedsrichter  angerufen  haben,  ergeht 
sich  der  Verfasser  in  sehr  scharfen  Ausdrücken  cremen  den 
Haufen  der  träfen  Priester,  denen  der  Name  der  guten 
Künste  so  verh.il.ii  sei,  daß  sie  die  Gelehrsamkeit  der  Schande 
gleichachten  und  Unterrichtete  mit  unauslöschlichem  Hasse 
\  erfolgen. 

Her  Dialog  spinnt  sich  nun  in  der  Weise  ab,  daß 
Aristobolus  die  einzelnen  „Artes"  angreift,  ohne  auch  nur 
eine  gelten  zu  lassen,  und  Chiron,  der  die  Ansichten  Grese- 


u  K    Hartfelder,  a.  a.  0.,  85  X. 

1 '  Imprt  in  oobili  ciuitate  Moguntina  per  Petrum  Fridbergensem 

Anno  virginei   partus.  M.  cccc.  xciiij.    1". 


Aus'der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  21 

munds  vertritt,  sie  verteidigt;  keiner  überzeugt  den  andern, 
obwohl  ihre  Grimdanschauimgen   zusammentreffen. 

So  behauptet  Aristobolus,  die  Grammatik  sei  gering 
zu  schätzen,  da  sie  ad  bene  beateque  viuendum  keine  Be- 
deutung habe,  sich  nur  mit  der  lateinischen  Sprache  be- 
schäftige und  höchstens  für  Knaben  gut  sei.  Chiron  wendet 
dagegen  ein,- sie  sei  nötig  zum  Verständnis  der  Werke  be- 
rühmter Männer,  in  denen  die  besten  Vorschriften  für  Er- 
reichung der  Tugenden  überliefert  würden,  deren  Kenntnis 
zur  Verbesserung  der  Sitten  und  damit  ad  feliciter  viuendum 
viel  beitrage.  Die  Grammatik  erstrecke  sich  auch  auf  die 
griechische  Sprache.  Aristobolus  wirft  bei  Chirons  Auf- 
zählung der  grammatischen  Elemente  ein,  daß  die  Knaben 
nicht  so  unterrichtet  würden.  Denn  es  würden  ihnen  die 
Regeln  der  Modi  significandi  beigebracht,  die  von  einem 
Nutzen  für  die  Erwerbung  der  lateinischen  Sprache  so  weit 
entfernt  zu  sein  schienen  wie  der  Sanid,  den  man  auf  er- 
tragfähigen Acker  streut,  um  Früchte  zu  erzielen,  von  der 
Fruchtbarkeit.  Chiron  meint  darauf,  auch  vieles  andere 
minder  Nützliche  geschähe  in  altem  Schlendrian,  woraus 
dann  der  von  Aristobolus  angedeutete  Vorteil  hervorgehe. 
Es  sei  eitel  und  eine  Schädigung  der  jugendlichen  geistigen 
Anlagen,  wenn  man  sie  unnützer  Weise  mit  den  Modi  signi- 
ficandi  belaste,  deren  gründliches  Verständnis  einen  Philo- 
sophen erfordere.  Daher  glaube  auch  er,  daß  es  mit  dem 
Zwecke  der  Grammatik  nichts  zu  schaffen  habe,  sondern 
daß  die  kostbare  Zeit  verschwendet,  die  Geister  verpfuscht 
und  für  die  höheren  Wissenschaften  verdummt  würden, 
wenn  ihnen  von  trägen  und  deshalb  ungelehrten  Lehrern 
nur  die  alte  Barbarei,  die  sie  von  ihren  Lehrern  gehört 
hätten,  trotz  des  jetzt  vorhandenen  Reichtums  an  bewährten 
Grammatiken,  vorgesetzt  winde.  Die  Lehrer  führten  die 
verschiedenen  Erklärungen  der  Verse  des  Alexander  Gallus 
an,  dächten  die  Berechtigung  aller  Einteilungen  ans,  häuften 
die  unnützen  und  ganz  dunklen  Kralle  der  Regimina,  die 
von  den  Knaben  nicht  verstanden  würden,  zusammen,  sie 
zimmerten  das  unentwirrbare  Labyrinth  der  fünf  Figuren, 
trügen  jene  allen  Streitfragen  und  Behauptungen  vor,  v<m 
dem  Vokativ,  von  den  unpersönlichen  Verben  und  von  den 
Gerundien.  Ganz  zu  schweigen  von  der  weitschweifigen 
und  verzwickten  Behandlung  der  temporalia  des  Donalus, 
von  den  verworrenen  Redereien  über  die  Hindernisse  der 
Konstruktion  des  Alexander  Gallus,  von  den  unaufhörlichen 
Zweifeln,  die  sowohl  im  Donatus  wie  in  dem  Alexander 
mit   einer   langen   Reihe   von   vielen    Argumentationen    den 


Gustav  Bauch. 

Köpfen  der  Knaben  eingepfropft  würden,  so  daß  ein  Jüng- 
ling, der  fünfzehn  Jahre  die  Schulen  und  Universitäten  be- 
sucht hatte,  gefragt,  was  ihn  die  Lehrer  gelehrt  hätten, 
geantwortel  habe:  ..Die  beiden  Teile  des  Alexander".  Da- 
her geschehe  es,  daß  manche,  die  bei  unsern  Landsleuten 
Magister  der  Philosophie  hießen,  wenn  sie  die  Universitäten 
verließen  und  unter  wirkliche  Gebildete  kämen,  weder  la- 
teinisch zu  reden  noch  Gedichte  zu  schmieden,  noch  Briefe 
abzufassen,  keine  Geschichten  zu  erzählen,  noch  sich  über 
die  Geheimnisse  der  Moral  und  der  Natur  auszusprechen 
wüßten,  <'h<'ii  weil  sie  ihre  ganze  Lebenszeit  mit  den  Modi 
signiflcandi  und  der  Quiddität  der  Nomina  und  den  ver- 
zwickten Universalien  und  den  übrigen  Nichtigkeiten  dieser 
All  hingebracht  hätten.  Purer  Wahnsinn  sei  es,  mit  so 
leeren  Lehren  das  jugendliche  Alter  zu  ruinieren,  da  mit 
einfacher  Behandlung,  die  keinem  Ekel  errege,  besser  zum 
Ziele  zu  kommen  wäre.  Bestätigend  sagt  Aristobolus,  die 
klugen  Italiener  lehrten  mit  Weglassung  der  Schwierig- 
keilen ihren  Jünglingen  eine  kürzere  und  vorteilhaftere 
Grammatik,  die  dann  so  schnelle  Fortschritte  machten,  daß 
sie  in ii  zwanzig  Jahren  zu  dem  Doktorat  in  den  höheren 
Fakultäten  gelangten.  Und  er  spricht  sich  mit  dem  Vorbe- 
halt, daß  er  von  der  Grammatik  überhaupt  nichts  wissen 
wolle,  noch  schärfer  dahin  aus,  daß  die  „Gramrnatelli" 
keine  bessere  Methode  hätten  ausdenken  können,  die  Bil- 
dung aufzuhalten  und  problematisch  zu  machen,  und  daß 
Pluto,  der  Gott  der  Unterwelt  (hier  dem  Teufel  gleichge- 
setzt), um  die  von  Jupiter  gestreuten  Samen  zu  vernichten, 
diese  uik  ntwirrbar  verfilzten  Irrtümer  den  Menschen  ein- 
gegeben  habe. 

Wenn  wir  den  Disput  über  die  Grammatik  so  ausführ- 
lich wiedergegeben  haben,  so  war  die  Bedeutung  des  Gegen- 
standes für  jene  Zeit,  für  das  Jahr  1493,  und  für  das 
rheinische  Gebiel  der  Anlaß  dazu;  denn  erst  1496  erschien 
Wimpfelings  [sidoneus,  von  Jakob  Hau  aus  Straßburg 
dem  Straßburger  Scholastikus  Heinrich  von  Henneberg, 
dem  Bruder  Bertholds,  gewidmet,  auf  dessen  Vorschläge 
für  die  Reform  des  grammatischen  Unterrichts  so  oft,  wenn 
auch  nicht  ganz  mit  Recht,  als  epochemachend  für  ganz 
Deutschland  hingewiesen  wird,  ohne  daß  man  Gresemunds 
gedenkt.  Gresemund  hat  also  doch  wohl  seine  Ideen  mehr 
vom  Vater  als  von  Wimpfeling  übernommen,  obgleich, 
wie  wir  hervorzuheben  nicht  unterlassen  wollen,  die  Aus- 
führungen Wimpfelings  in  dem  [sidoneus,  besonders  in 
den  Kapiteln   \<   und  21,  inhaltlich  und  bisweilen  fast  wört- 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  23 

lieh  mit  denen  Gresemunds  übereinstimmen  und  es  uns 
schwer  fällt,  Wimpfel.ing  als  den  Nehmenden  und  nicht 
als  den  Gehenden  zu  hetrachten.  Beide,  Gresemund  und 
Wimpfeling,  haben  in  den  grammatischen  Reformen  schon 
1482  den  Wiener  Humanisten  Bernhard  Perger  mit  seiner 
Grammatica  nova  nicht  bloß  als  theoretischen  Vorläufer, 
sondern  als* praktischen  Vorherausführer  ihrer  Wünsche  ge- 
habt.46 Gresemund  der  Ältere  stand  vielleicht  auf  dessen 
Schultern. 

Nachdem  alle  sieben  Künste  durchgehechelt  sind,  wird 
Gresemund,  der  von  vornherein  für  Chiron  gestimmt  war, 
durch  die  Erscheinung  und  Bitte  der  sieben  Künste  noch 
mehr  in  seinem  Urteil  bestärkt  und  entscheidet,  ein  jugend- 
licher Salomo,  in  allen  Punkten  gegen  den  Angreifer.  Von 
der  Logik  saut  er,  sie  sei  so  zu  berücksichtigen,  daß  man 
auf  sie  nicht  allein  Mühe  verwende,  damit  nicht  die  Zeit, 
die  für  bedeutendere  Disziplinen  verwendet  werden  müßte, 
bei  ihrem  Betriebe  verbraucht  würde.  Aber  die  jungen 
Leute  müßten  sich  mit  zuerst  auf  sie  legen,  da  sie  zu 
vielem  diene.  Das  ist  das  Urteil  des  Vaters,  dev  nicht  wollte, 
daß  sein  Sohn  das  philosophische  Magisterium  erwarb,  da- 
mit er  nicht  seine  guten  Anlagen  und  die  kostbare  Zeit  in 
überflüssigen    dialektischen  Haarspaltereien  verschwendete. 

Die  Astronomie  (Astrologie),  deren  Vorhersagungen 
Aristoboliis  als  „Astronomorum  commentum"  behandelt  hat, 
nimmt  er  in  Schutz,  weil  sie  die  Himmel  offenbare  und 
den  .Menschen  die  Geheimnisse  der  Unsterblichen  eröffne ; 
dadurch  pflege  sie  auch  den  Staaten  bisweilen  sehr  zu 
nützen. 

Diese  Deklamation  fand  bei  den  Zeitgenossen  lebhafte 
Anerkennung,  die  sich  nicht  nur  in  den  angehängten 
Applausen  ausspricht,  sondern  auch  zu  mehrfacher  Wieder- 
holung durch  den  Druck  führte.47  Dadurch  wurde  sie  natür- 
lich auch  ein  humanistisches  Agitationsmitte]  im  Kampfe 
gegen  die  mittelalterliche  Behandlung  des  Lateins.  Die  Vor- 
liebe übertrug  sich  nicht  auf  die  beiden  folgenden  Stücke 
dieses  Erstlingswelkes,  den  Dialog  Gresemunds  mit  der 
Philosophie  und  die  Hede  der  Oratoria  an  die  Staatslenker. 
Der  einzige  Konrad  Celtis  hat  ein  Hexastichon  daran  ge 
wagt,  den  eisten  Dialog  und  die  Geheimnisse  der  Philosophie 
zu  lohen,  aher  es  blieb  in  seinen  Epigrammen  begraben.48 


4G  (I.   Bauch,  Die   Rezeption  des    Humanismus  in   Wien,   IM. 
47  Hierzu  vergl.  Heibig,  Bibliophile  beige,  \l"  annee,  L876,  22f.,  209f. 
:-   Epigramme;   ed.    Hartfelder,    III.    13:    De  Gresmundo.     Von   Hart- 
felder fälschlich  auf  den  Vater  bezogen. 


Gustav  Bauch. 

Das  Zwiegespräch  mit  der  Philosophie,  das  mehr  Leben 
und   Geschick  als   der   erste   Dialog  zeigt,  schließt  sich  an 

Defensio  an.  Die  Philosophie  bittet  Gresemund,  auch 
ihre  Verteidigung  zu  übernehmen.  Er  erklärt  sich  dazu 
bereit,  doch  verlang  er,  daß  sie  zuvor  ihre  eigne  Sache  bei 
ihm  Eühre,  damii  er  wisse,  wie  er  sie  gegen  die  Angriffe 
i  belwollender  schützen  könne.  Er  fragt  sie,  warum  sie 
dulde,    daß   so   viel    Unheil   und   Verwirrungen   entstünden. 

Philosophie  behauptet,  das  sei  nicht  ihre  Schuld;  da 
die  Fürsten  auf  ihren  Rat  nicht  hörten  und  der  Auswurf 
der  Menschen  den  Sitz  einnähme,  auf  dem  sie  sonst  bei 
Jen  Fürsten  zu  ruhen  gepflegt  habe.  Gresemund  verweist 
sie  auf  die  Hülle  ihrer  fünf  Töchter,  der  Physik,  Metaphysik, 
Ethik,  Mathematik  und  Logik,  und  der  fünf  Töchter  der  Logik, 
der  Grammatik,  Poetik,  Dialektik,  Rhetorik  und  Historik. 
Mit  Hülle  i lieser  Nachkommen  solle  sie  an  die  „Reforma- 
lio  reriini  publicarum"  gehen. 

Ha  rauf  erzählt  die  Philosophie,  was  sie  schon  versucht 
haue.  Su-  habe  erkannt,  daß  die  gefährliche  Krankheit  von 
dem  Haupte  ausgegangen  sei.  Daher  sei  sie  sofort  zu  den 
Fürsten  geeilt,  habe  aber  infolge  des  Einflusses  der 
schlechten  Ratgeber  tauheu  Ohren  gepredigt  und  sei  schließ- 
lich durch  bewaffnete  Trabanten  hinausgewiesen  worden. 
Ähnlich  sei  es  kurz  darauf  der  Concordia  ergangen,  und 
als  sie  für  diese  eingetreten,  sei  sie  hinausgeworfen  worden. 
Hierauf  habe  sie  den  Versuch  gemacht,  die  Fürsten  anzu- 
sehen, wo  sie,  von  ihren  schlimmen  Ratgebern  getrennt, 
sie  vielleicht  geduldiger  anhören  würden.  Sie  habe  dazu 
ein  Gastmahl  der  Kaiser,  Könige  und  Fürsten  erwählt  und 
sich  ihrer  Schwester  Justitia  als  Botin  bedient.  Diese  sei 
aber  von  den  Dienern  als  ihr  verwandt  erkannt,  und  mit 
Schlägen  abgewiesen  worden,  bis  man  sie  rufe.  Auf  ihrem 
Heimwege  sei  dieser  ein  scheußliches  Weih,  eine  Megäre, 
begegnet,  die  sich  zu  dein  Mahle  der  Fürsten  begab,  um 
Gifl  in  ihre  Becher  zu  schütten,  daß  keiner,  der  davon  ge- 
trunken, ruhen  könne,  bis  er  seinen  Staat  zu  Grunde  ge- 
richtel  habe.  Auf  die  Qehentliche  Bitte  und  die  Anrufung 
des  Zeus  und  des  Sfyx  stand  die  Furie  von  ihrem  Plane 
ab;  doch  sagte  sie  hei  ihrem  Verschwinden,  daß  die  Rat- 
geber der  Fürsten  von  ihrem  Tranke  schon  vielfach  ge- 
nossen   hätten. 

Nach  diesem  fehlgeschlagenen  Versuche  habe  sich  die 
Philosophie  zu  den  Fürsten  privatim  begeben  und  geneigtes 
Gehör  gefunden;  diese  hätten  um  ihre  Hülfe  und  ihren  Rat 
gebeten.    Sie  habe  ihnen  geraten,  die  Reformation  hei  sich 


AusVier  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  25 

selber  zu  beginnen  und  dann  die  übrigen  durch  ihr  Bei- 
spiel zur  Integrität  aufzurufen.  Zuerst  aber  müßten  sie 
die  schlechten,  habgierigen,  unbilligen,  grausamen,  unge- 
gelehrten,  hochmütigen  und  Aufruhr  erregenden  Menschen 
aus  ihren  Beratungen  entfernen,  die  am  meisten  die  Ruhe 
der  Staaten  störten,  und  dafür  gelehrte,  rechtschaffene,  ge- 
rechte, friedliebende,  treue,  verschwiegene  und  kluge  Männer 
zu  Rate  ziehen.  Die  Fürsten  nahmen  die  Ermahnungen 
gnädig  auf,  zweifelten  aber,  daß  ihre  Vasallen  ebenso  bereit- 
willig sein  würden.  Sie  beauftragten  die  Philosophie,  zu 
diesen  Fürsten  und  zu  den  Leitern  der  Städte  zu  gehen  und 
sie  zu  einer  Versammlung  zu  berufen.  Auch  die  Unter- 
fürsten nahmen  sie  freundlich  auf;  nicht  so  die  Lenker  der 
Städte,  die  sich  nach  ehrenvollem  Empfange  hochmütig  er- 
wiesen und  erst  nach  eindringlichen  Ermahnungen  ihren 
Starrsinn  fahren  ließen. 

Hier  tritt  nun  noch  eine  weibliche  Erscheinung  hinzu 
und  warnt  vor  dieser  Nachgiebigkeit,  da  in  den  Städten 
auch  noch  die  schwankende  Meinung  des  „Vulgus  ignobile" 
dazu  käme.  Diese  Frau  entpuppt  sich  als  Veritas,  die 
Schwester  der  Philosophie.  Gresemund  hat  sie  nicht  er- 
kannt, weil  ihr  Gesicht  von  Narben  entstellt  ist.  Sie  hatte, 
lange  abwesend,  überall  in  Lebensgefahr,  alle  Klimata 
durchwandert  und  endlich,  .schwer  verwundet,  in  einem 
Kloster  liebreiche  Aufnahme  gefunden.  Die  Philosophie 
nimmt  sich  nochmals  der  Städte  an  und  verweist  auf  die 
'Fürstenzusammenkunft,  wo  ihre  Enkelin  Oratoria  sprechen 
werde 

Oratoria  warnt  die  Fürsten  vor  Schmeichlern  und 
fordert  von  ihnen,  nach  dem  Vorbilde  römischer  Feldherren 
auch  mitten  in  den  Geschäften  die  Wissenschaften  und  die 
Philosophie  zu  pflegen.  Der  ungebildete  Fürst  sei  dem  Ein- 
flüsse schlechter  .Männer  leicht  ausgesetzt;  der  unterrichtete 
sei  schwerer  zu  täuschen.  Sie  sollten  Gelehrte  begünstigen, 
um  durch  sie  unsterblich  gemacht  zu  werden;  nicht  bloß 
Pferde,  Hunde  und  Jagdfalken  sollten  sie  ernähren.  Staat 
und  Kirche  würden  dadurch  neuen  Glanz  erhalten.  Dann 
aber  sollten  sie  Gerechtigkeit  üben;  jedoch  so,  daß  sie  als 
Ausfluß  der  Frömmigkeit  erschiene,  und  gleichmäßig  gegen 
Freund  und  Feind.  Sich  selbst  aber  müßten  sie  durch 
Continentia  im   Zaume    hallen. 

Sodann  mahnt  sie  zur  Eintracht.  Papsl  Alexander 
und  Kaiser  Maximilian  sollen  für  Eintracht  in  beiden 
Ständen  des  Staates  sorgen.  Alexander,  „numen  in  terris 
choruscans    maximum",     solle   dem   geistlichen    Stande    in 


26  Gustav  Bauch, 

Heiligkeil  der  Sitten  vorangehen;  der  mit  jedem  Verbrechen 
belastete,  fast  zugrunde  m-richlete  Stand  müsse  sich  wieder 
erheben;  doch  müsse  der  Papst  die  Reformation  „a  maiori- 
bus"  beginnen.  Von  Maximilian  wird  vor  allem  verlangt, 
daß  er  alle  Fürsten  und  Völker  einige,  um  sie  zur  Aus- 
rottung der  Türken  zu  führen.  Die  Versammelten  erklären 
nach  Beendigung  der  Rede,  daß  sie  ihnen  angenehm  ge- 
wesen und  daß  sie  ihnen  auch  für  die  Zukunft  nützlich 
sein  solle. 

Die  scharfen  Ausfalle,  der  Widerspruch  der  berührten 
Verhältnisse  mit  der  Wirklichkeit  erklären  wohl  hinlänglich, 
daß  diese  beiden  Altschnitte  der  Lucubratiunculae  nicht 
wieder  abgedruckt  worden  sind.  Die  Idee  zu  diesen  Stücken 
mas  Gresemund  wohl  durch  die  Lektüre  von  Maffeo 
Veggio  empfangen  haben.  Fast  zwei  Jahrzehnte  später 
hat  wieder  ein  Deutscher,  Johann  von  Kitzscher,  das- 
selbe  Fahrwasser  aufgesucht49,  aber  er  tat  es  als  ehemaliger 
Schüler  des  Philippus  Beroaldus  und  älterer  Mann  und 
auch  nicht,  nur  zu  deklamatorischen  Zwecken.  Grese- 
münds,  eines  halben  Knaben,  Leistung,  der  Italien  noch 
nicht  gesehen  halle,  ist  daher  um  so  respektabler.  Man 
denke,  welche  Midien  Philipp  Melanchthon  auf- 
wenden mußte,  um  in  Vv'ittenberg  Deklamationen,  zusammen- 
hängende prosaisch-rhetorische  Darstellungen,  auf  die  Bahn 
zu  bringen50,  und  er  hat  sie  doch  dann  noch  zum  guten 
Teil    für  den    Vortrag  —  selbst  geschrieben. 

(i  res  ein  und  fand  aber  auch  für  das  ganze  Werk  schnell 
genug  einen  dauernden  Lohn  durch  eine  Rezension,  die 
ihm,  so  jung  er  war,  kaum  erst  am  Anfange  literarischer 
Tätigkeil  und  als  Lebendigen  in  einen  von  den  großen 
papierenen  Friedhöfen  aufnahm,  die  die  von  manchem  um- 
sonsl  ersehnte  literarische  Unsterblichkeit,  ob  auch  nicht 
immer  „sans  phrase",  garantieren.  Der  Pate  des  Werkes, 
l'ri  i  hein  i  äs.  reihte  ihn  mit  den  größten  Lobsprüchen  auf 
den  neuen  Cicero  in  seinen  Catalogus  illuslrium  virorum51 
trotz  seiner  Jugend  ein,  weil  er  Bücher  „wie  ein  Mann" 
chrieben   bähe. 

Er  tat  dies  aber  nicht  allein  wegen  der  ihm  durch  die 
Widmung  widerfahrenen   Ehre;  der  Knabe  stellte  sich  ihm 

0    Bauch,  Johann  von   Kitzscher,  im   Xeuen  Archn   für  Sächsische 
nte,   NX.  31  1 1 

'••    Bauch,    Die   Einführung   der   Melanchthonischen  Declamationen 
an  der  Universität  zu   Wittenberg,   Breslau   L900. 

'   Cathalogus    illustrium   virorum   Germaniam   suis   ingeniis  et   lucu- 

!"'; Il1"1    omnifariam  exornantium  domini  Johannis  Trilomii  abbalis  Span- 

'"■• -   et(       0.  0.   u.  .1.  (Peter  Friedberg,   Mainz  1495),    1". 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  ^7 

auch  noch  1494  zur  Seite  in  seinem  gegen  den  Bruder 
Wigand  Wirt  wegen  der  Immaculata  conceptio  geführten 
Streite.  Als  er  mit  seinem  Tractatus  de  laudibus  sanctis- 
sime  matris  Anne  hervortrat52,  hatte  er  um  der  verstärkten 
Wirkung  willen  eine  stattliche  Reihe  von  Poeten  dafür 
mobil   gemächt  in   dem   Streite  reichten  sich  die   sonst, 

doch  bei  den  Theologen  so  verschrieenen  Poeten  mit  den 
strengsten  Theologen  die  Hand.  Trithemius  selbst  schritt, 
auch  als  Poet  voran.  Dann  folgten  Konrad  Celtis, 
Dietrich  Gresemund  der  Jüngere,  Rudolf  von 
Langen,  Jodocus  Radius  (Ascensius)  Gaudensis,  Rudger 
von  Venrai,  Dr.  Jodokus  Reissei,  der  Aachener  Patrizier, 
Adam  "Werner  von  Themar  und  Johannes  Herbst  aus 
Lauterburg,  einer  immer  den  andern  an  Enthusiasmus  für 
die  heilige  Anna  überbietend.  Gresemund  war  mit  seinem 
Tetrastichon  so  unter  die  vornehme  Gemeinde  der  nam- 
haften Poeten  der  Zeit  aufgenommen. 

Die  Lucubratiunculae  trugen  ihrem  Verfasser  nicht  nur 
den  Reif  all  des  Trithemius  und  seiner  Freunde  ein,  er 
beklagt  sich  in  mehreren,  seinem  zweiten  prosaischen  Werke 
angehängten  Gedichten,  daß  ein  falscher  Freund  hinter 
seinem  Rücken  behaupte,  sie  seien  mit  fremdem  Hammer 
und  Amboß  geschmiedet.  Der  Zoilus  hatte  wohl  nicht  ganz 
unrecht,  wenigstens  was  die  Selbständigkeit  des  Urteils  an- 
betrifft. Das  Ruch,  in  dem  sich  der  verletzte  Autorenstolz 
äußert,  ist:  Podalirij  Germani  cum  Catone  Certomio  de 
furore  germanico  diebus  genialibus  carnispriuij  Dialogus.53 
Das  Werkchen  ist  von  Versen  der  gekrönten  Dichter 
L.  Joannes  Cuspinianus  und  Jacobus  Canter  Frisius 
begleitet54  und  unter  dein  letzten  Februar  1495  dem  Mainzer 
Kanzler  Georg  von  Helle,  Pfeffer  genannt,  gewidmet. 
Die  Interlocutores  des  Dialogs  sind  der  Deutsche  Podalirius 
Ecdicetes  und  der  Italiener  Cato  Certomius.  Cato  urteilt, 
seinem  Namen  gemäß  sehr  streng  und  abfällig  über  die 
tolle  Ausgelassenheit  des  Karnevals  bei  den  Deutschen,  den 
er  in  Speier  kennen  gelernt  hat.  Nach  langem  Disput  mit. 
dem  Verteidiger  Podalirius,  der  Gresemund  Gelegenheit 
gibt,  seine  klassische  Gelehrsamkeil  zu  zeigen,  läßt  er  sich 
aber  doch  bereit  finden,  jetzt  in  Mainz  daran  teilzunehmen. 

52  De  laudibus  sanetissime  matris  anne  tractatus  perquam  utilis 
domini  ioannis  tritemij  abbatis  spanheimensis  ordinis  diui  patris  benedicti. 
Impressum  in  nobilj  ciuitate  Maguhtina  per  petrum  Friedbergensem  Amin 
virginei  partus  Mccccxciiij   xij.   kalendas  Augusti. 

53  Ohne  Druckyermerk  (Mainz.  P.  Friedberg),  -I".  Ausführlich  be- 
handelt von  II.  Heidtenheimer  in  der  Zeitschrifl  für  Kulturgeschichte,  N. 
(4.)  F.,  III,  21  f.  —  :,i  Zu  diesen  beiden   Männern   v'ergl.   weiter  unten. 


Gustav  Bauch. 

Da  jedoch  verdirbt  sich  Gresemund  absichtlich  oder  un- 
absichtlich die  Pointe  selbst,  indem  er  den  Genossen  Catos 
Munacius  als  im  Gedränge  verwundet  einführt.  Natürlich 
bedankl  sich  nun  Cato  trotz  des  Protestes  des  Podalirius 
dafür,  sich  an  dein  (Jnfuge  zu  beteiligen.'  Dieses  Zwiege- 
spräch isi  viel  lebendiger  und  plastischer  als  die  abstrakten 
Lucubratiunculae  und  zeigl  dalier  noch  mehr  wie  jene, 
daß  die  Zeitgenossen  nicht  ohne  Grund  das  Talent  des 
jungen  Mannes  bewunderten.  Der  Zwiespalt,  des  Dialogs 
wiederholt  sich  auch  in  den  Begleitversen.  Cuspinianus 
Lobl  zwar  den  noch  so  jungen  Verfasser,  die  Hoffnung 
Deutschlands,  doch  weniger  das  verrückte  Faschingstreiben; 
Canter  lobi  gleichfalls  Gresemund  und  ziemlich  ironisch 
auch  den   Karneval. 

Wenn  man  den  heiteren  Gegenstand  dieses  Dialogs 
betrachtet,  wird  man  nicht  geneigt  sein,  zu  glauben,  daß 
Gresemund  um  dieselbe  Zeit,  als  er  das  Buch  schrieb, 
daran  dachte,  ins  Kloster  zu  gehen55,  und  doch  ist  dem 
so.  Am  11.  April  1495  schrieb  Trithemius  an  Konrad 
Celtis,  Dietrich  sei  vor  zwei  Monaten  heimlich,  vor  seinem 
Vater  fliehend,  zu  ihm  geflüchtet  und  halte  um  Aufnahme 
unter  die  Mönche  gebeten.  Trithemius,  der  ihm  nicht 
gern  willfahren  wollte,  zog  ihn  hin.  Inzwischen  besann  sich 
Dietrich,  durch  Briefe  und  Boten  des  Vaters  bewogen, 
eines  andern  und  kehlte  nach  Hause  zurück.  Der  Grund 
der  plötzlichen  Abwendung  vom  Irdischen  war  ein  Fehl- 
tritt: famulam  domus  grauidam  reddidit ;  die  Furcht  vor 
dem    Vater   hatte    den    schnellen    Entschluß   hervorgerufen. 

Nach  diesem  Zwischenfalle  schickte  ihn  der  Vater  nach 
Italien,  der  Heimat  der  juristischen  Studien.  1495  war  er 
in  l'adiia  und  1  197  ist  er  in  das  Album  der  deutschen  Nation 
in  Bologna  eingetragen.  Dorl  studierte  er  gleichzeitig  mit 
Thomas  Wolf  Junior''1,  dem  „Echo"  Wimpfelings.  Ein 
anderer  Bologneser  Freund  war  der  nachmalige  Sekretär 
Maximilians  I.,  i\n  1504  bei  dem  Kaiser  für  Aldus  Ma- 
nuiius  wirkte,  als  dieser  seine  Akademie  nach  Deutschland 
verlegen  wollte,  Johannes  Collaurius  Firmianus." 
Ihm  widmete  er  eine  Elegie  „Epicurus",  die  ein  beschei- 
denes, anspruchsloses  Leben  preist.  Den  legistischen  Doktor- 

Da    I  olgende  nach  einem  Briefe  des  Trithemius  an  Celtis  in  Celtis' 
epistolaris. 

•  Zu  Thomas  Wolf  Junior  vergl.  Ch.  Schmidt,  Histoire  litteraire  de 
G.  Knod,  Deutsche  Studenten  in  Bolo-na.  i;t2.  Xo.  4278; 
G.   Bauch,   Die  Universitäl   Erfurt,   L28f. 

\nln\  für  Literaturgeschichte,  XII.  355,  Anm.  1;  G.  Knod,  a.  a.  0., 
262,   No.    L802;  Studi   e  documenti,   VIII,   282 


Aus*der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  29 

hut  erwarb  er  1498  in  Ferrara.  Diesen  italienischen  Lorbeer 

mußte  er  dann,  als  er  in  Deutschland  einen  Lehrstuhl  an- 
strebte, noch  einmal  verteidigen,  weil  einige  transalpine 
Universitäten  in  dem  Rufe  standen,  gegen  Geld  und  gute 
Worte  die  akademischen  Ehren  zu  übertragen.  Darauf  lehrte 
er  trotz  seiner  Jugend  unter  großem  Beifall  das  kaiserliche 
Recht.  Hier.onymus  Gebwiler,  der  dies  erzählt58,  nennt, 
die  Universität  nicht,  es  kann  aber  nur  Heidelberg  gemeint, 
sein,  wo  Gresemund  am  29.  Mai  1499  immatrikuliert  worden 
ist.  Ähnliche  Schwierigkeiten  machte  1507  die  juristische 
Fakultät  in  Leipzig  dem  in  Bologna  promovierten  Freunde 
des  Aesticampianus  Dr.  Heinrich  Schmidberg,  und 
Dr.   Christoph  Scheurl  trat  deshalb  für  ihn  ein.59 

In  Heidelberg  wohnte  Gresemund  im  Hause  des 
.„Wirtes  der  Philosophen",  wie  man  im  Kreise  der  Sodalilas 
literaria  Rhenana  sagte,  und  Spezialfreundes  des  Konrad 
Celtis  wie  auch  Vertrauten  des  edlen  Wormser  Bischofs 
und  pfälzischen  Kanzlers  Johann  von  Dalberg  Johannes 
Vigilius60,  und  lebte  mit  dem  seit  1498  wieder  nach  Heidel- 
berg zurückgerufenen  Wimpfeling  in  engem  Verkehr.61  Bei 
den  „somatischen"  Mahlen  im  Hause  des  Vigilius  trat  er 
auch  Johann  Reuchlin  näher. 

Der  überaus  fruchtbare  Wimpfeling  brachte  ihm  eben- 
falls Gelegenheit,  den  Griffel  zu  führen.  So  als  Wimpfe- 
ling und  eine  große  Schar  seiner  Schüler  und  Verehrer 
sich  im  Juli  1499  mit  einer  an  Kurfürst  Philipp  und  seine 
-Söhne  gerichteten  Epistel  für  die  Gleichberechtigung  der 
Modernen  oder  Nominalisten  mit  den  Antiqui  oder  Realisten 
an  der  Universität  verwendeten.62  Unter  den  51  Poeten,  die 
das  Gesuch  mit  Versen  in  die  Öffentlichkeit  geleiteten,  steht 
an  zweiter  Stelle,  hinter  dem  Theologen  Jodokus  Gallus 
aus  Ruffach  und  vor  Jakob  Wimpfeling,  Dietrich 
Gresemund.  Der  im  Oktober  1499  beendeten  Adolescentia 
Wimpfelings63  gab  er  wieder  an  zweiter  Stelle  nach  Jo- 
dokus Galz  ein  Tetrastiehon  „contra  mendaciuni"  bei.    Bei 


58  Bei  Historia  de  violata  Cruce  1514. 

59  Neue  Mitteilungen  des  Thüringisch-Sächsischen  Vereins,  XIX,  404. 

60  G.   Bauch,   Die  Rezeption  des   Humanismus  in  Wien,   TU. 

61  G.  Knod,  Wimpfeling  und  die  Universität  Heidelberg  (Zeitschrift 
für  die  Geschichte  des  Oberrheins,  N.  F.   I),  321  f. 

62  G.  Knod,  Zur  Bibliographie  Wimpfelings  (Zentralblatt  für  Biblio- 
thekswesen,   V),    474,    No.    2;    H.    F.    Singer,    her    Humanist    Jakob    Mer 
stetter,   24  f. 

t;:'  Uns  liegt  die  Ausgabe  vor:  Adolescentia  Jacobi  wimphelingij  cum 
nouis  quibusdam  additionibus  per  Gallinarium  denuo  reuisa  ac  elimata. 
Straßburg.  Martin  Flach,  1511. 


30  Gustav  Bauch. 

den  47  Poeten,  die  hier  mitwirkten,  findet  man  Peter 
C.üiil her,  Johannes  Immolarius  Nemetensis,  wohl  einen 
Verwandten  Gresemunds,  und  Johannes  Heusegen 
(Oecolampadius)  Wynspurgensis,  den  wir  nochmals  mit 
Gresemund  zu  erwähnen  haben  werden. 

Schwierig  ist,  da  wir  keine  genauere  Datierung  und 
auch  keine  anderen  Verbindungsfäden  auffinden  können, 
eine  eigene  Publikation  Gresemunds  aus  demselben  Jahre 
in  dem  richtigen  Zusammenhange  unterzubringen.  Er  hielt 
bei  einer  Synode  unter  dem  Vorsitz  des  Erzbischofs  Bert- 
hold in  Mainz  eine  Rede,  die  gedruckt  vorliegt.64  Er  er- 
scheint in  dieser  Ansprache  als  strenger  Sittenrichter.  Den 
belesenen  Humanisten  zeigt  der  Eingang,  worin  er  nach- 
weist, wie  hoch  die  Priester  in  der  heidnischen  Vorzeit  bei 
Ägyptern,  Galliern,  Babyloniern,  Indern,  Äthiopen,  Römern, 
Hebräern  und  unseren  deutschen  Vorfahren  geschätzt 
wurden,  und  wie  sehr  der  Priesterstand  durch  die  christ- 
liche Religion  an  Bedeutung  zugenommen  habe.  Daher  aber 
müßten  die  Sitten  des  Standes  auch  als  Norm  für  ein  gott- 
seliges Leben  gelten  können,  und  die  Geistlichen  hätten, 
wenn  sie  unwürdig  seien,  einst  härtere  Strafen  als  die 
übrigen  Menschen  zu  erwarten.  Er  muß  hiernach  doch 
wohl  schon  1499  eine  kirchliche  Position  in  Mainz  gehabt 
haben. 

Wenn  sein  Biograph  Gebwiler  erzählt,  er  habe  sich 
aus  Liebe  zur  Religion  und  zu  den  Altertümern  nach  Rom 
begeben,  das  er  aber  bald,  der  Stadt  überdrüssig,  wieder 
verlassen,  so  muß  das  etwa  1501  geschehen  sein,  denn  am 
31.  Juli  1501  ist  er  in  Siena  nachweisbar.  Wir  werden  nach 
Gebwilers  Äußerung-  wohl  nicht  fehlgreifen,  wenn  wir  in 
diese  Zeil  die  beiden  sehr  scharfen  Epigramme  Grese- 
munds gegen  das  Rom  Alexanders  VI.  setzen,  die  seiner 
einstigen  Hede  der  Oratoria  so  entgegengesetzt  sind,  viel- 
leicht das  Beste,  das  seine  Muse  hervorgebracht  hat.65  Das 
fhema  des  ersten  ist,  daß  Venus  für  den  Ehebruch  mit 
Mars  sich  von  diesem  habe  Rom  schenken  lassen  und  dort 
nun  gebiete,  das  des  zweiten,  daß  nicht,  mehr  Simon  Petrus 
als  Stellvertreter  Christi  in  Rom  weile,  Petrus  sei  zum 
Fischfange   zurückgekehrt,   Simon   sei   geblieben. 


1  Oratio  Tl lorici   gresemundi  ad  sanctam  synodum  Moguntinam 

leganti     ima       Ohne    Druckvermerk  (Eist,   Speier)   4°.     Das   Jahr  ist  auf 
der  Rückseite  des  Titels  angegeben. 

Pasquilli  extatici,  seu  tvuper  e  coelo  reuersi  .  .  cum  Marphorio 
colloquium  etc.  o.  <>.  a.  .1..  S.  l'.K),  202.  !•:.  Bßcking,  ülrichi  Hutteni 
opera,  III,  77. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  31 

Auf  dem  Rückwege  nach  der  Heimal  winde  Grese- 
mund  in  Straßburg  von  einem  Freunde  dem  Johann 
Geiler  von  Kaisersberg  zugeführt,  der  Neigung  für  den 
bescheidenen  jungen  Mann  gewann.  Damals  wird  er  wohl 
auch  zu  der  /war  erst  1503  erschienenen,  aber  von  \V im- 
pf eling  schon  quinto  Idus  Sextiles  1501  den  Liebhabern 
der  guten  Künste  ,,ex  heremitorio  diui  Guilhermi*'  gewid- 
meten Ausgabe  von  Magnencij  Rabani  Mauri  De  Laudibus 
sancte  Crucis  opus66  seine  zwei  Gedichte  hinzugefügt  haben. 
Poetische  Genossen  waren  hierbei  Johann  Reuchlin,  Jo- 
dokus  Gallus,  Johannes  Gallinarius  aus  Heidelberg 
und  Georg  Simler  aus  Wimpfen.  Bald  rief  eine  Fehde 
Wimpfelings  Gresemund  mit  zum  literarischen  Kampfe. 
Wimpf  eling  hatte  1501  in  seiner  Germania  ad  rempublicam 
Argentinensem67  den  Nachweis  zu  führen  gesucht,  daß  Straß- 
burg und  die  übrigen  Städte  des  Rheins  niemals  dem  galli- 
schen Reiche  angefügt  gewesen  seien.  In  seinem  patrioti- 
schen Eifer  schied  er  nicht  zwischen  Gallien  und  Frankreich, 
und  daher  ist  seine  ganze  Beweisführung,  nebenbei  auch 
in  den  Beweismitteln,  etwas  wunderlich.  Die  Schwächen 
der  Deduktion  forderten  den  bekannten  Humoristen  Thomas 
Murner  zum  Angriff  heraus,  ohne  daß  freilich  auch  er 
Klarheit  in  die  Sache  gebracht  hätte.  Daß  er  gegen  den 
hochverehrten  Wimpf  eling  geschrieben68,  bei  ihm  von 
veterana  deliratio  gesprochen  und  mit  Bezug  auf  die  von 
diesem  zitierten  sieben  Zeugen  gesagt  hatte:  „Wer  von 
sieben  sagt,  der  lügt  gern",  das  war  für  die  zahlreichen 
Anhänger  Wimpfelings  zuviel.  Eine  Defensio  Germaniae 
Jacobi  Wimpfelingii  trat  zuerst  Murner  entgegen.69  Den 
Reigen  eröffnete  darin  Peter  Günther,  der  sich  hier  den 
Beinamen  Murena  zulegt,  mit  einem  derben  Briefe  an  den 
Leser,  precipue  Argentinensibus.  Das  Hauptstück  der  Samm- 
lung, auch  an  Grobheit,  ein  Brief  des  Thomas  Wolf 
Junior,  ist  auch  in  eine  /weile  Verteidigungsschrift  auf- 
genommen: In  hoc  1  i hello  hec  conlinenlur  Versiculi  Theo- 
dorici  Greseniundi  Legum  Doctoris  Epistole  Thome 
Wolffij  iunioris.  Decretorüni  Doch  Carmina  Esticam- 
piani   Poete  laüreati  Teträstichon   Jacobi    Wimphelingi. 

66  Pforzheim,  Thomas  Anshelm  Martio  mensc.    M.  V.   III.  etc.     2°. 

67  Impressa  per  industrium  Johannem  Prüß  Ciuem  Argentinen.  Tre 
decimo  kalendas  Januarij.  Anno  Millesimo  quingentesimo  primo.  Vergl 
Archiv  für   Literaturgeschichte,   \  II,    1661 

68  Neudruck:  Thomae  Murner  Argentini  Ordinis  Minorum  Sacre  Theo- 
logie Baccalarii  Ciacouiensis  ad  rempublicam  Argentinam  Germania   n 
Impressum  Genevae   per  Jul.     Guill.   Fick    L874. 

69  Impressum  Fribv.  o.  J.     4°. 


32  Gustav  Bauch. 

Epistola  Thome  .\l  u  in  er.  Lector  eme  et  gaudebis.  Joannes 
Strosack  Eeliciter  impressit.70  Der  Sammler  dieser  Pam- 
phlete ist  Gresemund,  er  widmete  Wimpfeling  das  Buch 
(Ex  Spira  V.  id.  Nouemb.  1502).  In  seinem  ersten  Gedicht 
behauptet  er,  die  Germania  Wimpfelings  gefalle  allen 
Gelehrten,  nur  ,,merdosae  cuidam  cueullae"  nicht,  denn 
„asinus  rudis  praeoptat  auro  stramina  nihilque  est  porco 
cum  cithara";  im  zweiten  wehrt  er  sich  dagegen,  daß 
AI  urner  ihn,  den  Deutschen,  zu  einem  Franzosen  machen 
wolle;  im  dritten  beklagt  er  die  Germania,  daß  nicht  ein 
König,  ein  Kaiser  oder  der  Türke  ihr  Verstümmelung  drohe, 
sondern  eine  übelbekannte  Kutte,  ein  „semimortuum  ca- 
dauer",  weil  sie,  der  guten  Mutter  überdrüssig,  Gallien 
vorzieht,  wo  das  leichte  Gehirn  hätte  geboren  werden 
müssen. 

Als  Thomas  Wolfs  Bruder  Amandus,  den  er  jeden- 
falls auch  von  Bologna  her  kannte,  1504  starb,  tröstete 
er  Thomas  mit  einem  Briefe,  den  Wimpfeling  1513  seinen 
Concordata  Principum   Nationis   Germanicae   einverleibte.71 

Im  Jahre  1505  gab  er  zu  dem  von  Wimpfeling  dem 
Kurfürsten  von  Mainz  Jakob  von  Liebenstein  gewidmeten 
Soliloquium  pro  pace  christianorum  et  pro  Heluecijs  ut 
resipiscant.  Ad  honorem  Regis  Romanorum  et  principum. 
Ad  cautelam  etiam  Ciuitatum  Sa.  Ro.  Imperij :  ne  apostate 
fiant.  ein  Dodekastichon.  Etwa  1505  muß  er  auch  sein 
umfangreichstes    poetisches   Werk    geschaffen   haben. 

Fieberkrank  behandelte  er  infolge  eines  Gelübdes  die 
von  der  Legende  in  das  Jahr  1383  versetzte  Verstümmelung 
eines  Kruzifixes  durch  einen  Spieler  namens  Schelkropf. 
Gresemund  geht  ab  ovo  aus,  "behandelt  zuerst  in  großer 
Ausführlichkeit  mit  vielen  gelehrten  Zitaten  die  Geschichte 
des  Spiels  und  die  schändlichen  Folgen  'des  Spiellasters 
und  erzähll  dann,  wie  Schelkropf  in  der  WTut  des  Spiel- 
verlustes ein  Kruzifix  und  die  Statuen  der  Mutter  Jesu 
und  des  heiligen  Johannes  verstümmelt  habe,  wie  aus  den 
Wunden  der  Bilder  Blut  geflossen  sei  und  Schelkropf  dafür 
den  Feuertod  erlitten  habe.  Das  didaktisch  gedachte  mora- 
lischc  Gedicht  ist  ohne  poetischen  Wert.  Ein  handschrift- 
liches Exemplar  hängte  der  Dichter  nach  seinem  Gelübde  in 
der  Kirche  B.  Virginis  in  cainpis  auf. 

Wimpfeling  hätte  das  Werkchen,  das  ihm  sympathisch 

70  0.  0.  und  J.     40. 

71  <•.  Knod  in  L.  Geigers  Vierteljahrsschrifl  für  Kultur  und  Literatur 
d<  r  Renaissance,   II,  278. 


Au§  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  :::! 

war,  gern  gedruckt  gesehen,  aber  Gresemund  konnte  sich 
dazu  nicht  entschließen.72  Dagegen  wünschte  er  schon  1506, 
damit  es  einen  größeren  Wirkungskreis  bekäme,  daß  Se- 
bastian Brant  die  Historia  de  violata  Cruce  in  deutsche 
Reime  übertrüge.  Er  beauftragte  Johannes  Viffilius,  der 
nach  Straßburg  reiste.  Brant,  mit  dem  er  selbst  noch  nicht 
bekannt  war,  seine  Bitte  vorzutragen.  Er  schrieb  auch 
selbst  (19.  Oktober)  an  Brant  und  bat  auch  Wimpfeling, 
auf  Brant  einzuwirken  (20.  Oktober).  Aus  dieser  Über- 
setzung scheint  nichts  geworden  zu  sein.  Dafür  predigte 
Geiler,  dem  die  Dichtung  auch  sefiel,  1511  darüber.  End- 
lieh  konnte  Wimpfeling  1512  die  gedruckte  Historia73  dem 
Mainzer  Kanonikus  Dietrich  Zobel  von  Giebelstadt, 
den  Gresemund  „virum  profecto  nobilium  eruditissimum 
et  eruditorum  nobilissimum"  und  seinen  Freund  nannte, 
widmen.  Gresemund  äußerte  den  Wunsch,  daß  die  Leiter 
der  Schulen  und  besonders  Hieronymus  Gebwiler  in 
Straßburg,  Johannes  Sapidus  in  Schlettstadt  und  Ger- 
vasius  Sopher  in  Offenburg  das  Gedicht  vor  den  Schülern 
behandeln  möchten,  um  die  jungen  Leute  vom  Spiel  ab- 
zuhalten. Mindestens  Gebwiler  hat  das  auch  getan  und 
1514  eine  neue  Aussähe  mit  Schoben  für  y\^\\  Schulgebrauch 
davon  veranstaltet  und  eine  warme  Vita  des  damals  schon 
verstorbenen  Verfassers  beigegeben.74  Die  erste  Aussähe 
schon  ist  durch  poetische  Beistücke  von  Hieronymus  Pius 
Baldungus,  dem  Wiener  Schüler  des  Celtis  und  Uni- 
versitätslehrer in  Freiburg,  von  Hieronymus  Vehus,  dem 
badischen  Kanzler,  und   Icolampadius   geschmückt. 

Gresemund  erstieg  in  .Mainz  in  der  kurzen  Spanne 
seines  Lebens  eine  ganze  Reihe  von  Eh  renstufen,  wie  Ber- 
thold, so  hat  ihm  auch  Jakob  von  Liebenstein  sein 
Vertrauen  geschenkt.  1505  wurde  er  Kanonikus  zu  St. 
Stephan,  1500  Provikar  für  den  vielfach  abwesenden  Grafen 
Wilhelm  von  Höllenstein  und  Generalvikar  des  Erz- 
bischofs  Jakob,  1508  Protonotar  und  Judex  generalis  sedis 
Moguntinae,  L509  Diffinitor  cleri  minoris  bei  St.  Stephan 
und    L516   Scholastikus   bei   demselben    Stift.     Von    seinem 


•-  Für  das  Folgende  vergl.  G.  Knod,  Zur  Bibliographie  Wimpfelings, 
a.  a.  ()..  470. 

7:'  Historia  violate  erücis  Theodorici  Gresemundi.  Excussum  A.gen- 
tinae  (!)  in  edibus  (vulgo)  zum  thioriarion:  per  Renatum  Beck.  Anno 
M.   D.   XII.   Decimoquinto  Kai.  April.     V>. 

7!  Theoderici  Gresemundi.     Carmen  de  Historia   Violatae  Crucis.     El 

eius    vit;i.     Cum    interpretati* Hieronymi    Gebuileri    Scholarum    Summi 

templi   Argentoracensium   moderatoris.     Excusum    Argentine   per   Renal 

Beck   einem   Argentinensem.     Amin   M.    D.    Xllll.      1°. 

Beitrage  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  3 


4:;  Gustav  Bauch. 

Biographen  wird  er  uns  als  tüchtiger  und  gerechter  Richter, 
als  fromm  und  ladellos  in  seinem  Privatleben,  geschildert. 
Seine  amtliche  Tätigkeil  ließ  ihm  noch  Zeit  für  weitere 
Verfolgung  seiner  humanistischen  Studien  and  die  Pflege 
i\n-  Freundschaft.75 

Eine  Lieblingsbeschäftigung  Gresemunds  war  das 
Sammeln  anfiker  Münzen  und  Inschriften.  Beatus  Rhe- 
nanus, der  ihn  1.509  besuchte  und  bei  ihm  für  Jacobus 
Faber  Stapulensis  nach  dem  Directorium  speculantis  des 
Cusanus  forschte,  bewunderte  seine  reichen  Funde753  und 
ermahnte  ihn,  in  der  ihm  gewidmeten  Ausgabe  der  apo- 
kryphen Werke  des  Pomponius  Laetus  von  1510,  diese 
Antiquitäten  nach  dem  Beispiele  des  Konrad  Peutinger 
herauszugeben.  Gresemund  willfahrte  vorläufig  nicht,  da- 
für ließ  er  in  demselben  Jahre  erscheinen:  In  hoc  libello 
subieeta  continentur  Valerii  Probi  interpretamenta  litterarum 
singularium  in  antiquitatibus  Romanis,  cum  plerisque  circa 
singulas  litteras  additionibus.  Idem  Valerius  Probns  de 
abbreuiaturis  Nominum  ciuium  Romanorum.  In  iure  ciuili 
de  legibus,  et  plebiscitis.  De  actionibus.  De  edictis  perpe- 
iuis.  De  ponderibus.  De  numeris.  Pomponij  Laeti  libellus 
de  Romanorum  magistratibus.  Idem  de  sacerdotijs  Ro. 
[dem  de  diuersis  Legibus  Ro.76  Dieser  Sammlung  ist  ein 
Brie!  Wimpfelings  beigesellen.  Er  hatte  auf  einer  Reise 
nach  Worms  Gresemund  in  Mainz  besucht  und  bei  ihm 
die  nun  gedruckten  erbten  und  unechten  Stücke  gesehen 
liml  forderte  ihn  auf,  diese,  die  gesammelten  Antiquitäten 
und  die  Violata  Crux  herauszugeben  und  den  versprochenen 
Katalog  der  Bischöfe  und  Erzbischöfe  von  Mainz  zu  ver- 
lassen, (i  resemund  hat  nur  den  Interpretamenta  bei  jedem 
Buchstaben  (X  ausgenommen)  lange  Ergänzungen  beigefügt, 
alle  übrigen  Sachen  sind  schon  in  früheren  Drucken  so 
vorhanden.  In  einem  Üriefe  an  den  Leser  versprach  er, 
daß  bald  seine,  dem  Dietrich  Zobel  gewidmeten,  in  Mainz 
und  Umgebung  gefundenen  Antiquitäten  erscheinen  würden. 
Diese   beabsichtigte  Publikation   wurde  durch  den  Tod  ver- 

'  Hin  irger  Freund  Gresemunds  war  auch  Joannes  Adelphus 

Mulingus,  '1er  ihm  unter  'lein  1.  März  1508  Hermolaus  Barbaras  gegen  die 
lasziven    Poeten   widmete.     Bei    Margarita   Facetiaram  Alfonsi 
Regi     \  afre  dieta  etc.     Straßburg   L509. 

■  (i.  Knod,  Zur  Biographie  and  Bibliographie  des  Beatus  Rhenanus, 
Zentralblatl  für  Bibliothekswesen,  II,  260.  A.  Horawitz  und  K.  Hartfelder, 
Bri  isel  des    Beatus   Rhenanus,  27,  28. 

Impressum  Oppenheim  .  anno  .  Domini  millesimo  .  quingentesimo  de- 
eimo.     i1  ist   von   Wimpfeling.     Vergl.   Kap.   VIII  der  Diatribe 

de   proba   institutione   puerorum  etc.     Hagenau    L514. 


Aus  "der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  35 

eitelt,  Gresemund  hatte  schon,  wie  Johann  Huttich  an 
Zobel  schrieb77,  seine  Antiquitäten  dem  Typographen  über- 
geben, sie  gingen  jedoch  nach  seinem  plötzlich  erfolgten 
Tode  durch  die  Fahrlässigkeit  des  Druckers  verloren.  Ob 
der  auch  von  Irenicus  erwähnte 7S  Katalog  der  Mainzer 
Bischöfe  wirklich  geschrieben  vorhanden  ist,  läßt  sich  nicht 
nachweisen.  -  Gebwiler  berichtet  noch  von  Gesängen 
(Gresemund  war  also  auch  Musiker)  und  vielen  Epitaphen. 

Im  besten  Mannesalter  starb  Gresemund  im  Oktober 
1512  an  einem  Bruchleiden.  Sein  Bild  gibt  uns  Gebwiler 
mit  den  Worten:  „Dietrich  war  von  schlankem  Körper, 
mittlerer  Statur,  mit  wohlgestaltetem  Antlitz,  dunklem  Haar, 
grauen  Augen,  ruhigem  Gemüt,  ohne  Galle,  ohne  Anmaßung, 
ohne  Stolz,  ohne  Affekte,  ohne  Lästerung,  ohne  Falschheit". 

Durch  eine  Äußerung  des  Altvaters  des  thüringischen 
Humanismus  Conradus  Mutianus  Rufus  nach  dem  Er- 
scheinen der  Exegesis  des  Irenicus  erfahren  wir,  daß  er 
1502  in  Mainz  mit  Gresemund  herzliche  Freundschaft  ge- 
schlossen hatte.79  Beatus  Rhenanus  zählte  ihn  in  einem 
Briefe  vom  1.  März  1512  an  Jakobus  Faber  Stapulensis80 
unter  den  Deutschen  auf,  „omnem  latinomm  splendorem 
complectentes",  und  Erasmus  setzte  ihm  1516  in  der  Aus- 
gabe der  Werke  des  Hieronymus81  das  schöne  Denkmal: 
„Postremo  [Moguntia]  non  solum  veterum,  hoc  est  alienis, 
clara  litteris,  sed  et  suis  ingeniis  illustrata,  quippe  quae 
cum  alios  permultos  omni  doctrinae  genere  praestantes  viros 
edidit  tum  vero  praecipue  Theodoricum  Gresmundum, 
hominem  ab  ipsa  natura  ad  humanitatem,  ad  bonas 
litteras,  ad  eloquentiam  illam  vere  Atticam  sculptum 
et  factum". 

In  der  Biographie  Gresemunds  sind  uns  drei  Männer 
begegnet,  die  auch  noch  ein  paar  Worte  erfordern:  Celtis, 
Cuspinianus  und   Canter. 

Gern  würden  wir  über  des  ersten  gekrönten  deutschen 
Poeten  Konrad  Celtis  Beziehungen  zu  Mainz  recht  viel 
berichten,  aber  das  meiste  von  dem,  das  er  über  seinen 
Aufenthalt  dort  selbst  erzählt,  ist  der  poetischen  Fiktion 
seiner  dritten  Liebe  zu  Ursula  Galla  gewidmet.  Er  ist 
vermutlich  im  Sommer  1494  und  im  Herbst  1495  in  Mainz 

77  Vorrode  zu  den  Collectanea.  S.  w.  unten.  Vergl.  auch  G.  Knod, 
a.  a.  0..  261. 

78  Germaniae  exegesis,  71b. 

™  K.    Gillert,    Der    Briefwechsel   des    Conradus    Mutianus,    266. 

80  G.  Knod,  a.  a.  0.,  2G5;  A.  Horawitz  und  K.  Hartfelder,  Brief- 
wechsel des  Beatus  Rhenanus,  41. 

81  Omnium  opp.   Divi   Eusebii   Hieronymi   Stridon.     tom.    I,  fol.  40b. 

3* 


::i;  Gustav  Bauch. 

gewesen.  Seine  Ode  an  Dietrich  Gresemund  den 
Älteren,  in  der  er  diesen  „hospitem  siuini  Mogundinum" 
nennt82.  Int  so  wenig  Inhalt  und  auch  so  wenig  Lokalfarbe, 
daß  mit  ihr  nicht  viel  anzufangen  ist.  Sie  könnte  1494 
geschrieben  sein.  Daß  er  Dietrich  den  Jüngeren,  den 
Stern  des  Hauses,  darin  gar  nicht  erwähnt,  ist  mindestens 
auffallend.  Sein  Epigramm  auf  die  Lucubratiunculae,  das 
eist  nach  dem  Drucke  geschrieben  ist83,  mag  wohl  in  das 
Jahr  L495  gehören.  Von  in  Mainz  gehaltenen  Vorlesungen 
verlautet  nichts. 

Eher  wird  es  uns  gelingen,  etwas  über  Johannes 
Cuspinianus  festzustellen.  Die  Verse  zu  dem  Dialog 
Gresemunds  über  den  Karneval  sind  nicht  das  einzige 
Zeichen  seines  Aufenthalts  am  Rhein.  Johannes  Spieß- 
heim aus  Schweinfurt,  latinisiert  L.  Johannes  Cuspini- 
anus84, ein  Landsmann  und  bald  guter  Freund,  Schüler 
und  Sodale  des  Celtis,  hatte  von  einem  anderen  Freunde 
des  Celtis,  dem  etwa  1501  gestorbenen  ersten  Vorsteher 
der  Sodalilas  Leucopolitana,  Magister  Matthaeus  Lupinus 
( '  a  I  i  d  oni  i  u  s ,  den  ersten  Unterricht  in  den  humanen  Fächern 
erhalten  und  sich  in  nur  drei  Jahren  vom  Anfänger  bis  zum 
gewandten  Prosaisten  und  Poeten  durchgearbeitet.85  Im 
Sommersemester  1490  ist  er  als  Johannes  Spiesham  de 
Schweinfurt  in  die  Leipziger  Matrikel  eingetragen  und  zum 
Wintersemester  1493  ist  er  in  Wien  als  Johannes  Spies- 
haym  Sweynfordensis  intituliert.86  In  Wien  bildete  er  sich 
unter  dem  italienischen  Humanisten  Paulus  Amaltheus 
aus  Pordenone  weiter,  und  bei  dem  feierlichen  provisori- 
schen Leichenbegängnis  des  Kaisers  Friedrich  III.  krönte 
-Maximilian  I.  den  erst  neunzehnjährigen  Poeten  für  ein 
Gedieh!  auf  den  heiligen  Leopold  mit  dem  Dichterlorbeer. 
Im  Augusl  14(.)4  gewährte  ihm  die  artistische  Fakultät  auf 
seine  Bitte  ein  Lektorium,  weil  er  etwas  Schönes  in  der 
Poesie  lesen  wollte,  und  auch  ein  Buch  aus  der  Bibliothek 
der  Fakultät.  Er  gab  für  seine  Vorlesungen,  Johannes 
Pierius  Graccus,  dem  Mäzen  aller  Humanisten  und  be- 
sonders des  Celtis  und  seiner  Sodalen,  gewidmet,  die 
Hymnen  des  Prudentius  heraus  und  bald  dahinter  die 
poetische  Schritt  des  Dionysius  Alexandrinus  De  situ  orbis 


-'  Libri    Odarum   quatuor,   Straßburg    1513,    III,   27. 
83  Epigramme,    III.    IM:   De  Gresmundo. 

'  Füi    das    I..    vor   dem    Namen    läßl    sich   keine    Erklärung   finden. 
Schon   Balbi   gebrauchl   es   1  1'.)  1. 

G.    Bauch,   Geschichte   des    Leipziger   Frühhumanismus,   60,   29. 
1    G,   Bauch    Die   Bezeption   des   Humanismus  in   Wien,  48 f. 


Aus  jfler  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  37 

nach  der  Übersetzung  Priscians.  Trotz  dieser  humanisti- 
schen Lektionen  hatte  er  sich  schon  am  14.  Mai  1494  als 
Scholar  der  Medizin  eintragen  lassen.  Der  erste  festange- 
stellte Wiener  Poet  Hieronymus  Balbi  richtete  an  ihn 
ein  sittlich  nicht  eben  feines  Epigramm.87 

Er  verließ  1494  oder  Anfang  1495  als  Magister  Wien, 
um  seine  medizinischen  Studien  in  Mainz  fortzusetzen.  Dort 
in  Berührung  mit  dem  jungen  Dietrich  Gresemund 
schrieb  er  die  erwähnten  Verse.88  Am  29.  April  1490  mel- 
dete89 Johannes  Trithemius,  den  Cuspinianus,  um  die 
Sponheimer  Bibliothek  zu  sehen,  besucht  hatte,  dem  Celtis 
in  Ingolstadt,  daß  Cuspinianus,  den  Celtis  wohl  während 
seiner  Heidelberger  Episode  1495  kennen  gelernt  hatte,  nach 
Wien  gegangen  sei,  um  dort  über  Medizin  zu  lesen.  Dieser 
war  aber  vielleicht  noch  um  Himmelfahrt  in  Mainz  und 
dann  im  Juni  und  noch  im  Dezember  bei  Celtis  in  Ingol- 
stadt als  sein  Schüler.  1497  begrüßte  er  Celtis  mit  den 
andern  Socialen  poetisch  in  Wien.  Als  Doctor  medicinae, 
wohl  Mainzer  Promotion,  führte  er  im  Wintersemester  1500 
bis  1501  das  Rektorat  der  Wiener  Universität  und  wurde 
1501  ihr  Superintendent.  1502  vertrat  er  den  abwesenden 
Celtis  im  Poetenkollegium,  1508  hielt  er  diesem  die  Leichen- 
rede, übernahm  seine  Lektur  in  Oratoria  et  Poetica  und 
setzte  Celtis  und  dem  engeren  Kreise  der  Sodalen  einen 
Denkstein  in  seinem  Wiener  Hause.  Er  hat  seine  humanisti- 
schen Vorlesungen  wieder  mit  Dionysii  Periegesis,  diesmal 
nach  der  Übersetzung  des  Rufus  Avienus,  eröffnet  und  hierzu 
mit  Unterstützung  des  Aldus  Mannt  ins  eine  verbesserte 
Ausgabe  geschaffen.90  Bald  entführten  ihn  Sendungen  im 
Auftrage  des  Kaisers  Maximilian  seiner  Lektur,  zuerst 
zeitweise,  bis  er  sie  1514  ganz  an  Angelus  Cospus  aus 
Bologna  überließ.  Seine  weitere  staatsmännische  Laufbahn 
und  seine  großen  historischen  Arbeiten  übergehen  wir,  weil 
es  uns  nur  darauf  ankam,  aus  seiner  früheren  und  späterer] 
Tätigkeil  die  Folgerung  abzuleiten,  daß  er  bei  seiner  großen 
Vorliebe  für  die  humanistischen  Studien  neben  der  Medizin 
auch  wohl  in  Main/  neben  seinen  medizinischen  Studien 
über    Humaniora   gelesen    haben    wird,    und    dann    wäre   es 


<s7  G.  Bauch,  a.  a.  0.,  50. 

s,v  L.  Joannes  Cuspinianus  artium  doctor  poetaque  laureatus  ad  le- 
ctorem  etc. 

>;'  Für  das   Folgende  vergl.  <1.   Hauch,  a.  a.  0.,   L67f. 

90  Zu  dieser  dein  liischof  Sianislaus  Thurzo  tod  Olmütz  gewidmeten 
Ausgabe  (1508)  vergl,  Studi  e  documenti,  VIII,  276f.;  Firmin-Didot,  Aide 
Manuce  et   l'Hellenisme  ä   Venise,  219,  220. 


38  Gustav  Bauch. 

nicht  ausgeschlossen,  daß  Gresemund  zu  seinen  Schülern 
gehört  hat.91 

Auf  bloße  Vermutungen  über  den  Grund  seiner  An- 
wesenheit in  Mainz  sind  wir  bei  dem  gekrönten  Dichter 
Magister  Jacobus  Canter  Frisius  angewiesen;  er  war 
einer  von  den  beweglichen  Zugvögeln  der  damaligen  Ge- 
lehrlenw  elt,  wie  wir  sie  noch  wiederholt  in  Mainz  kennen 
lernen  werden.  Er  gehörte  einer  bekannten  Gelehrten- 
familie aus  Groeningen  in  Friesland  an.92  Sein  Vater  Jo- 
hann war  Magister  artium,  Doctor  iuris  utriusque  und  auch 
Theologe.  Dieser  bildete  seine  Söhne  Johann,  Peter, 
Andreas,  Jakob,  aber  auch  seine  Tochter  Gerda  oder 
Ursula  zu  Gelehrten.  Johann  der  Sohn  studierte  gleich- 
zeitig mit  Celtis  1484  in  Heidelberg  und  war  zuerst  Astro- 
loge und  dann  Doktor  der  Medizin.  Als  Hofastrologe  Frie- 
drichs III.  stellte  er  1487  in  Nürnberg  das  Horoskop  für 
die  Dichterkrönung  des  Celtis.93  j  1506.  Jakob  war  auch 
Astrologe  Wie  und  von  wem  er  zum  Poeta  laureatus  ge- 
markt wurde,  ist  unbekannt.  1481  gab  er  mit  einer  Epistola 
ad  Joannen)  Miller  sideralis  scientie  studiosum  simulque 
carmina  ad  eundem  super  indice  nuper  huic  operi  addito 
heraus:  Guidonis  Bonati  de  Forliuio  Liber  astronomicus. 
Venet.  Erhard  Ratdolt.94  1487,  Mai  11.,  ließ  er  sich  in 
Kiil n  als  Jurist  intitulieren.  1489  gab  er  in  Antwerpen  bei 
Gerard  Leen  Francisci  Petrarche  secretum  de  contemptu 
mundi  heraus.  1492  langweilte  er  in  Ingolstadt  Celtis 
und  Johann  Kaufmann  durch  seine  Geschwätzigkeit,  wo- 
für sich  Celtis  an  ihm  durch  eine  Ode  unter  dem  Namen 
Henricus  rächte.95  1495  gab  er  in  Mainz  das  Gedicht 
zu  Gresemunds  Dialog  vom  Fasching.90  Von  1497  bis 
etwa  1501  lebte  er  in  Krummau  in  Mähren,  doch  nicht  als 
Physikus,  wie  Aschbach  für  Phrisius  verlesen  hat,  eher 
als  Schulmeister,  bat  von  dort  aus  Celtis  um  Aufnahme 
in    die    Sodalilas    Danubiana    und    trat    in    Beziehungen    zu 

1521  bei  dem  Reichstage  in  Worms  näherte  sich  Cuspinianus  freund- 
lich Luther.     Enders,    Luthers   Briefwechsel,   III,   122. 

-'  C.  Krallt  and  YV.  Crecelius,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Humanis- 
mus am  Niederrhein  und  in  Westfalen,  65—67.  Doch  fehlt  dort  Johann  der 
Sohn,  der  im   Briefwechsel  des  Trithemius  vorkommt. 

h  Celtis'  Proseuticon.     Nürnberg,   Kreusner,  1487. 
1   Für  dieses  und  das  bald  folgende   Werk  Petrarcas  vergl.  P.  Gott- 
fried Reichhart,  Beiträge  zur  Inkunabelkunde  im  Beiheft  XIV  zum  Zentral- 
Matt  für  Bibliothekswesen. 

1  Libri  Odarum  quatuor,  II,  20:  De  garrulo  Phrysio.  Daß  hier 
Jakob  Canter  gemeint  ist,  geht  aus  dem  Briefwechsel  des  Celtis  hervor. 

Jacobi  Canteris  Frisij  artium  liberalium  doctoris  et  poete  laureati 
ad  Germaniam  versiculi. 


AusVier  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  39 

Bohuslaus  von  Hassenstein,  der  ihn  zu  neuen  Dich- 
tungen ermunterte  und  ein  Epitaph  auf  seinen  Vater  Johann 
schrieb.  1505  bei  Gelegenheit  des  Kölner  Reichstags  sang 
er  den  soeben  vom  Kaiser  gekrönten  Dichter  Georgius 
Sibutus  Daripinus  an.97  Andere  Gedichte  von  ihm  ent- 
hält der  Münchner  Codex  4408.  Später  erscheint  Ganter 
als  Doktor  und  Geistlicher  in  Emden,  wo  er  1524  vergeb- 
lich die  Hülfe  des  Grafen  Edzard  I.  gegen  den  lutherischen 
Prädikanten  M.  Jürgen  Aportanus  anrief.98  Er  legte  des- 
halb sein  Amt  nieder  und  ging  nach  seiner  Heimat;  aber 
1527  war  er  wieder  in  Emden,  der  Epigrammatiker,  Doktor 
der  Medizin  und  Stadtarzt  in 'Bremen,  Euricius  Cordus, 
der  den  Grafen  Edzard  damals  bei  einem  unheilbaren 
Leiden  behandelte99,  besang  ihn  als  von  der  Muse  erwärmten 
Dichter  des  rauhen  Nordens.100  Da  er  in  seinem  Alter 
Doktor  genannt  wird,  mag  er  wohl  in  Mainz  die  in  Köln 
aufgenommenen  juristischen  Studien  fortgesetzt  und  so  die 
Gelegenheit  erhalten  haben,  sich  in  die  Geschichte  des 
Mainzer   Humanismus    einzutragen. 

Als  vierter  gekrönter  Dichter  kam  1502  der  Volksgenosse 
Canters  und  Mediziner  Dietrich  Ulsenius  aus  Kampen 
in  Overijssel  auf  die  Universität  Mainz.  Er  war  auch  nicht 
weniger  unruhig  wie  iener.  Celtis  zählte  ihn  zu  seinen 
intimsten  Freunden  und  Socialen.101  Nach  seiner  Bildung 
und  seinen  Neigungen  war  er  Astrologe,  Arzt  und  Poet. 
1491  pries  ihn  Bartholomaeus  Coloniensis  in  zwei  Ge- 
fliehten102 als  Dichter  und  Astronomen  oder  Astrologen. 
Seine  medizinische  Bildung  verdankte  er  Italien.  Etwa  neun 
Jahre  (1493 — 1502)  war  er  Stadtarzt  in  Nürnberg,  bis  ihn 
der  Bankerott  des  Kaufmanns  Konrad  Barchanter  aller 
seiner  Ersparnisse  beraubte  und  ihn  wegen  der  dadurch 
verschlechterten  Existenz  zwang,  seinen  Stab  weiterzu- 
setzen. Von  seinen  astrologischen  Arbeiten  ist  ein  Pro- 
gnosticon   auf   das   Jahr   1488   erhalten.103     Aus    dem   Jahre 


97  Bei  De  diui  Maximiliani  Cesaris  adu'.ntu  in  t'olonium.  deque  gestis 
suis  cum  admiranda  virtute  et  Maiestate.  Georgij  Sibuti  Daripini  Poete 
Laureat  i  Panegyris  etc.    Köln.  Quentel,  L505.    4". 

"   C.  A.  Cornelius,  Der  Anteil  Ostfrieslands  an  der  Reformation,  5,6. 
■■'  K.  Kiausc.  Euricius  Cordus  Epigrammata  (1520),  XXVII,  XXVIII. 
100  Euricii  Cordi  Opera   poetica  (1564),  203:  A.d  Jacobum  Canterum 
Frisium. 

'"'■   Her  Codex  epistolaris  des  Celtis  zähl!  17  Briefe  des  Ulsenius. 

102  Bartholomei  Coloniensis  Silua  carminum,  Deventer,  Jacobus  ßre- 
densi-    L515.  Bib,  Bij. 

103  Cod.  lat.  Monacen.  957:  Theodorici  Ulsenii  Campensis  super  dis- 
positionem  a.  1488  prognosticon. 


in  Gustav  Bauch. 

1  r.ui  liegt  eine  medizinisch-poetische  Doppelschrift104  vor, 
ein  seinem  Nürnberger  Kollegen  Dr.  Ulrich  Pinder  aus 
Nordlingen  gewidmeter  prosaischer  Modus  cognoscendi 
(schon  1  1:93  geschrieben),  der  auf  Hippokrates  zurückgeht, 
uikI  die  poetischen,  Dr.  Martin  Polich  gewidmeten  Libri  II 
de  pharmacandi  modo.  1496  gab  er  auch  sein  poetisches, 
von  Albrecht  Dürer  mit  dem  sogenannten  Pestbilde  ge- 
schmücktes  In  epidimiacam  scabiem  (Syphilis)  vaticinium 
heraus.105  In  demselben  Jahre  ermunterte  er  den  lleißigen 
Editor,  Verehrer  und  Sodalen  des  Celtis  Peter  Tann- 
hauser  aus  Nürnberg  zur  Heratisgabe  der  Werke  des  Guil- 
hermus  Parisiensis.106  Handschriftliche  Dichtungen  von  ihm 
an  den  Schulmann  Alexander  He gius,  an  den  Nürnberger 
Arzt  Dr.  Hieronymus  Münzer  aus  Feldkirch  und  an  den 
kaiserlichen  Sekretär  Petrus  Bonomus  aus  Triest  bewahrt 
die  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek.107  Celtis-benutzte 
ihn  1496  als  Zensor  für  sein  werdendes  viertes  Buch  der 
Amores.  1501  wirkte  er  als  kaiserlicher  Leibarzt  bei  der 
von  Celtis  veranstalteten  Aufführung  des  Ludus  Diana« 
vor  dem  Kaiser  Maximilian  in  Linz  mit108  und  hat  wohl 
zu  dieser  Zeit  auch  den  poetischen  Lorbeer  vom  Kaiser 
erhalten  und  Verse  an  den  kaiserlichen  Sekretär  Blasius 
Hölzel  wegen  der  Erlangung  der  Dichterkrone  geschrieben. 
Am  27.  März  1502  ist  dann  Theodericus  Ulsenius 
Frisius,  artium  et  medicinae  doctor  nee  non  poeta  laurea- 
tus,  von  der  Mainzer  medizinischen  Fakultät  rezipiert 
worden109  und  vermutlich  bis  etwa  1504  in  Mainz  geblieben. 
Es  ist  merkwürdig,  daß  diese  so  lebensvolle  Persönlichkeit 
dort  so  wenig  greifbare  Spuren  hinterlassen  hat.  Nachdem 
er  schon  am  12.  Januar  1504  auf  ein  Jahr  pro  lectura  in 
medicinis  in  Freiburg  im  Breisgau  angenommen  worden 
war,  ist  er  am  12.  März  1504  daselbst  immatrikuliert 
worden.11"  Doch  schon  am  14.  November  erklärte  die  Uni- 
versität, sie  wolle  /war  das  Abkommen  mit  ihm  bis  zum 
Fest  iles  heiligen  Hilarius  halten,  könne  er  sich  aber  in- 
zwischen eine  andere  Stellung  verschaffen,  so  wäre  das 
ihr  nielit  unangenehm.  Er  hat  hiernach  vermutlich  schon 
die   Stelle,  die  er   bald   antrat,   im   Auge  gehabt. 

1  Au-  ten  Seite  stehl  statt  des  Titels  großgedruckt  Nurnberga. 

Kein   Kolophon.      1". 

i     blattdruck.     Exemplar  München,  Hof   u.  Staatsbibliothek.   Fol. 
''"'  Je  ••in   Brie!   von   Ulsenius  und  TannhaiiMT  Im  i  der  Ausgabe. 
Cod.  lat.  Monacen.    128,    186. 

G.   Bauch,  Die  Rezeption  des   Humanismus  in  Wien,  121. 
II.    Knodt,  a.  a.   0.,  comment.    II.  62. 
Schreiber,  Geschichte  der  Universität   Freiburg  i.  B.,   I,  230,  231. 


Au*  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  41 

Aus  seiner  Freiburger  Zeit  sind  wieder  Dichtungen 
erhalten,  die  ihn  in  Berührung  mit  dem  Kreise  Wimpfe- 
lings  und  mit  dem  jungen  Johann  Eck  zeigen.  Als  am 
20.  August  1504  Amandus  Wolf,  der  Bruder  des  Thomas 
Wolf  Junior,  starb,  richtete  er  mit  Ulrich  Zasius,  Jakob 
Wimpfeling,  Jakob  Sturm,  Thomas  Aucuparius, 
Mathias  Hingmann  Philesius  und  Aesticam  planus 
Trauer-  und  Trostverse  an  Thomas  Wolf,  die  1505  in 
Straßburg  mit  der  Schrift  des  Johannes  Gerson  De  mi- 
seria  humana  zum  Druck  gelangten.111  Ebenso  gab  Ulsenius 
zu  der  erst  1506  vollendeten  und  1507  in  Straßburg  ge- 
druckten Bursa  Pavonis  Johann  Ecks  ein  Gedicht  in  Con- 
tubemii  pavonici  laudem.112  Und  damals  entstand  wohl 
auch  sein  Carmen  bei  den  Statuta  synodalia  episcopatus 
Basiliensis.113 

1505  bei  dem  Reichstage  in  Köln  bewegte  er  sich  unter 
den  Freunden  des  Trithemius  und  wechselte  wie  Canter 
Verse  mit  dem  gekrönten  Poeten  Georg ius  Sibutus  Dari- 
pinus114,  den  er  vielleicht  von  Nürnberg  her  kannte.  In 
das  Jahr  1505  und  nach  Köln  darf  man  wahrscheinlich  auch 
seine  Lobverse  auf  Hermannus  Buschius  Pasiphilus 
setzen115,  die  in  Rostock  sehr  anstießen,  weil  er  damit  den 
Rostocker  Gegner  des  Buschius,  M.  Thilemann  Hever- 
ling  aus  Göttingen,  kränkte11'' ;  1506  bewarb  er  sich  deshalb 
vielleicht  vergeblich  um  eine  medizinische  Professur  in 
Rostock.  Von  1505  bis  1508,  wie  es  scheint,  war  er  Arzt 
in  Lübeck  und  Leibarzt  der  Herzöge  von  Mecklenburg.  Als 
mecklen burgischer  und  kaiserlicher  Leibarzt  gab  er  einen 
Hymnus  de  sancto  Judoco  heraus..  In  der  Folge  ging  er  nach 
seiner  niederländischen  Heimat  zurück  und  starb  in  Her- 
zogenbusch. 

Waren  es  ziemlich  rasch  vorübergehende  humanistische 
Erscheinungen,  die  wir  soeben  betrachteten,  so  setzte  doch 
fast  gleichzeitig  mit  dem  Eintreffen  des  letzten  der  beweg- 
liehen   Gesellen,    des    l'lseniiis,    oder    kurze    Zeit   früher117 

111  Joannes  Garson  de  miseria  humanä  Epistole  consolatorie.  Epi- 
grammata  &  Epitaphia  a  doctis  disertisque  Germanie  viris  edita  ad  Thomam 
Vuolphium  iuniorem  in  obitum  fratris.  Joannes  Gruninger  quarto  imnas 
Martij  Anno  M.  D.  V.  Argentine  imprimebat.     4°. 

n-  Tli.  Wiedemann,  Johann  Eck,    1  l'.i. 

na  Riegger,  Amoenitates,  II,  232 

U4  |;,.:  i|,,m  Panegyrigus  des  Georgius  Silmius  Daripinus,  Köln  1505 

"''  Bei  Buschius,  Spicilegium,  Deventer  o.  .1.  (1505).  Liessem,  Biblio- 
graphie, No.  XXII. 

11,;  Cod.  58.  i',.  Fol.  Wolfenbüttel,  Eol.  71.  Campbell,  Annales  de 
la  lypographie  Neerlandaise,  No.   L696. 

117  Er  scheint  nach  einem  Gedichte,  Musa  poetam  obiurgat,  das  nach 


4-2  Gustav  Bauch. 

eine  markante  Periode  des  Humanismus  an  der 
Mainzer  Universität  ein,  die  Zeit  seiner  An- 
erkennung du  ich  die  obrigkeitliche  Autorität.  Und 
das  mögen  die  Leipziger  Doktoren  und  Magister  von  1511  im 
Auge  gehabl  haben:  jetzt  kam  die  von  ihnen  so  abfällig 
beurteilte  Vermählung  von  Jus  und  Poetik  (studium  humani- 
tatis)  zustande,  für  die  wir  die  inneren  Gründe  dargelegt 
haben  und  für  die  fast  ein  Jahrzehnt  früher  der  junge 
Dietrich  Gresemund  mit  seiner  Feder  vorgearbeitet 
hatte. 

Der  Vorgang  vollzog  sich  durch  des  Kurfürsten  Ber- 
thold eigenes  Eingreifen,  und  daher  werden  wir  es  wohl 
nicht  von  uns  weisen  können,  die  Sache  einmal  schärfer 
zu  beleuchten. 

In  seiner  sonst  trefflichen  Charakteristik  des  Erzbischofs 
Berthold118  als  Erzkanzlers,  Reichsreformers,  Erzbischofs, 
Gelehrten,  Patrioten  und  Menschen  sagt  H.  Ulmann:  „Die 
Wissenschaft  schätzte  er:  manche  Schriftsteller  denken 
seines  Verständnisses  mit  inniger  Verehrung  und  widmen 
ihm  gern  ihre  Arbeiten  (der  Dechant  Bernhard  von 
Breydenbach  sein  Passagium  in  terram  sanctam,  Wim- 
pfeling  seine  Abhandlung  De  triplici  candore  Mariae). 
Indes  das  ist  keineswegs  eine  hervorragende  Seite  seines 
Wesens.  Von  Humanismus  ist  keine  Ader  in  ihm:  eine  prak- 
tische Frömmigkeit  leitet  auch  hierbei  seine  Schritte,  eine 
Frömmigkeit,  die  noch  durchaus  auf  mittelalterlichem  Boden 
steht  .  .  .  Den  Geist  der  neuen  Zeit,  dessen  Wehen  auf 
den  Fittichen  gedruckter  Blätter  sich  vernehmlich  machte, 
wähnl  er  durch  eine  Zensur  in  die  Schranken,  die  ihm 
genehm,   bannen  zu  können"  etc. 

Es  ist  doch  etwas  zu  weitgehend,  wenn  Ulmann  das 
Zensuredikt  von  1486  gewissermaßen  als  die  Quintessenz 
der  Gesinnung  des  Kurfürsten  gerade  im  Verhältnis  zum 
Humanismus  auflaßt,  ohne  daran  zu  denken,  daß  ein  Mann 
wie  Dietrich  Gresemund  der  Ältere  zu  der  Zensur- 
kommission  gehörte,  und  nur  gestützt  auf  die  Mutmaßung, 
daß  hierbei  seine  „mittelalterliche  Frömmigkeit"  maßgeltend 
war.  Hatte  er  wirklich  selbst  keine  Ader  von  Humanismus 
an  sich,  so  besaß  er  doch  reichlich  das  Verständnis  für  die 
mit  dem  Humanismus  verknüpften  praktischen  Bedürfnisse 
seiner    /eil. 


dem  Tode  Bertholds   gi    chrieben   ist,  entweder  im   Herbsl    L501,  oder,  was 
Beteiligung   am  Streu   Wimpfelings  mil   Murner  wahrschein- 
licher ist,  etwa  zum   Neujahr   L502  nach  Mainz  gekommen  zu  sein. 
"     Heinrich    I  [mann,   Kaiser   Maximilian    [.,    I,  294f. 


Ai\s  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  43 

Wir  geben  zur  Richtiestellune;  des  Urteiles  dem  ersten 
festangestellten  Mainzer  Humanisten  Johannes  Rhagius 
Aesticampianus  das  Wort  für  die  Verse,  die  er  dank- 
baren Gemütes  nach  dem  Tode  Bertholds  veröffentlichte119 
und  die  schon  deshalb  nicht  als  bloße  poetische  Phrasen 
zu  betrachten  sind  und  auch  deshalb  nicht,  weil  Rhagius 
kein  homo1?0  „levis  et  amasius"  und  keiner  von  den  poeti- 
schen Gunstjägern  war.  Er  sagt  in  seinem  Gedicht  Ad 
Berthold  um  Archiepiscopum : 

Sedula   Palladij,    Antistes    sanctissime,    ludi 
Cura  tibi  est,  quando  res  dura  laborque  molestus 
Festa   fatigatae   concesserit   ocia  menti, 
Ut    stabili    cunctis    prescribas    lege    magistris, 
Quid    iuueues    doceant    Germano    sanguine    natos, 
Quo    faciles    tenero   nascantur   pectore   mores, 
Barbara    crassiloquo    decedant   verba    palato 
Aspera   precipitisque   cadant   iam   murmura   linguae 
Et  res  priuatae  crescant  et  publica  surgant 
Commoda    Germanisque    accedat    gloria    nostris. 
Ne    tantum    frameas    quatiant,    hastilia   frangant, 
Quadrupedes  pascant,  ursos  venentur  et  apros, 
Ingenij    quibus    est   animi    vis,    gratia,    virtus, 
Sed    discant   artes,    componant   carmina,    iura 
Enodent,    patrias    laudes   et   fortia   tristis 
Gesta  canant  belli  preclaraque  facta  virorum, 
Qui    proprijs    seuos    pepulerunt    sedibus    hostes 
Certaque    belligeris    exempla    nepotibus    augent. 
Nam    Chyron,    Phoenix,    Nestor,    Cato,    Scipio,    Caesar 
Terribilem  placidae  Martern   iunxere   Mineruae. 
Sic   Grecis   nomen   Romanis   fama  decusque 
Et   simul   imperium   deuicti   creuerat   orbis 
Quodque   sibi   fuso   nostri   peperere   cruore 
Maiores,    quorum   nos,    haud   indigna    propago 
Semine,    sed    sceptri    et.   virtutis    dicimur    umbrae, 
Quando  nee  Musis  operain  damus  omnibus  acrem 
Anna    nee    borrisoni    traetamus    bellica    Martis 
Delicijs    capti    Veneris    Bacchique    furentis. 

Nachdem  er  dann  noch  die  Schwädien  der  Deutschen 
weiter  ausgeführt  und  auf  die  furchtbare  Gefahr  der  Türken, 
wie   er   sie    1499   an   den    schrecklichen    Verwüstungen    in 
Oberitalien  mit  eigenen  Augen  kennen  gelernl  balle1-1,  bin 
gewiesen   bat,  fährt  er   Fori  : 

119  Epigrammata,    Bv.    f.      Zu    den    Ejihjrammala    s.    weiter    unten. 

120  So  drückt  sich  Mutianus  lliilus  über  ihn  ans,  Briefwechsel,  ed. 
K.  Gillerl.  I,  385. 

121  Zeitschrift  des  Vereins  für  Geschichte  \n\<\  Altertum  Schlesiens, 
XXXI,  125.  Den  entsetzlichen  Einfall  der  Türken,  den  er  als  fünfzehn- 
jähriger Knabe   miterlebl    hatte,   schilderte  Jacopo  conte  di    Porca   (comes 


44  Gustav  Bauch. 

....   studij    fit    mentio   rara   probati 
Raraque  virtutis  vel  cura  vel  ardor  honoris, 
Qu,     potiora    putans,    princeps   aequissime,   sollers 
Gymnasij    tutor,   locupletis   maximus  urbis 
Rector  el    aeternae   clarissima   relligionis 
Maiestas,    ludum   renouas,   ingentia   culto 
Premia  virtuti  ei  studio  sua  munera  cepto 
Ponis   ei   argutos   posita  mercede  magistros 
Allicis 

Und  er  schließt  endlich  mit  den  elegischen  Versen: 

Pugnaces   aostri   Gallos  vicere  parentes, 

I  i    veteri   celebris  carmine  fama  refert. 
Nostris   laurigeri   ducibus   creuere   triumphi 

Gandidaque    imperij    lilia    torsit    auis. 
Solus   Alexander   patria    pro  laude  duellum 

Excipiens    fortes    sub    iuga   misit   auos 
Et  supefat  gentes  modica  virtute  potentes, 

Parrhasis  astrifero  quas  videt  ursa  polo. 
0   si   magnanimum   referas   mihi,   Roma,   Camillum 

Marcia   vel   prestes   Caesaris   arma  tui, 
Qui    tumidam    Galli    cristam    rupere    superbi 

Efferaque    immiti    subderet    ora    iugo. 
Sed  quid   Roma  tuas   et  non  Maguncia  vires 

Erigo?     Bartholdo    Gallia   victa   duce   est! 
Gallia  victa  triplex,   nam   tot  suus   incola  partes 

Scripsil    grammaticus  -siccus,    acerbus,    iners. 
Quarr  victori  darum  decerne  triumphum 

Bartholdo,    quisquis   liher   ab   hoste   truci   es! 

Mit  diesen  poetischen  Ausführungen,  die  den  Kurfürsten 
Berthold  gerade  besonders  wegen  seiner  Sorge  für  die 
Humaniora  neben  der  für  die  freien  Künste  (Philosophie) 
und  das  Jus  (von  Theologie  und  Medizin  schweigt  der 
Dichter)  preisen,  dürfte  das  Urteil  Ulmanns  doch  wohl  er- 
heblich  eingeschränkt  sein;  am  schärfsten  jedoch  durch 
die  Schlußdistichen:  denn  was  darin  gesagt  ist,  bedeutete 
einen  Vorsprung  der  Mainzer  Universität  vor  allen 
Universitäten  Deutschlands  ohne  Ausnahme  in  der 
Sache  des  Humanismus  nicht  allein,  sondern  es  war 
die  erste  Oberleitung  der  sprachlichen  Studien  an 
einer  Universitäl  auf  die  moderne  Bahn  durch  Ber- 
thold  von  Henneberg.  Da  hat  er  doch  wohl  eine  Ader 
von  Humanismus  gehabt!  Es  war  die  Beseitigung  der  drei 
(vier)  Teile  ^\i^  das  Mittelalter  beherrschenden  Doctrinale 
des    Alexander   de    Villa    Dei    oder    Gallus,    an    dessen    bar- 

Purliliarum     in    seiner  Schrift:   De   recenti    Foroiuliensiurn   Clade  a  Turcis 
MID  Kalendis  Octobris    il  giorno  di  S.  Girolamo). 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  45 

barischen  leoninischen  Versen  die  scholastische  dialektisch- 
metaphysische  Behandlung  der  Grammatik  die  schlimmsten 
exotischen  Blüten  getrieben  hat1--,  und  seine  Ersetzung  durch 
die  humanistische  positive  Grammatik  ohne  jegliche  philo- 
sophische Argumentation.  Wittenberg,  darin  die  nächste 
Universität  nach  Mainz,  ging  zu  dieser  Reform  erst  ca.  1506 
über123,  die -anderen  Universitäten  meist  viel  später.  Der 
Anreger  Bertholds  bei  dem  Fortschritte  in  Mainz  war 
der  Dichter  und  Berichter  Rhagius  selbst.  Ihm  wenden 
wir  uns  nun  zu. 

Johannes  Rak  oder  Rhagius124  war  schon  1457  oder 
vielleicht  wahrscheinlicher  erst  14G3  in  Sommerfeld  in  der 
Niederlausitz  geboren.12.  Über  seiner  Jugendzeit  und  seinen 
ersten  Studien  liegt  tiefes  Dunkel.  Da  er  1509  den  italieni- 
schen Humanisten  Girolamo  Balbi  in  Verbindung  mit  Prag 
seinen  ,,peruetustum  amicum"  nennt,  könnte  er  ihn  dort 
etwa  1492  oder  1499  als  Student  kennen  gelernt  haben.121'' 
Durch  Celtis  zuerst  wurde  er  ganz  den  Musen  gewonnen1-'7, 
und  obgleich  Johann  von  Dalberg  wenig  höflich  für  das 
Studium  Jagellonicum  sagt  „in  barbarissimis  locis",  so  ge- 
schah das  in  Krakau,  wo  er  am  19.  Mai  1491  kurz  vor 
oder  nach  der  Abreise  des  Celtis  als  Johannes  Johann is 
de  Zommerfelth  in  die  Matrikel  eingetragen  worden  ist. 

Im  Herbst  1499  begab  er  sich  mit  dem  vertrauten 
Freunde  des  Celtis,  Vincentius  Longinus  Eleutherius 
aus  Freystadt  in  Schlesien,  von  Wien  aus,  unterwegs  im 
Friaul  durch  die  eingefallenen  Türken  gefährdet,  nach 
Italien128  und  zuerst  nach  Venedig.  Hier  wurden  Aldus 
Manutius,  Marcus  Antonius  Coccins  Sabellicus129  und 
Georgius  Valla  Placentinus130  aufgesucht,   um   ihre  Be- 


122  (;  Bauch,  Dil'  Rezeption  des  Humanismus  in  Wien,  7,  9.  Yergl. 
was  oben   S.   221'.   zu   den   Lucubratiuncule  Gresemunds  gesagt   ist. 

123  (|.  Bauch,  Wittenberg  and  die  Scholastik  (Neues  Archiv  für 
Sächsische  Geschichte,  XVIII),  308f. 

'-■'  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  etwas  älteren  Krakauer  Dozenten 
Johannes  von  Sommerfeld  (Aesticampianus).  <l.  Bauch,  Deutsche  Scho 
laren  in  Krakau,  2(5,  No.  (J;  derselbe  im  Archiv  für  Literaturgeschichte; 
XIII,  lf. 

1-:'  Archiv  für  Literaturgeschichte,  XII.  321.  Nach  einem  Gedicht 
bei  dem  L507  geschriebenen  und  L508  gedruckten  Kommentar  des  Rha- 
giu     zur  Grammatik  >\<^  Marcius  Capeila   war  er   L507    15  Jahre  alt. 

ü'i   (|.    Bauch,    Die    Rezeption    des    Humanismus    in    Wim.    -II.    ('>.">. 

'~7  K.  Morneweg,  Johann  von   Dalberg,  358. 

'•  Das  Folgende  nach  einem  Briefe  des  Longinus  au  Celtis,  Rom 
1500.      Codex    epistolaris. 

129  c.  Malagola,  Hella  vita  e  delle  opere  di  Antonio  Urceo  detto 
Codro,   218;   .1.   Schuck,    Aldus   Manutius,    L19. 

"o  J.   Schuck,  a.   a.   0.,    11'.). 


46  Gustav  Bauch. 

kanntschaft  zu  machen  und  Belehrung  von  ihnen,  besonders 
im  Griechischen,  zu  gewinnen.  Dann  setzten  sie  nach  Padua 
über  und  hospitierten  in  den  öffentlichen  Vorlesungen  von 
l'rosper  und  Johannes  Calphurnius  aus  Brixia. m  In 
Ferrara  wollten  sie  den  Vorkämpfer  des  Humanismus  Bap- 
tista  Guarinus132  hören;  dieser  hatte  jedoch,  geängstigt 
durch  die  Erkrankung  eines  seiner  vornehmen  Schüler,  die 
Vorlesungen  ausgesetzt,  so  daß  sie  ihn  nur  im  Garten  lust- 
wandelnd  antrafen.  In  Bologna  gingen  sie  endlich  für  einige 
Zeit  fest  vor  Anker. 

Sie  hörten  den  Antonius  Codrus  Urceus  aus  Ru- 
biera  in  gelehrten  lateinischen  und  griechischen  Vor- 
lesungen und  bei  dem  „Commentator  Bononiensis"  Phi- 
lippus  Beroaldus133  Philosophie,  Rhetorik  und  Poetik.  In 
Naturphilosophie  und  Metaphysik  war  Alexander  Man- 
zolus134  ihr  Lehrer,  in  Mathematik  Dominikus  Marius 
aus  Novara,  der  Lehrer  des  Kopernikus.  Dieser  las  Euklid 
und  den  Almagest  des  Ptolemäus  und  in  der  Domus  Fos- 
carina,  wie  Beroaldus  die  Naturgeschichte  des  Plinius 
Secundus,  die  Kosmographie  des  Ptolemäus  vor  den  böh- 
mischen Edelleuten  Johann  von  Tetschen  aus  der  Fa- 
milie Wartenberg  und  Christoph  von  Weitmühl.  Rha- 
gius,  der  später  in  der  deutschen  Heimat,  in  Leipzig,  Köln 
und  Wittenberg,  als  Propagator  des  Plinius  wirkte,  und  Lon- 
ginus  folgten  den  Vorträgen  als  Gäste. 

Longinus  brach  im  Jahre  1500  über  Florenz  und  Siena 
nach  Rom  auf,  ob  ihn  Rhagius  sogleich  begleitete  oder 
etwas  später  folgte,  können  wir  nicht  sagen,  jedenfalls  war 
er  im  Mai  wieder  in  Bologna135  und  beschäftigte  sich  eifrig 
mit  Primus  und  Plautus,  zu  anderer  Zeit  trieb  er  Griechisch, 
um  damit  bereichert  nach  Deutschland  zurückzukehren. 
Auch  Jurisprudenz  hat  er  dort  studiert.  Bald  empfand  er, 
wie  teuer  das  Leben  in  Bologna  war,  und  bitter  beschwert 
er  sich  über  die  vielen  Feiertage,  die  die  Vorlesungen  un- 
liebsam unterbrachen.  Daher  bat  er  Celtis,  er  möge  als 
sein  Lehrer  handeln  und  ihn  an  irgendeinem  Orte  unter- 
bringen,   wo  er  Jurisprudenz   oder  Rhetorik  lehren  könnte. 

Von  den   Deutschen,  mit  denen  er  in  Bologna  Verkehr 
hielt,   keimen   wir  nur  Johannes  Sturnus   (Sturlin)   aus 

1  '   C.   Malagola,  a.  a.  0.,  82. 

1      Malagola,   a.   a.    <>.,   52,   62;   J.   Schuck,   a.   a.   0.,  3. 

1 '"'  C    Malagola,  a.  a.  <>..  222. 

ISJ   C.    Malagola,   a.   a.   0.,   234f.     Als    Predigermönch   Bartholomäus 
genannt.     Er  war  Skotist. 

!      Vergl      -in mi    Brief   an    Celtis,    Bologna,   27.   Mai    1500.     Codex 
epistolaris. 


Aus!"der  Geschichte  des  .Mainzer  Humanismus.  47 

Sehmalkalden,  den  Freund  des  Celtis  und  des  Bohuslaus 
von  Hassen  stein  und  Pädagogen  des  Christoph  von 
Wo i im ü hl,  den  Juristen  Christoph  Scheurl  aus  Nürn- 
berg136, Thomas  Wolf  Junior  und  dessen  Freund  AI- 
brecht  von  Ratsamhausen. 

Im  Jahre  1501  war  Rhagius  wieder  in  Deutschland, 
in  Basel,  wo  er  einigen  Freunden  die  später  von  ihm  ge- 
druckte Kebestafel  vorlas.137  Der  Rückweg  hat  ihn  wohl 
über  Augsbure  geführt,  denn  Konrad  Peutinger  hatte  den 
Weitertransport  seiner  Bücher  übernommen138,  die  er  noch 
in  Mainz  erwartete. 

Als  er  Straßburg  berührte,  kam  er  gerade  zu  rechter 
Zeit,  um  an  dem  Streite  Wimpfelings  mit  Thomas 
Manier139  teilzunehmen.  Thomas  Wolf,  der  Murners 
Germania  nova  seinem  ,,Theseus"  Albrecht  von  Ratsam- 
hausen nach  Bologna  sandte  (mit  dem  Briefe,  der  dem  von 
Dietrich  Gresemund  herausgegebenen  Pamphlet  gegen 
Murner  einverleibt  ist),  schrieb  diesem:  ,, Unser  Aesti- 
campianus, ein  Mann,  der  doch  sonst  so  überaus  geduldig 
ist,  konnte  die  Stacheln  seiner  Entrüstung  nicht  zurück- 
halten, sondern  hat,  obgleich  auf  der  Durchreise  und  mit 
andern  Dingen  beschäftigt,  den  phrenetischen  Wahnsinn 
jenes  Mönchs  mit  einigen  Verslein  gemalt,  denen  ich  einen 
Brief140  als  Schlußstück  zugefügt  habe."  (Es  folgen  die 
Epigramme  des  Rhagius.) 

Aesticampianus,  hier  zum  ersten  Male  „vates  lau- 
'reatus"  genannt  er  soll  den  Lorbeer  vom  Papst  in  Rom 
erhalten  haben  -,  ging  auch  wirklich  auf  das  Meritorische 
des  Streites  gar  nicht  ein,  sondern  gab  nur  seinem  Unwillen 
Ausdruck.  Er  wendet  sich  ad  Argentinam  in  Thomam 
Murner,  blateronem  monaohum,  und  ad  Jacobum  Wym- 
phelingum,  oratorem  et  historicum  insignem.  Wie  dem 
gefangenen  Maulwurf,  sagt  er  in  dem  ersten  Epigramm, 
die  Fackel,  dem  Blinden  die  Sonne,  so  diene  einem  levis 
Gallus,  der  der  Vernunft,  i\rr  Sinne,  des  Wissens  und  der 
Treue  entbehre,   eine  scharfsinnige   Schrill    zu    nichts.    Ein 


13,1  Aesticampianus  an  Wilibald  Pirckheimer,  Wittenberg  die  s.  Julia- 
nae   virginis    L518.      Heumann,    Documenta    literaria,   318. 

i3'  In  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  der  Kebes-Tafel,  Frankfurt 
a.  0.  1507. 

138  Aesticampianus  an  Celtis,  Mainz.  28.  Augusl  L502.  Codex  epis- 
tolaris. 

139  Vergl.  oben  S.  31,  Versiculi  Theodorici  Gresmundi  Legum  Di 
ris.     Epistole  Thome  \\  olftij  iunioris  etc. 

14,1  Das  isi  sein  grober  Brief  an  Murner,  der  schon  in  der  von  Peter 
Günther  herausgi"i<'lii'iicii   Streitschrift  '.-.  oben  S.  31    tnitenthalten  ist. 


48  Gustav  Bauch. 

geborener  Straßburger141,  dem  die  Freiheit  der  Stadt  teuer 
and  ihr  Schmuck  beilig  sei.  rate  ihr,  den  hochfliegenden 
Adler  zu  verachten  und  den  drei  niedrigen  Lilien  anzu- 
hangen!  Mit  Viperzungen  zischt  er  gegen  alle  Gelehrten, 
die  die  Stadt  oder  ihre  Kinder  unterrichtet  haben.  0  über 
die  an  fruchtbarem  Blute  reiche  Stadt,  die  einen  solchen 
Sprossen  zeugt,  kleidet,  liebt!  Und  dieser  glaubt,  die  alten 
Annalen  richtig  zu  kennen,  der  kaum  drei  Worte  Latein 
versteht!  Er  rühmt  sich,  alle  Universitäten  besucht  zu 
haben;  ich  will  zugrunde  gehen,  wenn  er  weiß,  wonach 
seine  Kutte  riecht!  In  den  Versen  an  Murner  gesteht  er 
diesen]  allenfalls  die  Kenntnis  des  Pentateuchs,  aber  nicht 
dessen,  das  in  der  deutschen  Geschichte  enthalten  sei,  zu. 
Von  \\  impfeling  aber  sagt  er,  er  werde  das  aus  dem 
slyinschen  See  hervorgekrochene  Scheusal,  das  jeden  mit 
seiner  dreigeteilten  Zunge  berühre,  mit  seinem  Fäulnis  her- 
vorrufenden  Gift  bespritze  und  Wimpfelings  Ruf  begeifere 
ein  neuer,  ein  deutscher  Aleide,  als  Führer  mit  seiner  Keule 
niederschlagen,  und  wenn  diesem  etwa  nach  Hydrenart  neue 
schlüpfrige  Glieder  nachwüchsen,  würden  seine  Streiter  sie 
abhauen.  An  neunter  Stelle  findet  sich  noch  ein  Epigramm 
an  Wulf,  das  diesen  als  Vorkämpfer  für  den  ,,emeritus 
dux"  preist;  hoffentlich  werde  er  unter  dem  Beifall  des 
Gottes  des  Lachens  den  aufgeblasenen  Schlauch  durch- 
bohren. Ein  angehängtes  Distichon  greift  Murner  noch 
einmal   verächtlich  an. 

Die  Teilnahme  des  Rhagius  an  dem  Kampfe  gegen 
Murner  war  seine  erste  Berührung  mit  Wimpfeling.  Mit 
ihm  verband  ihn  eine  literarische,  wohl  auch  sonst  der 
Sinnesart  beider  Männer  -  bei  Aesticampianus  überwog 
auch  später  die  Neigung  zur  praktischen  Theologie  der 
Kirchenväter  noch  die  für  den  Humanismus  --  entsprechende 
Freundschaft,  die  erst  ein  Jabrzehnt  später  durch  das  hitzige 
Vorgehen  Wimpfelings  in  seinem  Zwist  mit  Locher  ge- 
trübt   wurde.142 

Auf  der  Fortsetzung  seiner  Reise  der  Heimat  zu,  den 
Rhein  abwärts,  wurde  Aesticampianus  von  dem  Erz- 
bischof  Berthpld  zum  Verweilen  in  Mainz  vermocht.  Dieser 
wollte,  wie  wir  schon  gehört  haben,  als  Gönner  der  Studia 
liberalia  der  Main/er  I  niversität  durch  die  feste  Einfügung 
der  humanistischen   Studien  einen   neuen   Aufschwung  ver- 

Murner   war   nicht    in    Straßburg,   sondern   in    Ober-Ehenheim   ge- 
boren,  nannte  sich  aber  Straßburger. 

'"■'•-I.   hierzu  <i.   Bauch,   im   Archiv  für  Literaturgeschichte,  XIII,. 
lerselbe    Geschichte  des   Leipziger   Frühhumanismus,    L80. 


Aus  ."der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  -4V» 

leihen  und  warb  ihn  als  ersten  besoldeten,  ordentlichen 
Professor  der  Rhetorik  und   Moralphilosophie.143 

Nicht,  alles,  was  der  vorsorgliche  Berthold  geschaffen 
hatte,  blieb  während  seiner  letzten,  schwachen  Tage  in  un- 
verrücktem Zustande144,  es  gab  auch  Gegner  an  der  Uni- 
versität, die  sich  dagegen  stemmten,  und  so  konnte  Rhagius 
1506  klagen:-  ,,0,  wenn  doch  die  Universität  (res  literaria) 
in  ihrer  Ordnung  verharrt  hätte,  es  würden  wahrlich  aus 
ihr  -  -  damit  ich  sage,  was  ich  denke  -  viel  beredtere  und 
ehrbarere  Jünglinge  als  jetzt  hervorgegangen  sein."  Doch 
Bertholds  Nachfolger,  Jakob  von  Liebenstein,  ließ  es 
in  dieser  Beziehung  auch  nicht  an  sich  fehlen,  er  führte, 
auch  nach  dem  Wunsche  der  Mehrheit  der  Doktoren  au 
der  Universität  14\  Bertholds  Intentionen  weiter  und  flößte 
seiner  Neuschöpfung  festeres  Leben  ein,  so  daß  auch  ihn 
Rhagius  wegen  der  von  ihm  erfahrenen  unzähligen  Wohl- 
thaten  dankbar  erheben  und  im  Vorwort  zu  seinen  Epi- 
grammen sagen  durfte:  „Im  Vertrauen  auf  den  glücklichen 
Stand  deiner  Herrschaft  und  den  blühenden  Zustand  der 
humanen  Wissenschaften  bilde  und  verfeinere  ich  in  stän- 
diger Arbeit  und  bei  reichem  Gehalt,  womit  du  mich  hegst 
und  zierst,  die  noch  rohen  jungen  Leute  und  was  mir  von 
Muße  gegeben  ist,  verbringe  ich  ganz  und  gar  damit,  daß 
ich  Männer  wegen  ihrer  Tugend,  wegen  ihres  Wohlwollens 
oder  ihrer  Noblesse  gegen  mich  lobe." 

Ungewöhnlich  erscheint,  es,  daß  dieser  erste  „Poet"  sich 
als  Professor  der  Oratoria  (Rhetorik)  und  der  Moralphilo- 
sophie bezeichnet,  aber  die  Kombination  beruht  nicht  etwa 
auf  Bertholds  ,, praktischer  Frömmigkeit"  und  war  keines- 
wegs ohne  Vorgang.  In  Tübingen14'',  wo  die  Universität  fast 
zu  gleicher  Zeit  mit  der  Mainzer  ins  Leben  gerufen  wurde, 
bestimmte  schon  die  erste  Ordnung  Graf  Eberhards  von 
Württemberg  vom  23.  April  1481  ein  Gehalt  von  dreißig 
Gulden  für  ,, einen  der  in  oratoria  lyset",  und  die  zweite 
Ordnung  desselben  Fürsten  vom  20.  Dezember  L493  bat 
zwar  das  Gehalt  auf  zwanzig  Gulden  herabgesetzt,  dafür 
aber  die  Tätigkeit  dieses  öffentlichen  Dozenten  genauer  uni- 

14:1  Rhagius   in   der  Widmung   seiner    Kpigra lata. 

144  Für  das  Folgende  s.  ebenfalls   Rhagius,  a.  a.  0. 

145  In  den  Hendecasyllabi  ad  lectorcm  vor  seinen  Epigrammen  sagl 
Rbagius  von  sich: 

Quem  Maguntia  Rhenus  et  benigna 
Annis  quatuor  omnium  volunlas 
Doctorum  tenuit  probe  virorum. 
14<;  (Roth)  Urkunden  zur  (ieschiclile  der  l'ruversiläl  Tübingen  ans  den 
.lahren   1476—1550,   71,   85. 

Beitrüge  z.  Gesell,  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  -1 


50  Gustav  Bauch. 

schrieben,  als  die  eines  „der  ungeuärlich  liset  in  oratoria, 
moralibus  oder  poetrij".  Daß  Rhagius,  wie  allerdings  fast 
selbstverständlich  ist,  „ei  publice  ei  priuatim"  las,  bezeugt117 
ausdrücklich  Johann   von  Dalberg. 

Cell  i s  halle  inzwischen  seinen  Schüler  aus  seiner  Für- 
sorge nicht  entlassen.  Um  ihm  eine  Stellung  zu  verschaffen, 
hatte  er  sich  mit  dem  Haupte  der  Sodalitas  literaria  Rhenana 
Johann  von  Dalberg  in  Verbindung  gesetzt.  Gegen  Ende 
des  Monats  August  1502  berief  Dalberg,  als  er  seinen  Ge- 
burtsorl  Oppenheim  besuchte,  Aesticampianus  von  Mainz 
zu  sieb,  um  ihm  die  mit  Celtis  verabredeten  Vorschläge  mit- 
zuteilen. Aesticampianus  schlug  jedoch  die  Anerbietungen 
des  Bischofs  aus,  weil  er,  wie  Dalberg  sagt,  ebenso  wie 
Celtis  gänzlich  von  der  Begierde  ergriffen  schiene,  ganz 
Deutschland  zu  durchziehen,  trotzdem  er  ihm  wenig  Frucht 
davon  versprochen  habe.  Dasselbe  spricht  Rhagius  aus.148 
Er  fühle  sich  durch  die  Anträge  von  Celtis  und  Dalberg 
hochgeehrt,  aber  zurzeit  sei  ihm  ein  Eingehen  darauf  nicht 
möglich,  er  wolle  neue  Gegenden  sehen,  gelehrte  Männer 
hören,  und  mit  dem  rerum  usus  seine  Studien  verbinden. 
Dies  aber  wolle  er  so  schnell  als  möglich  abmachen  und 
dann  Celtis  dankbar  und  dem  Bischof  zu  Willen  sein. 
Der  schon  im  Jahre  1503  erfolgte  Tod  Dalbergs  hat  dies 
Versprechen  wirkungslos  gemacht. 

Der  Aufenthalt  in  Mainz  muß  doch  so  viel  Anziehendes 
für  ihn  gehabt  haben,  daß  er  auch  seiner  Wanderlust  vor- 
erst, nicht  nachgab,  sondern  sich  dort  auf  vier  volle  Jahre 
fesseln  ließ.  Er  fand  hier  so  viele  Männer,  Gönner  und 
Freunde,  die  ihm  gleichgesinnt  waren,  und  Schüler,  die 
begierig  seine  Lehren  aufnahmen,  daß  wohl  Mainz  einer 
der  wenigen  Orte  ist,  an  die  der  viel  umhergeworfene  Ge- 
lehrte auGh  später  noch  mit  Freuden  zurückdenken  kannte. 
Seine  „Epigrammata"  lassen  uns  einen  nicht  uninteressanten 
Blick   in  sein   Leben   daselbst  tun. 

Diese  Sammlung149,  die  erst  1507  in  Leipzig  gedruckt 
worden  isi.  \v;n  in  allem  Wesentlichen  schon  in  Mainz  im 
Jahre  1505  entstanden;  „strenae",  Neujahrsgedichte  an  seine 
Gönner,  sind  es  meist,  wenige  ältere,  wie  das  uns  schon 
bekannte  an  Erzbischof  Berthold,  sind  beigefügt.   Sie  sind 

"•    K.    Monicw.'»,   ;,.   ;,.   ()..   357,  358.  % 

Rhagius   an    Celtis,    Mainz,   28.    Augusl    1502.    Codex  epistolaris. 

"''  Epigrammata  Johannis  Aesticampiani.  Impressum  est  hoc  opus 
epigrammaton  Lyps.  per  Melchiorem  Lotter  ciuem  Lypsensem  Anno  do- 
mini  Millesimoqumgentesimoseptimo.  4°.  Der  Frankfurter  Schüler  des 
Aesticampianus,  Joachim  von  Bülow,  hängte  an  den  Schluß  der  Samm- 
lung ein   Carmen   coi endaticium,   das  einzige  Mainz  fremde   Stück,  an. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  51 

in  ihrer  Gesamtheit  dem  Nachfolger  Bertholds,  Jakob 
von  Liebenstein,  gewidmet  als  Dank  für  seine  Gunst  und 
das  freigebige  Gehalt.  In  der  Dedikation  gibt  er  ein  Pro- 
gramm seiner  Dichtungen. 

Als  Gaben  der  Frömmigkeit  erscheinen  zwei  Gedichte, 
eins  auf  den  Schutzpatron  der  Diözese  Mainz,  den  heiligen 
Martin,  das  "Dietrich  Gresemund  in  dem  vorgesetzten 
Applaus  dem  Dichter  zu  besonderem  Verdienst  anrechnet, 
weil  er  als  erster  den  Heiligen  in  die  Poesie  eingeführt  habe, 
und  ein  anderes,  ein  Votivgedicht  auf  die  heilige  Barbara, 
seine  eigene  Schutzheilige.  Wenn  Aesticampianns  in  der 
Widmung  auch  nach  Humanistenart  die  Heiligen  ,,homines 
sanctos  in  cleorum  numerum  ascitos"  nennt,  so  wendet  er 
sich  im  Anfang  des  heroischen  Gedichtes  auf  St.  Martin 
nicht  an  Apollo  und  die  Musen,  sondern  an  Christus 
Wimpfeling  konnte  ihn  daher  in  seinem  Zwiste  mit  Locher 
wie  Gresemund  unter  den  Dichtern  aufführen150,  die  Chri- 
stus, nicht  die  heidnischen  Götzen  anrufen  — ,  auch  in  der 
weiteren  Entwicklung  tritt  das  humanistisch-mythologische 
Beiwerk  nicht  allzu  störend  hervor.  In  die  Lebensbeschrei- 
bung ist  eine  lebendige  Schilderung  des  Festes  des  Heiligen 
eingewebt,  wie  es  nach  altem  Brauche  in  Mainz  begangen 
wurde.  Durch  ein  Beoleitsedicht  ist  die  Vita  dem  Kustos 
der  Kathedrale  und  nachmaligen  Bischof  von  Straßburg 
Wilhelm  von  Höllenstein  gewidmet. 

In  dem  Hymnus  in  laudem  divae  Barbarae,  worin  ihre 
Schönheit,  Frömmigkeit  und  ihr  Martyrium  besungen  werden, 
ahmt  Aesticampianns,  bisweilen  wörtlich,  Horaz  nach, 
doch  fehlt  ihm  der  dem  Gegenstande  angepaßte  Geschmack 
seines  Vorbildes.  Er  preist  seine  Helferin  dafür,  daß  sie 
ihn  glücklich  vor  den  wilden  Kohorten  der  Feinde,  vor 
den  Schlingen  des  Bäubers  gerettet,  und  weiht  ihr  das 
Gedicht,  als  er,  aus  den  Thermen  zurückkehrend,  einer 
Schar  junger  Leute,  die  ihm  mit  gezückten  Schwertern  nach 
dem  Leben  trachteten,  unverletzl  entronnen.  Diese  Verse 
sind  mit  zwei  Beigeuichten  als  Neujahrsgabe  an  den  Scho- 
lastikus  der  Kathedrale,  Kanonikus  zu  St.  AI  hau,  Beatae 
Virginis  ad  Gradus  und  St.  Crucis,  Adolf  Ran  von  lloltz- 
hausen,  gesendet,  der  sie  den  ihm  unterstellten  Klerikern 
der  Domschule  mitteilen  sollte. 

Aus  religiösem  Gebiet  ist  noch  ein  dritter  Stoff  ge- 
wählt: De  hostia  sacramenti  in  sanguineam  carnem  mutata 
in  monte  saneti  Albani  religiöse  custodita. 

150  Contra  turpem  libelhnn  Philomusi  Defensio  theologie  scholastice 
&  neotericorum.     0.  0.  u.  J.    Cap.  VI. 


■  rl 


Gustav  Bauch. 


Mit  einem  Neujahrs  gediente  an  den  Erzbischof  Jakob 
besinnt  die  Reihe  der  lebenden  Viri  illustres.151  Es  ist  an- 
zuerkennen,  daß  sich  Rhagius  von  unwürdiger  Schmeichelei 
fernhält.  Das  nächste  Gedicht  ist  dem  Propst  zu  St.  Martin, 
späteren  Bischof  von  Speier  und  Gönner  Johann  Reuch- 
liiis1,2,  dem  Pfalzgrafen  Georg,  gewidmet,  dessen  Titel 
in  humanistischer  Spielerei  mit  dem  Vergilischen  Pallas  zu- 
sammengebracht wird.  Geom  wird  als  frommer,  wohl- 
tätiger,  milder  Mann  geschildert.  Pfalzgraf  Johann,  sein 
Bruder,  wird  als  eifriger  Jäger,  der  aber  auch  die  Wissen- 
schaften liebt,  besungen.  Auch  der  junge  Pfalzgraf  Hein- 
rich, früher  Propst  zu  St.  Alban,  jetzt  Bischof  von  Freising, 
erhält  ein  Neujahrsgedicht,  und  zuletzt  von  diesen  er- 
lauchten Herren  ist  der  Pfalzgraf  Wolf  gang  bedacht,  der, 
ein  Knabe  noch,  vom  Vater  nach  Mainz  geschickt  worden 
ist,  um  dort,  auch  bei  Rhagius,  seine  Studien  zu  machen. 

Drei  Gedichte  sind  dem  Kanonikus  an  der  Kathedrale, 
Philipp,  Freiherrn  von  Epstein,  Herrn  in  Künig- 
stein,  gewidmet.  Er  ist  ein  gewaltiger  Nimrod,  und  Rha- 
gius scherzt  mit  ihm,  er  möge  mit  ihm  tauschen.  Er  wolle 
mit  dem  Jagdspeer  die  Tiere  verfolgen,  Künigstein  solle 
dem  niedlichen  Mädchen  genehme  Verse  schmieden.  Von 
ihm  wolle  die  schwarzäugige  Schöne  nichts  wissen,  vielleicht 
würde  sie  vor  ihm  auf  den  Schoß  Künigsteins  flüchten. 
Als  Gegenbild  folgt  der  Dechant  zu  St.  Martin  und  Doctor 
iur.  Uriel  von  Gemmingen,  der  nach  Jakob  den  erz- 
bischöflichen Stuhl  bestieg.  Ihm  wird  das  Lob  gespendet, 
daß  er  Ruhm  aus  dem  Studium  erstrebe  und  ein  »rund- 
[icher  Kenner  des  Rechts  sei;  die  ihm  untergebene  Geistlich- 
keit halte  er  in  strenger  Zucht  und  Ordnung. 

Dem  Kanonikus  zu  St.  Martin  und  St.  Alban  Peter 
von  Not  halft  sandte  Rhagius  ein  Neujahrsgedicht,  zu- 
gleich als  Dank  für  die  Einladung  zu  einem  festlichen  Mahle 
nach  dem  Gottesdienste,  das  geistliche  und  weltliche  Ge- 
lehrte vereinte.  Als  gastlicher,  die  heitere  Geselligkeit  lie- 
bender Herr  wird  auch  der  Kanonikus  und  Magister  fabricae 
Johann  von  Hatstein  besungen.153  Ihm,  wünscht  Rha- 
gi  iis,  möge  nie  das  Material  für  die  Pflege  und  den  Glanz  der 
herrlichen  Kathedrale  ausgehen;  ihn  ziehe,  fährt  er  offen  fort, 

1,1  Die  Daten  über  die  geistlichen  Herren  sind,  wenn  sie  nicht  von 
Rhagius   herrühren,   Jnannis,   a.   a.   ().,    II,  entnommen. 

I.    Geiger,  Johann   Reuchlin,  298,  303,  3(i:i. 

Nach  Joannis,  a.  a.  0.,  II,  244,  367,  ist  Johann  von  Hatstein 
1518  gestorben.  In  welchem  Verhältnis  stand  dann  zu  ihm  der  Johann 
\"n  Hatstein,  in  dr-seii*Haus  sich  Ulrich  von  Hütten  1520  (Bücking,  I, 
355    von   Philipp   Fürstenberg  Bücher  erbat? 


Aus  .Vier  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  53 

die  habsüchtige  Pfründen] agd  nicht  ab,  die  jetzt  so  viele 
ergriffen  habe,  die  die  einigen  Genossen  zu  häßlichem  Zwist 
anrege  und  das  habgierige  Forum  Roms  anzugehen  zwinge. 
Er  sei  mit  einem  Altar  zufrieden  und  spende  davon  auch 
noch  den  Armen,  dem  Gottesdienste  und  den  Freunden. 

Ein  anderer  Gönner  war  der  Kanonikus  und  spätere 
Scholastikus  «zu  St.  Martin  Dr.  i.  u.  Dietrich  Zobel  von 
Giebelstat,  dem  Dietrich  Gresemund  das  ehrenvolle  Prä- 
dikat „vir  profecto  nobilium  eruditissimus  et  eruditorum 
nobilissimus"  beigelegt  hat  und  dem  Aesticampianus, 
freilich  ohne  Effekt,  prophezeite,  es  werde  ihn  einst,  wie 
jetzt  der  grüne  Lorbeer  des  juristischen  Doktorats,  die  Inful 
schmücken.  Zobel,  unter  drei  Erzbischöfen  Vicarius  in 
spiritualibus,  von  großem  Einfluß  unter  Kardinal  Albrecht, 
wird  von  Irenicus  zu  den  deutschen  Poeten  gerechnet.154 
Wir  kennen  ihn  als  eifrigen  Reuchlinisten;  Hermann  von 
Neuen ahr  widmete  ihm  aus  diesem  Grunde  die  Defensio 
Joannis  Reuchlin.155  Als  Ulrich  von  Hütten  am  Hofe 
Albrechts  von  Mainz  lebte,  gehörte  Zobel  zu  den 
Männern,  die  ihn  antrieben,  die  Livius-Ausgabe  von  1518 
dem  Kardinal  zuzuschreiben ;  in  sein  Haus  erbat  sich 
Hütten  Briefe  von  Freunden.156  In  enger  Freundschaft 
stand  Zobel  mit  Dietrich  Gresemund  dem  Jüngeren157, 
der  ihm  seine  Antiquitäten  zugedacht  hatte.  Sein  Interesse 
für  literarische  Tätigkeit  brachte  ihn  auch  in  Verbindung 
mit  Wim.pfeling158  und  Erasmus.159  Als  Kaiser  Karl  V., 
von  seiner  Krönung  kommend,  im  November  1520  auf  der 
Reise  zum  Wormser  Reichstage  Mainz  berührte,  empfing 
ihn  Zobel  mit  einer   glänzenden  Rede.10" 

Zobel  muß  die  Sorge  für  die  Wohnung  des  Rhagius 
im  Hanse  „zum  Korbe"  zugestanden  haben101,  denn  in  einem 
anderen  Gedicht  (Extiudit  Musam)  fordert  dieser  die  Muse 
auf,  sie  möge  Zobel  veranlassen,  daß  er  ihm  das  schadhafte 
Dach  seiner  ,, Sportella"  ausbessern  lasse.  In  den  folgenden 
Versen  (Musa  poetam  obiurgat),  die  vielleicht  zu  den  voran- 


154  Germaniae  exegesis,  Eol.  45b. 

i:,:'  L.  Geiger,  a.  a.  0.,    101,    103;   E.   Böcking,  a.  a.  <»..   I.   L53. 

i:";  E.   Böcking,   a.   a.   0.,    I,  241,  264. 

'"   Nach   Gebwilers    Vita   Gresemundi.     S.  oben  S.  33. 

1>  S.   oben   bei   Dietrich   Gresemund,   a.  a.   0. 

1 ,;'  .1.  Förstemann  and  0.  Günther,  Briefe  an  Desiderius  Erasmus  von 
Rotterdam,  96,  449. 

10(1  Herum  memoräbilium  Paraleipomenä,  hinter  Chronic,  abbat.  Urs- 
perg,   1568,  CLX. 

161  Huttieh  tiat  in  seinen  Collectanea  antiquitatum,  Bog.  IL,  eine 
Inschrift  aus  diesem  Hause. 


:.  i  Gustav  Bauch. 

gehenden  gehören,  spielt  der  Schluß  scheinbar  schon  auf 
seinen  Wegfall«;  nach  Frankfurt  an.  Darin  wird  ein  Ivo 
erwähnt,  der  das  Gehalt  zu  zahlen  verweigere;  der  Scherz 
bezieht  sich  auf  die  Zeit,  wo  Berthold  soeben  gestorben 
war,  auf  die  Zeit  der  Sedisvakanz;  die  Stelle  des  Rhagius 
war  sichtlich  noch  nicht  fest  dotiert.  Ivo  ist  natürlich 
Ivo  Wittich,  den  er  in  einem  Gedichte  bittet,  er  möge 
ihm  statt  der  früheren  schweren  Weine  einen  leichteren 
schicken ;  wenn  ihm  auf  Rheingauer  Boden  neue  Weine 
•^■wachsen  sein  würden,  würde  er  den  geschenkten  wieder 
ersetzen.  Er  stand  also  auch  mit  Wittich  auf  vertraulichem 
Fuße. 

Als  seinen  großen  Gönner  und  Freund  rühmt  dann 
Rhagius  auch  den  Lizentiaten  der  Theologie  und  Kanonikus 
Beatae  Virginis  ad  Gradus  Georg  Behaim,  der,  geboren 
im  norischen  Lande,  wo  der  rußige  Werkmann  aus  ge- 
mischtem Metall  mächtig  tönende  Glocken  und  dem  Donner 
und  Blitz  gleich  zu  fürchtende  Bombarden  gießt,  ein  Mann, 
der  rein  denkt,  spricht  und  handelt,  bescheiden  und  mäßig 
lebt,  selten  lacht,  wenig  redet,  ein  strenger  Richter  der 
Vergehen,  ein  frommer  Priester  ist.  Georg  Behaim  war 
aus  Nürnberg,  entstammte  aber  nicht  der  bekannten  Pa- 
trizierfamilie162, sondern  ist  ein  Bruder  des  Reuchlinisten 
und  Freundes  von  Wilibald  Pirckheimer,  Dr.  Lorenz 
Behaim,  Scholastikus  bei  St.  Stephan  in  Regensburg  und 
Kanonikus  in  Bamberg,  gewesen.  Er  hat  vom  Sommer- 
semester 1482  ab  in  Leipzig  studiert  und  ist  dort  1485 
Bakkalar  und  1489  Magister  der  Künste  geworden.  In  Mainz 
war  er  Dozent  der  Theologie  und  wurde  1513  nach  dem 
Tode  des  Antonius  Kreß  zum  Propst  bei  St.  Lorenz  in 
Nürnberg  erwählt.  Irenicus  nennt  ihn  unter  den  theologi 
nobiliores  von  Deutschland163,  Pirckheimer  unter  den 
Theologen,    die    zu    Reuchlin    hielten.164 

Gleichfalls  ein  Theologe  und  einer  der  nächsten  Freunde 
des  Aesticampianus  war  der  Pfarrer  zu  St.  Emmeran 
Jakob  Merstetter  ans  Ehingen165,  ein  Heidelberger  Schüler 
\Y  i  inpl'elings,  scholasli scher  moderner  Philosoph  und  Theo- 

l6S  Roth,  Die  Einführung  der  Reformation  in  Nürnberg,  45,  59,  98; 
Will  s.  v.  Beheim,  Georg;  E.  Böcking,  a.  a.  0.,  I,  133;  Chk  Scheuria 
Briefbuch,  I,  \'2S;  Ch.  Scheurl,  Vita  des  Antonius  Kreß,  in  Pirckheimeri 
Opera  ed,  Goldast,  350f. 

16     Irenicus,  a.  a.  0.,  fol.  44  b. 
1    Pirckliriinrr,  in  der  Vorrede  zu  Lucians  Piscator;  Böcking.  a.  a.  0.. 
I,    1 

";-'  II.  I'.  Singer,  Der  Humanist  Jakob  Merstetter,  Mainz  1904;  G. 
KimmI,  im  Zentralblatt  für  Bibliothekswesen  V,  474,  475. 


Aus  Jler  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus 


DO 


o 


löge  und  Humanist  wie  dieser.  Er  hatte  1490  in  Heidelberg 
das  artistische  und  später  in  Mainz  das  theologische  Bakka 
laureat  erworben.  Als  Dichter  und  Liebhaber  der  klassischen 
Literatur  und  der  ,,pagina  sacra",  als  gewandter  Kanzel- 
redner, als  Liebling  des  Erzbischofs,  der  keuschen  Geist- 
lichkeit, als  beliebt  bei  den  Gelehrten,  bei  hoch  und  niedrig 
wird  er  uns  -gezeichnet.  Ihm  teilt  Aesticampianus  seine 
beabsichtigte  Übersiedlung  nach  Frankfurt  a.  0.  mit  und 
malt  seine  Zukunft  freundlich  aus.  Seinen  Gegnern  soll 
Merstetter  sagen,  er  strebe  nach  einer  höheren  Kathedra, 
sie  möchten  sich  einen  andern  Poeten  suchen,  der  soviel 
Arbeit  und  Mißgunst  ertrage.  Es  ist  dies  die  einzige  Stelle 
außer  der  Widmung166,  wo  Rhagius  für  ihn  unerquickliche 
Verhältnisse  in  Mainz  erwähnt.  Von  dichterischen  Lei- 
stungen M erstet ters  liegen  empfehlende  Gedichte  zu 
Wimpfelings  De  hymnorum  et  sequentium  auctoribus,  zu 
dem  christlichen  und  patriotischen  Soliloquium  pro  pace 
christianorum  und  ein  Distichon  zu  Wimpfelings  Schrift 
Pro  concordia  dialecticorum  vor.  Hervorragend  neben 
Wimpfeling  und  im  Verein  mit  Gresemund  beteiligt  war 
Merstetter  und  zugleich  als  Leiter  des  Druckes  1499  bei 
der  Heidelberger  Nominalistenpetition  und  den  eingetloch- 
tenen  Epigrammen167  auf  Marsilius  von  Inghen.  Ein 
Hexastichon  hat  er  auch  1503  dem  bei  Johann  Schöffer 
gedruckten  Mercurius  Trismegistus  de  potestate  ac  sapientia 
Dei  beigegeben. 

Zu  den  geistlichen  Freunden  des  Aesticampianus 
gehörte  auch  der  Kantor  zum  heiligen  Kreuz  und  Kanonikus 
zu  St.  Stephan,  der  im  Druck  verstümmelt  Konrad  Ibichm 
genannt  wird;  ihm  ist.  ein  langer  Dialog  gewidmet  zum 
Danke  für  gastliche  Bewirtung.  Ein  Verwandter  von  ihm 
namens  Peter  war  des  Rhagius  Schüler.  Als  letzter  aber 
in  der  zahlreichen  Schar  der  geistlichen  Gönner  ist  der 
Licentiatus  decrctorum,  Magister  arlium  und  Kanonikus  zu 
St.  Johann,  als   Inhaber  dieser  Präbende   Professor  an   der 


166  Einen  Tadler  seiner  Verse  nennt  er  in  den  Hendecasyllabi  ad 
lectorem  vor  den  Epigrammen : 

Si  nun  utibiles  erunt   legenti 
Tanquam  difficiles  ei   implicati 
Nullius   urnij<|ue   eraeiaeque, 
Ut  quidam  cynicus   putat   magister, 
Captori  venient   probos  in  usus. 

167  Diese  Epigrammenflul  war  die  Ursache  zu  dein  Epigrammenregen 
bei  Wimpfelings  A.dolescentia,  indem  Wimpfeling  seinen  Hörern  einen  [{rief 
Jobann  Geilers  vorlas,  in  dem  dieser  die  ehrbaren  Verse  auf  Marsilius  im 
Gegensatz  zu  lasziven  höchlichst   lobte. 


.,i,  Gustav  Bauch. 

I  niversiiät  und  also  des  Rhagius  Kollege  Johann  Monster 
(Monasteriensis),  später  (1511  konsekriert)  Suffragan  von 
Main/  und  episcopus  Vicecomponensis 168  zu  nennen.  Ihn 
liai  Rhagius  um  Wein  und  versprach  ihm  Verse  dafür. 
Monster  resignierte  zwar  seine  Lektoralpräbende  1510, 
blieb  aber  der  Universität  zugetan  und  legierte  ihr  (f  1544) 
hundert  Floren  in  Gold.  Vielleicht  noch  zu  den  Geistlichen 
gehörig  ist  Jakob  Linck169,  ein  Mann  mit  humanistischen 
Neigungen  und  gern  gesehener  Besucher  der  „Sporta",  der 
den  Dichter  bei  sich  mit  den  Früchten  seines  Gartens  und 
Wein  bewirtet  und  ihn,  obgleich  schon  grau,  durch  seine 
munteren   Gesänge   aufheitert. 

Wie  bei  L,inck,  ist  es  auch  bei  einigen  anderen 
Männern,  die  in  den  Epigrammen  verewigt  sind,  nicht  ganz 
leicht,  ihre  Lebensstellung  zu  bestimmen.  So  gleich  bei 
dem  ersten  weltlichen  Freunde  des  Aesticampianus,  dem 
Doktor  Bernhard  Kuhorn170,  der  ihm  als  Geschenk  einen 
fichtenen  Tisch  und  zwei  Stühle  gegeben,  und  dem  er  zum 
Danke  im  neuen  Jahre  viele  Erfolge  und  einen  Erben 
wünscht.  In  welchem  Verhältnis  zu  diesem  der  dahinter 
folgende  Jurist  Johann  Kuhorn  steht,  ist  nicht  klar.  Jo- 
hann Kuhorn171  wird  als  gerechter  und  milder  Richter  ge- 

TD  c- 

rühmt,  der  auch  die  Ausonischen  Musen  hege,  und  den 
seine  Beredsamkeit  als  Schüler  des  Philippus  Beroaldus 
erkennen  lasse.  Unter  seinem  Vorsitz  bei  der  Tafel  fänden 
Heiterkeit  und  Ernst  gleichmäßig  ihr  Recht.  Johannes 
Fürderer  (Forderer)  aus  Richtenfels  (Scheurl  sagt:  aus 
Stuttgart),  häufig  nach  seinem  Stiefvater  Jakob  Kuhorn 
aus  Feuerfeld  bei  Heilbronn  Kuhorn  genannt,  wurde  1495 
als  familiäre  des  vornehmen  Herrn  Johann  von  Kuno- 
witz  auf  Ungarisch-Brod  in  Mähren  in  Bologna  bei  der 
deutschen  Nation  der  Juristen  eingeschrieben.  Etwa  1500 
Doktor  beider  Rechte  und  noch  1501  Syndikus  der  Nation, 
wurde  er  1507  von  dein  Kurfürsten  Jakob  von  Mainz  als 
Kleriker   der   Speierer    Diözese    zum   Assessor    am    Reichs- 

l6B  Außer  Joannis,  a.  a.   0.,   II,  44,  II.   Knodt,  a.  a.  0.,  65. 

Ein  Jacobus  Linck  de  Munzingen,  der  dieser  nicht  sein  kann,  ist 
am  19.  Dezember  1  199  in  Heidelberg  intituliert  und  dort  am  1(5.  Januar 
L502   Baccalar  viae  modernae  geworden. 

''"  Ein  Bernhard  Kuhorn  aus  Stuttgart  ist  1480  in  Tübingen  im- 
i  atrikuliert.     \  ielleicht  ist  es  dieser. 

171  G.  Knod.  Deutsche  Studenten  in  Bologna,  129,  No.  911;  F.  W.  E. 
Roth,  a.  a.  <).,  11'.)!'.  Warum  Roth  die  Identifizierung  Knods  nicht  gut- 
heißt, verstehe  ich  nicht.  Dagegen  erscheint  es  mir  nicht  glaublich,  daß 
Scholastikus  Johann  Kuhorn  mit  unserm  identisch  ist,  weil  dem  die 
Titulaturen  bei  dem  Anniversar  Johann  Fürderers  widersprechen^  Vergl. 
Roth,  450,  Anm    5. 


Au*.""  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  57 

kammergericht  präsentiert  und  blieb  es  extraordinarie  bis 
zum  Jahre  1515,  wo  er  kurmainzischer  Kanzler  wurde.  1508 
hatte  er  schon  die  Lektoralpräbende  zu  St.  Viktor  bei  Mainz 
erhalten  und  las  an  der  Universität  ordinarie  die  Rechte. 
1521  le°;te  er  das  Kanzleramt  nieder,  war  aber  noch  1528 
Rat  des  Kurfürsten  Albrecht.  Als  Kanzler  und  Rat  viel- 
fach zu  wichtigen  Geschäften  und  Sendungen  gebraucht, 
verfaßte  er  die  1521  von  Kaiser  Karl  V.  bestätigte  „Hof- 
gerichtsordnung" und  wurde  dafür  von  Albrecht  zum  Bei- 
sitzer des  Hofgerichts  ernannt.  Zu  den  Zeiten  des  Rhagius 
mag  er  wohl  extraordinarie  Jus  an  der  Universität  gelesen 
haben,  1507  deutet  Christoph  Scheurl,  der  sich  mit  ihm 
und  dem  ebenfalls  mainzischen  Juristen  Dr.  Johann  Ried- 
esel in  Bologna   befreundet  hatte,  darauf  hin.172 

Ein  anderer  juristischer  Freund  war  der  Sachwalter 
Johannes  Schmuck,  der  dem  von  einer  Krankheit  ge- 
nesenen Rhagius  Wein  und  Kuchen  schickte.  Der  Wein 
habe,  sagt  der  Dichter,  ihm  den  Husten  erleichtert,  darum 
möge  der  Freund  wiederum  welchen  senden,  reichliche 
Prozesse  im  neuen  Jahre  würden  ihm  eine  gute  Ernte 
bringen. 

Welcher  Stellung  der  nun  folgende  Bernhard  Rohr- 
bach angehört,  ist  nicht  zu  bestimmen;  zu  dem  näheren 
Freundeskreise  muß  er  gezählt  werden,  das  geht  aus  dem 
an  ihn  gerichteten  Abschiedsgedichte  hervor;  er  ist  ver- 
mutlich der  Frankfurter  Patrizier  des  Namens   gewesen.173 

Unter  den  näheren  Freunden  des  Aesticampianus 
dürfen  wir  auch  den  Mann  nicht  vergessen,  der  wie  Grese- 
inund  den  Epigrammen  ein  empfehlendes  Gedicht  voraus- 
schickte, der  humanistisch  gebildete  Magister  Konrad 
Weidmann  aus  Basel.174  Er  war  jedenfalls,  wie  Grese- 
iniiiid  auch,  ein  Kollege  des  Rhagius  an  der  Universität 
und  später  Dozent  der  Jurisprudenz.  Wir  wollen  seiner  erst 
ausführlicher  in  der  nächsten  Periode,  die  unter  dem  Zeichen 
des  Kampfes  Johann  Reuchlins  mit  Johann  Pfeffer- 
korn stand,  gedenken,  wo  er  mehr  hervortritt. 

Den  Freunden  des  Aesticampianus  werden  wir  billig 
seine  Schüler,  soweit  wir  ihrer  noch  nicht  Erwähnung  getan 
haben,    anschließen.     Leider    fehlt    uns    als    rbergang    da/.u 

172  Neue  Mitteilungen  des  Thüringisch  Sächsischen  Vereins,  XIX. 
108,    109. 

17;;  Die  Familie  Rohrbach,  im  Archiv  für  Frankfurts  Geschichte  und 
Kunst,  3.  F,  II,   Hi.">.     Ein  Bernhard  Rohrbach  ans  Heilbronn,  Wiener  Ma 
gister,  war  seil   1486  in  Tübingen.     Später  (seit   L497J  dorl   publicus  medi- 
cinarum  professor,  auch  noch   L505  and  weiter. 

174  E.   Böcking,   a.   a.   0.,    III,   563.     Das   Gedichl    Grcsemunds.   ötil 


;,s  Gustav  Hauch. 

eine  Übersicht  über  seine  Vorlesungen,  wie  wir  sie  aus 
seiner  Leipziger  Zeit  besitzen m,  und  konstruieren  wollen 
wir  sie  nicht.  Nach  den  Epigrammen  dürfen  wir  zuerst  als 
solchen  den  Lausitzer  Edelmann  Kaspar  Widenbach  aus 
Guben  ansprechen.  Das  Gedicht  an  ihn  schildert,  vielfach 
scherzhaft,  den  Abschied  Kaspars  von  der  Heimat  bei  dem 
Abgange  zur  Universität. 

Deutlicher  treten  als  Mainzer  Hörer  die  beiden  Leip- 
ziger, Wolfgang  Bawer  und  Markus  Leympach,  her- 
vor176; beide  werden  wegen  ihres  eifrigen  Studiums  des 
Altertums  gepriesen,  Leympach  auch  als  Jurist.  Beide 
sollen  ihren  Angehörigen  und  ihrer  Vaterstadt  Ehre  machen. 
Bawer  hatte  schon  im  Wintersemester  1495  seine  Studien 
in  Leipzig  begonnen  und  ist  im  Sommersemester  1510  in 
Frankfurt  a.  0.  immatrikuliert.  Sonst  wissen  wir  von  ihm 
nichts.  Anders  steht  es  mit  Markus  von  Leimbach.  Er 
war  ein  Sohn  des  herzoglich  sächsischen  Rates  und  Land- 
rentmeisters Johann  von  Leimbach,  der  nach  Möglichkeit 
für  seine  Studien  sorgte,  und  seinem  Vater  ähnlich  an  Ge- 
sicht und  humanem  Wesen.  Schon  im  Sommersemester  141)4 
war  Markus  mit  seinem  Bruder  Johann  in  Leipzig  imma- 
trikuliert worden.  Etwa  1501  und  1502  waren  beide  Brüder 
unter  der  Aufsicht  des  tüchtigen  Magisters  Hermann 
Kaiser  aus  Stolberg,  der  vorher  die  jungen  Grafen  Al- 
brecht und  Gebhard  von  Mansfeld  in  Leipzig  erzogen177 
und  unterrichtet  hatte,  in  Köln.178  Während  Johann  zum 
Wintersemester  1502  nach  Erfurt  zog,  begab  sich  Markus 
mit  Kaiser,  der  dorthin  als  Propst  der  Allerheiligen-Kirche 
und  eventueller  Kanzler  der  neuen  Universität  berufen  war, 
nach  Wittenberg,  wandte  sich  aber  von  da  nach  Mainz,  wo 
er  Schüler  des  Rhagius  wurde  und  mit  den  Doktoren 
Johann  Kühorn  und  Johann  Riedesel  zu  Tische  ging.179 
Nach  Wittenberg  zurückgekehrt,  wurde  er  am  18.  Juli  1508 
von  Dr.  Christoph  Scheurl,  dessen  contubernalis  disci- 
pulus  er  war,  zum  Bakkalar  des  kanonischen  Rechts  pro- 
moviert.    Bei    der   Promotion    war    Markus    schon    Propst 


175  <;.  Bauch,  im  Archiv  für  Literaturgeschichte  XIII,  12 f.  Es  ist. 
kaum  glaublich,  daß  keine  Mainzer  Editionen  des  Rhagius  vorhanden 
sein    sollen. 

'"'  Hier  hallen  die  Leipziger  Magister  über  Konkurrenz  seitens  der 
geringgeschätzten  üniversitäl   Mainz  klagen  können. 

177  G.   Bauch,   Geschichte  des  Leipziger   B>ühhumanismus,  58,  59. 

'"'  Cod.  Gothanus,  395,  1,  2:  Martin  Polich  an  Hermann  Kaiser, 
o.  O.  6.  April  L502,  Quedlinburg  12.  Juni  1502  und  Dr.  .Mathias  Besolt 
an  denselben,  Torgan    Kl.   April   1502. 

179  Neue  Mitteilungen  etc.,  XIX.  109. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  59 

von  Würzen.  Die  Rede,  die  Scheurl  bei  dem  Akte  gehalten 
hatte,  ließ  er  auf  Wunsch  des  Vaters  drucken.1'0  Es  ist 
dieses  ,, deutschen  Cicero"  schwächste  Rede,  ein  trauriges, 
zusammengestoppeltes  Machwerk. 

Eines  der  schönsten  Gedichte  ist  seinem  Schüler  und 
Famulus  Heinrich  Brumann  aus  Mainz  gewidmet.  Böcking 
hat  es,  weit  es  die  Dienste  eines  Famulus  so  lebhaft  aus- 
malt, ganz  abgedruckt. lsl  Ihm  ist  Aesticampianus  ein 
väterlicher  Freund  gewesen.  Wir  werden  Brumann  auch 
noch  wieder  begegnen.  Durch  ein  eigenes  Gedicht182,  es 
wäre  sein  erstes  bekanntes,  kündigt  sich  Ulrich  von  Hütten 
schon  als  Mainzer  Schüler  des  Rhagius  an.  Wenn  wir 
uns  früher  durch  die  scheinbar  falschen  Angaben  über 
Dietrich  Gresemund  den  Älteren  in  seinen  Versen183 
in  den  Querelen  (1510) : 

Magna  Geresmundum   scruat   Moguntia  utrumque, 
Legibus  Aonias  iungit  uterque  deas. 

abhalten  ließen,  dies  zu  glauben,  weil  wir  unter  den  beiden 
Gresemund  Vater  und  Sohn  Dietrich  verstanden,  so 
halten  wir  das  jetzt  für  einen  Fehlschluß,  weil  der  Vater 
damals  wohl  schon  tot  war  und  der  jüngere  Dietrich  noch 
einen  Bruder  hatte,  der  in  Heidelberg  am  9.  November  1512 
als  Hermann us  Greszmundt  de  Maguntia  intituliert  ist 
und  recht  wohl  ein  Mitschüler  Huttens  gewesen  sein 
könnte.184  Überdies  kommt  für  die  Beurteilung  die  Stellung 
des  Huttenschen  Gedichtes  mitten  unter  den  mainzischen 
hinzu. 

Aus  einer  anderen  Quelle  kennen  wir  noch  einen 
Schüler  unseres  Humanisten  aus  Mainz,  den  bekannten 
Antiquarius  Johann  Huttich,  der  uns  später  die  Gelegen- 
heit geben  soll,  nach  einer  Abschweifung  bis  zur  gelben 
Oder  mit  Mainz  wieder  anzuknüpfen. 

Um  mit  den  Epigrammen  des  Aesticampianus  zu 
Ende  zu  kommen,  sei  noch  erwähnt,  daß  neben  einem 
Scherzgedichte  an  seinen  Barbier  Antonius  und  drei  sati- 
rischen (in  lurchonem,  in  sciolum,  in  Polyphemuin)  auch 
noch  Liebesgedichte  darin  enthalten  sind  ;  zwei  Mainzerinnen, 
Martha  und  Cattha,  hätten  hiernach  das  Herz  des  Dichters 


,M|  Oratio  doctpris  Scheurli  attingens  laudes  virtutis,  Leipzig  1508. 
4°;  Neue  Mitteilungen  etc.,   a.   a.   0. 

564. 

563. 

76;  Elegia  X,  v.  205. 

nicht,  wie  Böcking,  III,  565,  will, 
Huttens  Mitschüler  sein. 


181 

E.   Böcking,   a.   a.   0.,    III, 

182 

E.   Böcking,  a.  a.  0.,   III, 

183 

E.   Böcking,  a.  a.  <>.,   III, 

184 

Dietrich     konnte     natürlich 

60  Gustav  Bauch. 

entzündet.  Wir  lassen  diese  Verse,  die  manchmal  deutlicher 
als  schön  sind,  beiseite,  weil  sie  für  uns  unwesentlich  sind 
und  als  bloße  .Nachahmung  der  Alten  dem  Bilde  des  Mannes, 
wie  es  Mitlebende  entworfen  haben185,  gar  nicht  entsprechen. 

Es  bleiben  uns  nun  noch  zwei  Stücke  übrig,  die  nach 
dem  Oberrhein  weisen  und  Wi'mpfeling  und  Thomas 
Wolf  betreffen. 

Als  Wimpfeling  für  Jakob  Sturm  1505  sein  Buch 
„De  integritate"  geschrieben  und  damit  den  Augustinern 
nicht  allein,  sondern  einem  großen  Teile  der  Mönche  über- 
haupt zu  heftigen  Angriffen  Anlaß  gegeben  hatte186,  konnte 
er  bei  der  zweiten  Ausgabe  dieser  Schrift187  unter  denen, 
die  sie  billigten,  auch  Aesticampianus  anführen.  Ein 
Gedicht  unserer  Sammlung  auf  das  Buch  ist  auch  im  An- 
hange dieser  Ausgabe  neben  Briefen  und  Gedichten  von 
Pallas  Spangel,  Georgius  Zingel,  Johannes  Roma- 
nus, Heinrich  Bebel,  Beatus  Rhenanus,  Rudger 
Venrai  Sicamber  und  Johannes  Gallinarius  abge- 
druckt. Rhasius  hält  sich  darin  von  der  Kontroverse,  ob 
der  heilige  Augustinus  ein  Mönch  gewesen  sei,  fern,  und 
lobt  nur  das  mit  sokratischem  Ernste  geschriebene,  keusche 
Buch. 

Auch  Wimpfelings  allezeit  getreuer  Genosse  Thomas 
Wolf  Junior  erscheint  in  den  Epigrammen;  ihm  als  dem 
liebsten  unter  allen  rheinischen  Sodalen,  sandte  Aesticam- 
pianus ein  Abschiedsgedicht,  da  er  sich  fertig  machte,  nach 
Frankfurt  a.  0.  überzusiedeln,  wohin  der  Kurfürst  Joachim: 

Duros  grammaticos,  leues  sophistas, 
Audaces  medicos,  malos  poetas, 
Vanos   leguleios,   theologosque 
Rixosos  .... 

berufen  halte  Er  sollte  später,  als  er  wieder  an  den  Rhein 
kam,  Wolf  nicht  mehr  unter  den  Lebenden188  treffen  (f  1509). 
Dem  Bruder  des  Thomas,  Amandus,  der,  wie  wir  schon 
gehört,  1504  starb,  hatte  er  in  einem  Trostbriefe189  an 
Thomas  außer  Trauerepigrammen  die  seine  eigene  Denkart 
wiedergebenden  Worte  nachgerufen:  ,,Ad  te  siquidem  atque 
ad  illum,  Maguncia  soluens,  tanquam  in  portum  nie  tutissi- 

Hieronymi    Welleri   Opera   omnia,    I,    174. 
'■'    i'li.   Schmidt,   Histoire   litteraire  de   t'Alsace,   I,  42f. 
'"■  Joannes    Knoblouchus    Ciuis   Argentinensis   ex   Archetypo   denuo 
imprimebat.     Anno  quingentesimo  sexto  supra  millesimum.     XI.  kälendas 
Nouembris.      I". 

'"   G.   Bauch,   Die   Universität   Erfurt  etc.,   130—132. 
'  Abgedruckl  mil  seinen  Trauerepigrammen  bei:  Joannes  Garson  de 
miseria  humana   etc.     S.  oben  S.  41  bei  Ulsenius". 


Aus  der  Geschichte  de«  Mainzer  Humanismus.  6! 

mum  retulissem. . .  Non  enim  dubito,  quin  feruore  adoles- 
cencie  decocto  dulcioribus  illis  musis  paulisper  a  se  remotis 
grauioribus  se  studijs  penitus  dedisset.  Non  enim  ludo  et 
luxui  incumbebat,  et  pro  Cicerone  Paul  um,  pro  Vergilio 
Jesaiam,  pro  Liuio  Moysen  lectitauisset."  Aus  diesen  welt- 
flüchtigen Worten  ersieht  man  zugleich,  daß  Rhagius  1504 
seine  Wandergedanken  schon  ganz  aufgegeben  und  sich 
darauf  eingerichtet  hatte,  bis  zu  seinem  Alter  in  Mainz  zu 
bleiben;  aber  er  stand  jetzt,  ohne  es  zu  ahnen,  gerade  an 
der  Schwelle  des  unruhigsten  Teiles  seines  Lebens. 

Der  Kurfürst  Joachim  I.  von  Brandenburg  berührte 
auf  der  Reise  zum  Reichstage  in  Köln  1505  Mainz190;  in 
seinem  Gefolge  befand  sich  der  Bischof  von  Lebus  Dietrich 
von  Bülow,  dem  als  vertrautem  kurfürstlichen  Rat  und 
zukünftigem  Kanzler  und  Konservator  der  neuen  Hochschule 
in  Frankfurt  a.  0.,  die  am  26.  April  1506  ins  Leben  trat, 
deren  Organisation  oblag.  Rhagius  wurde  für  sie  als  ordent- 
licher Orator  et  Poeta  gewonnen.  In  einem  Briefe191  an 
Hermann  von  dem  Busche,  der  auch  den  Wunsch  hatte, 
in  Frankfurt  angestellt  zu  werden,  verlieh  er  seinen  hoff- 
nungsvollen Anschauungen  Ausdruck.  „Fürst  Joachim", 
sagt  er,  „ist  begabten  Menschen  günstig.  Bischof  Dietrich 
liebt  jene  humanen  Studien,  und  endlich  alle  Hochgestellten 
aus  der  Umgebung,  soviel  ich  aus  ihrer  Miene  und  Rede 
entnehmen  konnte,  pflegen  und  verehren  die  lateinische 
Sprache".  Busch  kam  nicht  nach  Frankfurt,  und  auch 
Rhagius  überzeugte  sich  bald,  daß  er  mit  Annahme  der 
Frankfurter  Stellung  einen  schlechten  Tausch  gemacht  hatte. 
Vorerst  aber  gab  Mainz,  da  es,  wie  wenn  bei  Schulen 
ein  Rektor  den  Ort  wechselte,  auch  bei  den  Poeten  üblich 
war,  daß  Schüler  von  ihnen  mit  auszogen,  einen  kleinen 
Ableger,  den  Poeten  Rhagius  und  einige  seiner  Mainzer 
Hörer,  an  Frankfurt  ab,  und  die  neue  Universität  wurde 
ihrerseits  wieder  ein  Pflanzgarten  für  die  Main/er.  Der 
Name  des  Rhagius,  obgleich  dieser  schon  offiziell  an  der 
feierlichen  Inthronisation  der  Universität  teilnahm,  fehlt  in 
der  Matrikel192,  dafür  sind  sogleich  im  ersten  Semester  die 
uns  aus  Mainz  schon  bekannten  oder  in  der  Folge  dort 
erscheinenden  Kaspar  von  Wiedebach,  Heinrich  Bru- 
mann,  Ulrich  von  Hütten,  Wolf  gang  Angst  aus  Kaisers- 
iso Für  das  Folgende  vergl.  G.  Bauch,  Die  Anfänge  der  I  niversitäl 
Frankfurt   a.   0.,   besonders   23,   97 f.,   lOOf. 

J;n   Hermann    von    dem   Busche,    Spicilegium   von    1507.      Der   Brief 
datiert  Mainz  28.  September  1505. 

«2  Die  Gründe  dafür  bei  G.  Bauch,  a.  a.  0.,  98. 


62  Gustav  Bauch. 


berg  und  Johann  Huttieh  aus  Strintz  in  das  Album  ein- 
getragen.  Bei  Angst  ist  es  nicht  beglaubigt,  aber  wegen 
seiner  humanistischen  Bildung  und  seiner  alten  Freund- 
schaft mit  Hütten  so  gut  wie  selbstverständlich,  daß  auch 
er  ein  Schüler  des  Rhagius  war. 

Mit  dem  bei  ihm  gewöhnlichen  Eifer  nahm  Rhagius 
bald  seine  Tätigkeit  als  Dozent  und  Editor  auf,  und  von 
seinen  Schülern  wurden  rasch  literarische  Leistungen  öffent- 
lich sichtbar.  Als  der  Kollege  des  Rhagius,  der  Inhaber 
der  zweiten  Lektur  für  Oratoria  et  Poetica,  Publius  Vigi- 
lantius  Bacillarius  Axungia,  der  bei  der  Einweihung  der 
Universität  die  Festrede  gehalten  hatte,  diese,  eingeschlossen 
in  eine  Beschreibung  der  Stadt  Frankfurt  und  der  Ein- 
weihungsfeierlichkeiten, 1507  erscheinen  ließ193,  trug  der 
Druck  empfehlende  Verse  von  Rhagius,  eine  Elegie  von 
Udalricus  Huttenus  Phagigena,  Aesticampiani  disci- 
ptilus,  zum  Lobe  der  Mark  und  der  neuen  Universität  und 
eine  Elegie  Henrici  Brummanni  Magonciaci,  sectatoris 
Aesticampiani,  auf  das  Buch  des  Vigilantius.  Hütten 
gab  dann  noch  1507  eine  Elegiaca  exhortatio  ad  studiosos 
adolescentes  zu  der  von  Rhagius  herausgegebenen  Gram- 
matik des  Marcianus  Foelix  Capella  und  ebenfalls  1507 
eine  andere  Elegiaca  exhortatio  de  virtute  zu  der  Ausgabe 
der  Kebestafel  seines  Lehrers.194  Der  junge  Ritter  wid- 
mete sich  aber  nicht  nur  poetischen  Arbeiten,  sondern  schloß 
hier  auch  seine  scholastischen  philosophischen  Studien  da- 
mit ab,  daß  er  im  September  1506  das  Bakkalaureat195  er- 
warb. Als  am  Ende  des  Wintersemesters  1507/8  Aesticam- 
pianns  nach  Leipzig  überging,  folgte  ihm  Hütten  auch 
dahin,  trat  aber  von  dort  aus  bald  seine  Reisen  auf  eigene 
Hand  an.  Brumann  ließ  sich  in  Frankfurt  bei  der  juri- 
stischen Fakultät  als  Scholar  einschreiben196  und  wurde 
durch  diese  Studienrichtung  wohl  seinen  bisherigen  poe- 
tischen  Bestrebungen  ziemlich  entrückt.  Erst  in  Mainz  er- 
fahren  wir  wieder   von   seinem   Weiterleben. 

Nach  dem  ersten  philosophischen  Lorbeer  strebten  auch 
Ant>sl   und   Hut  lieh  und  erhielten  ihn197  im  Februar  1507. 


'■'     .\u>  dem  einzigen  bekannten  Exemplar  der  Breslauer  Universitäts- 
othek    wieder    abgedruckt    in    Akten    und    Urkunden    der    Universität 
l  rankfurt  a.  0.,  VI,   Li.     Die  Gedichte  von  Rhagius,  Hütten  und  Brumann 
ebenda,    1,   30,  31.     E.    Böcking,  a.  a.  O.,   III,°5,  7. 

G.  Bauch,   Die  Anfänge  der  Universität  Krankfurt  a.  0.,  104,  103. 

195  Akten   and    l  ik len,   I,  20. 

196  Akten   und    I  rkunden,   VI,  53. 

197  Akten    und    I  rkunden,    I,    23. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  63 

Wolfs;a  11  <_i  Ann  st  hat  darauf  vom  14.  Januar  1512  ab  seine 
Studien  in  Freiburg  i.  B.  wieder  aufgenommen.  .Nachdem 
er  als  gelehrter  Korrektor  bei  Heinrich  Gran  in  Hagenau 
gewirkt  hatte,  siedelte  er  zu  dem  gleichen  Berufe  nach  Mainz 
über,  wir  werden  ihn  dort  wiederbegrüßen.  Huttich198 
hielt  sich  in  Frankfurt  wie  Angst  von  literarischen  Publi- 
kationen fefti,  noch  war  seine  Zeit  nicht  gekommen,  aber 
sein  Name  wird  doch  schon  von  dieser  Zeit  ab  gedruckt  ge- 
nannt.  Aesticampianus  hat  wie  auf  Hütten  lebhaft  an- 
regend auf  diese   tüchtige  Natur  eingewirkt. 

Die  Grammatik  des  Marcianus  Capella  hatte  Aesticam- 
pianus seinen  verwaisten  kleinen  Neffen  Georg  und  Jo- 
hannes gewidmet;  die  Sorge  für  ihren  Unterricht  hatte 
er  seinem  Amanuensis  Huttich  übertragen.  Als  rheto- 
rischen  Anhang  zu  der  Grammatik  ließ  er  alsbald  Aelius 
Donatus  de  figuris  folgen.199  Dieses  Werk  hat.  er  Huttich 
zugeeignet  und  in  der  warmempfundenen  Widmung  sagt  er: 
„Arbeite  du  mehr  und  mehr  daran,  daß  auch  dieser  Teil  der 
Grammatik,  der  ihr  wie  ein  Wäldchen  angehängt  ist,  von 
meinen  Neffen  und  dir,  gewissermaßen  ihrem  Unterlehrer, 
offenbarlich  verstanden  wird,  zumal  da  jenen  wie  dir  diese 
Sache  von  großem  Nutzen  sein  wird.  Von  wem  könntet  ihr 
auch  diese  Dinse  besser  als  von  Donatus,  der  mündlich  das 
Licht  unserer  Religion,  Hieronymus,  darin  unterrichtet  hat, 
nach  meinem  Vortrage  lernen,  damit  nichts  ausgelassen  wird 
weil  ich  nun  einmal  das  Amt  eines  Grammatikers  über- 
nommen habe  ,  was  zum  wahren  und  wohlanständigen 
Unterricht  zu  gehören  scheint,  obwohl  dir  das  nicht  mehr 
ganz  unbekannt  ist,  da  du  ja  schon  deinen  Sinn  auf  die 
höheren  humanen  Studien,  wie  auf  das  Verständnis  der 
Kräfte  der  Eloquenz,  auf  die  Sammlung  der  Vorschriften  für 
ein  gutes  Leben  und  auf  die  Durchdringung  des  ganzen  Alter- 
tums gerichtet  hast,  indem  du  niil  Lesen  und  Hören  und 
Kommentieren  deine  ganze  Zeit  hinbringst  und  den  Müßig- 
gang wie  eine  Pest  des  Geistes  und  eine  Seuche  des  Körpers 


198  Zu  Huttich  vergl.  <1.  Bauch,  Archiv  für  Literaturgeschichte,  XII. 
360f.;  F.  \V.  K.  Roth,  Euphorion,  IV.  7721'.  Roths  Biographie  ist  im 
wesentlichen  eine  Bearbeitung  meiner  Darstellung,  aber  er  vermeidet  e> 
sorgfältig,  auch  nur  einmal  meinen  Namen  zu  nennen.  Unrichtig  ist  bei 
Roth,  daß  Huttich  schon  in  den  Epigrammen  des  Rhagius  vorkommt. 
Rat)  der  von  Roth,  S.  772,  775,  angeführte  Domvikar  und  Altarisl  Johann 
Huttich  und  der  unsere  eine  Person  sein  sollen,  ist  ausgeschlossen,  da 
der  1487  oder  1488  geborene  Huttich  1506  nofch  nichl  das  kanonische 
Alter  hatte,  um  die  dazu  nötige  Priesterweihe  zu  erhallen.  Eher  ist  es 
der  schon   1488   genannte   Mainzer   Huttich. 

199  G.  Bauch,  Die  Anfänge  etc.,   L04. 


lii  Gustav  Bauch. 

fliehst  und  verabscheust.  Und  aus  diesem  Grunde  hast  du 
auch  die  Marken  des  süßen  Vaterlandes  und  die  lieblichen 
Gefilde  der  Stadt  Mainz,  die  Weingärten,  die  Fluren  und 
die  Verwandten  verlassen  und  endlich  den  Rhein,  den  Vater 
der  Nymphen,  wie  die  Dichter  meinen,  um  in  Lübben  die 
Bäche  meiner  Lausitz  (Spreewald)  zu  sehen  und  deine 
Heimat  ein  wTenig  zu  verleugnen,  um  endlich  dein  Haus 
reicher  an  Wissen,  berühmter  durch  Beredsamkeit  und  auch 
reiner  im  Leben  wieder  aufzusuchen  und  dieses  mein  Urteil 
in  Bezug  auf  deinen  Geist,  dein  Studium  und  deine  Liebe 
zu  mir  als  ein  ewiges  Denkmal  mitheimzubringen,  damit 
du  nicht  vergeblich  die  Gefahren  der  Reise  oder  die  Mühen 
der  täglichen  Arbeit,  denn  du  bist  mir  zur  Hand  (a  manu 
enim  mihi  es),  oder  auch  noch  Schaden  an  Geld  und  Zeit 
auf  dich  genommen  zu  haben  scheinest."  In  einem  anse- 
hängten  Schlußgedichte  Ad  nepotes  et  Johannem  Hutti- 
chium  Maguntinum  lobte  er  nochmals  seinen  Amanuensen 
und  wies  auch  noch  darauf  hin,  daß  dieser  bereits  bei  ihm 
Griechisch   gelernt  hatte: 

Tuque,   Maguntine   spes   urbis   et  ardua  Rheni 

Gloria,  Lusatii  tutor  honeste  gregis, 
Dulcis  Johannes,   teneros  mea  cura,   nepotes 

Respice  et  hec  rudibus  trade  elementa  gulis, 
Ut  possint  ronchos  Itali  sannasque  Pelasgi 

Effugere  et  duplici  fingere  verba  sono. 
Quöd  paucis  nostro  hominibus  iam  contigit  euo, 

Nunc  dabit  hoc  pueris  cura  laborque  tuis. 

Ein  Distichon  an  den  Leser  versprach  einen  Kommentar 
zu  Marcianus  Capeila;  auch  dieser  erschien  noch  1508  mit 
einem  gleichen  zu  Aelius  Donatus200,  wieder  den  Neffen  zu- 
geschrieben. Die  in  so  wenig  Worten  gegebene  liebevolle 
Schilderung  des  Rhagius  von  Mainz  in  der  besprochenen 
Epistel  an  Huttich  erhält  einen  wehmütigen  Zug,  wenn  man 
damit  die  Verse  vergleicht,  die  Pierius  Joannis  Aesticam- 
piani  grex  hei  dem  Kommentar  an  die  Neffen  richtet;  diese 
\  eise  sprechen  nicht  nur  von  durch  die  angeschwollene 
Oder  weggeschwemmlen  „faciles  et  innocentes  despecü 
iniseris  modis  poetae",  sondern  sagen  auch  noch: 

Vos  ad  Lusatios  redite  fines : 
Xec  firmi  comites,  nee  expediti, 
El   cum   grammatica  valete  vestra, 
Nos    seetabimur   Aesticampianum, 

200  <i.   Bauch,  a.  a.  Ü.,  105. 


Aus  !der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  65 

Quo  vcl  fahl  vocent,  deus  vel  autor 
Vel  sors  hac  melier  schola   vel  urbe. 

Huttich  wanderte  mit  den  Neffen  nach  Lübben,  aber 
schon  im  Wintersernester  fand  auch  er  sich  in  Leipzig  ein. 
Bis  zum  Wintersemester  1513/14  schweigen  jedoch  dann  die 
Nachrichten  über  ihn.  Zu  diesem  Termine  trat  er  dort 
herausfordernd  als  Poet  auf.201  Der  artistische  Dekan  des 
Semesters  Magister  Johannes  Tuberinus  Erythrapoli- 
tanus,  Johannes  Beuschel  oder  Beussel  aus  Roten- 
burg a.  T.,  ein  zu  den  Scholastikern  haltender  wässeriger 
humanistischer  Poet,  der  zum  Gespött  der  Humanisten 
schärferer  Tonart202  in  demselben  Semester  durchsetzte,  daß 
ihm  die  Fakultät  zum  Druck  seiner  dickbändigen  wertlosen 
„Musithias"  dreißig  Floren  bewilligte  und  ihm  gestattete, 
in  einem  Jahre  anstelle  des  Terenz  darüber  zu  lesen,  war 
als  zünftiger  und  patentierter  Poet  natürlich  mit  Recht  da- 
rüber entrüstet,  daß  schon  vor  Anfang  der  Exerzitien  und 
Lektionen  zwei  Bakkalare  zu  lesen  begannen.  Er  schritt 
ein,  weil  Überfluß  an  lesenden  Doktoren  und  Magistern 
wäre  und  sie  bloß  Scholastici  seien,  die  nicht  die  Erlaubnis 
zu  lesen  hätten.  Der  eine  gehorchte  sofort  und  hörte  auf 
zu  lesen;  der  andere  wollte  zuerst  durchaus  nicht  von  seiner 
Anmaßuno;  lassen,  stand  dann  aber  doch  von  seinem  Be- 
ginnen  ab,  als  ihm  von  seinen  Oberen  und  dem  Dekan  eine 
Frist  von  fünf  Tagen  gesetzt  worden  war.  Auch  einen 
dritten  Scholaren  oder,  wie  viele  sagten,  einen  Frankfurter 
Bakkalar,  obgleich  er  selbst  es  leugnete,  unsern  Huttich,  ver- 
hinderte er  am  Lesen.  Da  er  aber  nicht  hören  wollte,  rief 
der  Dekan  auf  Geheiß  der  Senioren  die  Hülfe  des  Rektors 
zur  Bestrafung  des  Ungehorsamen  an.  Der  Rektor  er- 
kundete die  Meinung  des  Universitätskonzils  über  die  Sache, 
und  dieses  beschloß,  daß  jener  Jüngling  zu  verhindern  sei. 
II  ull  ich  aber  appellierte  an  die  ganze  Universität,  deren 
Nationen  ihm  befahlen,  vom  Lesen  abzustehen.  Dieser  je 
doch,  der  seinem  dreisten  Verfall  reu  nicht  den  Rücken 
kehren  wollte,  reichte  dem  Herzog  Georg  eine  Bittschrift 
ein,  in  der  er  die  Magister  leichtfertig,  ,,ut  mos  esl  gyroua- 
gorum",  mit  schwerer  Beschuldigung  verklagte.  Der  Fürs! 
schrieb   darauf  an   die  Universität   und   verlangte,   daß  ihm 


201  Liber  papyreus  dos  Archivs  der  Leipziger  philosophischen  l'akul 
lüi.  Eol.  59,  and  Liber  conclusorum  et  actorum  uniuersitatis,  Eol.  L58. 
Codex   diplomaticus   Saxoniae    Regiae    II,    WM.    180. 

202  Codex  dipl.  Saxoniae  Rciäao,  a.  a.  <>..  479.  Epistolae  obscurorum 
virorum,  E.  Böcking,  a.  a.  <).,  Supplementum  I,  27.  Es  Sprint;!  ins  Auge, 
wie  vorzüglich   der   Verfasser  (Crotus)   über  die   Sache   unterrichtet   war. 

Beitrüge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen,  ß 


66  Gustav  Bauch. 

die  Erlaubnis  zu  lesen  nicht  verweigert  werden  sollte.  Die 
Universität  verschanzte  sich  hinter  ihre  Statuten  und  löb- 
lichen Gewohnheiten  und  belehrte  ihn  über  die  Menge  der 
Magister  in  Leipzig,  die  „cultiorem  literaturam"  vortragen 
könnten.  Damit  beruhigte  sich  der  Herzog,  und  „dictus 
temerarius  poetaster"  wurde  bei  einer  Strafe  von  zehn 
Floren,  die  ihm  der  Rektor  nach  Beschluß  der  ganzen  Uni- 
versität androhte,  gezwungen,  von  seinen  Lektionen  abzu- 
lassen. 

So  teilte  Huttich  das  Schicksal  seines  Lehrers  Aesti- 
campianus,  dem  die  Universität  1511  aus  Schikane  ein 
Lektorium  verweigert203  und  den  sie  dann  nach  einer  scharfen 
Abschiedsrede204,  um  ihn'  ganz  loszuwerden,  trotz  der  Inter- 
zession des  Herzogs  Georg  schleunigst  auf  zehn  Jahre 
relegiert  hatte.  Huttich  trat  jetzt  seinen  Rückweg  nach 
dein  goldenen  Mainz  an. 

Nach  Joannis205  erscheint  er  dort  in  Urkunden  als 
Magister,  Examinator  und  Geistlicher.  Er  hat  also  wohl 
in  Mainz  seinen  Grad  erlangt,  also  auch  dort  wieder  zu  der 
Universität  gehört.  Die  Anregungen  des  Aesticampianus 
und  was  er  von  Gresemund  vernahm,  wirkten  bei  ihm 
weiter;  er  beschäftigte  sich  in  seinen  Mußestunden  mit  der 
Sammlung  von  römischen  Inschriften  und  alten  Münzen.  Im 
Jahre  1516  gab  er  ein  empfehlendes  Hexastichon  zu  einem 
( »ppenheimer  Drucke206,  zu  dem  Enchiridion  ferme  de  omni 
ludorum  genere  des  Tübinger  Professors  der  Jurisprudenz 
Johannes  Aquila.  Das  Buch,  das  auch  Peter  Günther 
poeliseh  empfahl,  behandelt  erlaubte  und  unerlaubte  Spiele, 
Spiel  im  weitesten  Sinne  genommen,  und  stellt  die  uner- 
laubten abschreckend  mit  Verboten  und  Strafen  dar.  Es 
ist  also  gewissermaßen  eine  Ergänzung  zu  Gresemunds 
\  iolata  crux. 

Seine  vielseitige  Bildung  bewirkte,  daß  er  als  Lehrer 
des  jugendlichen  Ludwig  II.  von  Pfalz-Zweibrücken 
an  dessen  Hof  berufen  wurde.  Als  solcher  schrieb  er  1518 
an  lleuclil  i  ii  '"■  und  tröstete  den  schon  sieben  Jahre  auf 
Gerechtigkeit   Harrenden   mit    der  Gunst   des   Bischofs   von 

:  G.   Bauch,  Archh    für  Literaturgeschichte,   XIII,   19f. 
:   Übersetzt   von    0.    Clemen,    Neue    Jahrbücher    für    Pädagogik,    II 
l\      2361    —  »ob  Joannis,  a.  a.  0.,  III,  322. 

''  Opusculum  Enchiridion  appellatum  Joannis  Aqnile  Ferme  de  omni 
ludorum  genere  Impressum  Oppenheim  (Jakob  Kübel).  Anno  domini. 
I.  5.    L6.      I" 

"'    Ulustrium  rirorum  epistolae  .  .  .  ad  Joannem  Eteuchlin  Phorcen- 
sem.     Ii  ex  officina  Thomae  Anshelmi.   Anno  Inc.  Verbi  M.  D.  XIX., 

Diij  b. 


An- Mit  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  tiT 

Straßburg,  Grafen  Wilhelm  von  rlohenstein,  mit  »Irr  Be- 
wunderung  seines   Schülers   Ludwig    und    den   Hülfsaner- 

bietungen  der  Vornehmen  von  dessen  Umgehung.  Daß 
Huttich  sich  unter  den  Gelehrten  damals  schon  eines  an- 
gesehenen Namens  erfreute,  beweist  neben  der  gleich- 
zeitigen Erwähnung208  durch  Irenicus,  daß  er  in  dem  den 
Epistolae  illuetrium  virorum  vorgedruckten  Verzeichnis  der 
Defensores  Capnionis  mit  aufgeführt  wird.  Als  Reuch- 
linist  hat  er  auch  bei  Schlauraff  und  in  dem  Briefe  des 
Ohscurus  vir  M.  Sylvester  Gricius  Aufnahme  gefunden.209 

Im  Jahre  1520  erschien  die  Frucht  der  Mainzer  For- 
schungen, das  erste  Werk  Huttichs:  Collectanea  anti- 
quitatum  in  urbe,  atque  agro  Maguntino  repertarum.210  Das 
Buch  war  schon  früher  vollendet,  wie  der  an  Dietrich 
Zobel  gerichtete  und  vom  22.  Juli  1517  „ex  arce  Curcellina 
regni  deserti"  datierte  Widmungsbrief  bezeugt.  Scherzend 
sagt  er  darin,  daß  er  trotz  des  Spottes  des  Erasmus  (in 
seinem  Encomium  moriae)  unter  die  Altertumsnarren  für 
Mainz  gehen  wolle,  um  dadurch  Zobel,  der  schon  ein  Lieb- 
haber alter  Münzen  sei,  anzuregen,  aufgefundene  Altertümer 
zu  sammeln  und  dadurch  vom  Untergange  zu  retten.  Er 
habe  nur  ausgeführt,  was  Gresemund,  der  Vater  der  Alter 
tümer,  begonnen,  im  Verein  mit  dem  Doktor  der  Dekrete 
Balthasar  Geyer  (von  1524  ab  Scholastikus  bei  St.  Peter211 
und  außerdem  Kanonikus  bei  St.  Viktor,  bei  dem  hl.  Kreuz 
und  in  Frankfurt  bei  St.  Bartholomäus)  habe  er  in  Stadt 
und  Land  geforscht  und  nach  dem  Vorbilde  Peutingers  alle 
Inschriften  mit  eigenen  Augen  geprüft.  Das  nicht  fehler- 
lose21- Weik,  das  42  Inschriften  und  eine  Abbildung  des 
Eigelsteins  enthält,  ist  von  Schöffer  1525  aufs  neue  ge- 
il nickt  worden.213  Joannis  hat  die  ganze  Schrift  nach  dieser 
zweiten   Ausgabe   in   seine  Sammlung  aufgenommen.214 

Mit  dieser  Veröffentlichung,  oder  vielmehr  schon  mit 
dem  Briefe  an  Reue  hl  in,  entschwindet  Huttich  auf  einige 
/eh  unseren  Augen;  durch  eine  gelegentliche  Notiz215  in 
einem  Briefe  an  Pirckheimer  erfahren  wir  nur,  daß  er 
1521   ans  Spanien  zurückgekehrt   ist.     Was  ihn  dorthin  ge- 

206  Germaniae  exegesis,  fol.  45b.  -  -  20n  S.  hier  weiter  unten. 

210  Ex  aedibus  Joannis  Schoeffer  Mngimlini.  Anno  Clirisli  \l.  I».  XX. 
mense  Martio.     Fol.   —  2U  Joannis,  a.   a.   0.,    I,  505,    II,   .'524. 

212  Leibniz  in  Olinni   Hanoveranum  von   Keller,   Ups.    171S,  207. 

218  Ex  aedibus  Joannis  Schoeffer  Mo»unlini.  Anno  Christi  M.  D.  XXV. 
Mense  Septemb.    Fol. 

214  Joannis,  a.  a.  0.,  II,  327  f.  Die  Meinung  von  Joannis,  daß  beide 
Ausgaben  identisch  seien,  beruht  auf  einem    Irrtum. 

2ir>  Heumann,  Documenta  literaria,  225. 

5* 


68  Gustav  Hauch. 

führt,  wissen  wir  nicht.  Als  er  den  Brief  schrieb  (18.  Ok- 
tober 10-24),  hielt  er  sich  in  Straßburg  auf  und  wurde  dort 
von  Beal  us  I»  henanus,  mit  dem  er  befreundet  war  und  der 
bei  ihm  den  Sommer  zugebracht  hatte,  gebeten,  dem  Buch- 
drucker (irüninger  als  gelehrter  Korrektor  für  die  Ptole- 
maeus  Ausgabe  Pirckheimers  behilflich  zu  sein.  Er  über- 
nahm zur  Freude  Pirckheimers,  der  ihm  schon  von  früher 
nahestand  (er  hatte  ihm  vor  mehreren  Jahren  schon  seinen 
„Piscator"  übersendet),  die  mühsame  Arbeit.  Aus  der  Ant- 
wort Pirckheimers  ersehen  wir,  wie  hoch  er  Huttich 
als  Gelehrten  schätzte.  Die  Tätigkeit  war  für  Huttich  nicht 
sehr  erfreulich,  zweimal  beklagt  er  sich  brieflich  bitter  über 
den    Drucker216,   und   Pirckheimer  dachte  ebenso  wie  er. 

In  Straßburg  wurde  Huttich  am  28.  Februar  1525  als 
Bürger  aufgenommen  und  1527  wurde  er  auf  Grund  von 
primae  preces  Kaisers  Karl  V.  Kanonikus  zu  St.  Thomas, 
1538  ungefähr  erhielt  er  die  Pfründe  des  Rex  chori  an  der 
Kathedrale,  deren  reiches  Einkommen  ihm  gestattete,  seiner 
Vorliebe  für  die  Altertümer,  für  historische  Studien  und 
für  das  Sammeln  von  Handschriften  und  Büchern  zu  leben. 

Im  Jahre  1526  veröffentlichte  er  das  zweite,  in  Straß- 
burg  großgezogene  Kind  seiner  Mainzer  Forschungen:  Im- 
peratorum  Romanorum  lihellus.  Una  cum  imaginibus,  ad 
uiuain  effigiem  expressis.217  Dieses  Buch  ist  dem  Rate  des 
Herzogs  Georg  von  Sachsen  Otto  von  Pack218  zuge- 
eignet, zwei  Jahre  ehe  dieser  das  berüchtigte  Breslauer 
Bündnis  erfand.  Die  Vorrede  des  in  den  schweren  Zeiten 
des  Bauernkrieges  verfaßten  Buches  läßt  uns  einen  tiefen 
Blick  in  Huttichs  Seele  tun.  Die  Klagen,  denen  er  Worte 
leiht,  tönen  in  den  Werken  vieler  seiner  humanistischen 
Genossen  las!  wörtlich  wieder.-111  Die  Verderbnis  der  Sitten 
und  Zeilen,  sag!  er,  sei  eine  so  große,  daß  man  am  klügsten 
handle,  wenn  man  den  Fmgang  und  Verkehr  mit  Menschen 
ganz  meide.  Als  Jünglingen  habe  ihnen  die  Hoffnung  auf 
das  Wiederaufleben   besserer  Wissenschaften  erglänzt,  jetzt. 


[leumann,  a.  a.  <>.,  226,  22*;  II.   Pirckheimer,  Opera,  cd.  Gold- 
a  I     313;    Hase.    Die   Koberger,   2.   Aull.,  (.)7   und    passim. 

-1,  Wolgangus  Cephalaeus  Argentinae  suo  aere  et  impensis  excussit, 
Anno  salutis  M.  D.   XXVI. 

218  Zu  Olln  vnn  Pack  vcriil.  weiter  unten.  Für  die  ursprünglich 
günstige  Stellung  Huttichs  zur  Reformation  vergi.  Centuria  epistolarum 
Iheologicarum  ad  Joh.  Schwebelium,  Zweibrücken  1597,  42,  wo  unrichtig 
Jüh.    Hettichius  siehe 

219  Vergl.  die  Vorrede  des  Nicolaus  Gerbelius  bei  Jacobi  ßracelli 
Genuensis,  bistorici  eruditissimi  Libri  quinque,  Hagenau  Secerius  1530; 
Euricii   Cordi  Simesusii   Botanologicon,   Köln   L534,  42. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  69 

sei  sie  entschwunden  und  zusammengefallen,  daß  sie  nie- 
mals geringer  gewesen  sei.  Einst  treue  und  offene  Herzen 
seien  nun  ganz  stumm  oder  sich  unähnlich  geworden.  Plötz- 
lich wie  Götter  (im  Drama)  seien  einige  Verteidiger  eines 
reineren  Christentums  erstanden,  aber  wie  diese  von  dem 
ganzen  Weltkreise  mit  Beifall  aufgenommen  worden  seien 
(denn  eine  hochwichtige  Sache  sei  die  Erkenntnis  der  Wahr- 
heit), so  beklage  man  nun,  daß  einige  von  jenen  oder  sicher 
Anhänger  von  ihnen  die  Schauspieler  der  traurigen  Tragödie 
dieser  Zeit  spielten  und,  von  der  evangelischen  Milde  zu  auf- 
rührerischem Geiste  abgefallen,  alles  mit  Morel  und  Raub 
erfüllten.  Daher  sei  es  gekommen,  daß  die  für  Ankämpfer 
gegen  das  Evangelium  gehalten  würden,  die  vorher  als  seine 
Vorkämpfer  angesehen  worden  seien.  Das  sei  durch  unge- 
lehrtes Schreien  ins  Volk  (Schilderung  der  Prädikanten,  meist 
ausgelaufener  Mönche)  veranlaßt  worden,  daß  die  Menge 
sich  zu  Plünderung  und  Raub  gewendet  habe.  Aber  auch 
die  Fürsten  hätten  ihre  Schuldigkeit  nicht  getan,  für  diese 
habe  er  nun  die  Kaiserleben  zusammengestellt,  Cephalaeus 
habe   die  Bilder  nach  Münzen  dazugegeben. 

Huttich  erinnert  Pack  am  Schlüsse  daran,  daß  sein 
Bruder  Philipp  von  Pack220  ihm"  einst  bei  der  Aufspürung 
von  alten  Denkmälern  und  Münzen  eifrig  beigestanden  und 
wie  bewundernd  Otto  die  Funde  aufgenommen  habe;  darum 
und  weil  der  durchreisende  Heinrich  von  Eppendorf  (aus 
Freiburg,  ein  Antipode  des  Erasmus)  ihn  dazu  ermuntert 
habe,   widme  er  ihm  das   Werk. 

In  dem  Buche  findet  man  die  Bildnisse  und  Lebensr 
beschreibungen  der  Kaiser  bis  auf  Karl  V.  Wo  Hu  II  ich, 
wie  bei  den  Juliern,  Frauenbilder  kannte,  sind  auch  diese 
aufgenommen,  wo  ihm  Abbildungen  fehlen,  z.  B.  von  Hein- 
rich V.  bis  auf  Albrecht  IL,  deuten  dies  leere  Ringe  an. 
Die  Biographien  sind  kurz,  die  Bilder  zum  großen  Teile 
recht  gut.  Nachdem  das  Werk  zweimal  nachgedruckl  worden 
war,  ließ  es  llultjch  1584  noch  einmal,  vermehrt  um  einen 
Elenchus  der  Konsuln  und  Abbildungen  von  Münzen  aus 
der  Zeil   der   Republik,  ausgehen.221 

Die  Bibliothek  Huttichs  schloß  manche  Schätze  in 
sich,  so  sah  Iteatus  lihenanus  bei  ihm  einen  alten  Psalt  t 
in    deutscher   Sprache222,    und    Crato   .Mylius   erhiell    von 

220  Zu   Philipp  von   Pack  vergl.  weiter  unten. 

-'-'   Argentorali    Vuolphgangus    Caephalaeus    excnssil    Anno.    M.    D. 
XXXIII.     In  derselben  Offizin  erschien   15511   (1552)  eine  neue  von  Joa 
Sambucus  redigierte  Auflage.     Eine  deutsche  Ausgabe  merkl  Roth,  a.  a.  0., 
782,   an. 

222  Beati  Rhenani  Selestadiensis  rerum  Germanicarum  libri  Ires.     Ba 
sileae  1531,  lüb. 


70  Gustav  Bauch. 

ihm  eine  aus  Johanns  von  Dalberg  Büchern  stammende 
Handschrift  des  Chronicon  Urspergense  für  seine  zweite 
Ausgabe  dieses  Geschichtswerkes.223  Auch  die  Zusammen- 
stellung von  Entdeckungsreisen  und  ähnlichen  Sachen,  die 
anter  dem  Titel:  Nouus  orbis  regionum  ac  insularum 
veteribus  incognitarum  una  cum  tabula  cosmographica,  et 
aliquot  alijs  consimilis  argumenti  libellis  etc.  1536  (37  ? 
Titel)  bei  Herwägen  in  Basel  erschien,  ist,  wie  Simon 
Grynaeus  in  der  Vorrede  berichtet,  von  Huttich  ge- 
sammelt und  Herwagen  zu  gemeinsamem  Abdruck  über- 
geben worden.  Nicht  mit  Unrecht  nimmt  Roth  an224,  daß 
Huttichs  Beschäftigung  mit  Ptolemaeus  ihn  zum  Sammeln 
solcher  Schriften   geneigt  gemacht  habe. 

Von  dem  regen,  angeregten  und  anregenden  Briefwechsel 
Huttichs  mit  Beatus  Rhenanus  sind  Schreiben  von  1527 
bis  in  sein  Sterbejahr,  1544,  erhalten.225  Da  gibt  er  Nachricht 
über  das  Resultat  seiner  Durchforschung  der  Bibliothek  D al- 
ber gs,  über  Urkunden,  über  mittelalterliche  deutsche  Rechts- 
quellen -  -  auf  seine  Anregung  wurde  der  Sachsenspiegel  ge- 
druckt --,  über  historische  Lokalitäten  und  altdeutsche  Aus- 
drücke. In  einem  Briefe  empfahl  er  den  greisen  ehemaligen 
Schüler  und  Sodalen  des  Konrad  Celtis  und  Freund  des 
Erasmus,  den  Kosmographen,  Kritiker  des  Plinius  und  Auf- 
heller des  skandinavischen  Nordens  Jakob  Ziegler  aus 
Landau  in  Niederbayern,  der  aus  den  „Thermae  Antonianae" 
für  den  Rest  seines  Lebens  nach  Mainz  übersiedeln  wollte 
und  deshalb  durch  Vermittlung  des  Beatus  einen  Empfeh- 
lungsbrief des  Irenikers  und  letzten  Bischofs  von  Zeitz 
.In lins  von  Pflug  an  den  Kardinal-Erzbischof  Albrecht 
von  Mainz  begehrte. 

In  seinem  letzten  Briefe  (26.  Januar  1544)  äußerte  er 
lebhafte  Besorgnisse  über  die  Kränklichkeit  des  Beatus  und 
gab  ihm  gute  Ratschläge;  aber  nicht  diesem  drohte  ein  nahes 
Ende,  sondern  ihm  selbst.226  Er  starb  schon  am  4.  März  1544 
und  wurde  im  Chor  bei  St.  Leonhard  begraben.  Beatus 
Rhenanus  schrieb  ihm  ein  heute  nicht  mehr  erhaltenes 
Epitaphium.    Als  Straßburger  Bürger  setzte  er  sich  ein  Denk- 


;  Paraleipomena  rerum  Mernorabilium  etc.    Argentorati  apud  Crato- 
nem    Mylium,   Mense   Martio,   Anno   M.    D.   XXXVIII,  1.     Hinter  der  Aus- 
Chronicon    \Uut.   I  rsperg.  —  --4  Ruth.  a.  a.  <>..   784. 
'  A.  Horawitz  und  K.  Hartfelder,  Briefwechsel  des  Beatus  Rhena- 
nus, 372,  373,  417,   L18,   !:;:>.    177 f..  488,    189,  491,  509,  510. 

Für  das  Folgende  vergl.  die  Briefe  von  Huttichs  Vetter  und  Nach- 
folger ;ils  l!r\  chori  Sebastian  Hambacher  an  Beatus  Rhenanus,  a.  a.  0., 
519,  527. 


Aus -der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  71 

mal  durch  eine  wohltätige  Stiftimg  für  die  Ausstattung  armer 
Straßburger  Bürgertöchter,  die  sich  verheiraten  wollten. 

Mit  Huttich  sind  wir  in  die  Atmosphäre  Reuchlins 
und  seines  Kampfes  um  die  Judenbücher  getreten.227  Mainz 
wurde  zu  einem  Heerlager  für  seine  Sache,  die  man  bald 
nicht  als  Judenbegünstigung,  sondern  von  der  Höhe  der 
Wissenschafl'im  humanistischen  Sinne  auffaßte.  Der  Huma- 
nismus hatte  in  Mainz  festen  Fuß  gefaßt,  und  der  Kreis  seiner 
Anhänger  war  nicht  nur  an  der  Universität  gewachsen, 
sondern  hatte  sich  zudem  auch  in  der  zahlreichen  höheren 
Geistlichkeit  weiter  ausgedehnt,  die  durch  Studien,  besonders 
im  Jus,  in  Italien,  aber  auch  durch  die  lebhaften  Beziehungen 
zur  Kurie  sich  längst  in  dem  Banne  der  italienischen  Renais- 
sance befand  und  daher,  wie  wir  schon  bei  den  Freunden 
und  Gönnern  des  Aesticampianus  gesehen  haben,  dieser 
Richtung  auch  an  der  Universität  freundlich  gegenüberstand. 
Freilich  die  Scholastik  war  deshalb  noch  keineswegs  von  der 
Hochschule  verschwunden  oder  auch  nur  besiegt,  obgleich 
man  von  Plänen  erfährt,  sie  in  ihren  Auswüchsen  zu  be- 
seitigen; aber  diesen  Kampf  hat  der  Humanismus  auszu- 
f echten  keine  Zeit  gehabt,  weil  ihm  die  kirchliche  Refor- 
mation die  Herrschaft  über  die  Geister  der  Gebildeten  ab- 
nahm und  ihn  in  dem  von  ihr  geführten  Kampfe  gegen  die 
Scholastik  nur  als  Bundesgenossen  in  dienender  Stellung 
zuließ,  um  später  selbst  dann  wieder  ihrer  eigenen  Scholastik 
zu  verfallen  und  den  Humanismus  in  seinem  innersten  Wesen 
geschwächt  zurückzulassen. 

Als  einen  Reformator  der  Universität  bezeichnet  Hüllen 
in  seinem  schönen  Trauerbriefe228  an  seinen  Freund,  den 
Bamberser  und  Würzburger  Kanonikus  Jakob  Fuchs, 
seinen  treuen  Gönner,  den  gelehrten  Edelmann  Eitelwolf 
von  Stein,  einen  Schüler  des  Crato  von  Udenheim  in 
Schlettstadt  und  in  Bologna  des  Philippus  Beroaldus, 
dem  Kaiser  Maximilian  auch  den  Lorbeer  als  Orator  und 
Poeta  verlieben  und  der  schon  als  Sodale  des  Celtis  sich 
eifrig  an  den  Bestrebungen  dieses  überall  Anregungen  aus 
streuenden  Apostels  des  Humanismus  beteilig!  hatte.  Die 
einzig  erhaltenen  Verse  Eitelwolfs  trägl  die  Nürnberger 
Ausgabe  der  Werke  Roswithas  von  1501,  die  unter  der 
Ägide  der  Sodalilas  des  Celtis  erschien.--11  Trithemius 
nennt230   eine    uneedruckte   Schrift   von    ihm:    De    laudibus 


.>.,- 


-'-'7  Hierzu  L.  Geiger,  a.  a.  0.,  240f.;   D.  Strauß,  Ulrich  von  Hütten, 

2.  Aufl..  150f.         -°-s  E.   Böcking,  a.  a.  0.,   I.    II,  45. 

223  (!.   Bauch,    Die   Rezeption   des   Humanismus   in    Wien,   79—81 

230  Job.  Trithemius,  Opera,   I,  181,  392. 


72  Gustav  Bauch. 

heroiim  et  illustrium  virorum,  die  seinem  Oheim,  dem  in 
Schlesien  gründlich  verhaßten  Vertrauten  und  Rat  des  Königs 
Mathias  Corvinus  von  Ungarn  Georg  von  Stein  ge- 
widmet war.  Mit  dem  Erzbischof  Albrecht  als  sein  Rat 
and  Hofmeister  vom  Hofe  Joachims  I.  von  Brandenburg 
1514  nach  Mainz  übergesiedelt,  um  sich  hier  für  seine  alten 
Tage  häuslich  einzurichten,  strebte  er  auch  nach  Betätigung 
seiner  wissenschaftlichen  Anschauungen.  Er  erzählte  einst 
Hütten,  daß  er  bedauere,  Joachim  zur  Errichtung  der 
frankfurter  Universität  angeregt  zu  haben,  da  er  sehe,  daß  sie 
von  ungelehrten  Gelehrten  in  Besitz  genommen  sei  und  nicht 
von  im  Griechischen  und  Lateinischen  Unterrichteten  weiter- 
gefördert werde.  Und  so  ging  der  wegen  seiner  treuen,  dem 
Hause  Hohenzollern  geleisteten  Dienste  von  Albrecht  hoch- 
geschätzte und  deshalb  einflußreiche  Mann  in  Mainz  im  Ver- 
trauen auf  die  Freigebigkeit  seines  humanen  Fürsten  daran, 
die  Universität  auf  eine  Stufe  zu  heben,  daß  sie  in  Europa 
nicht  ihresgleichen  hätte,  teils  selbst  mit  eigenem  Gelde,  teils 
damit,  daß  durch  Entfernung  „unnützer  Professorchen"  die 
ausgesetzten  Gehälter  für  eine  bessere  Verwendung  freige- 
macht würden.  Nur  die  Vorbereitungen  und  die  Anfänge 
seiner  guten  Absichten  hat  der  wackere  Herr  ins  Werk  setzen 
können,  denn  er  starb  als  kaum  Fünfzigjähriger  schon  1515. 
Von  einem  Zurückdrängen  des  Scholasticismus  an  der  Uni- 
versität, wenigstens  in  Bezug  auf  ihre  Bedeutung,  kann  aber 
auch  nach  dem  Abscheiden  Eitelwolfs  gesprochen  werden, 
da  Kurfürst  Albrecht  dem  Humanismus  durchaus  wohl- 
w  ollend  gesinnt  war. 

Albrecht  war,  wie  er  Erasmus  schätzte,  auch  ein 
Gönner  Beuchlins,  ja  selbst  Reuchlinist.  Sein  Leibarzt 
Dr.  Heinrich  Stromer  aus  Auerbach231  schrieb  1517  an 
\\  ilibald  Pirckheimer:  „Aber,  um  von  mir  zu  schweigen, 
die  größte,  ja  eine  ungeheuere  Verwunderung  hat  mich  erfaßt, 
daß  du  deine  Arbeiten  (die  Übersetzung  von  Lucians  Piscator 
und  seine  an  Lorenz  Behaim  gerichtete  Vorrede  für 
Reuchlin)  nicht  dem  Mainzer  Erzbischofe  als  Geschenk  zu- 
geschickt  hast,  meinem  mildesten  Herrn,  aller  gebildeten 
Männer  Liebhaber  und  Maren,  dessen  Würde  ich  mit  bestem 
Rechte  einen  Reuchlinisten,  um  ein  Wörtchen  der  Ver- 
leumder  der  Reuchlinisten  zu  gebrauchen,  nennen  kann, 
da  ja  seine  Hochheil  unsern  hochgelehrten  Capnion,  den 
ich  niemals  ohne  ganz  besondere  Lobpreisung  nennen  darf, 
als  einen  durch  das  Aller  verehrungswürdigen  Mann,  einen 


-'■'   E.   Böcking,  a.  a.  0.,  I,   15ö. 


Aus  iler  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  73 

mit  seltener  Gelehrsamkeit,  mit  ausgezeichneter  Unbe- 
scholtenheit des  ganzen  Lebens,  mit  einzigartiger  Bered- 
samkeit in  deutscher,  hebräischer,  chaldäischer,  griechischer 
und  lateinischer  Sprache  und  mit  der  Zier  aller  schönen 
Tugenden  Ausgestatteten  wunderbar  liebt  und  hegt  und  ihn 
mit  Lobsprüchen  erhebt".  Und  Hütten  weiß  zu  berichten-3-, 
daß  er,  als  ihm  Stromer  einmal  ein  Buch  Pfefferkorns 
mit  wüsten  Schimpfereien  gegen  die  Freunde  Reuchlins 
überreicht  hatte,  dies,  nachdem  er  es  gelesen,  in  das  Feuer,  an 
dem  er  gerade  saß,  voll  Abscheus  über  den  unflätigen  Inhalt, 
geworfen  habe  mit  den  Worten :  „So  mögen  die  umkommen, 
die  so  reden !" 

Die  günstige  Stimmung  für  Reuchlin  war  aber  schon 
vor  den  Tagen  Albrechts  in  Mainz  vorhanden.  Als 
Jakob  van  Hochstraten  am  9.  September  1513  Reuch- 
lin schon  für  den  15.  des  Monats  nach  Mainz  vor  seineu 
Richterstuhl  gefordert  hatte,  ermöglichte  ihm  das  ver- 
mittelnde Eingreifen  des  Mainzer  Domkapitels,  daß  er  am 
8.  Oktober  persönlich  in  Mainz  erscheinen  konnte.  Der 
12.  Oktober  ward  zur  Urteilsverkündigimg  angesetzt;  da,  am 
11.  Oktober  der  Domdechant  Lorenz  Truchseß  von 
Pommersfelden  und  das  Domkapitel  hatten  deshalb  einen 
Eilboten  nach  Aschai'fenburg  zum  Erzbischof  Uriel  von 
Gemmingen    geschickt  erhielt    Hochstraten    ein 

Schreiben  des  Erzbischofs,  der  die  Vertagung  der  Urteils- 
sprechung  auf  einen  Monat  verlangte,  im  Weigerungsfalle 
die  Zurückziehung  der  vier  erzbischöflichen  Gerichtsbei- 
sitzer androhte,  die  von  Reuchlin  eingelegte  Appellation 
an  den  Papst  anerkannte  und  alles,  das  etwa  in  der  Zwischen- 
zeit geschähe,  für  null  und  nichtig  erklärte  und  so  Reuchlin 
bis  auf  weiteres  rettete.  Der  Brief  erreichte  Hochstraten 
gerade  in  dem  Augenblicke,  als  er,  umgeben  von  den  Mainzer 
Dominikanern  und  Abgesandten  der  Reuchlin  feindlichen 
theologischen  Fakultäten  von  Köln,  Erfurl  und  Loewen,  vor 
einer  großen  Menschenmenge,  die  durch  das  zu  erwartende 
Schauspiel  und  die  Verkündigung  eines  dreihunderttägigen 
Ablasses  angelockt  worden  war,  auf  Grund  <\i>r  Verurteilung 
durch  die  theologischen  Fakultäten  feierlich  die  Verbrennung 
von   Reuchlins  „Augenspiegel"   vornehmen   wollte.23 

Das  soeben  Erzählte  wird  uns  auch  manches  Burleske 
in  dem  Folgenden,  das  in  heilerer  Weise  aus  Wahrheil  und 
Dichtung  kunstreich  zusammengesetzl  ist,  deutlicher  machen. 
Die  luiversiläl   war  in  den  kurfürstlichen  kommissarischen 

232  E.  Bück  in  s,  a.  a.  <>.,   I.   L68. 

233  L.  Geiger,  a.  a.  0.,  290f.j  D.  Strauß,  a.  a.  <>.,    L60,   L61. 


74  Gustav  Bauch. 

Richtern  bei  diesen  Verhandlungen  vertreten,  sie  enthielt 
aber  auch  unter  ihren  Doktoren,  Magistern  und  „Suppositis" 
nicht  wenig  stramme  Reuchlinisten,  die  durch  Kanoniker 
der  vielen  Stifte  noch  vermehrt  wurden.  Das  Hauptquartier 
der  Mainzer  Reuchlinisten  war  das  Gasthaus  „zur  Krone" 
und  deshalb  ist  es  in  den  Epistolae  obscurorum  virorum  ver- 
ewigt worden.  Schon  im  ersten,  von  Crotus  verfaßten 
Bande234  der  Epistolae  klagte  Cornelius  Fenestrificis  dem 
Ortvinus  Gratius,  wie  ihn  zwei  „Trufatores"  in  diesem 
Hause  unziemlich  gehänselt  und  die  Pariser  und  Kölner 
Theologen  (magistros  nostros)  als  Fantasten  und  Dummköpfe 
heruntergerissen,  wie  auch  auf  die  ganze  scholastische 
Philosophie  als  auf  leere  Albernheiten  geschimpft  hätten, 
und  rächte  sich  an  ihnen  durch  unsäglich  kunstvolle  und 
geistreiche  Verse.  Er  nannte  aber  keine  Namen.  Hütten, 
der  Verfasser  des  zweiten  Teils,  holte  dies  als  Ortsange- 
sessener, Orts-  und  Personenkundiger  reichlich  nach.  Bei 
ihm  berichtet235  der  Magister  Sylvester  Gricius  demselben 
Adressaten:  ,,,Da  ich  ja  darauf  eingeschworen  bin,  daß  ich 
meine  Fakultät  verteidigen  und  ihren  Nutzen  in  allen  Dingen 
fördern  wolle,  deshalb  will  ich  euch  Punkt  für  Punkt 
schreiben,  welche  hier  den  Theologen  und  welche  Johann 
Reuchlin  günstig  sind,  damit  ihr  es  den  Theologen  saget, 
daß  diese  sich  danach  richten  können.  Erstlich  gewisse 
Tischgenossen  im  Gasthaus  zur  Krone,  die  tun  immer  unsern 
Magistern  (Theologen)  und  den  Brüdern  vom  Predigerorden 
den  größten  Schabernack  an  und  bewirken,  daß  niemand 
in  diesen)  Gasthause  den  Predigermönchen  ein  Almosen  gibt. 
Ich  weiß  die  Namen  von  einigen.  Einer  heißt  Magister 
Philipp  Keilbach,  der  redet  immer  von  Reuchlin  und 
empfiehlt  ihn,  und  einmal  hat  ihn  unser  Magister  Peter 
Meyer,  der  Pfarrer  in  Frankfurt  (und  Denunziant  Reuch- 
lins),  tüchtig  abgeführt.  Einer,  Ulrich  von  Hütten,  der 
ist  sehr  bestialisch  und  sagte  einmal,  wenn  die  Prediger- 
brüder  ihm  solches  Unrechl  täten,  wie  sie  Reuchlin  tun, 
wollte  er  selbst  Feind  derselben  werden  und,  wo  er  immer 
einen  Mönch  von  diesem  Orden  lande,  da  wollte  er  ihm  die 
\;isr  und  die  Ohren  abschneiden.  Der  hat  auch  viele 
Freunde  am  Hofe  des  Bischofs,  die  auch  Reuchlin  sehr 
günstig  sind.    Aber  jetzt  ist  er  weggegangen  (Gott  sei  Dank!), 

-':;1  E  Böcking,  a.  a.  0.,  Suppl..  I,  17,  18.  Zu  Crotus'  Verfasser- 
schaft vergl.  W.  Brecht,  Die  Verfasser  der  Epistolae  obscurorum  viro- 
i  um.    31 

1      Böcking,   a.   a.   <>.   Suppl.    I.   272—271.     7m   Hütten   als   Ver- 
er  des  zweiten  Teiles  vergl.  \\ .  Brecht,  a.  a.  U.;  131 


Aus  -der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  75 

um  Doktor  zu  werden,  und  in  einem  Jahre  war  er  nicht  hier. 
Der  Teufel  hole  ihn!  Dann  sind  zwei  Brüder,  die  Edel- 
leute  Otho  und  Philipp  von  Bock,  seihige  vexieren  alle 
Theologen.  Und  einmal,  bei  jenem  heiligen  Akte,  den  unsere 
Magister  in  Mainz  gegen  don  „Augenspiegel"  vornahmen, 
da  gab  der  Magister  Jakob  van  Hochstraten  kraft  seines 
Amtes  allen*  die  jenem  Ak,te  beiwohnten,  Ablässe.  Da 
spielten  jene  zwei  Brüder  mit  andern  Lotterbuben,  sitzend 
im  Angesicht  der  Theologen,  die  dort  in  dem  Gasthause 
waren,  mit  Würfeln  um  diese  Ablässe.  Noch  ist  dort  einer, 
der  heißt  Johann  Huttich,  der  ist  auch  euer  Feind,  und 
sonst  ist  so  ein  neuerdings  zum  Doktor  im  Rechte  Promo- 
vierter, Konrad  Weydmann,  selbiger  hilft  allen,  die  etwas 
gegen  euch  unternehmen.  Und  ein  anderer  Doktor,  der  einst 
Artist  vom  Wege  der  Modernen  war  und  heißt  Eucharius. 
Und  mit  diesem  Nikolaus  Karbach,  der  in  der  Poesie 
liest.  Dann  Heinrich  Brumann,  so  Vikar  im  Dome  ist  und 
ein  guter  Organist  ist.  Und  ich  sage  immer  zu  ihm:  Ihr 
solltet  euch  um  eure  Orgel  kümmern  und  die  Theologen  in 
Ruhe  lassen.  Aber  vor  allem  sind  fast  alle  Kanoniker  für 
Reuchlin,  außerdem  viele  andere  Magister,  die  die  Poetria 
lieben,  deren  Namen  ich  nicht  kenne".  Bei  den  Gegnern 
Reuchlins  gibt  Gricius  noch  einem  von  den  Reuchlinisten 
einen  kleinen  Stich :  „Da  ist  noch  ein  Mainzer  Bürger,  der 
Wie  and  von  Solms  genannt  wird.  Jener  ist  noch  jung, 
aber  so  gelehrt,  daß  er  einem  Magister  noster  das  Gleich- 
gewicht halten  kann.  Selbiger  sagt,  daß  er  mit  Reuchlin 
um  zehn  Gulden  disputieren  wollte.  Und  neulich  überdis- 
putierte er  den  Johann  Hu  (lieh,  daß  er  mil  Schlüssen  zu- 
gedeckt wurde  und  nichts  zu  antworten  wußte".1'  r 

Das  war  schon  sehr  belustigend  für  alle  Anhänger 
Reuchlins  weit  und  breit,  aber  noch  mehr  mögen  aut 
manche  die  unglaublich  gebauten  leoiiinischen  Verse  des 
flummtäppischen  Magister  Philipp  Schla  u  rat  t  gewirkl 
haben,   die  schlechterdings   keim'   Übersetzung  vertragen: 

et  sie   reeessi   cum  vulnere 

Usque  ad   Moguntiam,   ubi   mihi   gratiam 
Fecit   predicator   Bartholoimeus    Decimator, 
Dans  mihi   hospitium   et   iurans  per  deum  viuuni, 
Si   iuissem   ad    Coronam,    quod    aeeepissem     vrexationem 

bonam, 


■■■'•  E.   Böckin«,  a.   a.   ().,   Suppl.    I.    198,   199. 


7(i  Gustav  Bauch. 

Quia  ibi  commensales  sunt  valde  nequitiales, 
Nicolaus   Carbachius,   qui  legens  pro  scholaribus 
Exponit  Titum  Liuium:  tunc  reperi  Huttichium, 
Qui  ex  antiquo  odio  percussit  me  cum  scamno, 
Quod   feci  unurri  bombum:  tunc  reperi  Huttichium, 
Doctor  Con rat  Weydmann:  ich  sprach,  wie  sal  ich  das 

vorstan  ? 
Tunc  trusit  me  Johan  Kunigstein,  quod  cecidi  de  gra- 

dibus, 
Et  sie  post  hoc  periculum  contuli  me  ad  Rhenum. 

Wir  haben  die  Obscuri  selber  reden  lassen,  sie  zeichnen 
trotz  der  dick  aufgetragenen  komischen  Farben  die  huma- 
nistischen Mainzer  Reuchlinisten  und  zumal  die  von  der 
Universität  doch  recht  kenntlich.  Eine  ernster  zu  nehmende 
Feder  mag  noch  ein  paar  Striche  zu  dem  Bilde  hinzufügen237, 
bevor  wir  uns  die  Einzelnen  etwas  näher  ansehen.  Fast 
zur  selben  Zeit,  als  Hütten  die  Pritsche  schwang.  1518, 
schrieb  Franciscus  Irenicus:  „Quid  Moguntiam  me- 
morem,  tarn  praestantissimis  hominibus  consitam  !  Illic  enim 
Cunradus  Vuidmannus,  Johannes  de  Kunigstein, 
Johannes  Sorbillo  atque  alij  proba  eruditione,  qui  et 
laetiora  studia  profitentur.  Tota  urbs  Nicoiao  Carbachio 
singularis  eruditionis  magistro  in  graecis  exercitatissimo 
utilur". 

Das  Jahr  1518  brachte  endlich  Mainz  noch  eine  andere, 
eine  typographische  Ehrung,  die  Ausgabe  des  um  bessere 
Lesart  bereicherten  und  um  zwei  Bücher  vermehrten  Livius 
nach  der  in  der  Bücherei  der  Kathedrale  aufgefundenen 
Handschrift.-'3",  die  dem  nun  Reuchlin  allmählich  an  der 
obersten  Stelle  im  Humanismus  uanz  ablösenden  Desi- 
derius  Erasmus  Anlaß  bot,  auch  seinerseits  sich  über  i\v\) 
Mainzer  Humanismus  und  seine  Solidität  zu  äußern.  Sein 
Thema  gibl  er  schon  in  der  Überschrift  an:  „Misobarbaris 
atque  iisdem  Philomusis  omnibus"  und  lobt  zunächst  Jo- 
hann Srhöl  IVr,  der  gewissermaßen  nach  Erbrecht  der  Fori- 
sei/er   Johann    Fausts,    des    Erfinders    der    Buchdrucker- 


237  F.  Irenicus,  Germaniae  exegesis,  II.  XLIII,  fol.  45.  Diese  Sielte 
ist  merkwürdigerweise  von  den  Mainzer  Gelehrten  bisher  noch  niemals 
benutzt  worden. 

Titus  Livius  Patavinus  Htistoricus.  Dvobus  Libris  Avctus  Cvm 
I,.  Flori  Epitome.  El  Vnnotatis  In  Libros  VII.  Belli  Maced.  Moguntiae 
In  Vedibuf  Joannis  Scheffer,  Mense  Novembri.  An.  MDXVIII.  Fol.  Xu 
den  Manipulationen  des  Druckers  bei  dieser  Ausgabe  vergl.  I''.  \V.  E.  Rollt, 
Der  Katholik,  L898,  II.  354,  355;  derselbe,  hie  Mainzer  Buchdruckerfamilie 
Schöffer,   Beiheft    IX   /.um  Zentralblatt    für   Bibliothekswesen,   41,  -12. 


Aus  .der  Gescliiclite  des  Mainzer  Humanismus.  77 

kirnst,  in  seiner  rühmlichen  Tätigkeit  sei.  Dann  wendet  er 
sich,  an  Reuchlin  und  sich  seihst  denkend,  den  Feinden 
der  „eultior  literatura"  zu :  „rumpantur  ut  ilia  Codris  istis, 
qui  cum  rursus  in  hoc  conspirarunt,  ut  suh  praetextu  tuendae 
religionis,  quiequid  est  elegantioris  eruditionis,  conspurcent 
atque  extinguant;  nihil  aliud  assequentur,  quam  ut,  quod 
oppugnant,  reddant  illustrius  et  sunni  liuorem  stolidati  pa- 
iein  magis  ac  magis  denobilitent".  Demgegenüber  erstreben 
Deutschlands  Fürsten  Ruhm  durch  Förderung  der  gelehrten 
Bildung,  vor  allem  „insignis  ille  nobilitatis  pariter  et  reli- 
gionis  antistes  Albertus,  cardinalis  et  archiepiscopus  Mo- 
guntinensis",  so  Sachsens  berühmter  Herzog  Friedrich,  zu 
schweigen  von  den  Vornehmen  geringeren  Ranges.  Für  die 
Edition  schulde  man  nicht  mittelmäßigen  Dank  dem  unver- 
gleichlichen Manne  Dietrich  Zobel,  dem  Domscholaster 
und  Vikar  des  Erzbischofs,  der  sich  mit  besonderem  Eifer 
bemüht  habe,  diesen  Ruhm  seiner  Stadt  zu  sichern.  Dann 
dem  gelehrten  Manne  Nikolaus  Karbach,  „quinquennium 
iam  Titum  Liuium  publico  salario  summa  cum  laude  profi- 
tenti",  und  Wolfgang  Angst,  von  denen,  wie  schwer  abzu- 
schätzen wäre,  eine  gewaltige  Arbeitsleistung  gezeitigt  wur- 
den sei.  Auch  Hütten  würdigte  die  mühsame  Arbeit  Kar- 
bachs  und  Angsts,  die  die  Handschrift  abgeschrieben, 
mit  den  Drucken  verglichen,  den  Text  redigiert  und  die  Kor- 
rektur besorgt  und  eine  Musterleistung  damit  geschaffen 
hatten.  Er  balle  auf  Wunsch  des  Dechanten  Lorenz 
Truchseß  von  Pommersfelden,  des  Scholasters  Diet- 
rich Zobel  und  seines  Verwandten,  des  Kanonikus  Mark- 
wart  von  Hatstein,  die  Widmung  an  Albrecht  geschrie- 
ben.239 Er  vergaß  hierbei  nicht,  die  Verdienste  des  Lorenz 
Truchseß  um  die  Rettung  Reuchlins  im  Jahre  1513  gebüh- 
rend   hervorzuheben. 

Wenn  wir  nun  zur  Besprechung  der  in  den  vorstehenden 
Zeugnissen  und  früher  schon  von  Huttich  berührten  Univer- 
sitätsangehörigen  übergehen,  so  hat  wohl  unser  ältester  Be 
kannter  unter  ihnen,  Konrad  Weidmann  aus  Hasel,  den 
berechtigten  Anspruch,  daß  wir  uns  mit  ihm  zuerst  beschäf- 
tigen. 

Zu  den  Zeiten  des  Aesticampianus  war  er  bereils  Ma- 
gister und  ging  dann  zur  Jurisprudenz  über.  Er  studierte  in 
Freiburg  i.  B.  unter  Ulrich  Zasius  Zivilrecht.240  Mit  des 
Zasius  Liebling  Bonifatius  Amorbach,  seinem  Basler 
Landsmann,  befreundet,  verkehrte  er  mit  diesem  und  Zasius 

-:,a  K.   Böcking,  a.  a.  0.,   I,  2491 

240  Stinzing,  Ulrich  Zasius,  169;  U.  Zasii  epistolae,  ed.  Riegger,   IT2. 


i  8  Gustav  Bauch. 

freundschaftlich  in  dein  Hanse  des  jovialen  Legisten.  1518 
wiid  er  von  Gricius  als  neuerdings  promovierter  Doktor  in 
Main/,  erwähnt,  in  demselben  Jahre  auch  als  Ordinarius 
legum  und  1520  als  Dekan  der  juristischen  Fakultät.  Mit 
diesen  Angaben  läßt  sich  vorläufig  schwer  vereinigen,  daß  er 
schon  1513  als  Doctor  iuris  und  kurfürstlicher  Kommis- 
sarius  mit  Kaspar  von  Westhausen,  Johann  Bertram, 
Diether  Vectoris,  Bartholomäus  Zehender  (Decima- 
tor),  sämtlich  Professoren  der  Universität241,  bei  dem 
Ketzergericht  über  Reuchlin  in  Mainz  mitgewirkt  haben 
soll.  Dem  scheint  auch  die  sonst  angegebene  Vierzahl  der 
mainzischen  Beisitzer  zu  widersprechen.  Sollte  sich  die 
Sache  aber  faktisch  so  verhalten,  dann  wäre  sein  Einschub 
in  das  Tribunal  auch  als  eine  Reuchlin  freundliche  Maß- 
regel anzusehen. 

Juristen  und  Poeten  wie  Weidmann  waren  auch  die 
beiden  Gebrüder  von  Pack  (Bock,  Pock),  deren  Verhalten 
und  Bestrebungen  in  Mainz  Huttich  und  Gricius,  einan- 
der ergänzend,  beleuchten.  Sie  gehörten  dem  meißnischen 
Adel  an,  waren  Söhne  des  herzoglich  sächsischen  Rates 
Dr.  Johann  von  Pack  und  stammten  aus  Delitzsch. 
Philipp  von  Pack  hatte  im  Wintersemester  1501  die  Uni- 
versität Leipzig  und  im  Sommersemester  1507  die  in  Witten- 
berg, beidemal  mit  seinem  Bruder  Johannes,  bezogen; 
wann  er  nach  Mainz  kam,  ist  wegen  des  Verlustes  der  alten 
Matrikeln  nicht,  bestimmbar;  zwischen  1513  und  1517  muß 
er  dorl  gewesen  sein.  Huttich  lobt  1526  in  wehmütiger 
Erinnerung  an  den  Toten  seine  eifrige  Mitwirkung  bei  dem 
Aufspüren  von  alten  Inschriften  und  Münzen.  1517  ist 
Philipp  bei  der  deutschen  Nation  in  Bologna  eingetragen; 
er  war  dort  zu  gleicher  Zeit  mit  Hütten  wie  vorher  in 
Main/.  In  diesem  Jahre  kam  es  in  Bologna  zu  einem  großen 
Studentenkrawall242,  der  Seditio  Longobardica;  die  Lombar- 
den erhöhen  sich  ohne  begründete  Ursache  gegen  die  Deut- 
schen. Daß  einige  italienische  Nationen,  die  Spanier,  die  Un- 
garn und  die  Polen  den  Deutschen  ihren  Beistand  anboten  und 
daß  der  Gubernator  der  Stadt  einschritt,  machte  dem  Auf- 
ruhr ziemlich  rasch  ein  Ende,  ohne  daß  es  zu  allzu  großem 
Blutvergießen  gekommen  wäre.  Hütten  und  Philipp  von 
Pack  wurden  in  gewissem  Sinne  Opfer  der  Seditio.  Hütten 
wurde  ,ils  Abgesandter  der  deutschen  Nation  gegen  den 
Befehlshaber  der  Stadt,  einen   Fiesco,  so  heftig,  daß  er  es 

241  F.   W.   E.    Roth,   Katholik,    L898,    II,   245,    112. 

V^cta    nationis    Germanicae    universitatis    Bononiensis,   282;   .Toh. 
Cochlaeus  an  W.  Pirckheimer,   bei  E.   Böcking,  a.  a.  0.,  I,  132. 


Aus  Jöer  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  79 

für  geraten  hielt,  einige  Zeit  Bologna  zu  meiden,  und  nach 
Ferrara  ging.243  Über  Philipp  von  Pack  berichten  die 
Acta  der  Nation:  Ex  consensu  nationis  Philippe)  Pack 
pro  sarciendis  suis  vulneribus,  quo  fortissime  pugnans  contra 
Longobardos  excepit,  collati  sunt  duodeeim  floreni  duo 
ducati  Renenses.  Der  tapfere  Deutsche  erlag  noch  in  dem- 
selben Jahre  4n  Bologna  einem  bösartigen  ansteckenden  Fie- 
ber und  wurde  bei  dem  hl.  Dominikus  bestattet. 

Eine  viel  bekanntere  Persönlichkeit  als  Philipp  ist 
Otto  von  Pack244,  aber  eine  übel  bekannte.  Dieser  war 
schon  im  Sommersemester  1499  in  Leipzig  immatrikuliert 
worden.  Gleichzeitig  mit  dem  Bruder  war  er  in  Mainz  und 
interessierte  sich  auch  für  die  Forschungen  Huttichs  nach 
Altertümern  und  bewunderte  die  Funde  Huttichs  und 
Philipps.  Im  Jahre  1517  aber  ging  er  nicht  nach  Italien, 
sondern  nach  Ingolstadt,  wo  er  Mitglied  der  1516  von  Jo- 
hannes Aventinus  gestifteten  Sodalitas  literaria  Angilo- 
stadiensis  wurde245,  die  das  einzige  von  ihm  erhaltene  Ge- 
dicht „Carmen  extemporaneum  ad  prineipem  Wilhelmum, 
Bauariae  ducem",  druckte.  Noch  1518  weilte  er  in  der 
Stadt  der  „Rettigesser"  in  freundschaftlichem  Verkehr  mit 
seinem  Socialen,  dem  gekrönten  Dichter  und  späteren  Refor- 
mator Urbanus  Rheeius.  Dieser  grüßte  in  einem  Briefe245 
den  von  ihm  hochverehrten  Aesticampianus  im  Namen 
Packs,  der  ihm  wohl  als  zeitweiliger  Schüler  bekannt  war. 
1519  befand  sich  Pack  wieder  in  Leipzig  und  wurde  wegen 
Seiner  humanistischen  Bildung  dazu  ausersehen,  die  von 
Petrus  Mose  Hanns  auf  Befebl  des  Herzogs  Georg  ver- 
faule Rede,  mit  der  die  folgenreiche  Disputation  Johann 
Ecks  niil  Andreas  Karlstadt  und  Martin  Luther  einge- 
leitet werden  sollte,  zu  halten.-'47  Eine  plötzliche  Erkrankung 
entzog  ihn  dein  Katheder,  und  Mosellan  mußte  seihst  ein- 
treten. Mit  Mosellan  war  er  eng  befreundet248,  daher 
schickte  ihm  Hüften,  den  er  durch  .Mosellan  gegrüßt  hatte. 
L520  in  seinem  temperamentvollen  Briefe  an  Mosellan  über 


243  E.   Böcking,  a.  a.  O.,   I,   146. 

244  Otto  von  Pack  ist  nicht  mit  dein   in   Erfurt    L501   und  in  Lei] 
1505  immatrikulierten  Otto  de  Pock  aus  Sachsenburg  zu  verwechseln. 

245  Th.  Wiedemann,  Johannes  Turmair  gen.  Aventinus,  24,  28;  C. 
Prantl,    Geschichte   der   Ludwig-Maximilians-Universität,    I.    L34. 

240  Gl).  G.  Wilischius,  Arcana  bibliothecae  *jinaebergensis,  HO.  Dort 
ist    für   Otho    Hart    Back    ZU    lesen. 

-17  o.  (i.  Schmidt,  Petrus  Mosellanus,  46. 

24S  G.  Bauch  in  liriegers  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte,  XVIII, 
404,  Anm.  5. 


80  Gustav  Bauch. 

Luther249  durch  diesen  einen  Gegengruß  zurück.  In  Leipzig 
winde  Pack  1520  Bakkalar  und  Licentiat  und  1521  Doctor 
utriusque  iuris.  Im  Dienste  des  Herzogs  Georg  von 
Sa  c  hsen,  zuerst  als  Sekretär  und  später  als  Rat  und  Kanzler 
hat  er  für  seinen  Herrn  bei  den  Reichstagen  und  kirchlichen 
Verhandlungen  eine  rege  Tätigkeit  entwickelt.  Er  täuschte 
jedoch  wie  ein  Rat  im  Sinne  des  jungen  Dietrich  Grese- 
ni  und  den  Herzog  in  gröblicher  Weise.  Durch  schlechte 
Wirtschaft  in  Schulden  verstrickt,  beging  er  Betrug  und 
rnterschlagungen  und  erdichtete  endlich,  um  eine  größere 
Geldsumme  von  dem  Landgrafen  Philipp  von  Hessen  für 
seine  erlogenen  Eröffnungen  zu  erhalten,  das  nie  ge- 
schlossene Breslauer  Bündnis  (von  1527)  katholischer  Für- 
sten gegen  die  Protestanten.250  Schon  hatte  Philipp  das 
Schwert  gezogen,  da  gelang  es  noch  einmal,  die  ganz  Deutsch- 
land bedrohende  Kriegsfurie  hintanzuhalten.  Als  politischer 
Abenteurer  schlimmster  Art  endlich  in  den  Niederlanden 
aufgegriffen,  endete  Pack  1537  durch  die  Hand  des  Henkers. 
Mit  den  beiden  Pack  nennt  Hutten-Gricius  noch  zwei 
Reuchlinisten,  über  die  sonst  nur  sehr  spärliche  oder  gar 
keine  sicheren  Nachrichten  vorliegen.  Als  einen  überaus 
eitrigen  Reuchlinisten  führt  er  den  Magister  Philipp  Keil- 
ita ch  an.  Von  diesem  sagt  Böcking251,  daß  er  ein  gelehrter 
Frankfurter  gewesen  sei  und  daß  ihm  Thomas  Murner  1511 
seine  Schrift  „Arma  patientie  contra  omnes  seculi  aduer- 
santes"  gewidmet  habe.  Von  dem  Doktor  Eucharius,  „der 
eins!  ein  Artist  von  dem  Wege  der  Modernen  war",  können 
wir  es  mit  Böcking262  mir  offen  lassen,  ob  er  der  Eucharius 
Henner  oder  Gallinarius  aus  Bretten  ist,  der  schon  1475 
in  Heidelberg  immatrikuliert  ist  und  1478  Bakkalar  und 
!  17!)  Magister  wurde,  doch  in  via  antiqua!  Dieser  war  Ka- 
nonikus in  Speier  und  Schüler  Wim p fei  ings,  dem  er  auch 
in  seinem  Streite  nii!  M  iirner  zu  Hülfe  kam.  Auch  von 
dem  Tribulator  Schlauraffs  Johann  von  Kunigstein  ist 
nach  Irenicus  bloß  festzustellen,  daß  er  zu  den  bekannteren 
humanistischen  Gelehrten  in  Main/  und  zur  Universität  zu 
zählen  ist. 


I:'  G.  Bauch,  ;..  a.  <>.,  403,  tot;  E.  Böcking,  a.  a.  0.,  IV,  689. 
Böcking  battc  eine  Aversion  gegen  Otto  von  Pack  und  ließ  ihn  daher  hier 
nicht  gelten,  sondern  tat  lieber  dem  Text  Gewalt  an,  und  ebenso  in  seinem 
Index    bibliographicus,   314   sub   voce   Bock. 

1  W.  Schomburgk,  Die  Packschen  Handel,  im  Historischen  Taschen- 
buch,   L881,    L75f.;    II.    Schwär/,    Landgraf    Philipp    von   Hessen   und   die 
Packschen   Händel,   Historische  Studien,   XIII. 
'■'   E    Böi  a.  a.  0.,  Suppl.   II,    102. 

I  ,   Böcking,  a.  a.  ()..  Suppl.   II,  366. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  81 

Wenig  belangreich  ist  ebenfalls  unser  Wi  ;sen  über 
Johann  Sorbillo.  Irenicus  zeichnet  ihn  1518  deutlich 
als  zur  Universität  gehörig,  als  wohlgelehrten  Artisten  und 
doch  zugleich  als  Vertreter  der  laetiora  studia,  des  Humanis- 
mus. Johann  Schlarp  oder  latinisiert  Sorbillo  (sorbere 
schlürfen)  aus  Geisenheim253  trat,  wie  aus  der  scheinbar 
überaus  rasch,  erfolgten  Promotion  zum  Magister  zu  schließen 
ist,  wahrscheinlich  nach  Vorstudien  anderswo,  vielleicht  in 
Mainz,  1505  in  Freiburg  i.  B.  ein  und  begab  sich  1506  nach 
Heidelberg,  wo  er  schon  1507  Magister  in  via  moderna  wurde. 
Von  seiner  literarischen  Tätigkeit  zeugt  nur  ein  kleines  Ge- 
dicht auf  Johann  Geiler  von  Kaisersberg  bei  der  1510  in 
Oppenheim  gedruckten  Trauerschrift  auf  den  Tod  Geilers: 
In  Johannis  Kaiserspergii  theologi  doctrina  vitaque  pro- 
batissimi  primi  Argentinensis  ecclesie  predicatoris  mortem 
planctus  et  lamentatio  cum  aliquali  vite  sue  descriptione  et 
quorundam  epitaphiis. 

Wieder  festeren  Boden  erreichen  wir  mit  Nikolaus 
Karbach,  wenn  wir  auch  weder  den  Gang  noch  die  Orte 
seiner  Studien  noch  seine  Heimat  kennen.254  Er  war  viel- 
leicht aus  Mainz,  vielleicht  auch  aus  Aschaffenburg.  Seine 
Arbeitskraft  und  seine  tüchtigen  Leistungen  als  humanisti- 
scher Dozent  an  der  Universität,  als  Herausgeber,  Korrektor, 
Übersetzer  und  als  erster  namhafter  Kenner  de.s  Grie- 
chischen in  Mainz  haben  ihm  ein  ehrenvolles  Andenken 
gesichert.  Nach  Roth  hatte  er  den  Wittichschen  Lehrstuhl 
für  Geschichte  inne,  und  das  würde  recht  wohl  dazu  stimmen, 
daß  er,  wie  Erasmus  versichert,  1519  schon  fünf  Jahre 
mit  ordentlicher  Besoldung  über  Livius  gelesen  habe.  Daß 
Gricius  angibt,  er  lese  „in  poesi",  woraus  man  folgern 
könnte,  er  sei  etwa  ein  Nachfolger  in  der  einstigen  Stelle 
des  Aesticampianus  gewesen,  ist  nicht  notwendigerweise 
als  verbürgt  anzusehen;  vielmehr  ist  das  nur  absichtlich 
von  Hütten  in  der  banausischen  Redeweise  der  scholasti- 
schen Artisten  gesagt,  die  alle  antiken  Schriftstellei'  zu- 
sammen kurzweg  als  Poeten    bezeichneten. 

Seine  Beliebtheit,  als  Lehrer  im  Griechischen  hebt  Ire- 
nicus nachdrücklich  schon  L518  hervor,  also  in  demselben 
Jahre,  wo  Wittenberg  in  Philipp  Me  lau  cht  hon  den  eisten 
schuluerechten  Lehrer  des  Griechischen   empfing,   und  seine 


253  F.  \V.  E.  Roth,  Neue  Jahrbücher  der  Pädagogik,  2.  Jahrg.,   172. 

264  F.  W.  E.  Roth,  Katholik,  a.  a.  0.,  352f.;  F.  Falk  im  Zentralblatt 
für  Bibliothekswesen,   IV,  218  f. 

Beiträge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  6 


82  Gustav  Bauch. 

letzte  exakte  wissenschaftliche  Arbeit,  abgesehen  von  einer 
Übersetzung,  war  die  Verifizierung  der  griechischen  Namen 
in  den  1525  von  Johann  Cochlaeus  auf  Wunsch  Johann 
Schöffers  herausgegebenen  Canones  Apostolorum.  Veter- 
um  Conciliorum  Gonstitutiones.  Decreta  Pontificum  anti- 
quiora  etc.-5"'  Er  hat  auch  die  Last  der  Korrektur'  des  Ganzen 
auf  sich  genommen. 

Bekannter  ist  er  geworden  und  bis  heute  den  Philologen 
schätzbar  geblieben  durch  die  von  Erasmus  und  Hütten 
effektvoll  eingeleitete  Liviusausgabe  von  1518/19.  Er  hat 
den  Hauptteil  der  Arbeit  verrichtet,  da  er  über  Livius  schon 
von  1513  ab  las,  wohl  auch  die  Mainzer  Handschrift  auf- 
gefunden. In  jahrelanger,  mühevoller  Tätigkeit  hat  er  die 
Aussähe  vorbereitet  und  die  Textredaktion  festsestellt,  denn 
sein  Helfer  bei  der  Kollationierung  und  der  Korrektur,  Wolf- 
gang Angst,  ist,  wie  es  scheint,  erst  1518  von  Hagenau  nach 
Mainz  gekommen.256  Hatte  Erasmus  schon  den  beiden, 
Karbach  !und  Angst,  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen,  so 
hat  Hütten  in  seiner  Widmung  an  Albrecht  diesen  seinen 
Freunden  gleichfalls  ein  Denkmal  gesetzt,  indem  er  sie  als 
die  Urheber  seiner  Widmung  darstellte  und  sie  unter  die 
bekanntesten  Herausgeber  dieser  Zeit  einreihte :  „Dazu 
haben  mich  die  wohlunterrichteten  Männer  Wolf  sang 
Angst  und  Nikolaus  Karbach  angeregt,  die  bei  uns  zu 
druckenden  Büchern  dieselbe  Mühe  zuwenden  wie  Egna- 
t.ius  nach  Aldus  in  Venedig,  wTie  in  Rom  gewisse  Gelehrte, 
wie  in  Basel  Beatus  Rhenanus  und  die  Amerbach,  wie 
in  Straßburg  Nikolaus  Gerbellius,  bei  anderen  andere; 
denn  diese  haben  mich  nämlich  mit  gelinder  Gewalt  ge- 
zwungen, dir  den  Livius  zuzuschreiben,  nicht  weil  sie  das 
selbst  nicht  könnten,  sondern  weil  sie  glaubten,  daß,  wenn 
dies  an  deinem  Hofe  geschähe,  es  auch  für  dich  ehrenvoller 
wäre".  Karbach  und  Angst  haben  tatsächlich  auch  nur  in 
kürzeren  Schreiben  bei  der  Ausgabe  über  ihre  Arbeit 
Rechenschaft   gegeben    und  ihre   Ratio   edendi  dargelegt. 

Karbach  hat  jedoch  damit  nicht  seine  Livianischen 
Studien  abgeschlossen,  sondern  er  hat  es  auch  auf  sich  ge- 
nommen-'7, die  Übersetzung  von  Schöfferlin  und  Wittich, 


'  C   Otto,   Johannes  Cochlaeus,  der  Humanist,  155 f. 

Wach  der  Äußerung  des  Erasmus  bei  E.  Böcking,  a.  a.  0.,  I,  260. 

c    Romische   bistorien  Tili   liuij   mit   etlicher  newen  Translation,  so 

kurzuerschienen  jaren  im  hohen  thum  Styfft  zu  Mentz  jrn  latein,  erfunden, 

und   \ <>i li vn  ml   Hier  gesehen.     Das   Register  liat  die  Jahreszahl  1522,  der 

Brief   Karbachs   datier!    L523   Mittwoch  nach  dem  tag  der  geburt  der  ge- 

■iii   gots  Marie. 


Aus*der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  83 

die  Johann  Schöffer  1514  noch  einmal  gedruckt  hatte, 
um  die  in  Mainz  gefundenen  Bücher  erweitert,  weiterzu- 
führen. Höchst  verständig  spricht  er  sich  in  einem  Schluß- 
briefe an  den  Leser  darüber  aus :  ,,Es  ist  fürwahr",  sagt 
er,  „als  mich  bedunckt,  gar  nichts  also  schwer,  als  etwas 
von  eyner  sprach  in  die  ander  geschicklich  und  eygentlich 
zu  bringen,  umb  vielerley  Ursachen  .  .  .  in  sunderheit  aber 
darumb,  das  eyn  ytliche  sprach  ein  besundere  eygenschafft 
an  ir  'hat,  die  der  andern  etwan  gar  nit  oder  seer  wenig  gemeß 
und  gleich  ist",  und  entschuldigt  sich  am  Ende  dann  wegen 
etwaiger  Gebrechen  der  Übersetzung.  Nachdem  durch 
Simon  Grynaeus  im  Kloster  Lorsch  ein  neues  Bruchstück 
gefunden  und  in  Basel  gedruckt  worden  war,  wurde  durch 
Karbach  und  Jakob  Micyllus  auch  dieser  Fund  ins 
Deutsche  übertragen258,  und  so  geben  dann  die  Mainzer 
Ausgabe  Ivo  Schöffers  von  1533  wie  ebenso  die  von 
1546  und  1557  diese  vierteilige  Gestalt  der  Übersetzung. 

Im  Jahre  1519  bereitete  Karbach  für  Johann  Schöffer 
und  wahrscheinlich  für  eigene  Vorlesungen  M.  Tullii  Cice- 
ronis  de  finibus  bonorum  et  malorum  ad  M.  Brutum  libri 
quinque  zum  Druck  vor  (Vorwort  pridie  Cal.  Nouembr.  1519), 
und  seine  Ausgabe  erschien  1520  im  März.259  In  diesem 
Jahre,  1520,  in  dem  Johann  Schöffer  als  Drucker  Hutten- 
scher  Schriften  von  Alb  recht  unter  päpstlichem  Druck  in 
das  Gefängnis  gesetzt  wurde260,  war  Karbach  des  vom 
Papste  verfolgten  Hütten  vertrauter  Briefvermittler  in  Mainz 
und  mit  Wolfgang  Fiabricius  Capito  bekannt.201  Auch 
nur  mit  einem  Vorwort  eingeleitet  (Nonis  Septembribus) 
gab  Karbach  1524  wohl  ebenfalls  in  Johann  Schöffers 
Interesse  Sancti  Prosperi  presbyteri  Aquitani  aduersus  ini- 
micos  gratiae  dei  libellus  etc.  Epistola  Aurelij  Carthaginiensis 
episcopi  contrn  Pelagianos  ''lr.  heraus.  Diese  Publikation 
hat  etwas  von  lutherischem  Beigeschmack. 

Mit  dem  Jahre  1533  erlischt  jede  Kunde  von  Karbach. 
Da  bei  der  erweiterten  Ausgabe  der  Liviusübersetzung262 
Ivo  Schöffers  von  1533  seine  Epistel  an  den  Leser  ganz 
fortgebliehen  ist  und  er  selbst  nur  den  ersten  Teil  des  Lor- 


Vox  'lein  vierten  Teile  steht:  Das  vierdl  teyl  der  Roemischen 
bistorien,  auß  fünft  büchern  Tili  liuij  imm  latein  newlich  erfunden,  und 
im  M.  D.  xxxiij.  jar  verteutsclil,  zwey  durch  Nicolaum  Carbachium,  die 
ander  drei   durch   Jacobum   Micvllum. 

259  F.  \Y.  E.  Roth,  Die  Mainzer  Buchdruckerfamilie  Schöffer,  a.  a.  0., 
47,  No.  55.    —   2go  E.   Böcking,  a.  a.   <>..   I.  364   §  6,  367. 

261  E.   Böcking,  a.   a.   0.,    I,   365. 

262  Siehe  oben  bei  Besprechung  dieser  Ausgabe. 


84  Gustav  Hauch. 

scher  Fundes  übersetzt  hat,  so  ist  er  wohl  1533  schon  aus 
dem   Leben   geschieden. 

Wolfgang  Angst  hat  offenbar  keinen  persönlichen  Zu- 
sammenhang mit  der  Universität  gehabt,  aber  wir  möchten 
doch  noch  ein  Wort  über  ihn  sagen,  das  nicht  den  Livius 
betrifft.  Bei  Heinrich  Gran  in  Hagenau  waren  1516  unter 
seiner  Aufsieht,  wie  er  selbst  Erasmus  unter  Beifügung 
eines  Exemplars  mitteilte263,  die  Epistolae  obscurorum 
virorum  (erster  Teil)  gedruckt  worden.  Da  liegt  es  bei  der 
Freundschaft  zwischen  Hütten  und  Angst  nicht  fern,  zu 
vermuten,  daß  er  auch  'den  Druck  der  Huttenschen  Epistolae 
obscurorum  virorum  nouae  (zweiter  Teil)  geleitet  habe. 
Druckorf  und  Drucker  sind  gänzlich  unbekannt  und  nach 
der  typographischen  Ausstattung,  sie  sind  mit  einer  kleinen 
verbrauchten  gotischen  Dutzendtype  gesetzt,  kaum  jemals 
bestimmbar.  Aber  das  Buch  trägt  am  Schluß  bei  einem 
Knoten  in  Holzschnitt  eine  Rätselfrage264,  die  schelmisch 
auf  den  Herausgeber  oder  den  Drucker  weist.  Sie  lautet: 
„Quinta  luna  obscuros  viros  edidit.  Lector,  solue  nodum 
et  ridebis  amplius".  Übersetzt  man  Quinta  luna  mit  Mai, 
so  kommt  man  nicht  weiter,  und  eine  so  einfache  Lösung 
würde  auch  keine  Heiterkeit  erwecken.  Setzt  man  dafür 
das  entlegenere  Quintilis  (Juli)  und  überträgt  das  ins 
Deutsche,  so  gelangt  man  zu  der  Namensform  Heumond 
oder  auch  nach  Schreibung  der  Prognostica  Heumon  oder 
Heumaii.  Das  würde  zu  dem  Mainzer  Drucker  Friedrich 
Hen mann  führen.  Dieser  ist  allerdings  vorläufig  höchstens 
bis  zum  Jahre  1515  nachzuweisen265;  es  wäre  jedoch  nicht 
ausgeschlossen,  daß  seine  Offizin  als  Kleindruckerei  für  Ak- 
zidenzdruck, Prognostica  und  dergleichen  auch  ohne  Drucke 
mit  Kolophon  weiter  bestanden  hätte.  Eine  solche  Druckerei 
gerade  wäre  wegen  ihrer  unansehnlichen  Typen  vor  der 
Gefahr  der  Entdeckung,  schon  war  der  Bann  gegen  den 
ersten  Teil  geschleudert,  so  ziemlich  sicher  gewesen,  und 
Angst  hi  'c  dann  bei  dem  Drucke  mitwirken  können. 

Seitdem  Reuchlin  die  Teilnahme  aller  Gebildeten  ge- 
funden halle,  war  in  den  humanistischen  Kreisen  das  Axiom, 
das  die  Sodali  las  literaria  oder  Academia  Platonica  des 
Cell  is   schon    141)5   auf    ihren    Schild    geschrieben   hatte266, 


i  E.  Böcking,  a.  a.  <>.,  1,  126.     Der  Brief  gehör!  in  das  Jahr  1516. 
K.  SicilT,  Der  ersic  l'.uchdruck  in  Tübingen,  217,  Anna.  1. 
I     Böi  i  bog,  a.  a.  0.,  Suppl.  II,  6, 
'  I  .   W.   E.   Roth   im  Zentralblatt  für  Bibliothekswesen,  X,  482. 
,;  o'.  Bauch,  Die  Rezeption  des  Humanismus  in  Wien,  71. 


Aus  der  Geschichte  des  Mainzer  Humanismus.  85 

allgemein  aufgekommen,  es  müßte  jeder  wahre  Gelehrte 
„trilinguis"  sein,  das  heißt  er  müßte  außer  Lateinisch  und 
Griechisch  auch  noch  Hebräisch  verstehen.  Es  wäre  doch 
wunderbar,  wenn  nicht  auch  in  Mainz,  gerade  in  Mainz,  wo 
Reuchlin  den  ersten  gerichtlichen  Ansturm  Höchst  in- 
tens auszuhalten  gehabt  hatte,  die  ,, heilige  Sprache"  irgend- 
einen Verehrer  gefunden  hätte.  Von  1520  ab  besaß  die  Stadt 
an  dem  Domprediger  Wolfgang  Fabricius  Capito  aus 
Hagenau  einen  Kenner  des  Hebräischen,  der  nach  der  lehr- 
haften Beanlagune  der  Deutschen  und  wegen  früherer  Übung 
des  Lehrens  gewiß  anderen  privatim  als  Lehrer  gedient  hat 
Etwa  1518  kam  aber  auch  ein  fahrender  Hebraist  nach 
Mainz,  um  an  der  Universität  Hebräisch  zu  lehren,  es  war 
Johannes  Cellarms  Gnostopolitanus  aus  Kundstadt 
in  Oberfranken,  der  dann  1519  in  Heidelberg  las  und  noch 
in  demselben  Jahre,  nach  einem  vergeblichen  Versuche,  in 
Wittenberg  anzukommen,  in  Leipzig  lehrte.  Nur  daß  er 
selbst  davon  spricht-67,  daß  er  auch  in  Mainz  gewirkt  habe, 
ist  uns   bekannt. 

Wir  können  unsere  Ausführungen  nicht  schließen,  ohne 
wenigstens  noch  leinen  Blick  auf  einen  Humanisten  zu  werfen, 
der  Mainz  seine  Vaterstadt  nannte  und  der  wohl  mindestens 
einen  Teil  seiner  nicht  ganz  gewöhnlichen  Bildung  in  Mainz 
erhalten  haben  wird,  auf  den  Böttchersohn  und  Karthäuser 
Otto  Brunfels.  Sein  erstes  gedrucktes  Werk,  eine  päda- 
gogische Publikation,  Aphorismi  institutionis  puerorum268, 
hat  er  (1519,  1.  August)  von  der  Karthause  bei  Straßburg 
aus,  dem  gelehrten  Provinzial  Gregor  Reisch  gewidmet, 
ausgehen  lassen.  Jakob  Wimpfeling  hat  sie  Johann 
Schott  zum  Druck  dringend  empfohlen,  weil  sie  für  Lehrer 
und  Schüler  gleich  nützlich  seien.  Der  Schlettstädter  Schul- 
rektor Johannes  Sapidus  hat  eine  poetische  Empfehlung 
beigetragen.  Das  Buch  beginnt  mit  hohem  Lobe  des  Eras- 
mus  und  zeigt  eine  gewaltige  Belesenheit  des  Verfassers 
wie  auch  Kenntnisse  im  Griechischen.  Wie  der  Kalthäuser 
als  Anhänger  der  Belormation  das  Kloster  bei  Mainz  ver- 
ließ, so  trat  er  auch  1523  dem  früher  so  hoch  von  ihm  ver- 


267  Zu  Johannes  Cellarius  vergl.  0.  Bauch   in  der  Monatsschrift 
Geschichte   und    Wissenschaft    des   Judentums,    \.    F.,    L2.    Jahrg.,    286f. 
Seinen  Begleiter  zu  Reuchlin,  Christophorus  Hacus  (1518),  begrüßte  Hütten 
in  Mainz  mit  einem  Gedicht.     E.  Böcking,  a.  a.  <•.,   I.  239. 

-'"'  Aphorismi  institutionis  puerorum  Othone  B.  Moguntino,  Car- 
thusiano,  autore,  frugi  Adulescentibus,  atque  ijs  qui  illos  probe  erudire 
velinl  adprime  conducibiles.  Argentorati  apud  Joannem  Scotum,  in  Thome- 
loci  pomerio,  penultima  Augusti,  Anno  Christiano.  M.  D.   XIX.     1°. 


Mi 


Gustav  Bauch 


ehrten  Erasmus  als  Freund  Huttens  entgegen269,  als  jener 
seine  böse  Spongia270  gegen  den  unglücklichen  Ritter,  der 
während  des  Druckes  oder  vor  dem  Erscheinen  derselben  ge- 
storben war,  ausgeschickt  hatte.  — 


269  Othonis  Brunfelsii  pro  Ulricho  Hutteno  defuncto  ad  Erasmi  Rotero- 
dami  Spongiam  Responsio.    Bei  E.  Böcking,  a.   a.   0.,   II,  325f. 

Sponeia  Erasmi  adversus  Aspergines  Hulteni.    Böcking,  a.  a.  ()., 
II,  265  f. 


II. 

Jakob  Weider,   der   erste  Rektor  der  Mainzer 
Hochschule  (1478  — 1483). 

Von  Franz  Falk. 


Längst  schon  besaß  das  Erzstift  Mainz  eine  angesehene 
Hochschule,  nämlich  zu  Erfurt.  Es  kann  als  Zeichen  hohen 
Wissensstandes  betrachtet  werden,  daß  eine  zweite  Hoch- 
schule folgte,  und  zwar  am  Sitze  des  Metropoliten  selbst,  zu 
Mainz.    Als  das  Stiftimgsjahr  galt  stets  das  Jahr  1477. ' 

Die  Wahl  des  Rektors  der  jungen  Stiftung  mußte  auf 
einen  Mann  von  Ansehen  fallen,  sie  fiel  auf  Jakob  Weider 
von  Siegen.  Was  geschichtliche  und  andere  Dokumente 
in  betreff  seiner  überliefern,  mag  im  folgenden  seine 
Zusammenstellung  finden.  Bei  dem  Verluste  der  Archi- 
valien zumal  der  ältesten  Hochschulperiode  mag  das  Wenige, 
das  wir  haben,  von  Wert  sein. 

Der  Geburtsort  Weiders  ist  das  nassauische  Siegen, 
jetzt  zum  Regierungsbezirk  Arnsberg  der  Provinz  West- 
falen gehörig.     Siegen  war  früher  ein  Fürstentum  des  west- 

ö  o  ö 

tauschen  Kreises,  gehörte  der  Familie  Nassau-Oranien   und 
gab   der   Familie  Nassau-Siegen   den   Manien. 

Obwohl  näher  bei  Köln  gelegen  als  bei  Mainz,  gehörte 
Siegen  in  kirchlicher  Hinsicht  nach  Main/,  und  so  noch  bis 
zun)  Ende  des  Kurstaats.  Der  Mainzer  Staatskalender  zählt 
auf:  Siegnisches  Landkapitel  mit  den  (wenigen)  Pfarreien: 
llecl.i,  rloldingshausen,  Keppel,  Xelphen,  Siegen,  Willen- 
dort  und  llödgen,-  ohne  Denn itoren,  Kämmerer  und  Sekretär 
wegen    seines    geringen    Inifangs. 

1   In   der   Wallersteinschen   Bibl.   zu   Maihingen    II,    1,   Eol.   94    (19): 
Dietheri  aepi  mos.  Instrument.   Eundationis  universitatis   Mog.     Drucke  dei 
in  Gudenus,  Cod.  dipl.  IV,  122;  Würdtwein,  Subs.  dipl.  III.  L82. 


Erri 


rtiiuii'. 


88  Franz  Falk. 

Somit  erklärt  sich,  daß  Weider  seine  Studien  in  Köln 
machte,  in  Mainz  aber  seine  Verwendung  fand. 

Das  Geburtsjahr  Weiders  ist  nicht  überliefert;  da  seine 
[mmatrikulierung  in  Köln  ins  Jahr  1453  und  sein  Tod  ins 
Jahr  1483  fällt,  so  können  wir  ungefähr  sein  Geburtsjahr 
bestimmen,   sagen   wir  zwischen   1423   und   1433. 

Die  Kölner  Matrikel  unter  dem  Rektorate  des  Gisbert 
von's  Gravensand  verzeichnet  zum  Jahr  1453: 

Jac.  Weider  de  Segen,  magunt.  dioec. ;  art.;  solvit  et 
juravit  ;   Juni    17,    das   ist 

Jacob  Weider  von  Siegen,  Mainzer  Diözese,  in  artibus, 
bat  die  Gebühr  entrichtet  und  den  Eid  geleistet  am 
17.   Juni    1453. 

Ein  anderer  Jacob  Weider  von  Siegen,  vielleicht  der 
Oheim  unseres  Weider,  lebte  etwas  früher,  was  zur  Ver- 
wechslung führte2;  1441  wurde  nämlich  ein  Jakob  Weider 
zu  Heidelberg  immatrikuliert,  als  Propst  von  Liebfrauen  zu 
Mainz.3 

In  demselben  Jahre  war  auch  Eggeling  (Angelus  Becker) 
von  Braunschweig4  zu  Köln  inskribiert  worden,  desgleichen 
Gabriel  Biet,  wrelche  beide  später  in  Mainz  sich  wieder- 
finden. 

Reihen  wir  hier  jene  Stelle  ein,  welche  wir  dem  Ge- 
schichtschreiber der  Hochschule,  Heinrich  Knodt5,  Doktor 
beider  Rechte,  Sacri  Palatii  Comes,  Assessor  und  Biblio- 
thekar der  Hochschule  verdanken ;  er  gibt  einen  Catalogus 
chronologicus  reetorum  magnificorum  in  universitate  mo- 
guntina  17516  und  nennt  an  erster  Stelle  zum  Jahr  1478: 
Jacobus  Weider,  SS.  Theologiae  Doctor  Ejusdemque  Pro- 
fessor publicus  et  Ordinarius,  wozu  er  einige  biographische 
Angaben  fügt  : 

„Natus  l'uit  in  Siegen  Nassau  (ubi  ejusdem  familia  in 
buiic  usque  diem  floret),  et  postquam  '  assiduam  studiis 
operam  navasset,  in  Universitate  Coloniensi  titulum  Doc- 
loris,  ac  Abiguntiae  ad  Gradus  B.  M.  V.  nee  non  S.  Petrum 
Canonicatus  et  respective  Decanatum  obtinuit,  primum  in 
Academia  Moguntina  SS.  Theologiae  Professorem  egit,  quo 
in  ol'licii  imiiiei'e  et  sedulitate  in  laborando,  prudentiaque 
in    docendo,    ac    honestate    in    rede    boateque    vivendo    ita 

3o    N.    Keussen   in  der   Herausgabe  der   Kölner  Matrikel,  S.   426, 
Note  zu  257,  58  •■  Studierte  auch  zu   Bologna.     Knodt,  S.  1U2. 

1  Joannis   II.  675;  Gudenus,  I.  c.   II,  71!);  Würdtwein,  1.  c.  IV,  163. 
Gebürtig   zu   Münster-Maifeld   im   Kurtrierischen  ums  Jahr  1718:  er 
wurde  Stadtgerichtsassessor,  Konsulent  im  St.  Rochusspital  und  starb  1784, 
April    In.    —       Bildel    <\\r   Commentatio    II    der  Mocuntia  litterata. 


Jakob  Welder,  der  erste  Rektor  der  Mainzer  Hochschule.  89 

se  gessit,  ut  a  suis  Discipulis  singulariter  observaretur  et 
ab  omnibus  Civitatis  Incolis  egregie  amaretur." 

Danach  erlangte  er  zu  Köln  den  Doktorgrad,  und  zu 
Mainz  ein  Kanonikat  zu  r.iebfrau  und  Dekanat  zu  St.  Peter. 

Es  wird  also  ihm,  dem  Theologieprofessor,  besonderes 
emsises  Arbeiten,  Klugheit  im  Unterricht  sowie  achtbarer 
Lebenswandel*  nachgerühmt,  so  daß  ihm  seine  Schüler 
hohe  Achtung,  alle  Bewohner  der  Stadt  besondere  Liebe  ent- 
gegenbrachten. 

Einerseits  genügt  dieses  so  kurze  Lob  zur  Würdigung 
des  Mannes,  andererseits  möchten  wir  Einzelheiten  er- 
fahren, wie  es  ihm  möglich  war,  die  Blicke  der  ganzen 
Stadt  auf  sich  zu  ziehen  —  ob  durch  Reden,  Predigten 
oder  Schriften  —    und  die  Herzen  der  Schüler  zu  gewinnen. 

Ob  es  seine  Richtigkeit  hat,  was  Bodmann  in  den  Rhein - 
gauischen  Altertümern  S.  137  andeutet:  „Wie  es  übrigens 
zugegangen  seye,  daß  man  ungeachtet  so  vieler,  von  jeher 
zu  Mainz  über  die  Erfindung  der  Kunst  Gutenbergs  der 
gelehrten  Welt  mitgeteilten  Schriften  noch  nicht  darauf  ge- 
kommen sey,  das  um  die  Aufnahme  und  Verbreitung  der- 
selben so  überaus  erhebliche  Verdienst  der  in  so  mancher 
Rücksicht  höchst  ehrwürdigen  Männer,  eines  Jvo  Witt  ig, 
ingleichen  des  Johannes  Kempen7  ...  und  endlich  des 
gelehrten  Dechants  und  ersten  Rektors  der  Hochschule  zu 
Mainz,  Jakob  Weider,  gebührend  zu  erheben  und  ins  Licht 
zu  setzen,  ungeachtet  die  ergiebigsten  Quellen8  dazu  bisher 
vor  der  Hand   gelegen  sind,   ist  uns  wahrlich   unbekannt". 

Weider  trat  nach  Knodt  erst  1478  sein  Rektorat  an.  Wie 
andere  Hochschulen,  so  weist  auch  die  Mainzer  eine  Reih;' 
von  Gönnern  auf,  welche  in  verschiedener  Weise,  zumal 
im  Zuwenden  von  Büchern,  ihre  Liebe  zu  der  Anstalt 
bekundeten.  Es  bestand  sogar  ein  Liber  Benefactorum, 
welches  Knodt  noch  kannte.  Er  entnimmt  demselben  fol- 
gende Stelle: 

„Eximius  Dominus  Jacobus  Weider,  Axtium  Magister, 
sacre  pagine  Doctor9,  et  hujus  Universität is  Moguntine  pri- 
mus  Rector,  et  Facultatis  Theologicae  Ordinariiis,  donavii 
ad  communem  librariam  Universitatis  Libros  XXII." 

Sollte  sieb  von  dieser  Bücherzuwendung  nichts  erhalten 
haben?     Verhängnisvoll   war  für  die   lübliotbek   die  schwe 


•   Egregii   bor    tnem,  quondam   Dni  Joh.   Kempen,  Sacr.  Canon.   Dris. 
Can.   Eccl.   B.  M.    V.  ad  gr.  Necrol. 

8  Oh  Bodm:  in  andere  Quellen,  bessere  als  wir,  kannte?     In  der  äl 
tosten  Geschichte  der  Erfindung  Gutenbergs  wollte  mir  der  Name  J.  Weider 
nicht   begegnen.    —  9  Soviel  als  theologiae  doctor. 


90  Franz  Falk. 

dische  Okkupation  der  Stadt,  denn  der  König  Gustav  Adolf 
hatte  die  Sammlung  der  Hochschule  seinem  Kanzler  zum 
Geschenk  gemacht  1631,  die  Bücher  gingen  leider  bei  der 
Überführung  nach  Schweden  zugrunde.  Jedoch  ein  Werk, 
das  ein  Geschenk  Weiders  war,  entging  diesem  Schicksale, 
nämlich  der  Schöfferdruck  von  Institutionum  opus  prae- 
clarum  Mog.  X.  Kalendis  Jim.  1476  consummatum.  Dieses 
Exemplar  sah  noch  Knodt  in  der  Universitätsbibliothek  laut 
seiner    An 'iahe     in    De    Moguntia    litterata     Commentatio    I. 

L752,   p.   31. 10 

Die  Stadtbibliothek,  an  welche  die  Bücher  der  ehe- 
maligen Hochschule  übergingen,  besitzt  diesen  Wiegendruck 
leider   nicht    mehr.11 

Möglicherweise  taucht  das  Weldersche  Exemplar  der  In- 
stitutionen von  1476  anderwärts  auf. 

In  der  Reihe  der  Stiftskirchen  der  Stadt  stand  St.  Peter 
außerhalb  der  Stadtmauern  (nördlich)  als  das  älteste  an 
erster  Stelle.  Seine  Pröpste  lassen  sich  ins  zehnte  Jahr- 
hundert verfolgen:  des  Stifts  Ansehen  ergibt  sich  daraus, 
daß   sein   Dekan   Os   cleri  secundarii  war. 

Joannis  gibt  in  der  Liste  der  Stiftsdekane  folgendes  an: 
Jacobus  Weider  de  Siegen,  SS.  Theol.  D.,  huius  et  B.M.V.  ad 
gradus  Canonicus,  Primus  Academiae  Moguntinensis  anno 
1477  institutae  Rector.  f  anno  1483,  die  18.  Maii.12 

Eine  Amtshandlung  Weiders  als  Dekan  von  St.  Peter 
hat  uns  Würdtwein  in  der  Dioecesis  Moguntina  in  archi- 
diaconalus  divisa  II,  22  aufbewahrt;  Weider  nämlich  und 
die  gesamte  Stiftsgeistlichkeit  geben  dem  Stiftsherrn  Joh. 
Kirchperg  und  dem  Pfarrer  Bernhard  Frank  zu  Castel  den 
Auftrag,  den  Send  im  Archidiakonatsbezirke  des  Propstes 
von  St.  Peter  abzuhalten  auf  Tiburtiustag  1479.  Jacobus 
Weider  decanus,  Adolffus  de  Breythart  scolasticus  etc.  .  .  . 
lnandaiiiin  dedere  .  .  .  celebrandi  synodum  in  archidiaconatu 
praepositurae   S.    Petri. 

''  Knodi  teilt  die  Schlußschrift  mit  unter  Abdruck  des  Fust-Schöffer- 
schen    Druckerzeichens  (Fust-Schöffer  Doppelschild). 

11   Das  in  dei   Stadtbibliothek  vorhandene  Exemplar  der  Institutionen 

ml  aus  der  Kartause  und  war  ein  Geschenk  des  St.  Stephansstiftsherrn 

Gotschalk  Eschenbrocker  aus  Fulda,  der  auch  den  noch  vorhandenen  Oster- 

kerztnlenchter  ins  Stift   schenkte,    L512,  laul   der   Inschrift  auf  demselben. 

Falk,    \n-  der  Stiftsgeschichte  von  St.  Stephan  zu  Mainz,  in:  Zeitschr. 

Ver.  in.   [Rheinische  Geschichte  (1883),  III,  303. 

loannis.   Rer.  mog.    II.  499;  über  os  cleri  secundarii   p.  486.    Der 
lelzte  Propst   des   Sti  lufgehoben  2.  Juli    L802)   war   Kasimir   Häffelin, 

seil    17'.»'    Weihbischof,   starb   als    Kardinal.   90  Jahre   alt,   zu    Rom    1827. 
Klepper,   Die  St.  Peterskirche,   L874. 


Jakob  Weider,  der  erste  Rektor  der  Mainzer  Hochschule.  91 

Für  den  ersten  Augenblick  mag  es  auffallend  erscheinen, 
daß  der  Stiftsdekan  und  Professor  Weider  in  der  .Matrikel 
zu  Heidelberg  erscheint.  Es  heißt  darin  zum  Jahre  1475 
unter  dem  Rektorate  des  Martin  Renez  von  Wiesensteig13: 
Magister  Jacobus  Wclder  de  Siegen,  s.  theologie  professor, 
ecclesie  s.  Petri  extra  muros  Moguntinensis  decanus 
XV.  August.  Doch  war  es  keine  Seltenheit,  daß  Kleriker 
in  höheren  Stellen  und  in  höherem  Alter  sich  an  einer 
Hochschule  inskribieren  ließen,  um  sich  der  Vorrechte  der 
Hochschulen  zu  erfreuen.  Übrigens  lag  darin  für  die  Hoch- 
schule wie  für  einen  Studiosus  dieser  Art  eine  gegenseitige 
Ehrenerweisung. 

Eine  nicht  geringe  Ehre  wurde  unserem  St.  Peter- 
stiftsdekan  im  Jahre  1473  zuteil.  Die  benachbarte  Metro- 
pole Trier  besaß  nämlich  noch  nicht  eine  Hochschule ;  Köln 
war  ihr  längst  mit  gutem  Beispiel  vorangegangen  1388.  Ge- 
legentlich der  glänzenden  Pilgerfahrt14,  welche  Erzbischof 
Jakob  von  Sirk  1450  mit  Bischof  Konrad  von  Metz  und 
unter  Begleitung  von  140  Edelleuten  nach  Rom  zum  Jubi- 
läum  machte,  trug  er  dem  Papste  Nikolaus  V.  den  Wunsch 
vor,  zu  Trier  ein  sogenanntes  Generalstudium  einrichten  zu 
dürfen;  der  Papst  gewährte  die  Bitte  unter  Zusicherung  aller 
Rechte  und  Vorrechte,  welche  der  Kölner  Hochschule  ver- 
liehen worden  waren. 

Nachdem  die  Männer  zusammengefunden  waren,  welche 
den  Lehrkörper  der  Universität  bilden  sollten,  wurde  der 
16.  März  zur  Wahl  des  Rektors  festgesetzt,  zugleich  auch 
zur  Eröffnung  durch  feierlichen  Gottesdienst  im  Dome. 
Nebst  den  Doktoren,  Lizentiaten,  Magistern  der  freien  Künste 
erschienen  die  Äbte  und  Prioren  der  Abteien  St.  Maximin 
und  St.  Matthias,  die  Konventualen  aller  Klöster,  alle  Pröpste 
und  Dignitäre  der  Stiftskirchen,  Yikarien  und  Ältaristen  des 
Domes,   die   Prübeudaten  von  Liebfiau,  Bürgermeister  und 

7  7  O 

Räte  der  Stadt,  und  viel  Volk  aus  der  Stadt. 

Die  Feierlichkeit  begann  mit  einer  Predigt  über  d^\\ 
Heil.  Geist,  gehalten  zwischen  8  und  9  Uhr,  und  zwar 
von  unserm  Jakob  Wclder  von  Siegen,  Magister  <\'v  freien 
Künste    und    Professor   der   Theologie.1"     Das   Thema    paßte 


13  Töpke  I,  243. 

11  Von  den  Kirchenfürsten,  welche  Papst  Nikolaus  in  dem  Jubi- 
läumsjahre begrüßen  konnte,  ist  namentlich  der  Trierer  Erzbischof  Jakob 
v.  S.  zu  nennen.  In  Begleitung  von  1  10  Rittern  kam  er,  einst  von  allen 
Reichsfürsten  der  rührigste  Anhänger  des  Konzils  (vpn  Basel),  nach  Rom, 
um  sich  mit  dem  heil.  Stuhle  auszusöhnen.     Pastor,  Päpste  I.  ;!G0. 

1o  Die  näheren  Umstände,   welche  zur   Berufung   Weiders   als   Fest- 


92  Franz  Falk. 

zu  der  Inauguration  einer  Anstalt,  die  zur  Förderung  der 
Wissenschaften    bestimmt  war.16 

Nach  dem  Hochamte  zogen  alle  Wahlberechtigten  in 
das  Etefektor  des  Doms  zur  Wahl  des  Rektors;  sie  werden 
mit  Namen  genannt,  darunter  Jakob  Weider  von  Siegen, 
Dr.  der  Theologie,  Herrn.  Frank,  Dr.  der  Rechte  u.  s.  f.  Den 
Schluß   bildete  ein  Festessen  . 

Ins  Jahr  1479  fällt  die  Untersuchung  der  Lehren  des 
Johannes  von  Wesalia,  welcher  als  Dompfarrer  von  der  seit- 
herigen Kirchen  lehre  abweichende  Äußerungen  getan  haben 
sollte.  Schon  die  Zeitgenossen  gingen  in  Beurteilung  über 
Jobannes  auseinander.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort  zur  weiteren 
Erörterung.  Wir  wissen,  daß  Freitag  nach  Maria  Lichtmesse 
1479  eine  Sitzung  stattfand,  in  welcher  der  Beschluß  zu- 
stande kam,  Johannes  solle  alle  seine  Schriften  zur  Begut- 
achtung vorlegen,   ut  per  proprios  sermones  vinceretur. 

An  der  Sitzung  nahmen  teil  alle  Doktoren  und  Magister 
von  Heidelberg,  der  Mainzer  Weihbischof  Matth.  Emich,  der 
Graf  Wilhelm  von  Wertheim,  Generalvikar,  Graf  Rupert  von 
Solms,  Kustos,  Bernard  von  Breitenbach,  Makarius  von 
Busek,  Domherren,  der  Frankfurter  Pfarrer,  der  Rektor  der 
Universität  und  der  Dekan  der  Artisten.17  Obwohl  letztere 
nicht  mit  dem  Namen  genannt  werden,  so  wissen  wir  doch, 
daü  der  Rektor  Weider  gemeint  ist. 

I  las  Rektorat  Weiders  erstreckte  sich  ins  Jahr  1480,  denn 
als  Nachfolger  wird  in  diesem  Jahre  Petrus  von  Viersen  ge- 
nannt,  1483  Johannes  Scriptoris. 

Im  Jahre  1483  erscheint  Jakob  Weider  während  des 
Rektorats  des  Johann  Scriptoris  aus  Ulm  unter  den  Aus- 
stellern eines  Aktenstückes,  welches  den  Johann  Heyl  von 
Cappel,  Üact  alaureus  in  Theologie,  auf  ein  Kanonikat  zu 
St.   Peter  in   Fritzlar  präsentiert: 

„Joannes  Scriptoris  de  Ulmena,  artium  et  s.  theol.  pro!'., 
rector  ahne  universitatis  generalis  studii  Mog.,  Jacobus 
Weider  de  Siegen  artium  et  sacre  pagine  prof.,  Alexander 
Theodorici  de  Meinungen  art.  et  jur.  civ.  doctor  etc."18 

Unsere  Daten  hängen  allerdings  lose  aneinander,  immer- 
hin geben  sie  genügenden  Anhalt  dafür,  daß  Weider  ein  vor- 
züglicher   Rektor  gewesen  sein  muß. 

Prediger  beitrugen,  werden  nicht  genannt;  doch  wird  der  Ruf  bedeutender 
Rednergabe  si(  her  mitgewirkt   haben. 

";  Nach  Marx,  Erzstift    frier,  II.   i:>7,   i:>s:  einer  Beziehung  Weiders 
zu  Mainz  isl  bei  Marx  nicht  gedacht. 

17  Srlmnk.   Beitr.   I.  296;  Falk,  Bibelstudien  in  Mainz,  S.  60. 

18  Knodt,   Comment.    II,  2.  .">. 


Jakob  Wejder,  der  erste  Rektor  der  Mainzer  Hochschule.  93 

Sein  Grab  erhielt  er  da,  wo  er  Dekan  war,  nämlich  im 
Stifte  St.  Peter.    Die  Grabinschrift  lautet : 

A.  D.  1483  die  18  mensis  maii  obiit  venerandus  Jacobus 
Walder  de  Siegen,  artinm  et  divinarnm  literarum  professor 
eximius,  hujus  ecclesiae  can.  et  dec. 

So  schrieb  Pfarrer  Severus,  gestorben  1779,  das  Epitaph 
ab,  wie  es  in  dem  Teile  des  Würdtweinschen  Nachlasses 
steht,  den  der  Nassauische  Altertumsverein  zu  Wiesbaden 
besitzt,  und  woraus  Zais  in:  „Beiträge  zur  Geschichte  des 
Erzstifts  Mainz",   1880,  S.   39  den  Abdruck  gab.19 

Den  Stein  sah  noch  Knodt  und  bemerkt  a.  a.  0. :  ,,ad 
S.  Petrum  sepultus  teste  lapide,  qui  ad  templum  Odenmünster 
translatus  ante  aliquot  annos,  dum  illud  adhuedum  stetig 
in  choro  visebatur". 


1!)  Bodmann  entnahm  dem  Yetus  Protoc.  Capli  S.  Petri,  fol.  42  v.,  die 
Notiz:  die  XIX  maij  ob.  hrabilis  Dnus  Jacobus  Weiler  dec.  S.  Petr.,  et 
vigore  precum  imperial.  Dnus  Bern.  Gros  etc.  Diese  Notiz  schrieb  Bod- 
mann seinem  Gudenus,  Cod.  dipl.  IV,  425  (Stadtbild.),  bei;,  gleichwohl 
wird  das  Epitaphdatum  vorzuziehen  sein. 


III. 

Die  Mainzer  Bursen  „Zum  Algesheimer"  und 
„Zum  Schenkenberg"   und  ihre  Statuten. 

Von  Fritz  Herrmann. 


Die  zweite  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  erlebte 
in  der  scholastischen  Philosophie  einen  heftigen  Kampf 
zwischen  den  Vertretern  der  vianioderna  und  der  via  antiqua, 
der  gewöhnlich  als  ein  Ringen  der  beiden  alten  Gegensätze 
•des  Nominalismus  und  des  Realismus  aufgefaßt  wird.  In- 
dessen ist  nach  neueren  Forschungen1  keineswegs  die 
I  ii i vcrsal ienf rage  der  Kernpunkt  des  Gegensatzes,  wie  denn 
auch  die  moderni  die  Rezeichnung  nominalistae  ablehnen. 
Vielmehr  handelt  es  sich  darum,  daß  gegen  den  als  via  rao- 
derna  hellsehenden  Ockamismus,  dem  eine  scharfe  Trennung 
der  Gebiete  des  Glaubens  und  des  Wissens,  sowie  eine  neue 
Logik  eigentümlich  ist  und  der  sich  bei  aller  wissenschaft- 
lichen Tüchtigkeit  in  abstruse  Spitzfindigkeiten  zu  verlieren 
begann,  eine  skotistisch-realistische  Reaktion  aufkam,  die 
in  ihrer  Hinwendung  zu  den  konkreten  Einzeldingen  als 
Vorläuferin  der  realen  Wissenschaften  anzusehen  ist  und 
den  Sieg  des  Humanismus,  zu  dem  zahlreiche  ihrer  Vertreter 
hinneigten,  mit  erringen  half.  Diese  von  Paris  ausgehende 
via  antiqua  drang  seil  etwa  1450  in  die  seither  rein  nomina- 
lislischen  l'niversitälen  Süd  Westdeutschlands  ein  und  fand 
solchen  Anklang,  daß  die  drei  im  achten  Jahrzehnt  des 
Jahrhunderts  errichteten  neuen  Hochschulen  zu  Ingolstadt, 
Tübingen  und  Mainz  bereits  bei  ihrer  Gründung  sie  neben 
der  via   moderna  in   der  theologischen  und  der  artistischen 


1   IL   Hermelink,   Die  theologische  Fakultät  in  Tübingen  vor  der  Re- 
formation   1177—1534.     Tübingen   1ÜÜÜ. 


tele  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten. 


95 


Fakultät  zulassen  mußten.  So  bestimmen  die  ältesten 
Mainzer  Universitätsstatuten2  in  ihrem  §  15  über  das  con- 
cilium  maius:    ut  rector,  doctores  et  licentiati  quariimlibel 


Die  Burse  zum  Algesheimer. 


facultatum  hie  recepli,  decauus   facultalis  artium,  cum   quo 
magistri  quatuor  de  doctrina  modernorum  et 

-  Außer  dem  ältesten  Statutenbuch  (Stadtbibl.  zu  Mainz)  sind  im  Eol 
genden   benutzl   das   Dürrsche   Manuskript   über  die   Universitätsgeschichte 
(ebd.)  und  die  Collectanea  zur  Geschichte  der  Universität  Mainz  aus  dem 
Bodmann-Habelschen   Nachlaß  (Konv.  408;   Reichsarch.  zu   München),  die 
gleichfalls  Dürrsche  Materialien  enthalten. 


96  Fritz  Herrtnann. 

quatuor  de  d  octrinaa  n  t  i  q  u  o  r  u  m  ,  regant  universi- 
tatem";  doch  scheint  hier  die  via  antiqua  einen  starken 
spezifisch   thomistischeii    Einschlag  gehabt  zu   halten. 

Bei  der  Dürftigkeit  der  Nachrichten,  die  über  die  An- 
fangszeiten der  Mainzer  Universität  überhaupt  und  über  den 
Lehrkörper  insbesondere  vorliegen,  läßt  sich  die  Zugehörig- 
keit der  einzelnen  Professoren  zu  'der  einen  oder  der  anderen 
Richtung  in  den  wenigsten  Fällen  mehr  feststellen.  Immer- 
hin bleibt  eine  Untersuchung  doch  nicht  ganz  ergebnislos. 
Sie  knüpft  am  besten  an  die  im  Jahre  1500  verfaßte  hand- 
schriftliche Mainzer  Chronik  Hebelins  von  Heimbach  an, 
<\i>v  auch  einiges  über  die  Universitätsverhältnisse  seiner 
Zeit  berichtet.3  Er  nennt  als  den  primus  modernorum  den 
Pfarrer  an  St.  Christoph  und  Domvikar  Florentius  Diel4 
aus  Speier,  „qui  in  ea  doctrina  plurima  volumina  notatu 
digna  conscripsit".  Eines  dieser  Handbücher  ist  die  1490 
bei  Peter  Drach  in  Speier  erschienene  Etymologia  Donati5; 
es  ist  mir  jedoch  nicht  zweifelhaft,  daß  auch  die  im  gleichen 
Verläse  und  ebenfalls  unter  der  Flagge  des  Mainzer  Kollegi- 
ums  der  Modernen  ausgegangenen  Summulae  losicales  von 
1489 G,  sowie  die  Exercitata  librorum  Perihermenias  von 
1490 7  gleichfalls  Diel  zum  Verfasser  haben,  wenn  er  auch 
als  solcher  nicht  ausdrücklich  genannt  ist.  Nach  1500  hat. 
er  auch  noch  eine  Grammatik8  verfaßt,  die  bei  Friedr.  Heu- 

3  Cod.  man.  chart.  fol.  No.  187  der  Univers. -Bibl.  zu  Würzburg.  Über 
den  Verf.  und  die  Handschrift  cf.  F.  W.  E.  Roth  in  N.  Jahrb.  r\  Philo, 
l<.j:i..   1899.   II,   I75f. 

1  Cf.  die  Biographie  von  F.  W.  E.  Roth  im  Katholik  78  (1898),  II, 
238 ff.,  und  F.  Falk,  Die  pfarramtl.  Aufzeichnungen  des  Florentius  Diel  (ErL 
u.  Erg.  zu  Janssen-Pastor,  Bd.  4,  Heft  3). 

■'  Modernorum  de  collegio  maiori  moguntino  etymologia  praeclara 
donati  noviter  exarati:  el  in  duas  primo  minorem  et  secundo  maiorem 
editiones  partita :  ad  discipulorum  diversorum  capacitatem  successivam. 
Die  Schrifl  isi  I'.  \\ .  E.  Roth  in  seiner  Gesch.  u.  Bibliogr.  der  Buchdrucke- 
i  zu  Speier  im  15.  u.  1(>.  Jahrh.  (Mißt.  d.  hist.  Ver.  der  Pfalz  18 
[1894],  1  ff. |  entgangen.  Pen  Hinweis  auf  den  Druck  und  den  Verfasser, 
der  f.  a  8b  sowie  in  der  vom  -2(i.  September  1489  datierten  Schlußschrift 
sich  nennt,  verdanke  ich  Herrn  Hofbibliotheksdirektor  Dr.  Schmidt  in 
Dannstadt. 

Modernorum  summulae  logicales  cum  notabilibus  topicorum  ac  dispu- 
tatis  elenchorum  librorum  ex  aristotele,  boetio,  beato  augustino,  marsilio 
el  ah  aliis.  subtilioribus  sententiis,  viris  doctissimis  fideliter  enucleatae,  ac  a. 
magistris  collegii  moguntini  regentibus  de  modernorum  doctrina  sunt  studio- 
sissime  innovatae.  Roth,  a.  a.  ().,  49;  über  den  Inhalt  cf.  Prantl,  Gesch. 
d.  Logik  im  Abendlande,   1.   192,  233f. 

Modernorum  de  collegio  Maguntino  exercitata  librorum  Periherme- 
nias clarissima.     Roth,  a.  a.  <>..  78. 

8  Grammatica  initialis  valde  resoluta  et  etimologica  et  syntaxis  octo 
partium  orationis  compendiosa  adeo,  1509;  cf.  F.  \Y.  E.  Roth  im  Zentralbl. 
f    Bibliothekswesen    in  (1893),  479,  und  im   Katholik,  a.  a.  O.,  240. 


bie  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  97 

mann  in  Mainz  erschienen  ist.  So  stellt,  er  sich  uns  schon 
durch  seine  schriftstellerischen  Leistungen  in  der  Tal  als 
der  Führer  der  Modernen  dar.  Als  seine  bedeutendsten 
Schüler  führt  Hebelin  an:  Nikolaus  Dürkheimer,  Pfarrer 
zu  Eltville  und  Kanonikus  an  St.  Peter9,  Heinrich  Kesse, 
Pfarrer  und  Kanonikus  in  Bingen10,  den  Dichter  und  Theo- 
logen Jakob  Merstetter11  und  den  damaligen  Regens  des 
colleeium  maius  Rulin  Mintzenberger.12  Als  weitere 
Moderne  aus  der  älteren  Zeit  wird  man  die  Theologen 
Johann  Bertram  von  Naumburg13,  Werner  Alich  von 
Sprethu,  Konrad  Hensel  von  Cassel15  und  Hermann  Ort- 
lieb von  Rotenburg16  und  die  Artisten  Andreas  Eier  von 
Meiningen17  und  Peter  Flachsweiler  von  Trier18  ansehen 
dürfen,  die  sämtlich  aus  Erfurt  kamen,  das  sich  von  der 
via  antiqua  stets  frei   hielt. 

Die  via  antiqua  soll  nach  Mainz  durch  den  Franzis- 
kaner Stephan  Brulefer19  verpflanzt  worden  sein,  der 
jedoch  nur  im  Minoritenkloster  gelehrt  hat.  Als  Realisten 
an  der  Universität,  nennt  Hebelin  den  Dekan  an  St.  Moritz 
Johann  Wacker20  und  den  Kanonikus  an  St.  Johann  und 
späteren  Suffraganbischof  Johann  Bruder  aus  Münster, 
gewöhnlich  Monasterii  genannt.21  ,,Hi",  so  sagt  der 
Chronist,  „doctrinam  eorum,  qui  reales  (in  sermotionalibus 
scriptis)  appellantur,  plantant,  roborant  et  augent,  inter 
praeeipuos  quoque  huius  doctrinae  magistri  et  auetores 
existunt".  Man  wird  diesen  beiden  Theologen  die  von  der 
thomistischen  Kölner  Hochschule  ausgegangenen  Jakob 
Weider22,  den  ersten  Mainzer  Rektor,  und  Johann 
Quattermart23,  sowie  Johann  Vilhauer24  und  den  Ar- 
tisten Martin  Kuppel  von  Bodmann2-1  zuzählen   dürfen. 


9  Cf.   die   Biographie   von   Roth   im   Katholik,   a.   a.    0.,   24911. 

10  H.  Knodt,  Hist.  univers.  Mog.,  2,  43. 

11  H.   F.   Singer,   Der  Humanist  Jakob  Merstetter   1460-1512.  Mainz 
1904. 

12  Gemeint   isl   vielleicht   der  Knodt,   55,   genannte  Rolinus  Tinctoris. 

13  Cf.    die   Biographie   von    Roth    im    Katholik,    a.   a.    0.,   242 (f. 

14  Knodt,   7  f. ;   Weißenborn,    Erfurter  Matrikel,    1,   317. 
"  Knodt,  40;  Weißenborn,  1,  223. 

lfi  Knodt,  42;  Weißenborn,  1,  364. 

17  Knodt,  65;  Weißenborn,   1,  322. 

18  Knodt.   11;  66;  Weißenborn,   2,  202. 

"  Hermelink,   137;  Wetzer  u.   Weite,   Kirchenlexikon2,  2,   3551;   Y 
Paulus  in  Theol.  Quartalse.hr.,  75  (1893),  291  IT. 

20  Knodt,  41;  Gudenus,  Cod.  dipl.,  •">,  944. 

21  Joannis,   Rer.   Mog.,   2,   441f.      Sein    Familienname   war   bisher  im 
bekannt.  Knodt,  65.        ■'  Knodt,  1.  Cf.  auch  V.  Kalk  in  diesem  Buche, 87ff. 

»«  Knodt,  41.  —  -'*  Ebd.  39.        -'■'•  Ebd.  64. 

Beitrüge  z    Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  U.  Gießen.  7 


98  Fritz  Herrmann. 

welch   letztere    beide    durch    die    Heidelberger   Matrikel   als 
antiqui   bezeugt  sind.26 

Hebelin  von  Heimbach  wirft  den  Artisten  vor,  „quod 
nimis  diuturnam  operam  in  dialectica  nimiumque  tempus 
in  ea  terunt",  und  nenn!  die  Dialektik  eine  wahre  Mutter 
des  Streites.  Näheres  über  Zwistigkeiten  zwischen  den  Ver- 
tretern der  beiden  Richtungen  in  Mainz  wissen  wir  nicht, 
daß  aber  solche  zum  Schaden  der  Universität  häufig  vor- 
kamen, läßt  sich  durch  zwei  Zeugnisse  belegen.  Die  im 
Jahre  1523  von  Erzbischof  Albrecht  eingesetzte  Kommission 
für  die  Reformierung  der  Hochschule,  die  aus  den  Pro- 
fessoren Johann  Stumpf  gen.  Eberbach,  Konrad  Weidmann, 
Eucharius  Sctilaun,  Johann  Eschler  und  Nikolaus  Holt- 
männ  bestand,  erklärte  in  ihrem  Reformationsentwurf27, 
daß  die  Statuten  gereinigt  werden  müßten,  und  zwar  ,,in- 
primis  providendum  esse,  ut  nomina  variarum  sectarum 
antiquorum  el  modernorum  et  si  quae  similia  sunt,  ne  sint 
dissidiorum,  factionum,  invidiae  et  simultatis  occasio,  e 
slat  titis  omnibus  tollantur  et  in  eorum  locum  nomina  domo- 
iiini,  eollegiorum  aut  gymnasiorum  sufficiantur".  Dieser  An- 
regung scheint  damals  zwar  Folge  gegeben  worden  zu  sein, 
aber  die  Parteinamen  ließen  sich  nicht  so  rasch  be- 
seitigen. Denn  die  unter  dem  Vorsitz  des  Generalvikars 
Valentin  von  Teutleben  arbeitende  Reformationskommission 
von  1535,  der  die  Professoren  Bernhard  Scholl,  Johann  Pfaff. 
Nikolaus  Rucker,  Konrad  Weidmann,  Anton  Knaner  und 
Heinrich  Herold  angehörten28,  sali  sich  veranlaßt,  in  derVor- 
rede  zu  den  neuen  Statuten  der  Artistenfakultät  zu  dekre- 
tieren,  „ut  nomina  eorum  videlicet  antiquorum  et  moder- 
nörum,  quae  universitatem  hactenus  subinde  turbarunt, 
exturbentur  l'unditus  neque  posthac  alter  realista,  alter  vero 
nominal is  vocetur,  nam  istae  pueriles  ineptiae  et  sectae, 
revera  dissectae,  contentionibus  ac  simultafibus  haud  raro 
ansam  praebuerunt".29 

Was  der  unter  dem  Einfluß  des  Humanismus  stehenden 
Generation  auch  anderwärts  bat,  man  um  diese  Zeit  den 
scholastischen      Zwiespalt     zu      nennen     verboten  als 

..kindische  Torheit"  erschien,  das  bewegte  zur  Zeit  der 
Gründung  der  Mainzer  Universität  die  Geister  aufs  tiefste.  Es 
ist  der  Forschung  Ins  jetzt  entgangen,  daß  man  auch  in  Mainz, 


röpke,   I.  286;   II,  401,  409. 
1   Notula  reformationis  generalis  studii  Moguntini.  Collectanea,  a.  a.  0., 
497ff.      KimkII,   26,    gibt    irrtümlich   das  Jahr   1521    an. 
Knodt, 
28  Dürrsche     Mskr.,   Fasz.   3i,  f.  3;   Fasz,   3f,   E.   Hilf. 


Die  Mainzer  Börsen  und  ihre  Statuten.  W 

ähnlich  wie  in  Tübingen  und  Freiburg,  die  der  philo- 
sophischen oder  Artistenfakultät  angehörigen  Studenten  je 
nach  ihrer  Richtung  in  zwei  verschiedenen  Bursen  unterge- 
bracht  hat,  um  zu  verhüten,  daß  der  wissenschaftliche  Streit 
sich  von  den  Hörsälen  in  die  Wohnungen  der  Schüler  fort- 
pflanzte:  Die  beiden  Häuser  Zum  Algesheimer  und 
Zum  Scherfkenberg  sind  die  Heimstätten  für  die 
moderni  bezw.  die  antiqui  und  beherbergten  außer  den 
Schülern  auch  einen  Teil  der  Magister  jeder  Richtung,  stellen 
sich  also  zugleich  als  sogenannte  Kollegien  und  als  Bursen 
dar.30  So  erklärt  sich  denn  auch,  daß  der  Reformationsent- 
wurf von  1523  an  den  Stellen  der  Statuten,  wo  bisher  die 
Namen  der  Richtungen  genannt  waren,  einfach  die  Namen 
der  betreffenden  Häuser  oder  Gymnasien  einzusetzen  vor- 
schlagen kann. 

Das  hinter  der  Christophskirche  gelegene,  nach  seinem 
früheren  Besitzer,  einer  Mainzer  Patrizierfamilie,  genannte 
Haus  Zum  Algesheimer  war  im  Jahre  1478  von  Diether  von 
Isenburg  der  neuen  Hochschule  zur  Errichtung  eines  Ma- 
gister- und  Studentenhauses  überlassen  worden31  und  hieß, 
wie  aus  dem  Titel  der  von  den  hier  wohnenden  Modernen 
herausgegebenen,  oben  erwähnten  Etymologia  Donati  hervor- 
geht, auch  collegium  maius.  Schon  dieser  Name  beweist, 
daß,  zum  mindesten  seit  1489,  eine  zweite  —  Realisten-  — 
Burse  vorhanden  war,  die  den  entsprechenden  Namen  Kleines 
Kolleg  gehabt  haben  dürfte.  Die  Bezeichnung  Kollegium 
Zum  Algesheimer  für  die  Burse  der  Modernen  findet  sich  be- 
reits in  einer  Urkunde  aus  dem  Jahre  1488,  aus  der  auch 
hervorgeht,  daß  die  Senatsversammlungen  in  diesem  Hause 
stattfanden.32 

Die  antiqui  nannten  ihr  Kollegium  „Zum  h.  Thomas 
von  Aquino".  Es  scheint  von  Anfang  an  in  dem  der  Palrizier- 
familie  Jostenhofer  gehörigen  Hause  Zum  Schenkenberg  — 
in  der  heutigen  Altenauergasse  —  untergebracht  gewesen  zu 
sein,  das  die  Regenten  der  Burse  gemietet  hatten.  Im  Jahre 
1508  oder  1509  kauften  sie  es  von  dem  damaligen  Besitzer 
Elogius  Jostenhofer,  Kapitular  am  Liebfrauenstifl  zu  Worms, 
für  330  Goldgulden.  Hiervon  blieben  130  G.  als  Hypothek 
gegen  6  G.  jährlichen  Zins  hei  dem  Verkäufer  stehen,  200  G. 
lieh  das  Regentenkollegium  von  dem  Professor  der  Medizin 
Peter  von  Viersen  und  den  Kanonikern  an  Liebfrau  Georg 
Beheim  und  Tilmann  Seiita*  h  gegen  Verpfändung  des  Hause:-. 


30  Cf.  Kaufmann,  Gesch.  tl.  deutschen  Universitäten,  2,  214 ff. 

31  Guclemis,   2,  509.  —  ™  Knodt,  3. 


7* 


HM)  Fritz  Herrmann. 

und  einen  jährlichen  Zins  von  10  G.  Aus  den  beiden  In- 
strumenten33 über  diese  Kapitalaufnahme  erfahren  wir,  daß 
die  damaligen  Regenten  Johannes  Lapicida,  Nikolaus  Holt- 
mann  und  Nikolaus  Gerbel  in  der  lateinischen  Urkunde 

heißen  sie  „artinm  magistri  et  actu  regentes  bursae 
Schenkenberg  de  via  s.  Thomae  Aquinatis",  in  der  deutschen 
„Regenten  dieser  Zeit  der  Bursen  realistarum  genant 
Schenkenberg"  versprachen,     die    Zinsen    aus    eigenen 

Mitteln  zu  zahlen,  falls  sie  sie  aus  den  Bewohnern  der  Burse 
nicht  herausschlagen  könnten.  Vermögen  sie  aus  Mangel 
an  Studenten  ihre  Regentschaft  nicht  aufrecht  zu  erhalten, 
so  steht  ihnen  die  Kündigung  des  Vertrags  frei.  Zur  bau- 
lichen Unterhaltung  muß  jeder  eintretende  Bursist  2,  jeder 
Baccalaureus  3  und  jeder  Magister  6  Albus  zahlen ;  auch 
werden  die  Strafgelder  der  Studenten  für  das  Fehlen  bei  den 
Vorlesungen  zum  gleichen  Zwecke  verwandt.  Geht  einer  der 
Regenten  mit  dem  Tode  oder  anderweitig  ab,  so  soll  ein  ge- 
lehrter und  ehrbarer  Mann  und  zwar  nur  mit  Zustimmung 
der  Geldgeber  an  seine  Stelle  treten.  Nach  deren  Tode  aber 
sollen  im  Falle  einer  solchen  Vakanz  der  Prior  und  der  Lektor 
der  Mainzer  Dominikaner  oder  einer  dieser  beiden  ersucht 
werden,  ob  sie  ,,ob  honorem  s.  Thomae  de  Aquino"  bei  der 
Besetzung  mitwirken  wollen ;  ist  ein  Ersatz  in  Mainz  nicht 
zu  finden,  so  soll  eine  geeignete  Person  aus  Köln  verschrieben 
werden  ,,pro  conservatione  viae  praedietae"  sc.  antiquae. 
Auch  versprechen  sämtliche  Regenten  und  Senioren  des  alten 
Wegs,  der  Burse  je  2  G.  zu  vermachen;  dafür  wird  ihrer  all- 
jährlich in  der  Memorie  für  die  Wohltäter  der  Burse,  welche 
die  Dominikaner  gegen  eine  Entschädigung  von  l/a  Cr.  ab- 
halten sollen,  gedacht  werden.  -  -  Die  Geldgeber  handeln  also 
ebenso  wie  die  Regenten  im  Interesse  der  via  antiqua,  als 
deren  natürliche  Verbündete  die  Dominikaner  gelten;  daß 
man  auf  die  Kölner  Universität  zurückzugreifen  in  Aussicht 
nimmt,  dürfte  darauf  hindeuten,  daß  die  Richtung  von  dort 
nach   Mainz   gekommen  ist.34 


1  1510  Januar  10;  Mainzer  Stadtarch.,  Stadt.  Urk. ;  als  Bürgen  werden 
genannl  Johannes  Monasferii,  Kanonikus  an  St.  Johann,  und  Richard  Fried- 
walt,  Kanonikus  an  St.  Peter.  -  -  Die  Regesten  verdanke  ich  Herrn  Biblio- 
thekar Dr.  Heidenheimer  in  Mainz;  cf.  auch  dessen  Studie:  Der  Humanist 
PCicolaus  Gerbe!  in  Mainz,  im  Korrespondenzbl.  d.  Westd.  Zeitschr.  f.  Gesch. 
u.   Kunst,    15  (18196),  184  IT. 

11  Peter  von  Viersen  vermachte  die  von  ihm  geschossenen  60  G.  im 
Jahre  L517  testamentarisch  der  Burse;  das  Guthaben  des  Georg  Beheim 
ging  an  das  Liebfrauenstift,  das  des  Elogius  Jostenhofer  an  den  Vize- 
pleban  an  St.  Emmeran,  Johann  Sorgenloch  gen.  Gensfleisch,  und  an 
seinen  gleichnamigen   Vetter  über.     Das  noch  stehende  Kapital  im  Betrage 


Die  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  101 

Die  Befürchtung  der  Regenten  wegen  des  etwaigen  un- 
genügenden Besuches  ihres  Hauses  läßt  erkennen,  daß  der 
Realismus  in  Mainz  um  1510  immer  noch  weniger  Zuzug 
hatte  als  seine  Gegner;  denn  an  und  für  sich  war  der  Betrieb 
einer  Burse  immer  aussichtsvoll,  da  die  Universität  nicht 
nur  von  den  Studenten  des  philosophischen  Kursus,  sondern 
auch  von  den  Magistern  verlangte,  daß  sie  in  einer  solchen 
wohnen  sollten.35  Doch  erwiesen  sich  die  Bedenken  als  un- 
begründet, ja  es  konnte  das  Kollegium  Zum  Schenkenberg 
bereits  im  Jahre  1521  durch  Ankauf  der  beiden  Nebenhäuser 
Zum  großen  und  Zum  kleinen  Laufenberg  erweitert  werden.36 
Ein  Vierteljahrhundert  später  aber  drohte  ihm  die  Gefahr  der 
Aufhebung.  Erzbischof  Sebastian,  der  selber  einst  Zögling 
der  Burse  gewesen  war,  wollte  diese  in  ein  Pädagogium  um- 
gestalten und  nur  noch  den  Algesheimer  als  Kollegium  be- 
stehen  lassen.  Der  Plan  fußte  wohl  auf  der  eingetretenen  Er- 
weichung der  Gegensätze  und  der  Neigung,  diese  völlig  zu 
beseitigen.  Infolge  des  energischen  Protestes  der  Regenten, 
die  ihre  Anstalt  nicht  „ab  equis  ad  asinos"  degradiert  sehen 
wollten,  unterblieb  die  Ausführung.  Sie  gaben  in  ihrer  Dar- 
legung an  den  Rektor  u.  a.  zu  bedenken,  daß  ihr  Haus  im 
Gegensatz  zu  dem  der  Modernen  aus  den  eigenen  Mitteln  und 
Beiträgen  der  Insassen  erworben  sei  und  also  nicht  einfach 
aufgehoben  werden  könne,  daß  auch  an  anderen  Universi- 
täten doppelte  Kollegien  mit  parallelen  Vorlesungen  sogar 
in  der  juristischen  Fakultät  zu  finden  seien,  und  daß  die 
Rivalität  zweier  Anstalten  auch  ihr  Gutes  habe.  Mit  Recht 
wiesen  sie  auch  darauf  hin,  daß  die  dem  Hause  Schenkenberg 
zugewandten  Legate,  Stipendien  etc.  eingehen  müßten  und 
die  Lust  zu  ähnlichen  Stiftungen  schwinden  würde,  wenn 
man  sähe,  daß  ein  solches  Institut  kurzer  Hand  aufgehoben 
werden  könne.37 

Schließlich  hat  denn  auch  gerade  das  Kollegium  zum 
Schenkenberg  das  längste  Dasein  gehabt  und  die  Burse  Zum 

von  270  G.  trug  der  Domvikar  Jakob  Pistorius  im  Jahre  1519  mit  Zustim- 
mung der  Regenten  Adam  Helsinki'.  Nikolaus  llnltinaim,  Jndueus  Seibach 
und  Adam  Weiß  ab  und  bezog  nunmehr  als  alleiniger  Gläubiger  des  Hauses 
die  18  G.  Zins;  Schaab,  Erfindung  der  Buchdruckerkunst,  2,  334 ff. 

35  150-1  Januar  30  halle  die  Universitäl  beschlossen,  „quod  magistri 
volentes  regere  in  facultate  ariiuni  cum  suis  suppositis  debenl  stare  in 
dominus  sive  bursis  per  universitatem  approbatis  ei  habere  mensam  com 
niuneiii,  nee  habeat  universitas  neque  facultas  artium  amodo  dispensare 
pro  aliquo  gradu  sive  baccalariatus  sive  magisterii  in  artibus  cum  Ins.  qui 
stolerunl  extra  bursas  approbatas"  (Alt.  Statutenb.,  f.  246).  Doch  wurde 
diese  Bestimmung  wohl  nichl  allzu  streng  gehandhabt,  und  die  Notula 
ref.  von    1528  beantragt,  den   Satz  nee   habeai   etc.   zu   streichen. 

3fi  Schaab,  a.  ä.  O.  -      —  :':  Die  ganze  Eingabe  gib!   Knodt,  2U  ff. 


]n-2  Fritz  Herrmann. 

Algesheimer  überdauert.  Diese  hob  nämlich  Daniel  Brendel 
vom  Homburg  im  Jahre  1562  auf  und  übergab  das  Haus  den 
von  ihm  nach  Mainz  berufenen  Jesuiten;  er  kaufte  überdies 
noch  die  drei  anliegenden  Häuser  Zum  Hammerstein,  Zum 
Herbst  und  Zinn  Birnbaum  für  den  Orden  an,  damit  dieser  ge- 
nügend Raum  für  seine  Mitglieder  und  für  das  Konvikt 
habe.38  Als  einzige  allgemeine  Burse  blieb  sonach  nur  das 
Hans  Zum  Schenkenberg  bestehen,  dessen  Professoren,  wie 
früher  mit  den  Vertretern  der  via  moderna  im  Algesheimer, 
nunmehr  mit  den  Jesuiten  in  der  Rangordnung,  in  der  Be- 
setzung  des  Dekanats  und  bei  den  Prüfungen  in  der  philo- 
sophischen und  jetzt  auch  in  der  theologischen  Fakultät  — 
für  beide  wurden  die  Patres  als  Lehrer  herangezogen  — 
konkurrierten.  Im  Jahre  1740  verlegte  die  Universität  ihre 
Burse  auf  die  Große  Bleiche  in  das  spätere  städtische 
Bibliotheksgebäude39  und  vermietete  die  ,,alte  Burse",  die 
dann  im  Jahre  1767  an  die  Altenauersche  Mädchenschul- 
stiftung  verkauft  wurde. 


Solange  die  Kollegien  Zum  Algesheimer  und  Zum 
Schenkenberg  nebeneinander  bestanden,  wurde  nur  ein  Teil 
der  artistischen  Vorlesungen,  die  lectiones  publicae  oder 
formales,  für  alle  Studenten  des  philosophischen  Kursus  im 
Universitätsgebäude,  die  übrigen  aber  zu  gleichen  Stunden 
doppelt  von  den  Vertretern  der  zwei  Wege  in  den  beiden 
Häusern  für  deren  Insassen  besonders  gehalten.  Als  Ziel 
galt  die  Einführung  der  Bursisten  in  die  besten  Autoren  der 
beiden  Sprachen,  vor  allem  aber  in  den  „princeps  philo- 
sophorum",  Aristoteles,  jedoch  „resecta  commentariorum 
silva".  Ein  aus  der  Zeit  nach  1523  stammender  Lektions- 
plan schreibt,  vor  für  5,  im  Winter  6  Uhr  morgens:  Porphyrii 
introductio  in  praedicabilia  Aristotelis.  praedicamentorum 
über  eiusdem  rcspl  ipiisveiaq  sive  de  enunciatione  priorum  et 
posleiim  um  resolutionum  cum  topicis  et  locis  sophisticis 
(zweijährig);  für  8  (9)  Uhr:  Caesarii  dialectica  (einjährig);  für 
12  Uhr:  Vergilius  oder  ein  anderer  pudicus  poeta;  für  1  Uhr: 
Lectio  physica  für  die  Baccalaurei;  für  3  Uhr:  Lectio  Graeca; 
für  4  Uhr:  Disputatio  grammatica,  dialectica  et  physica  Mitt- 
wochs und  Freitags,  an  den  übrigen  Tagen  die  drei  ersten 
Bücher  Quintilians  De  institutione  rhetorica,  oder  Ciceros  Ad 
Herennium,  De  officiis  oder  De  oratore,  oder  endlich  Rudolf 
Agricolas  Topica.    Abwechselnd  von  je  einem  Magister  aus 

-  Joairais,   1.  873. 
39  Schaab,  Geschichte  der  Stadt  Mainz,  2,  287f. 


Die  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  103 

den  beiden  Häusern  wurde  die  von  Jvo  Wittich40  gestiftete 
Lectio  historica  um  7  (8)  Uhr  nachmittags,  und  /.war  in  der 
Universität  gehalten;  zugrunde  gelebt  wurden  dabei  Livius, 
Valerius  Maximus,  Sallustius,  tustinus,  Suetonius,  Julius 
Florus.  Für  die  poetischen  und  historischen  Lektionen  waren 
die  Magister  zur  Wiedergabe  der  Autoren  in  deutscher 
Sprache  verpflichtet. 

In  den  beiden  mit  den  Bursen  verbundenen  Pädagogien 
für  die  jüngeren  Studenten  wurde  traktiert  um  5  (6)  Uhr 
morgens:  Grammatik  (halbjährig);  um  8  (9)  Uhr  besuchten 
die  Pädagogschüler  die  bereits  genannte  dialektische,  um 
12  Uhr  die  poetische  Lektion,  welch  letztere  für  sie  um 
3  Uhr  nachmittags  besonders  wiederholt  oder  durch  die 
Lektüre  der  Fabeln  Äsops  oder  einer  Komödie  des  Terenz 
ergänzt  wurde,  wobei  der  Nachdruck  auf  die  Übung  in  der 
Etymologie  und  der  Syntax  zu  legen  war.  Außerdem  mußten 
wöchentlich  schriftliche  Arbeiten  geliefert  und  von  den 
Pädagogmagistern  korrigiert  werden. 

Über  die  Verfassung  der  Kollegien  und  das  Leben  der 
Magister  und  Scholaren  geben  die  allgemeinen  Universitäts- 
statuten in  ihren  §§  39  und  44 — 50  einige  Auskunft.  Besseren 
und  vollständigeren  Einblick  aber  gewähren  die  von  der 
Artistenfakultät  für  die  beiden  Häuser  erlassenen  statuta 
bursalia,  die  in  ihrer  Ausführlichkeit  wohl  einzig  unter  den 
Bursenstatuten  von  deutschen  Hochschulen  dastehen  und 
als  vorzügliche  Quelle  für  die  Kenntnis  des  studentischen 
Lebens  zu  Beginn  der  Neuzeit  einen  Abdruck  verdienen. 
Die  in  den  Papieren  des  Historikers  Dürr  erhaltene  Ab- 
schrift41 trägt  zwTar  die  Bezeichnung  „antiquissima  statuta" 
etc..  in  Wahrheit  aber  stammt  die  Fassung  derselben,  wie  eine 
Vergleichung  mit  der  Notula  reformationis  von  1523  ergibt, 
aus  der  Zeit  nach  diesem  Jahre  und  ist  überdies  durch  die 
von  Dürr  als  ,,variantes  lectiones"  gekennzeichneten  Zusätze 
später  noch  berichtigt  und  ergänzt  worden.  Auf  Grund  dieser 
Statuten  ergibt  sich  folgendes  Bild. 

In  jedem  der  beiden  Kollegien  haben  vier  Magister  die 
offizielle  Leitung  als  Regenten  (regentes  principales  oder 
Primarii).  Es  wird  von  ihnen  erwartet,  daß  sie  durch  ehr- 
baren Wandel  und  durch  Gelehrsamkeit  sämtlichen  Insassen 
des  Hauses  ein  Vorbild  sind.  Vor  allem  liegt  ihnen  die  Sorg  • 
für  die   regelmäßige   Abhaltung   der    Lektionen    und    Dispu- 

40  Über  ihn  cf.  F.  W.  E.  Roth  im  Arch.  E.  kath.  Kirchenrecht,  80 
(1900),  194  ff. 

41  Fasz.  39.  --  Kleinere  Lesefehler  des  Abschreibers  sind  in  unserem 
nachfolgenden   Ahdruck    stillschweigend    getilgt. 


104  Fritz  Herrmann. 

tationen  6b,  die  sie  verteilen  und  überwachen.  Wie  für  die 
wissenschaftliche  Ausbildung  der  Schüler,  so  sind  sie  auch 
für  deren  Erziehung  zur  Gottesfurcht  und  gesittetem  Wandel 
verantwortlich:  sie  sollen  daher  ihre  Zöglinge  zum  regel- 
mäßigen Kirchgang,  zur  Teilnahme  an  den  Prozessionen  und 
zum  Sakramentsgenuß  sowie  zu  anständigem  Betragen  in 
der  Anstalt,  in  der  Kirche,  bei  akademischen  Akten  und  auf 
der  Straße  anhalten.  Abwechselnd  hat  einer  von  ihnen  die 
Woche.  \)rr  hebdomadarius  ist  kostgeldfrei,  muß  aber 
dafür  bei  jeder  Mahlzeit  zugegen  sein  und  die  Tischgebete 
sprechen,  hat  für  die  rechtzeitige  Öffnung  und  Schließung 
des  Haustores  zu  sorgen  und  meldet  die  bei  Torschluß  fehlen- 
den Scholaren  dem  Regentenkollegium  zur  Bestrafung.  An 
(ichalt  bezogen  die  Regenten  als  Professoren  der  Artisten- 
Fakultät  die  Einkünfte  aus  den  dieser  zustehenden  Kanoni- 
katen4-  und,  nachdem  diese  auf  Wunsch  der  Universität 
getilgt  und  durch  jährliche  Zahlungen  der  betreffenden  Stifter 
ersetzt  worden  waren,  ein  in  zwei  Raten  durch  den  Rektor 
zahlbares  fixiertes  Einkommen,  das  nach  einer  etwa  dem 
dritten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts  angehörenden  Auf- 
zeichnung43 für  die  Senioren  der  beiden  Häuser  je  25,  für  die 
übrigen  Regenten  je  20  Gulden  betrug ;  dazu  kamen  noch  die 
Kollegiengelder,  die  bis  ca.  1523  für  die  Vorlesungen  in  den 
beiden  Häusern  bezahlt  wurden,  während  die  öffentlichen 
Lektionen  der  Artisten  wie  sämtliche  Vorlesungen  in  den 
oberen  Fakultäten  von  allem  Anfang  an  frei  waren. 

Eine  besondere  Stellung  unter  den  Magistern  nahmen 
neben  den  Regenten  noch  die  beiden  magistri  pädagogi- 

42  Die  im  Jahre  1511  erfolgte  Verteilung  der  Universitätspräbenden 
auf  die  vier  Fakultäten  cf.  bei  J.  P.  Schunck,  Beiträge  zur  Mainzer  (!<•- 
schichte,  •'!,  220f.  Die  Notula  reformationis  von  1523  fordert,  daß  die 
Stifter  die  Lektoralpräbenden  eingehen  lassen  und  dafür  jährliche  feste 
(lehalle  zahlen;  wollen  sie  das  nicht,  so  sollen  sie  wenigstens  die  Pro- 
fessoren an  neu  Tagen,  an  welchen  gelesen  wird  oder  eine  Universitäts- 
versammlung stattfindet,  vorn  Chordienst  befreien,  ohne  ihnen  die  Präsenz- 
Felder  zu  sireichen.  Nach  der  dein  Entwurf  eingefügten  Zusammenstellung 
ertrugen  die  theologischen  Lektoralpräbenden  an  St.  Peter  100,  an 
•sl.  Maria  ad  gradus  1211;  die  juristischen  an  St.  Viktor  L30,  an  Sl. 
Bartholomäus  in  Frankfurl  60,  an  Sl.  Peter  und  Alexander  in  Aschaffen- 
burg rl).  an  St.  Peter  in  Fritzlar  60;  das  medizinische  an  St.  Ste- 
phan 60;  die  artistischen  an  Sl.  Johann  50,  an  St.  Crucis  60,  an  St. 
A.lban  50,  an  U  Mariae  virg.  in  monte  zu  Frankfurt  30,  an  St.  Leonhard 
ebenda  20,  an  Sl.  Martin  in  Bingen  30  und  an  St.  Katharina  in  Oppen- 
heim 20  Gulden.  In  der  Tai  wurden  denn  auch  in  der  Folgezeit  dio 
tituli  ecclesiastici  bei  einer  Reihe  von  haltenden  getilgt.  Das  etwas  spä- 
tere Verzeichnis  der  A.nnui  proventus  im  Ali.  Statutenbuch,  f.  31,  gibt 
durchschnittlich  niedrigere  Erträge  an. 

'■   \lt.  Statutenbuch,  f.  31/ 


Die  Mainzer  Bursen  and  ihre  Statuten.  105 

orum  jedes  Hauses  ein.  Sie  leiten  die  Ausbildung  der  fin- 
den Besuch  der  Vorlesungen  noch  nicht  reifen  jüngeren 
Scholaren,  die  in  Grammatik,  Syntax  und  den  Anfangs- 
gründen der  Dialektik  und  Poetik  unterrichtet  werden,  und 
haben  deren  wöchentliche  schriftliche  Arbeiten  zu  korri- 
gieren ;  ihr  Gehalt  beträgt  je  10  Gulden. 

Die  übrigen  Magister  der  Kollegien  (magistri  legentes 
oder  non  regentes  oder  iuniores  genannt)  werden  trotz  ihres 
Titels  und  ihrer  Vorlesungstätigkeit  noch  gewissermaßen  als 
Schüler  behandelt.  Die  Statuten  ermahnen  sie  zu  anständigem 
Betragen  und  warnen  sie  -  -  die  angehenden  Lehrer!  -  -  vorm 
Beschädigen  ihrer  Wohnräume  und  vor  verdächtigem  Um- 
gang insbesondere  mit  Frauen  von  zweifelhaftem  Ruf  -  -  eine 
Warnung,  die  auch  an  die  Scholaren  gerichtet  wird  und,  wenn 
man  den  Worten  des  Chronisten  Hebelin  „nam  meretricüm 
illic  infinitus  est  numerus,  raro  mulier  est  contenta  viro  uno" 
glauben  darf,  besonders  angebracht  war.  Auch  vor  Spiel 
and  Streit  sollen  sie  sich  hüten,  ihren  Hausschlüssel  nicht 
zum  Vorteil  der  Scholaren  mißbrauchen,  nicht  eigennützig; 
auf  Privatvorlesungen  aus  sein  und  einander  die  Schüler  ab- 
spannen, nicht  im  Beisein  der  Zöglinge  über  etwaige 
schlechte  Kost  klagen  und  was  sie  durch  die  Regenten  von 
den  secreta  universitatis  vel  propriae  domus  erfahren,  nicht 
ausplaudern. 

Die  Kassenführung  eines  jeden  Hauses  übernimmt  einer 
der  Magister  als  Kollektor.  Er  vereinnahmt  die  Lektions- 
gelder, die  unter  die  Magister  verteilt  werden,  und  nimmt 
auch  das  Wohnungs-  und  Holzgeld,  die  Abgabe  für  das 
Küchengeschirr  und  die  sogenannten  Beanalia  in  Verwah- 
rung, aus  denen  die  Reparaturen  am  Gebäude  und  am  Haus- 
rat, die  Neuanschaffungen  und  die  Kosten  des  Brennmaterials 
bestritten  werden.  Auch  hat  er  zu  Beginn  jedes  Semesters 
den  Bestand  des  Hauses  an  Lehrern  und  Schülern  in  das 
Album  einzutragen. 

Das  Hauswesen  im  engeren  Sinne  besorgt  der  Ökonom 
(oecononuis,  praepositus,  dispensator),  der  möglichst  für  eine 
Reihe  von  Jahren  zu  bestellen  isl  und  aus  der  Zahl  der 
Magister  oder  der  Scholaren  genommen  werden  kann  ;  nur  im 
äußersten  Notfall  soll  einer  der  Regenten  diesen  Posten  über 
nehmen.  Der  Ökonom  hat  außer  freier  Station  Anspruch 
auf  einen  Keller,  ein  Wohn-  und  ein  Schlafgemach  und  be- 
zieht als  Entschädigung  für  seine  Albeil  von  ZWÖlf  Koinineii- 
salen  zusammen  wöchentlich  3  Albus;  ist  die  Zahl  der  Tisch- 
gäste größer,  so  gibt  jeder  zwei  Denare  in  der  Woche.  Außer- 
dem  hat   er  einen    kleinen   Gewinn   aus  dem    ihm  allein   zu- 


106  Fritz  Heinnanii. 

stehenden  Weinschank  und  braucht,  falls  er  Scholar  ist, 
keine  Lektions-  und  Repetitionsgebühren  zu  bezahlen.  Er 
engagier!  den  Famulus  des  Hauses  und  die  Köchin,  die 
jährlich  höchstens  sechs  Gulden  Lohn  aus  der  Hauskasse 
erhält,  und  der  er  selbst  täglich  eine  halbe  Maß  Wein  unent- 
geltlich zu  stellen  hat.  Die  Insassen  der  Burse  speist  er  an 
zwei  Tischen,  dem  besseren  der  Magister,  an  dem  auch  ver- 
mögendere Schüler  teilnehmen  können,  und  dem  frugaleren 
der  Studenten.  Über  die  Kost  scheint  öfter  geklagt  worden 
zu  sein;  die  Statuten  sehen  an  mehreren  Stellen  Beschwerden 
darüber  vor,  und  Hebelin  von  Heimbach,  der  den  Mainzer 
Studenten  Gier  nach  Wein  und  Speisen  vorwirft,  fügt  zur 
Entschuldigung  hinzu:  „licet  tenuis  sit  mensa  bursalis." 
Jeden  Samstag  rechnet  der  Ökonom  mit  den  Regenten  ab, 
mit  deren  einem  er  wöchentlich  auch  das  Haus  und  die 
Stuben  auf  ihre  bauliche  Beschaffenheit  hin  zu  revidieren  hat. 

Als  Schüler  (alumnus,  scholasticus,  scholaris,  Studi- 
osus) wird  zu  den  Vorlesungen  in  der  Artistenfakultät  nur 
zugelassen,  wer  ordnungsmäßig  die  Deposition  durchgemacht 
hat,  immatrikuliert  ist  und  in  einer  der  beiden  Bursen  wohnt, 
wenn  er  nicht  als  Sohn  eines  Mainzer  Einwohners  oder  als 
Famulus  eines  außerhalb  der  Kollegien  wohnenden  Pro- 
fessors oder  auf  Grund  besonderer  Erlaubnis  des  Rektors  vom 
Bursenzwang  befreit  ist.  Zu  zahlen  hat  der  Schüler  bei  seiner 
Aufnahme  die  Beanalia  im  Betrage  von  8  und  pro  utensilibus 
6  Albus,  ferner  jährlich  als  Miete  für  ein  Schlafgemach 
1  Gulden,  an  Holzgeld  8  Albus  und  für  die  ordentlichen  Lek- 
tionen, falls  er  noch  das  Pädagogium  besucht,  2,  andernfalls 
3  Gulden,  oder  aber,  wenn  er  nur  noch  einzelne  Vorlesungen 
hört,  für  jede  im  Semester  12  Albus ;  als  die  Lektionsge- 
bühren wegfielen,  kam  zu  diesen  Abgaben  noch  ein  Beitrag 
von  Vs  Gulden  pro  Semester  für  die  Unterhaltung  des  Ge- 
bäudes. Für  Privatunterweisung  durften  die  Magister  nicht 
mehr  als  vier  Gulden  von  jedem  Schüler  nehmen.  Das  Kost- 
geld wird  in  den  Statuten  nicht  angegeben  und  änderte  sich 
wohl  je  nach  den  Preisen  der  Lebensmittel.  —  Eine  bevor- 
zuge Stellung  unter  den  Scholaren  nehmen  der  Famulus  des 
Hauses,  der  dem  ökonomus  untersteht,  und  die  Famuli  der 
einzelnen  Magister  ein;  für  die  pekuniären  Erleichterungen, 
die  sie  genießen,  sind  sie  jedoch  zum  Spionieren  verpflichtet. 

Studium  und  Betragen  der  Scholaren  unterstehen 
strenger  Aufsicht.  Der  Besuch  der  Vorlesungen  und  Dis- 
putationen wird  kontrolliert  und  das  Schwänzen  bestraft, 
ebenso  der  Gebrauch  der  in  der  Burse  verpönten  deutschen 
Sprache.    Auch  Waffentragen,  Wirtshausbesuch,  Fluchen  und 


Die  Mainzer  Bursen  und  ilire  Statuten.  1(17 

Schwören,  ungebührliche  Kleidung,  Unfug  im  Hause,  dessen 
Verunreinigung  durch  Befriedigung  natürlicher  Bedürfnisse 
etc.  etc.  werden  unter  Strafe  gestellt;  das  Spielen  ist  nur 
am  Donnerstage  —  dem  dies  academicus  erlaubt,  und 
zwar  lediglich  recreandi  animi  causa,  nicht  um  des  Geld- 
gewinnes willen. 

Das  Sommersemester  beginnt  Montag  nach  Ouasimo- 
dogeniti  und 'endet  am  Tage  vor  Matthäi  (21.  September), 
das  Wintersemester  dauert  vom  Tage  nach  Galli  (16.  Oktober) 
bis  zum  Samstag  vor  Palmarum.  Kleine  Ferien  sind  vom 
Pfingstsamstag  bis  zum  Donnerstag  nach  Pfingsten  und  vom 
Mittwoch  vor  Quinquagesimae  bis  zum  Aschermittwoch  ein- 
schließlich; Weihnachtsferien  kennt  man  nicht.  Ausgesetzt 
werden  die  Lektionen  vormittags  an  den  drei  Tagen  vor 
Himmelfahrt,  (dies  rogationum)  und  an  Allerseelen,  nach- 
mittags am  Vortage  von  Fronleichnam,  der  Kirchweihfeste 
der  Christophs-  und  der  Quintinspfarrkirche  Algesheimer 
pfarrte  in  die  erstere,  Schenkenberg  in  die  letztere  --,  von 
St.  Christophori  (25.  Juli)  und  St.  Quintini  (31.  Oktober), 
von  Mariae  Himmelfahrt,  Empfängnis,  Reinigung  und  Ver- 
kündigung, von  Allerheiligen,  von  Martini  und  vom  Drei- 
königstag, damit.  Magister  und  Scholaren  die  preces  vesper 
tinae  in  ihren  Pfarrkirchen  mitsingen  können. 

Wer  einen   artistischen  Grad  erwerben   will44,   muß 
sich   gegen   entsprechende   Bezahlung   unter   die    besondere 
Aufsicht  eines  Privat-Praeceptors  stellen,  der  täglich  mit  ihm 
zu  arbeiten  hat.  Um  das  Bakkalaureat  kann  sich  der  Buk* 
schon  nach  drei  Semestern  bewerben,  während  die  aul'.s 
halb  der  Bursen  wohnenden  Studenten  das  volle  BierinttSL, 
aushalten  müssen.     Außer  den   erwähnten   ordentlichen  dia- 
lektischen, poetischen  und  rhetorischen   Vorlesungen  in  der 
Burse  und   der  historischen    im    Kollegiengebäude    hat   der 
Bakkalaureand  die  öffentlichen  ,,interlocutiones  formales,  im- 
primis  arithmeticam  et  sphaeram  materialem,  tünc  et  musi- 
cam"  zu  hören   und   muß  achtmal   bei  den   Samstagsdispu 
tationen  den  Magistern  sowie  viermal  den  Bakkalaren  respon 
dieren.  Die  offiziellen  Repetitionen     -  auch  reparationes  ge 
nannt     -  für  die  an  Martini  zu  promovierenden  Ihirsislon  h<' 
ginnen  am  Lucastage  (18.  Oktober),  die  für  die  am  1.  Mai  zu 
promovierenden    am   Tage   nach    Anibrosii    (4.    April).    'Zum 
Examen  lädt  der  Dekan  durch  Anschlag  an  den  Türen  der 
beiden  Studienhäuser  und  des  Domes  ein;  die  l'akullät   be- 

44  Das  Folgende  zum  Teil  mit    Meniiiziing  der  Statuten  der  Artisten 
fakultät   und   der   Notula   reformationis. 


los  Fritz  Herrmann. 

schließt  über  die  Zulassung  und  bestimmt  zur  Abhaltung  der 
Prüfung  vier  Magister,  je  zwei  aus  jeder  Burse.  Zum  Exa- 
mensprandium,  gegen  dessen  Üppigkeit  öfter  geeifert  wird, 
werden  bei  1 — 3  Promoven  den  nur  die  Examinatoren,  der 
Dekan,  der  Promotor  und  der  Pedell,  bei  4 — 6  auch  die  Re- 
genten  und  Professoren  der  beiden  Gymnasien,  bei  7 — 9  auch 
der  Rektor  und  sämtliche  Magister  der  Artistenfakultät,  bei 
10 — 12  auch  die  Dekane  der  höheren  Fakultäten  und  bei  13 
und  mehr  Promovenden  der  gesamte  Lehrkörper  eingeladen. 
Die  Bakkalare  halten  in  der  Burse  und  bei  allen  offiziellen 
Gelegenheiten  ilen  Vortritt  vor  den  übrigen  Scholaren. 

Die  Magisterwürde  wird  jährlich  nur  einmal  und  zwar 
sub  autumnales  ferias  verliehen ;  eingeladen  wird  dazu  durch 
öffentlichen  Anschlag  am  Matthäustage  (21.  September). 
Auch  hierbei  genießen  die  Bursisten,  denen  stets  die  Mainzer 
Bürgersöhne  und  die  Pensionäre  der  Doktoren  gleichgestellt 
werden,  den  Vorzug,  daß  sie  bereits  drei  Semester  nach  der 
Erwerbung  des  ersten  Grades  sich  melden  können,  während 
alle  anderen  Baccalaurei  zwei  volle  Jahre  warten  müssen. 
Der  Bewerber  hat  nachzuweisen,  daß  er  in  seinem  Gym- 
nasium außer  der  Topik  des  Agricola  und  der  Rhetorik 
Quintilians  oder  Ciceros  auch  die  Dialektik  und  die  Physik 
des  Aristoteles,  welch  letztere  für  die  Magistranden  zur 
Stunde  der  oben  genannten,  für  die  Anfänger  bestimmten 
lectio  dialectica  oder  der  lectio  poetica  gelesen  wurde,  und 
außerdem  sämtliche  lectiones  formales  im  Universitätsge- 
i;ude  gehört  hat,  nämlich  die  Metaphysik,  Ethik,  Politik  und 
Kouoniik  des  Aristoteles,  die  drei  ersten  Bücher  des  Euklid, 
Dionysius  De  situ  orbis,  die  Parva  naturalia  und  Georg 
l'eurhachs  Theoriae  planetarum.  Ferner  muß  er  sechsmal 
bei  den  Samstagsdisputationen  unter  dem  Vorsitz  der 
Magister  respondiert,  viermal  bei  den  Sonntagsdisputationen 
praesidiert  und  zwanzigmal  den  Magisterdisputationen  bei- 
gewohnt haben.  Besteht  er  die  Magisterprüfung,  so  setzt  man 
ihm  das  violette  Barett  auf,  steckt  ihm  den  goldenen  Ring  an 
und  überreich!  ihm  das  Buch.  Damit  hat  er  den  Abschluß 
seiner  Studien  in  der  untersten  Fakultät  erreicht  und  ist  „in 
philosophiuiin  senatum  et  ad  facultatum  alteriora  fastigia" 
aufgestiegen. 


■^-3r^~ 


ANTIQUISSIMA  STATUTA    BURSALIA    DOMUM 
SCHENCKENBERGICAE  ET  ALGESHEIMENSIS. 


Praefatiuncula. 

Quoniam  praeter  universitatis  statuta  singulae  facultates 
privatas  leges  suaque  peculiaria  statuta  habent,  ad  quorum  prae- 
scripta  velut  ad  Lesbiam  normam  sese  componunt,  par  est,  ut 
facultatis  artium  alumni  domestica  quaedam,  quae  vulgo  bursalia 
statuta  dicuntur,  non  desiderent,  quibus  cum  magistri  tum  scho- 
lares  honeste  regantur  ac  formentur  studiose.  eorum  catalogum 
et  publicationem  aequis   animis  attenteque  auscultetis. 

Statuta   magistros    regentes   concernentia. 

Decrevit  universitas  nostra,  ut  in  utroque  facultatis  artium 
gymnasio  quaterni  foveantur  regentes  principales  et  duo  magistri 
paedagogiorum.1  quatuor  primariis  regentibus  hoc  muneris  in- 
cumbet,  ut  regimine  suo  et  gymnasii  administratione  bona  fide 
seduloque  fungantur  gerantque  se  honestos  et  graves  necnon 
caeteris  omnibus  in  gymnasio  magistris  et  alumnis  tum  nioruin 
integritate  tum  eruditione  praecellere  videantur.  qui  simul  omnes 
gymnasium  inhabitent  foveantque  mensam  communem  et  ex  or- 
dine  hebdomadarii  munus  vicissim  subibunt.  hebdomadarius  ut 
erit  asymbolus  et  immunis  a  solutione  sumptuum  mensae  eius 
hebdomadis,  ita  nunquam  a  mensa  abesse  debet,  consecrationem 
prandii  et  coenae  dicturus.  ab  eodem  peracto  prandio  et  coena 
agantur  gratiae  curetque,  ut  aestate  hora  nona,  hieme  vero  hqra 
octava  gymnasii  fores2  claudantur,  matutino  autein  tempore  reclu- 
dantur  hora   quinta.3*     quotidie   sub   vesperam   coassumpto   sibi 

1  qui  duo  gymnasium  inhabitare  et  mensani  communem  fovere 
tfiieantur. 

2  per  oeconomum. 

3  per  eundem  oeconomum. 

4  quod  si   quis  gymnasii  alumnus  aestate  sub  horan nam,   liieme 

vero  sub  octavam  perclusis  foribus  pidsaveritj  oeconomus  pulsanti  e  vestigio 
japeriat  neminemque  a  Musarum  consortio  alienum,  quive  domui  nostrae 
dedecori  aut  incommodo  esse  videatur,  vel  egredi  vel  ingredi  permittat, 
sub  poena  superattendentium  et  magistrorum   regentium  arbitraria. 

Illud  etiam  muneris  magistro  hebdomadario  incumbat,  ul  uon  modo 
per  suam   hebdomadam   mensae  communi   adstrictus   Sit    continue,   verum 

etiam  sequenti   septimani vo   hebdomadario,   successori  su<>,   in   mensa 

trequenter  assideät.  quamvis  enim  commodissimum  Eoret,  omnes  omnibus 
lioris  magistros  et  gymnasio  et  mensae  semper  interesse,   tarnen  quia  ad 


1  lü  Fritz  Herrmann. 

vel  famulo  communitatis  vel  praeposito  visitet  scholasticorum 
cubicula  notetque  absentes,  quos  regentibus  postridie  indicabit. 
postero  die  magistri  regentes  oranes  aut  maior  ipsorum  pars  eum, 
qui  foris  pernoctavit,  inquirere  debent,  qui  si  legitimas  absentiae 
causas  medio  iuramento  dicere  non  potest,  mulctetur  poena  sex 
alborum,  at  si  saepius  deliquerit,  a  regentibus  Omnibus  vel  maiore 
ipsorum  parte  domo  excludatur.5 

Item  per  vices  unus  ex  regentibus  non  hebdomadarius6  cum 
praeposito  singulis  septimanis  structuram  aedium  ab  omni  parle, 
omnia  quoque  cubicula  diligenter  inspiciant  et  si  quid  ruinosum 
minusve  sartum  aut  tectum  deprehenderint,  id  quam  primum 
magistris    regentibus    significabunt,    ut    mox    resarciatur. 7 

Quodsi  in  quatuor  primariorum  "regentium  seu  principalium 
locum  aliquis  surrogandus  est,  is  sufficiatur,  qui  maxime  in  hoc 
videtur  idoneus  adeoque  iudicio  et  consensu  superattendentium  et 
regentium,  quibus  se  promissione  et  iuramento  obligabit.  simi- 
liter  paedagogiorum  magistri  a  superattendentibus  et  regentibus 
rite  suscipiantur  amoveanturque,  si  ita  consultum  videatur.  idem 
observetur  in  oeconomo,  qui  et  suscipi  et  moveri  officio  a  prae- 
dictis    omnibus    debet. 

Et  quoniam  tum  universitatis  tum  facultatis  statuto  cautum 
est,  ne  quis  studiosorum  arma  deferat,  ideo  magistri  regentes 
aut  quicunque  discipulos  privatos  habent,  iam  inde  a  primo 
ingressu  gymnasii  arma  et  enses,  si  quos  habent,  ab  eis  petant, 
quae  ipsi  magistri  usque  ad  discessum  studiosorum  custodiant. 
quod  si  quis  huic  statuto  fraudem  fecisse  comperiatur  et  arma 
quaedam  occultaverit,  ea  tarn  magister  hebdomadarius  quam 
inspector  aedium  visitando  auferre  ab  ipsis  sibique  retinere  debe- 
bunt.  appellatione  autem  armorum  hie  veniant  gladii,  cuspides, 
dolones,  plumbata,  bombardae,  canales  etiam  ex  clavibus  faetae, 
pulvis  Martius  caeteraque  omnia,  quibus  damnum  vel  domui 
vel  personae  alicui  inferri  possit,  et  breviter  omnia,  quae  in  im- 
perialibus    legibus   armorum   appellatione   significantur. 

In  Universum  omnes  regentes  per  se  quisque  aecurate  attendat 
ad  omnes  lectiones  et  disputationes  gymnasiorum,  ne  qua  earum 
intermitta-tur.  quod  si  quis  negligentius  egerit  aut  circa  aliquod 
statutum    deliquerit,    duo    regentes    natu    maximi    aut    seniores8 


honestorum  virorum  convivia  quandoque  vocantur,  saneimus,  ut  memorati 
domini  magistri.  videlicet  hebdomadarius  veterior  et  recentior,  mensae  et 
gymnasio  suis  temporibus  sint  quam  maxime  addicti.  vel  si  quando  legitima 
d<>  causa  adiunetum  illum  abesse  contingat,  suum  in  locu,m  sufficiaf 
alium  ordinis  sui  magistrurn.  et  si  quis  forte  aliorum  magistrorum  honoris 
gratia  yocatus  foris  prandere  aut  coenare  voluerit,  statuimus,  ne  in  septi- 
mana  ultra  unius  diei  spatiuni  a  mensa  communi  absit.  hebdomadarius... 
'J  si  quis  praedictorum  statutorum  cuipiam  fraudem  fecisse  com- 
im-,    trium   allxtrum   poena    gymnasü   aerario   conferenda  muletabitur. 

6  adiunetua   videlicet,    cuius   supra   facta   est   mentio. 

7  id   si    facere   neglexerint,   quisque   poenam   unius  allii   Inet   domua 
aerarip. 

iuniorum    duorum    regentium    et    eorum,    qui    paedagogio    praefecti 
sunt,   negligentiam    superattendentibus   indicent. 


Die  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  111 

animadvertant  in  iuniores  duos  et  päedagogiorum  magistros. 
contra  si  quis  seniorum  non  functus  fuerit  suo  imitiere,  a 
iunioribus  observentur9  mulctenturque;  quos  ubi  audire  nolu- 
erint10,  ad  facultatis  artium  decisionem  fiat  provocatio  salvis 
statutis    universitatis    folio    undecimo.11 

Nemo  regentium  et  magistrorum  legentium  altra  hebdoma- 
(iam  peregre  abeat  sine  scitu  conregenlium  seu  collegarum  suorum 
nee  quempiam  in  locum  suum  surroget  nisi  idoneum  et  proba- 
tum  regentibus  tarn  quoad  mensae  procurationem  quam  quoad 
lectiones,  visitationes  caeterosque  actus  magistros  concernentes, 
sub  poena  dimidii  floreni  strueturae  domus  applicandi.  quod 
si  substitutus  quippiam  neglexerit,  nihilominus  privatim  mulc 
tabitur.  muleta  autem  neglectarum  lectionum  aut  disputationum 
domesticarum  haec  esto,  ut  quivis  tot  albos  pro  una  rieglecta 
lectione  vel  disputatione  pendat,  quot  denos  aureos  pro  amiuo 
salario  aeeipit.  regentium  muleta,  quae  regentibus  circa  scho- 
lasticorum  delicta  atque  neglecta  conceditur,  duodenos  albos 
non  superet. 

Caeterum  cum  in  Omnibus  rebus  pietatis  praeeipua  cura 
esse  debeat,  provideant  magistri  regentes,  ut  iuventus  scholastica 
in  timore  dei  et  pietate  adolescat,  festis  autem  diebus  paro- 
chialibus  suis  ecclesiis  una  cum  scholasticis  interesse  debebunt, 
modeste  cantaturi  sacrum  et  audituri  concionem  evangelicam : 
similiter  vespertinis  preeibus  intersint,  sub  poena  duorum  alborum 
tarn  regentibus  quam  legentibus  infligenda  salva  unieuique  excu- 
satione  sua  legitima. 

Et  res  erit  non  solum  pia  sed  et  boni  exempli,  si  omnes 
regentes  et  legentes  sacris  Interessent,  sed  quoniam  id  negli- 
gentius  nonnunquam  observatur,  ideo  volumus,  ut  duo  magistri 
necessario  ad  hoc  adstricti  hebdoinadatim  cum  iuvenlute  scho- 
lastica templum  petant  eo  modo  et  online,  quo  in  statutis  facul- 
tatis artium  de  disputationibus  publicis  cautum  est.  ita  quidem 
senior  regens  cum  iuniore  päedagogiorum  magistro  die  dominica 
festisque  eiusdem  septimanae  diebus  intersit,  sequenti  vero  do- 
minica die  seeundus  regens  cum  altero  iuniore  päedagogiorum 
magistro,  tertia  vero  hebdomade  vocentur  in  partes  pietatis  duo 
regentes  intermedia  et  sie  redeundo  in  circuliira  per  vices  ob- 
servetur.  hebdomadarii  isli  duo  pridie  dominicae  diei  vel  alius 
festi   hora  duodena  pomeridiana  intermittatur   tum   ordinaria 

lectio   —   iuventutem    officium    missae    praecinendo    docranl    ad- 
jiciantque    aliquales    musicae    regulas. 

Item  magistri  regentes  cum  scholaribus  Ins  in  anno  in  paro- 
chiali  sua  ecclesia  celebrent  liturgiam  seu  officium  missae  de 
spirilu   saneto,  unam   post  dominicam   Quasimodogenili.   alteram 


9  ul    eoruin    nc^li^cntiaiii    superattendentibus    indiceat. 

lü  ad  magnificum  universitatis  nostrae  rectorem  negotium  discutien- 
dum  deferant. 

11  interdieimus  praeterea3  ne  quis  magistrorum  sub  publicis  lectioni- 
lius  privatim  doceatj  volumus  enim  publicas  privatis  praeferri,  sulp  poena 
so;  alborum.   quotieseunque   hoc  factum   fuerit. 


112  Fritz  Herrmann. 

vero  statim  a  festo  divi  Galli,  cui  omnes  regentes  et  legentes 
magistri  cum  universa  iuventute  scholastica  sub  poena  duorum 
alborum  interesse  debebunt. 

HuiuB  quoque  admonendi  sunt  regentes,  ut  ipsi  cum  ma- 
xist ris  legentibus  et  universis  scholasticis  in  festo  Corporis  Christi 
et  dedicationis  sui  templi  honesto  decenteque  habitu  compareant, 
pompam  venerabilis  sacramenti  comitaturi  ac  toti  sacro  inter- 
futuri  ad  finem  usgue;  id  triduo  ante  moneantur  studiosi  affixa 
I  er  regentes12  schedula,  quae  absentibus  mulctam  statuet  sex 
alborum  structurae  domus  applicandorum. 

Hebdomadarius13  colligat  mulctas,  quarum  in  hebdomadario 
calculo  reddat  rationem,  referanturque  in  aerarium  seu  privatam 
quandam  capsulam,  unde  magistris  festis  quibusque  diebus  in 
parochiali  ecclesia  praesto  existentibus  singulis  dependantur  qua- 
terni    nummi,    hebdomadariis    vero   ecclesiasticis    octoni. 

Curae  deinde  regentium  incumbet,  quod  suos  domesticos 
circa  mores  et  bonas  literas  accurate  instituant  eosque  sedulo 
adhortentur,  ut  in  plateis,  gymnasiis,  templis  et  scholasticis  ac- 
tibus,  praecipue  quando.  publici  universitatis  et  facultatis  con- 
ventus  agitantur,  modeste  honesteque  vestiti  incedant,  ineptiis, 
garrulitate  ac  strepitibus,  quibus  caeteri  studiosi  atque  vicini 
turbari  possint,  symposiis  quoque  caeterisque  rebus  illicitis  severe 
minitando  interdicant,  indisciplinatos  errones  et  vagabundos, 
lusores,  obtrectatores,  conspiratores  debita  animadversione  coer- 
teant,  ita  tarnen,  ne  poena  pecuniaria  excedat  duodenos  albos; 
semel  atque  iterum  emendatus  atque  mulctatus,  si  adhuc  dicto 
audire    nolit,    cohibeatur    censura14    magnifici    rectoris. 

Insuper  magistri  regentes  ad  lectiones  gymnasiorum  non 
admittant  nondum  pro  more  depositos  necdum  albo  universitatis 
inscriptos  nee  ullum,  qui  sine  rectoris  venia  et  Chirographe 
extra  gymnasium  habitat,  nisi  forte  incola  huius  urbis  aut  doc- 
toris  vel  nostratis  magistri  famulus  existat,  sub  poena  'unius 
aurei  universitatis  fisco  inferendi. 

Iuventutem  ad  latini  sermonis  usum  et  consuetudinem  assue- 
faciant  adigantque  accurate  magistri  regentes  et  praeeeptores  pri- 
vati  neque  ferant,  ullum  gymnasii  sui  studiosum  vernacula  ser- 
mone  loqui,  sive  is  sub  privata  sive  extra  privatam  curam  degat.15 

Item  magistri  legentes  auditorum  lectionum  suarum  nomina 
in  catalogum  describant  et  de  eorundem  absentia  inquirant  dili- 
genter,  mulctam  quatuor  nummorum  pro  qualibet  neglecta  hora 
exigant  salva  legitima  excusatione.  exaetam  peeuniam  ad  diem 
Sabbathi  regentibus  in  computo  tradant  capsulae  praesentiariae16 
in  feiend  um. 

Nullus  alterius  m;ii;islri  scholarem  ad  sc  pertrahat,  sub  poena 
quatuor  florenorum,  qui  cedant  universitati. 

12  hebdomadarium. 

18  Collector  exigat  mulctas,  quarum  singulis  mensibus  reddat  rationem 
superattendentibus  el   regentibus  domus  suae. 

14  sup^ratU'.nilcnlium,    dehinc,    si    abstinere    noluerit,    magnifici    do-  | 
mini  rectoris.     —   lö  sui)   muleta    superattendentium   arbitraria. 

1(;  aerario  domus, 


Ejie  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  1  Kl 

Curent  omnes  magistri  tarn  regentes  quam  legentes,  ne  vel 
ipsi  vel  aliquis  scholasticorum  secum  Eoveat  in  gymnasio  homines 
plebeios  et  a  Musarum  consortio  alienos  aui  etiam  scortä,  sub 
poena  dimidiati  floreni  ad  structuram  aedium  applicandi.  quod 
si  semel  atque  iterum  monitus  non  desierit,  si  regens  sil  aui 
magister,  a  regentia  et  legendi  miniere  amoveatur,  si  vero  sein, 
laris,  pellatur  gymnasio. 

Pro  privala   scholarium  cura   seu  diseiplina   a   singulis   pri- 
vatis    non    ultra    quatuor    florenos    monetae    exigant;    cum    pau 
{;eribns  autem  mitius  agatur.17 

Pro  lectionibus  vero  ordinariis  et  cura  gymnasiorum  siqui 
paedagogiiim  frequentant,  toto  anno  solvant  florenos  duos,  bacca- 
laureus  tres  et  intermedia  quoque  tres  numerabunt.  hi  vero,  qui 
non  nisi  unam  aut  duas  lectiones  in  gymnasiis  audiunt,  den! 
singulis  semestribus  de  unaquaque  leetione  duodenos  albos ;  cum 
paupertate  docentibus  benignius  agi  debet. 

Pro  lignalibus  communitatis  non  plus  accipiatur  a  studioso 
quam  octo  albi  anno  toto.  quam  pecuniam  a  eollectore  exactam18 
oeconomo  coemendis  lignis  traditum  iri  iubemus.19 

Et  quemadmodum  dominorum  multitudo  obest  rebus  publi- 
cis,  sie  magis  in  rem  gymnasiorum  videtur,  ut  unus  sil  prae- 
positus,  qui  pluribus  annis  rem  domesticam  bene  dispenset,  potius 
quam  ut  haue  provinciam  magistri  regentes  lectionibus  et  re 
gendi  oneribus  gravati  ulterius  subeant,  nisi  summa  urgente  ne- 
cessitate,  si  alius  nemo  reperiri  possit  et  ob  id  regentes  eo 
munere   vicissim    defungi    cogantur. 

Oeconomo  reeta  assignetur  apotheca  seu  vinaria  cella,  aestu- 
arium  et  cubieulum20,  qui  in  aestuario  suo  famulum  communi- 
tatis et  mulierem  culinariam  praesertim  hyberno  tempore  secum 
fovere  teneatur. 

Repetitiones  (vulgo  reparationes  dietae)  cum  baccalaureandis 
sub   festum   divi   Martini    coronandis    ineipientur    Lucae   evange 
listae,  alterae  vero  cum  insigniendis  ad  festum  Philippi  et  Jacobi 
ineipientur   postridie   divi    Ambrosii. 

Duorum   seniorum   regentium   erit,    singulis    diebus    a    festo 
Palmarum  usque  ad  Pasca   instituere  iuventutem  de  suseipiendo 
venerabili  sacramento  eucharistiae   legendo  ©1  docendo   pro   tem 
porum   ratione. 

Duoruin   veio  iuniorum  erit   curare,   ui   a   Mauritii   «sque  ad 


11  sub  poena   dominorum  superattendentium. 

18  aerario  inferri  iubemus. 

19  unaquaeque  domus  suum  habeal  aerarium  a  magistris  regentibus 
observatum,  in  quod  cuiusque' domus  muletae  caeterique  aedium  proventus 
conjiciantur ;  caeterum  claves  aerarii  a  dominis  superattendentibus  custo- 
diantur. 

Item  magistri  regentes  statutorum  domesticorum  interpretationem  ;i 
superattendentibus  petänt,  quibus  reeta  praeeipientibus  obedire  teneantur, 
sub  poena  amotionis  a  regentia  h  munere  legendi,  quod  >i  quis  semel 
atque   iterum    monitus   dictum   audire   noluerit,    gymnasio   exeludatur. 

20  eaquo  omnia  gratis. 

Beiträge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  f ; it-J>«  u 


114  Fritz  Herrmann. 

festum  divi  Galli  quotidie  una  legatur  hora  in,  paedagogio  ante 
meridiera,  ne  gymnasium  omnino  vacuum  sit  lectionibus. 

Semestria  tempora  hoc  modo  auspicabuntur :  aestivum  a 
feriis  pascalibus  die  Lunae  post  dominicam  Quasimodogeniti,  et 
finiatur  pridie  divi  Matthaei  apostoli;  hybernum  vero  auspicari 
debet  postridie  divi  Galli  fmiaturque  pridie  Palmarum. 

Calculus  lectionum  et  habitationum  a  magistris  regentibus 
ponatur  die  Lunae  post  Judica  et  pridie  Matthaei  apostoli.  Eli- 
gatur  tunc  quoque  collector,  qui  ab  adolescentibus  mercedem 
lectionum,  habitationum  et  beanalia  (ut  vocant)  exigat.  neque 
hoc  omissum  iri  volumus,  quin  singulis  hebdomadibus  diebus 
Saturni  a  magistris  regentibus  hebdomadaria  cum  praeposito 
supputetur  ratio  adeoque  duplicis  mensae  cum  portionariorum 
tum  magistrorum. 

Pecunia  lectionum  distribuatur  inter  magistros  regentes  et 
legentes,  sed  habitationum  et  aestuariorum  mercedes  adserventur 
in  aedium  structuram;  utensilium  pecunia  ad  culinae  suppellec- 
tilem,  lignalia  vero  et  beanalia  comparandis  lignis  deputentur.-1 

Magister  collector  indicet  computum  lectionum  publicarum 
et  habitationum  cum  scholaribus  de  hyberno  semestri  Sabbatho 
ante  dominicam  Judica,  de  aestivo  autem  triduo  ante  Matthaei 
festum  aut  proxima  die  non  feriata  sequenti.  collector  item  status 
magistrorum  et  scholarium  conventus  tertio  die  ante  proponat  in 
album. 

Diebus  rogationum  et  animarum  ante  prandiüm  non  legetur, 
a  prandio  rursus  ad  studia  redibunt. 

Pridie  Pentecostes  a  prandio  feriae  agantur  usque  in  diem 
Jovis  proximum  exclusive. 

Jn  vigilia  Corporis  Christi  et  encaeniorum  parochialium  eccle- 
siarum  divorum  Christophori  et  Quintini,  item  in  vigilia  divorum 
Christophori  et  Quintini,  similiter  Assumptionis  matris  virginis, 
Cuiiceptionis,  Purificationis,  Annunciationis,  Omnium  item  sanc- 
torum,  pridie  quoque  Martini  et  Trium  regum  a  prandio  non 
legetur.  sed  magistri  cum  scholastica  iuventute  vespertinas  preces 
canlaturi    suas   parochias    petant. 

Bacchanalibus  non  legatur  a  die  Mercurii  ante  dominicam 
Quinquagesimae  usque  in  diem  Jovis  post  eandem  dominicam 
exclusive. 

In  vigilia  Natalis  domini  regentes  moneant  omnes  commen- 
sales,  ul  faimiliiiii  communitatis  et  coquam  natalitio  miniere  pro 
se  quisque  honesta re  non  recuset,  ipsique  caeteris  ea  in  re  exem- 
plo  sint. 

In  hisce  statutis  domesticis  appellatione  aurei  vel  floreni 
intelligi  volumus  viginti  quatuor  albos. 

Postremo  sollicite  et  attente  prospiciant  rei  lilorariae,  mensae 
communi  et  dimiui,  ul  sarta  tecta  sint  omnia. 


'-''  pecunia  habitationum  et  aestuariorum  mercedes,  utensilium  pe- 
cuma  et  beanalia  in  äerarium  (knims  comportentur,  unde  suo  -tempore 
supferattendentes   nun    regentibus  necessaria   domus   procurabunt. 


Die  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  11"> 

Juramentum   magistrorum,    qui   in   regentium   principalium 

consortium  iamiam  sunt  cooptandi. 

Ego  magister  N.  iuro  et  promitto  vobis  dominis22  regentibus 
honorem  et  reverentiam,  pacem  atque  concordiam  in  omnibus 
observandam ;  adhaec  utilitatem  reipublicae  tarn  literariae  quam 
domesticae,  quantum  per  nie  fieri  potest,  procurabo,  circa  rectam 
discipulorum  «institutionem  sedulus  caeteraque  officia,  quae  le- 
gendi munus  concernunt,  nulluni  in  aliquo  discrimine  ponam,  sed 
aequali  favore  ad  unum  oranes  prosequar,  statuta  et  statuenda 
facultatis  et  huius  gymnasii  studiose  observaturus.  ita  nie  deus 
adiuvet  etc. 

Statuta  magistros   itmiores   non  regentes  concernentia. 

Statuimus,  ut  magistri  iuniores  nondum  principales  regentes, 
sive  publice  sive  privatim  in  gymnasio  nostro  docere  velint,  tarn 
extra  quam  intra  gymnasium  sine  armis,  sed  omni  cum  modestia 
et  honestate  vestium,  ut  magistros  decet,  incedant,  nee  ullos  gym- 
nasii alumnos  arma  ferentes  secum  in  plaleis  ire  permittant. 

Item  cubiculum  seu  aestuarium  sibi  locatum  seu  locandum 
illaesum  servare  teneatur  sub  poena  instaurandi  diruta,  effraeta  aut 
neglecta  per  cum.  similiter  de  clavibus  sui  aestuarii  atque  cubi- 
culi   regentibus   prineipalibus  rationem   reddat. 

Jnhonesta  loca  atque  suspeeta  nunquam  ingrediantur  nee 
aliquos  scholasticorum  ullo  quovis  tempore  secum  perducani ; 
quod  ubi  fecerint  et  a  magistris  regentibus  moniti  non  desistant, 
a  lectione  et  gymnasio  expulsi  sine  cuiusquam  iniuria  discedant. 

Item  lectiones  a  regentibus  sibi  commissas  ab  horae  prineipio 
ad  finem  usque  persequantur,  a  privatis  autem  lectionibus,  quae 
in  gymnasii  detrimentum   pergere   possent,   abstineänt   nee.   sein» 
lasticos  lectionibus  publicis  abducant,  immo  publicas  [nivalis  pro- 
ferant. 

Item  nullam  speciem  ludi  in  gymnasio  exerceant  et  scholasti- 
cos  lusores  indicabunt  regentibus,  nee  extra  gymnasium  praesen- 
tibus  studiosis  ludant,  sub  arbitraria  magistrorum  regentium  poena. 

Praeterea  a  rixandi  studio  alieni  contentiones,  iniurias  modis 
omnibus  vitabunt,  iniurias  vero  vel  contumelias  passi  causam 
atque  negotium  coram  magistris  regentibus  prosequantur,  quo  loco 
si  negotium  componi  non  potent,  provocatio  i'ial  ad  magnificum 
dominum  rectorem. 

Quodsi  alicui  iuniorum  magistrorum  clavis  ad  ostium  domus 
seu  gymnasii  concessa  sil,  nulluni  seholarem  tempore  aoeturno 
secum  vel  ingredi  vel  egredi,  immittere  aut  emittere  sine  regentium 
consensu  liceat.  nee  etiam  ullam  personam,  quae  non  sil  in  con 
sortio  universitatis,  aut  alias  impudieam  intromittant,  sub  poena 
qua  supra;  et  si  a  regentibus  lectione  et  gymnasio  expellantur, 
citra  alieuius  iniuriam  recedere  debebunt,  claves,  si  quos  habent, 
magistris   regentibus    reddituri. 


-'-  superattehdentibus   et 

8« 


1 1»;  Fritz  Herrmann. 

Si  quando  cos  consiliis  aut  conviviis  magistrorum  regentium, 
ubi  vel  secreta  universitatis  vel  propriae  domus  tractantur,  Inter- 
esse contingat  aut  quibuscunque  aliis  iustis  certisque  negotiis, 
qüae  magistri  regentes  clam  esse  velint,  id  nemini  revelent. 

Item  nullus  sollicitet  aut  alliciat  ad  se  scholares  privatos 
alteriüs  magistri,  ut  eos  in  suam  disciplinam  pertrahat,  sub  mulcta 
quatuor  florenorum  in  statutis  universitatis  explicatorum,  nisi  cog- 
nitione   rectoris   legitimisque   causis  explicetur.23 

Eorum  quoque  officii  est,  studiosos  omnes  et  praesertim  sub 
ipsorum  disciplina  degentes  ad  latine  loquendum  sedulo  cohor- 
tari  legitimeque  compellere. 

Nolumus  item,  eos  oeconomo,  sive  is  magister  sit  sive  scho- 
laris,  aut  eius  familiae  molestos  et  conlumeliosos  fore,  et  talia 
molientes  prohibeant  significentque  regentibus.  quod  si  quis  de- 
Eectus  aut  negligentia  circa  mensam  aut  vina  contigerit,  id  non  in 
mensa  coram  compransoribus  proelamabunt,  sed  secreto  ad  re- 
gentes24 deferant. 

Quicunque  magistrorum  vel  regentium  famulum  suscepturus 
est,  imprimis  eum  regentibus  sistere  debet,  quibus  iuramentum 
fidelitatis,  pacis  et  obsequii  praestet.  quod  si  facere  neglexerint, 
quicquid  damni  famulus  iste  dederit,  magister  illius  pensabit . 
sint  tales  quoque  famuli  laboribus  communitatis  puta  ferendis 
lignis  aut  serendae  domui  curiaeve  obnoxii  idque  iussu  regentium 
atque   praepositi. 

Si  quis  forte  magistrorum  meliorem  nactus  conditionem 
gymnasio  excedere  suoque  legendi  officio  se  abdicare  voluerit, 
id  non  clam  regentibus  faciat,  sed  ante  mensis  spatium  magistris 
regentibus  indicet  et  traditis  clavibus  tum  cubiculi  tum  aestuarii 
bona25  magistrorum  regentium  venia  gymnasio  emigret. 

Paedagogiorum  magistri,  quorum  officium  est,  pueris  episto- 
laria  argumenta  praescribere,  diebus26  Saturni27  epistolas  a  singu- 
lis,  qui  paedagogium  frequentant,  conscriptas  accipiant  et  emen- 
dent   unumquemque   etiam    sui    officii    rationes    deposcant. 

Praescripta  omnia  et  subsequens  iuramentum  iuniorum  quis- 
que  magistrorum  praestabit  seque  iurasse  et  recte  observaturum 
sua  manu  subscribendo  contestabitur. 

Juramentum  magistros  minores  nondum  principales  regentes 

concernens. 

Ego  magister  N.  iuro  et  promitto  vobis28  magistris  buius 
nnasii  primariis  regentibus  vestrisque  ibidem  successoribus 
honorem  et  obedient.iam  in  rebus  licitis  et  honestis  quodque 
commodum  et  utilitatum  reipublicae  literariae  istarum  aedium, 
quoad  potero,  promovebo,  pacem  et  concordiam  cum  regentibus 
imprimis,  deinde  cum  caeteris  eiusdem  collegii  magistris  atque 
scholaribus  eorundemque  familia  observabo  aliisque  eandem  tur- 

quae  mulcta  universitatis  fisco  applicabitur. 
!  ad   superattendentes  et  regentes.  —  2:-  superattendentium  et. 
-'■  Lunae,   Martis  et.      -  27  hora  quarta  vespertina. 
dominis  superattendentibus. 


Die  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  117 

bare  quoquo  modo  tentantibus  pro  mea  virili  resistam;  officio 
meo  circa  lectiones,  disputationes  caeteraque  tyrocinia  scholastica 
mihi  commissa  aut  imposterum  committenda  nunquam  defuturus 
discipulos  nostros  doctiores  ac  ineliores  reddere  sedulo  curabo, 
statuta  denique  gymnasii  privata  tum  decreta  tum  decernenda 
bona  fide  observare  totis  conabor  viribus,    ita  ine  deus  adiuvet  etc. 

Statuta  ad  oeconomum  seu  gymnasii  dispensatorem 

pertinentia. 

Praecipuum  oeconomi  officium  esto,  ut  rem  domesticam  et 
culinariam  provide  utiliterque  administret,  tum  optima  fide  cuncta 
obsonia  omnemque  penum  coetnat,  prudenter  dispenset  suoque 
tempore  coram  magistris  regentibus  de  singulis  rationem  reddere 
teneatur. 

Oeconomo  nulluni  sua  autoritate  compransorem  continuum 
nisi  primum  consultis  regentibus  suseipere  liceat,  a  suscepto 
autem  e   vestigio   pecuniam   utensilium,    puta   sex   albos,   exigat. 

Item  quandocunque  nomine  supellectilis,  quae  utensilia  vulgo 
dicuntur,  pecuniam  receperit,  videlicet  a  singulis  compransoribus 
sex  albos,  eam  in  nullos  alios  usus  quam  pro  eoemendä  supellec- 
tile  consultis  primum  super  ea  re  magistris  regentibus  convertat.29 
hinc  culinae  supellectilem  ac  mensarum  linteamina,  libram  itidem 
et  pondera  recte  faciat,  custodiat  curetque  diligenter,  quarum 
rerum  duos  habeant  catalogos,  magistri  regentes  uniun,  alterum 
praepositus.  si  quid  vel  effractum  vel  vetustate  attritum  fuerit, 
praepositus  expensis  communitatis  aut  refici  curabit  aut  iussu3u 
regentium  nova  comparet. 

Et  ut  mundam,  illaesam  beneque  custoditam  supellectilem 
adservet,  fores  culinae  clausas  contineat,  ne  scholasliris  aliisve 
aditus  pateat,  per  quos  damnuin  dari   aut  aliquid  auferri   possit. 

Lignorum  quoque  et  carbonum  cura  praepositi  sit,  quae  in 
tempore  accepta  in  id  a31  magistro  collectore  pecunia  providere 
atque  coemere  debebit;  obsonando  duplici  mensae  diligenter,  uti 
liter  laudeque   prospiciat,   quarum  una   magist  rorum  et   qui   cum 
eisdem  lautius  vivere  volunt,  altera  vero  frugaliter  et  portionana 
pro    tenuioribus    instituatur.      tiani    ut    duplex    habeatür    mensa, 
non   una  subest  ratio,   tarnen  ea   potissimum,    1 1 T    hi.   qui    a    re 
familiari  laborant,  si  non  lautiorem,   tarnen   fiugaliorem  mensam 
coemere  sibi  possint.32    carnes  decentes  ac  pisces  vivos  obsonetur 
oeconomus,   a   mortuis   autem    piscibus    aül    carne    Eoetida    mor 
bidave  oeconomus  obsonando  abstineat,  cibum  omnem  bene  diu 
genterque  coqui  providebit. 

Oeconomus  vendcn<lo  vina  reipublicae  literariae  non  sua«' 
avaritiae  studeal  omnesque  agitandorum  symposiorum  occasiones 

-"'  licanalia  etiam,  videlicet  octo  albos,  ab  unoquoque  recens  deposito 
oeconomus  exigat  referatquo  singnla    in    arrarium    gymnasii. 

3,1  superattendentiuno  et.    —  :u  superattendentibus  el    regentibus 
32  si   forte  temporis   successu  superattendentibus   atque   [regentibus] 
gymnasiis  videatur  magistrorum  mensa  gravamini  fore,  liberum  erit,  ean 
dem  quoque  in  portionariam  mensam  commutare. 


118  Fritz  Herrmann. 

scholasticis  vina  vendendo  praecipiat  negue  ad  se  in  suum  vel 
aestuarium  vel  cubiculum  compotandi  causa  alliciat. 

Haud  minimuni  oeconomi  munus  est  curare  ac  prospicere, 
ut  sarta  tectaque  in  aedibus  sint  omnia,  tegulas,  calcem,  arenam, 
cementa  caeteraque  ad  reficiendam  domum  cum  consensu  regen- 
tium  disponat,  quae  omnia  a33  magistro  collectore  solvantur, 
et  cum  magistro  regente,  cui  adiunctus  fuerit,  hebdomadatim 
structuram  domus  et  cubicula  diligenter  inspiciat.  quod  si  quid 
ruinosum  fractumve  comperiatur,  iussu  regentium  mox  refici  curet. 

Sit  quoque  diligens  observator,  ne  scholastici  mensas,  scamna, 
fenestras  caeteraque  vel  corrumpant  vel  frangant,  et  si  quid 
talium  rerum  ruptum  fractumve  fuerit,  oeconomus  quamprimum 
refici  curabit  eius  impendio,  qui  damnum  dedit,  aut,  si  omnino 
incognitus   sit,  expensis  communitatis. 

Oeconomus  pro  suo  salario  habeat  singulis  septimanis  non 
minus  tribus  albis,  quos  'duodecim  commensales  pendere  possunt ; 
quod  si  plures  fuerint  commensales,  singuli  dabunt  duos  denarios 
idque  in  commodum  cedat  praepositi.  mensam  praeterea  gra- 
tuitam  habeat,  is  quoque34  solus  vina  vendat  iusto  pretio.  quod 
si  scholaris  sit  et  ad  gradum  aliquem  aspiret,  lectiones,  repara- 
tiones  et  cathedralia,  habitationem,  cellam  quoque  vinariam  gratis 
habeat.  olim  praepositus  cum  famulo  communitatis  coci  partes 
agebant;  id  quia  nunc  obsolevit  et  receptum  est,  ut  mulieres 
culinariae  provectae  aetatis  conducantur,  ideo  famula  culinae35 
pro  annuo  salario  ad  summum  a  regentibus  äccipiat  sex  florenos 
monetae;  quod  si  qua  minoris  conduci  potest,  id  in  rempublicam 
gymnasii  cedet.  oeconomus,  cui  soli  admittitur  vini  vendendi 
facultas,  teneatur  mulieri  culinariae  quotidie  dare  de  suo  vino 
dimidiam   vini   mensuram. 

Juramentum  oeconomi   seil  praepositi. 

Ego  N.  in  oecononum  ac  fidelem  huius  gymnasii  dispen- 
satorem  suscipiendus  iuro  ac  promitto  vobis  magistris  regen- 
tibus honorem  et  reverentiam,  pacem  et  concordiam  cum  uni- 
versis  servandam.  porro  in  dati  et  expensi  rationibus  aliisque 
harum  aedium  et  communitatis  negotiis  optima  fide  agam  omnia, 
culinae  supellectilem  caeteraque  mihi  commissa  accurate  custo- 
diarn,  rationem  quoque  de  singulis  redditurus.  et  quaecunque 
mensam  communem  concernunt,  laute  ac  munditer  instrui  curabo, 
domus  huius  structuram  cum  magistro  regente  in  id  deputato 
inspiciam,  pecuniam,  quae  ad  utensilia  datun36,  a  singulis  deben- 
tibus  exigam,  de  eius  fide  rationem  suo  tempore  redditurus, 
statuta  ac  statuenda  praeposituram  concernentia  rationi  consen- 
tanea  de  damno  cavendo  bonoque  promovendo  pro  ingenii  mei 
viribus  exaclissime   observabo.     sie  me   deus   adiuvet  etc. 


33  superattendentibus  et  regentibus. 
*  ad  arbitrium  ac  iustam  aostimationem  superattendentium. 

35  et  famulus  communitatis  a  praeposito  deligantur,  suseipiatur  autem 
a  dominis  superattendentibus  [et]  regentibus  famula.  pro  annuo  salario 
ad  summum   a  regentibus  äccipiat  sex  florenos  monetae. 

3fi  beanalia   item. 


E^ie  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  119 

Statuta,   quae  ad  famulum  communitatis  attinent. 

Famulus  communitatis  a  praeposito  deligatur  et  a  collegio 
regentium  suscipiatur,  qui,  simulatque  assumptus  fuerit,  sub- 
sequens  iuramentum  coram  magistris  regentibus  praestet.  idem 
cum  famula  in  culina  gratis  victitet,  habitationem(l),  lectiones 
et  si  baccalaureatus  aut  magisterii  gradus  ambiet,  reparationes 
et  cathedralia  ei  gratis  permittantur.  a  singulis  beäniarh  de- 
ponentibus  accipiet  unum  album,  cuius  dimidia  pars  cedel  mulieri 
culinariae. 

Juramentum  famitli  communitatis. 

Ego  N.  assumendus  in  famulum  iuro  vobis37  magistris  regen- 
tibus  honorem  et  reverentiam  debitamque  obedientiam  circa  omnes 
res  licitas  atque  honestas.  iuro  etiam,  me  omnibus  harum  aedium 
magistris,  scholaribus  totique  domui  fidelem,  utilem  ac  frugi  fore. 
eorum  commodum  tarn  publicum  quam  privatum  promovendo 
incommodaque  cavendo,  quoad  eius  per  me  fieri  potest.  item 
officio  mihi  iniuncto  ex  dominorum  regentium  et  oeconomi  prae- 
scripto,  quibus  obedire  tenebor,  bona  fide,  ut  famulum  communi- 
tatis decet,  defungar.  quod  si  oeconomus  mihi  vel  minimis  la- 
boribus  vel  aliis  negotii«  forte  molestus  esse  ceperit,  id  non 
privata  cum  eo  controversia,  sed  coram38  magistris  regentibus 
in  hebdomadario  calculo  congregatis  finiam.  rem  praeterea  gym- 
nasii  fideliter  procuraturus  fidelem  me  cum  in  omnibus  tum  vero 
in  re  pecuniaria,  pane,  carne,  vino  caeterisque  praestabo  nee 
quiequam  praedietarum  rerum  alicui  magistrorum  ;iut  scholarium 
nisi  oeconomi  consensu  depromam. 

At  si  conviviis  magistrorum  eorum ve  conventibus  aut  ratio- 
albus  vel  quibuseunque  ipsorum  negotiis  interero,  eorum  secreta 
dieta  faetave  nee  verbis  nee  scripto  aut  alio  quovis  modo  ulli 
unquam  manifestabo.  omnes  quoque  detractiones,  minas,  iniurias 
aut  damna  a  gymnasii  incolis  privatim  aut  publice  facta  quam- 
primum  magistris  regentibus  aut  saltem  uni  manifestabo.  nulluni 
etiam  ludi  genus  in  gynmasio  aut  extra  committam  et  studiosos 
nostros  haec  facientes  apud  magistros  regentes  deferam.  domum 
sive  gymnasium  praeclusum  nulla  arte  aut  modo  quoeunque 
tempore-  sine  unius  aul  pluiiuin  regentium  consensu  aperiam 
neque  scholares  id  conantes  aut  per  fenestras  aliave  loca  ingredi 
aut.  egredi  tentantes  vel  inhonestas  personas  introducere  volentes 
consilio  vel  opera  mea  iuvabo,  immo  quamprimum  hoc  aliquos 
molientes  reseivero,  mox  magistris  regentibus  significabo. 

Domum  absque  praepositi  venia  non  exibo  adeoque  prius 
quam  omne  mihi  ex  officio  praescriptum  pensum  absolvero,  nee 
unquam  sine  eiusdem  aut  alieuius  regentis  scitu  extra  gymnasium 
pernoetabo.  item  si  quando  magistris  regentibus  yisum  fuerit, 
ita  ut  famulandi  officio  amovendus  sim,  citra  alieuius  iniuriam, 
infamiam   aut  contumeliam   sii <nleste   reeessurus.      postremo 


37  dominis  superattendentibus  et. 

38  dominis   superattendentibus    et. 


1  20  Fritz  Herrmann. 

uni versa  decreta  et  decernenda  sive  scripta  sive  non  scripta 
a  magistri  regentibus  mihi  iniuncta  citra  omnem  fraudem  ob- 
servabo  atque  perficiam  neque  meo  officio  nie  abdicabo,  nisi 
oeconomum  aut  magistros  regentes  prius  ad  totum  mensis  spatium 
de  hoc  certiores  reddidero,  si  non  urgens  necessitas  me  excuset. 
sie  me  deus  adiuvet  etc. 

Praedicta  omnia  me  bona  fide  iurasse  ego  N.  manus  meae 
chirographo  protestor. 

De   famulis   magistrorum   regentium   et   legentium. 

In  famulum  magistri  alieuius  assumendus  praesto  exhibeatur 
regentibus,  quem  Uli  sui  officii  praemoneant  et  subsequens  iura- 
mentum  iurandum  offerant.  hi  famuli39  quemadmodum  et  doc- 
torum  et  nostratium  magistrorum  omnium  lectiones  et  repara- 
I H »lies  gratis  audiant,  habitationes  quoque  sicut  communitatis  iti- 
colae  habeant. 

Sequitur  eorundem  iusiurandum. 

Ego  N.  in  famulum  magistri  N.  assumendus  iuro  vobis  ma- 
gistris  regentibus,  me  non  solum  magistro  meo  N.,  sed  et  istarum 
aedium  communitati  fidum,  morigerum,  paeificum  ac  honeste 
officiosum  fore,  incommoda  gymnasii,  quoad  eius  per  me  fieri 
potest,  cavebo,  lusores  et  scortatores  et  eos,  qui  magistris  re- 
gentibus vel  legentibus  obloquendo  detreetant,  aliave  illicita  per- 
petrantes  magistro  meo  vel  uni  e  regentibus  candide  indicabo. 
postremo,  si  quanclo  opera  mea  commodove  potero,  usibus  gym- 
nasii famulo  communitatis  iussu  praepositi  aut  regentis  non  sum 
defuturus  omniaque  agam,  quae  fidelem  ac  studiosum  famulum 
decent.     ita  me  cleus  adiuvet  etc. 

Statuta  scholaribus  gymnasioram  inquilinis  et  compran- 

soribus  communia. 

[mprimis  praeposito  adventum  suüm  indicent,  qui  non  sine 
regentium  consensu  suseipiantur,  quorum  quisque  pro  utensi- 
libus  sex  albos  numeret. 

Convivas  illiberale  hominum  genus  et  circumforaneum  nemo 
compransofem   adducat. 

Discessuei  ad  tempus  a  mensa,  nisi  praeposito  dixerinl. 
totius  septimanae  pretium  solvant  professoribus  artium  aut  ali- 
arum  facultatum;  nisi  continue  operäm  dent,  a  mensa  exeludantur. 

Maiores  minoribus  nulluni  offendiculum  praebeant,  sed  sua 
et  cum  sui  similibus  agant. 

Morum  quoque  barbariem  nullam  introducant  nee  ullam  statu- 
tis  tarn   publicis  quam   privatis  fraudem   l'acere  conentur. 

Prandentes  et  coenantes  sint  placidi,  mödesti  et  quieti  neque 
fernere  de  esculentis  appositis  indicent,  sed  si  quid  aeeiderit, 
quod  censura  dignum  videatur,  praeeeptores  suos  certiores  faci- 
ant,  sub   poena   a   regentibus  eis   intli^emla,  si  aliter  fecerint. 

38  habitationem,    reparationes,    cathedralia    gratis   habebunt. 


Die  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  lu21 

Praescripta  statuta  ab  imo  magistro  regentium  in  praesentia 
praepositi  futuro  compransori  praeletjentur,  cut  mox  subsequens 
promissio  a  regente  deferatur. 

Superiora  inhabitantes  coenacula  et  cubicula  ea  potissimum. 
quae  vias40,  quo  vulgo  iter  fit,  prospectant,  si  quid  vel  deiecerini  vel 
effuderint,  quo  praetereuntes  ledantur.  arbitrio  regentium  pro  ad- 
missi  criminis  ratione  mulctantur,  salvo  tarnen  iure  partis  laesae. 

Gymnasiorum  inquilini  sine  eorisensu  sui  praeceptoris  aut 
magisti'oruni  regentium  foris  nunquam  pernoctent,  sub  poena  sex 
alborum  structurae  domus  applicandorum,  salva  uniuscuiusque 
excusatione    legitima,    quam    medio    iuramento    docebit. 

Decrevit  item  facultas41,  ne  quis  studentium  aut  inhabitan- 
tium  gymnasia  alliciat  ad  se  extraneos,  plebeios  aliosve  a  Musarum 
consortio  alienos  introducendo  eos  ad  cubiculum  suum  neve  in 
eo  tales  contineat,  nisi  quare  hoc  faciat,  sui  magistri  consensu  ac 
venia  sese  purgare  poterit.  talem  vero  vel  tales  ultra  octiduum  in 
gynmasio  secum  retinere  non  liceat,  nisi  iusta  legitimaque  causa 
factum  excuset.  et  iste,  qui  talem  aliquem  secum  foverit,  obli- 
gatus  esto  pro  impendiis,  danmis  et  eo,  quod  interest  regen- 
tibus,  oeconomo  caeterisque  gymnasii  inquilinis,  sub  poena  dimi- 
dii  aurei  gynmasio  ad  structuram  domus  praestandi.  sed  si  hoc 
modo  introductus  consanguineus  sit  alicuius  in  proximiori  gradu 
idque  certis  documentis  constet,  tum  quidem  mitius  agendum  est. 
tarnen  pro  iudicio  magistrorum  regentium. 

Inhabitantibus  non  liceat  mutare  cubicula  vel  suscipere  so- 
dalem  aut  pellere  sine  permissu  magistri  hebdomadarii,  sub  poena 
dimidii  floreni,  salvo  damno  magistrorum  regentium.*2 

Promissio  scholarium  inhabitantium  et  commensalium. 

Ego  N.,  gymnasii  huius  inquilinus  atque  compransor,  con- 
ceptis  verbis  promitto  vobis  dominis  regentibus,  vestris  institutioni- 
bus,  disciplinis  atque  statutis  domesticis  me  probe  raorigerum 
fore,  ea  diligenter  observaturus  nullamque  eis  facturus  fraudem 
nee  contra  aliquem  insurgere  aut  conspirare  tentabo.  faclionrs. 
damna  tarn  publica  quam  privata  nemini  inferens,  inferre  volentes 
pro  mea  virili  vetabo  ac  magistris  regentibus  aut  saltein  uni  indi- 
cabo.  praeterea  commodum  et  utililalem  huius  gymnasii,  quoad 
potero,  promovere  conabor,  in  omnibus  tum  licilis  tum  honestis 
vobis  obediam.  quod  si  ulla  de  causa,  quae  maa,istros  moveat,  a 
mensa  et  inhabitatione  discedere  iussus  fucro,  id  sine  cuiusquam 
iniuiia,  damno,  infamia  aut  offendiculo  faciam  idque  manuali  pro 
missione  firmum  esse  volo. 

Statuta  scholasticos  omnes,  sive  intra  sive  extra  gymnasium 
habitent,  ex  aequo  concernentia. 

Universitatis  edicto  cautum  est,  ne  quis  studiosorum  ad  publi- 
cas    vel    privatas    lectiones    admittatur,    nisi    prius    deposito    pro 

40  rui  yulgus  intersit.  —  41  universitas. 

4-  tnhabitans   cubiculum    gymnasii   singulis   anni  iloa   inde  de 

pendat   aureos. 


122  Fritz  Herrrryum. 

more  beanio  nomen  magnifico  rectori  universitatis  matriculae 
inscribendum  dederit  solveritque  magistris  regentibus  pro  sui  re- 
ceptione  in  consortium  studiosorum  eius  collegii,  in  quo  militare 
vult,   beanalia,   quae  sunt  octo   albi. 

Cavit.  item  universitas,  ne  studiosi,  qui  novitiis  beanium  de- 
ponentibus  festes  praesto  adsunt,  eos  iniuriis  aut  contumeliis 
afficiant  neque  manus  adferant,  immo  boc,  quidquid  est  negotii,  per 
mittatur  depositori ;  nam  in  hac  tabula  eos  potius  spectatores 
quam  actores  mavult  universitas,  quibus  praeter  verborum  iocos 
nihil  permittatur,  sub  poena  dimidii  floreni. 

Extra  gymnasium  sine  rectoris  consensu,  cognitione  et  sigillo 
non  habitent  nisi  indigenae  et  doctorum  ac  magistrorum  nostra- 
tium  famuli,  qui  hac  lege  soluti  sunt. 

Praeceptores  suos  cum  pfivatos  tum  publicos  revereantur. 
quos  debito  honore  prosequantur  neque  eis  refragari  aut  resistere 
debent,  immo  vero  in  rebus  licitis  et  honestis  per  omnia  obedire, 
praesertim  quantum  ad  disciplinam  scholasticam  attinet,  sub  poena 
vel  mulcta  pro  admissi  qualitate  a  magistris  regentibus  infligenda. 

Quicunque  ad  gradum  baccalaureatus  vel  magisterii  aspirare 
contendit,  praeter  publicos  praeceptores  privatum  aliqueni  sui 
gymnasii  sibi  deligat  tradatque  se  in  eius  disciplinam.  qui  si 
adhuc  institutione  grammatica  eget,  det  praeceptori  suo  quatuor 
florenos  annuos,  pro  qua  pecunia  teneatur  sibi  magister  privatus 
indies  repetere  duas  horas.  sin  mediocriter  doctus,  ut  illa  puerili 
institutione  ei  iam  non  sit  opus,  dabit  duos  florenos  annuos  et 
audiat  a  praeceptore  indies  unam  horam,  sub  qua  leget  bonum 
aliquem  et  classicum  scriptorem.  quodsi  profectioris  eruditionis 
fuerit  ac  caeteris  lectionibus  occupatus,  pro  privata  disciplina 
integro  anno  pendet  dimidium  aurei,  ut  saltem  eum  magister 
privatus  pro  discipulo  agnoscat.     cum  pauperibus  mitius  agatur. 

Publicas  tum  ordinarias  tum  formales  lectiones,  disputationes 
item  domesticas  et  publicas  visitent  diligenter  aliis  privatim  et 
publice  semper  opponendo.  lectionibus  et  disputationibus  a  prin- 
cipio  ad  finem  usque  interesse  et  modeste  attenteque  auscultare 
debebunt;  qui  secus  fecerit,  non  censebitur  ei  disputationi  vel 
lectioni  interfuisse  eiusque  completionibus  derogabitur.  cessa- 
tores  et  studia  sua  non  continuantes  posthac  pro  studentibus  non 
reputentur  neque  etiam  ]»rivilegiis  et  libertatibus  universitatis 
nostrae  gaudebunt.  ab  unoquoque  opponente,  respondente  et  lumi- 
nante  absentibus,  quia  tales  aliis  incommodant  impediuntque  nego- 
tium literarium,  exigatur  unus  albus  magistrorum  praesentiis  in- 
ferendus,  pro  qua  mulcta  regentes  illa  hora  candelas  pro  absen- 
tibus sufficiant.     latine  passim  et  ubique  loquentur. 

Anto  primam  lauream  magistris  et  baccalaureis  praesidentibus 
quater  pro  sc  quisque  respondeat.  tractandis  epistolaribus  argu- 
mentis  vel  declamationibus  stilum  singulis  septimanis  exerceant.43 


48  Statuimus  insuper,  quod  quisque  scholarium  singulis  semestribus 
dimidium  aurei   conferai    pro  gymnasiorum   conservatione  atque  structura. 

Lectiones  vero  tarn  ordinarias  quam  formales  et  paedagogiorum  im- 
posterum   audiantur   gratis. 


Die-  Mainzer  Bursen  und  ihre  Statuten.  123 

De  honestate  vitae,  moribus  ac  habitu  discipulorum. 

Iuventus  nostra  pietatem  imprimis  colal  ihm-  w-mere  iuret  nee 
diris  quemquam  devoveat.  sed  et  dominicis  quibusque  una  cum 
aliis  festis  diebus  discipuli  praeceptores  subsecuti  parochialem 
suain  ecclesiam  petant,  divinae  rei  officio  peragendo  diligenter 
interfuturi,  sacram  qüoque  concionem  attente  per  silentium  aus- 
cultaturi  revereiiter  adeanl,  similiter  vespertims  precibus  praedic- 
korum  dierum  intersint.  quicimque  vero  secus  fecerint,  quatuor 
nuiiimorum  mulctantor. 

Dominos  magnificum  rectorem,  doctores,  licentiatos,  magistros 
aliosque  viros,  canonicos  potissimum  ac  sacerdotes  honestasque 
iuxta  matronas  honorifice  reverenterque  aperto  capite  venerentur. 

A  flagitiosorum  hominum  convictu,  alea,  ebrietate,  laicorum 
choreis,  publicis  tabernis,  inhonestis  suspectisque  domibus,  aliis 
quoque  id  genus  peccatis  ac  locis  in  totum  abstineant.  si  quis  vero 
ha  nun  legum  praescriptum  transsilierit,  poenam  dimidiati  floreni 
ab  universitate  in  hoc  praescriptam  experietur. 

Eadem  mulcta  statuta  est  nocturnis  erronibus,  et  praesertim, 
qui  post  horara  nonam  in  plateis  deprehenduntur.  item  si  quis 
(lonium,  hortum,  vineam  aliave  loca  cuiuscunque  sine  domini 
consensu  et  voluntate  ingressus  fuerit,  is  solvet  universitati  inte- 
grum florenum. 

Si  quis  studiosorum  fores  gymnasii  praeclusas  illicito  modo 
aperuerit  aut  etiam  egredi  vel  ingredi  moliatur,  is  pendat  Univer- 
sität! ternos  aureos. 

Habitu  ac  vestitu  honesto  scliolastici  nostri  utantur  nee  in 
humeros  indecore  reieeta  lacinia  incedant;  nemo  quoque  pallia 
gestet  neque  ex  tunica  palliam  faciat.  omni  denique  vestitu,  qui 
studiosos  in  publico  dedecet,  modis  omnibus  abstinere  volumus, 
suh  poena  regen tium  arbitraria.  quod  si  punitus  non  desistat, 
magnifico  rectori  puniendus  sisti  debet,  qui  in  talem  pro  suo  ani- 
madvertet   arbitrio. 

Culinam  niillus  ingrediatur  temere,  sub  poena  quatuor  num- 
morum ;  iteranti  eulpara   augebitur  mulcta. 

Nullus  utensilia,  fenestras,  fores,  teeta,  parietes,  breviter  quic- 
quid  ad  huius  domus  usum  attinet,  vel  effringere  vel  corumpere 
audeat  neve  loca  passim  excernendo  vel  meiendo  iaquinato,  sub 
poena  pro  modo  delicti  a  magistris  infligenda. 

Vestibulum  atque  fores  gymnasii  non  statio,  non  ambulacrum, 
sed  transitus  sit  praetereuntibus.  vel  vicinis  vel  contubernalibus 
quavis  ralione,  ne  sint  molesti,  caveant,  suh  arbitraria  regentium 
poena. 

Id  quoque  cautum  est,  ne  quis  discipulorum  nostrorum  pro 
foribus  aut  in  area  sive  atrio  domus  tumultum  aul  indecoram  ali 
quam  voeiferationem  committal  neve  iisdem  in  locis  absque  tunica 
conspiciatur,  sub  poena  magistrorum  regentium  arbitraria. 

Nemo  alteri  vel  re  vel  verbis  iniuriam  aut  Qegotium  Eacessal 
nee  armis  instruetus  sit  quisquam,  sed  si  qua  habet,  iam  inde  a 
prineipio  simulatque  discipulus  esse  coeperit  praeeeptori  suo  pri- 
vato  aut  regentibus  tradat,  sub  poena  amissionis  eorundem.    bre- 


s 


124 


Fritz  Herrmann. 


vitei'  nemo  studiosorum  arraa  deferat  sub  poena  in  statutibus 
universitatis   expressa. 

AI  ins  in  alium  ne  ioco  quidem  pugiunculuin  aut  cultrum  dis- 
tringito.  nemo  sui  vindictam  ab  alio  sumat,  sed  regentes  aut  pri- 
vati  praeoeptores  iudices  esse  debent. 

Ludere  nee  ubique  nee  semper,  sed  diebus  Jovis  liberum  sit; 
ludendi  locus  area  posterior,  modus  überaus  ac  recreandi  animi 
causa,  non  in  peeunia  esto. 

De  baccalaureis. 

Baccalaurei  in  supplicationibus.  püblicis  actibus,  mensis,  audi- 
toriis  primum  locum  inter  diseipulos  oecupent. 

Iidem  ante  magisterium  magistris  publice  praesidentibus 
sexies  respondeant. 

Diebus  item  dominicis  publice  hora  prima  quater  praesideant, 
propositis  in  id  grammaticis,   dialecticis   physicisque   thematibus. 

Domesticis  quoque  disputationibus  frequenter  inteiesse  vo- 
lunius  et  respondendo  et  opponendo  sese  exerceant. 

Praeterea  viginti  magistrorum  disputationibus  püblicis  a  ca- 
pite  ad  calcem  usque  interfuisse  ad  magisterium  adspiraturi  debent. 
Statutorum   domesticorum    finis. 


IV. 

Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren. 

Ein  Beitrag  zur  Mainzer  Universitätsgeschichte  des 

ausgehenden  16.  sowie  des  17.  Jahrhunderts. 

Von  Heinrich  Schrohe. 


•  Drei  Jahrhunderte  führte  die  Mainzer  Universität  ein 
höchst  bescheidenes  Dasein  und  reichte  in  ihrem  Einfluß  nicht 
über  die  engen  Grenzen  des  Kurstaates.  Erst  im  dritten  Jahr- 
zehnt vor  ihrem  Untergange  erregte  sie  in  weiteren  Kreisen 
Interesse.  Es  war  dies  zunächst  im  Jahre  1781.  als  der  Kur- 
fürst Friedrich  Karl  von  Erthal  drei  reiche  Mainzer  Klöster  zu 
Gunsten  der  Universität,  aufhob;  er  wollte  auf  diese  Weise 
die  stets  unzulänglichen  Mittel  seiner  Hochschule  vermehren. 
Dieser  Maßnahme,  die  bei  den  einen  lebhafte  Zustimmung,  bei 
den  anderen  große  Entrüstung  hervorrief,  folgte  1784  das 
pomphafte  Universitätsfest.  Letzteres  ist  bereits  in  das  Be- 
reich der  Darstellung  gezogen  worden1;  dagegen  ist  die 
ältere  Universitätsgeschichte  noch  ziemlich  unerforscht;  die 
Dürftigkeit  des  weithin  zerstreuten  Stoffes  mag  hieran  schuld 
sein.  "Die  Aktenstücke,  die  hier  zum  erstenmal  mitgeteilt 
werden-',  klären   die   Zustände  an   der  Mainzer   (Jniversitäl 


1   Vergl.  Bockenheimer,  die  Restauration  der  Mainzer  Hochschule  im 
Jahre  1784.  Mainz  1884. 

-  Die  Urkunden  entstammen  fünf  Aktenfaszikeln  der  Generalreze 
des  Mainzer  Universitätsfonds.     Nur  diese  Reste  des  ehemaligen   Mainzer 
I  niversitätsarchivs    befinden    sich   heule    noch    an    genannter   Stelle. 
Generalrezeptor,  Herr  Finanzamtmann  Hofmann,  dem  auch  an  dieser  * 
für    sein-    freundliches    Entgegenkommen    ^edaukl    sei,    hat     sie    nur    zur 
Benutzung  gütigst  überlassen.     Ihrem  Inhalte  nach  lassen  sich   liese  Vkten 
stücke  im  wesentlichen  in  folgende  drei  Gruppen  gliedern:  L    Utenstücke, 
di.«  siel,  iiuf  die  Klosterauihcbun-en  im  .liihre  L781  beziehen.     Sie  sind  von 
mir  bereits  zu  einer  Darstellung  verarbeitet,  die  voraussichtlich  in  diesem 
Jahre  erscheinen   wird.     2.   Aktenstücke,   welche  einzelne  finanzielle   \er 


126  Heinrich  Schrohe. 

wenigstens  nach  einer  Seite  und  für  eine  Zeit;  sie  zeigen 
nämlich  vor  allem,  wie  im  17.  Jahrhundert  die  erledigten 
Professuren  besetzt  wurden;  daneben  geben  sie  wertvollen 
Aufschluß  über  die  Verhältnisse,  aus  denen  damals  die 
.Mainzer  Universitätsprofessoren  hervorgingen. 

Wie  an  anderen  Hochschulen,  so  wirkten  auch  an  der 
Mainzer  die  Professoren  mit,  wenn  es  sich  um  die  Neube- 
setzimg erledigter  Lehrstühle  handelte.  Doch  war  ihr  Anteil 
an  dieser  Erneuerung  des  Lehrkörpers  nicht  in  allen  Fällen 
der  gleiche.  Wie  es  scheint,  hing  die  Neubesetzung  einzelner 
Professuren  sanz  von  der  Universität  ab.  Dahin  gehörte  die 
einstmals  von  Jvo  Wittig  gestiftete  Professur  der  Geschichte. 
Rektor  und  Universität  verliehen3  diese  nach  dem  Tode 
Dr.  Bürgers  am  16.  September  1617  dem  Magister  Gerhard 
Holtmann,  nach  dessen  Hinscheiden  am  28.  November  1618 
dem  Dr.  phil.  et  med.  Stephanus  Dominicus  Brunheimer. 
Deshalb  bittet4  auch  Dr.  iur.  utr.  Karl  Faber  am  16.  Sep- 
tember 1637  Rektor  und  Universität,  man  möge  ihm  die  Profes- 
sur der  Geschichte  übertragen,  die  durch  den  Tod  Dr.  Kaspar 
Beußers  erledigt  sei.  Auch  einzelne  Lehrstühle  der  Theologie 
wurden  wohl  durch  die  Universität  neu  besetzt.  Vor  1559 
richtet5  der  Mainzer  Ouintinspfarrer  Liz.  Christian  Hipparius 
an  Rektor  und  Universität  das  Ersuchen,  sie  möchten  nichi 
eher  inbetreff  der  Präbende  an  der  Liebfrauenkirche,  mit  der 
eine  Lehrstelle  an  der  theologischen  Fakultät  verbunden  war, 
entscheiden,    als    bis    sich    der   Kurfürst    über    sein    (des 

hältnisse  der  Mainzer  Universität  und  der  ihr  einverleibten  Kanonikate  be- 
trefi'en.  Mit  ihrer  Bearbeitung  bin  ich  zurzeit  beschäftigt.  3.  Aktenstücke. 
welche  die  Besetzung  erledigter  Professuren  und  Korrespondenzen  zwischen 
Kurfürsten  und  der  Universität  zum  Gegenstände  haben;  sie  werden  sämt- 
lich in  dem  vorliegenden  Aufsatze  veröffentlicht.  Diese  letztgenannten 
Urkunden  waren  wohl  schon  in  kurfürstlicher  Zeit  zu  einer  Gruppe  ver- 
einigt; denn  es  findet  sich  bei  ihnen  ein  Blatt  mit  folgender  Aufschrift: 
„Die  Professuras  Singularum  facultatum  domus  Schenkenbergicae  betref- 
fende Sachen,  besonders  Churfürst.  praesentationes  ad  Professuras  et  bis  an- 
nexos  Cannonicatus  Universitatis  Moguntiae  ad  1533.  II.  S.  3".  Auf  der 
Rückseite  des  Blattes  wird  vermerkt:  ,,Pro  notta  in  dießem  fasciculo  be- 
finden sich  Suppliquen  pro  obtinendis  professuris  ad  Archiepiscopos  et 
Electores  Moguntinos  und  von  dießen  Universitati  überschickte  praesenta- 
liniies  Professorum  und  Andere  schreiben,  welche  alle  Secundum  ordinem 
Chronologicum  gelegt  seynd,  und  dienen  dieße  Documenta  ad  Supplendarri 

m  Professorum  Mogunt.  und  geben  ein  und  andere  Historische  Nach- 
richt von  der  älteren  Verfaßung  allhiesiger  Universität".  Jedenfalls  lagen 
in  diesem  Umschlag  Erüher  mehr  Aktenstücke  als  heute;  denn  es  findet 
sich  ein  Blätteben  vor  mit  der  Aufschrift:  Concept  Doct.  Johan  Friderich 
Travellmans  Praesentation  an  D.  Georg  Bruels  verledigten  Lectur  stanndt 
1Ö7-J.      Der   sfi    beschriebene    Knhvurf   fehl!    heute   bei   den   Akten. 

8  S.  unten   Brief  No.   XX.   -  -  *  S.   unten   Brief  No.   XXIV. 

5  S.  unten   Briet  No.   I. 


Die  Wiederbesetzune  erledigter  Professuren, 


127 


Hipparius)  Schreiben  geäußert  habe.  Selbst  als  1639  der 
Kurfürst  Anselm  Kasimir  einen  so  hervorragenden  und  gut 
empfohlenen  Gelehrten  wie  Dr.  theol.  Johann  Jakob  Völeker 
mit  einem  Kanonikat  an  Liebfrau  und  der  entsprechenden  Pro- 
fessur begabt  wissen  wollte,  konnte  er  nichts  anderes  tun, 
als  ihn  der  Universität  angelegentlich  empfehlen.6  „Also 
haben  Wir"  —  so  schreibt  Anselm  Kasimir  an  die  Universität 
„nachgestalt  dießes  subiecti,  welches  in  Theologica  Fa- 


Mainz  um  1650 


cultate  ad  Professuram  habile  ei  qualincatum,  nit  anderlaßen 
wollen,  Euch  solches  hiemil  bestermaßen  reoommendiren, 
Euch  dabeneben  genedtigsl  ersuchenl,  efmelten  Volckher  auß 
denen  oberzehlten  Ursachen  damit  (d.  h.  mit  dem  Ranonikate) 
ZU  providiren  .  . ."  Auch  dann,  wenn  es  dringend  geboten  war, 
einen  Lehrstuhl  neu  zu  besetzen,  durfte  der  Kurfursl  in  die 
Befugnisse  der  Universitäl  nicht  eingreifen.  Im  Jahre  L596 
starb  der  Professor  der  Medizin  Dr.  Dietrich  Lac.  Da  um  di 
Zeit  in  Mainz  eine  Seuche  herrschte,  und  die  Zahl  der  Arzte 
gering  war,  so  lag  eine  rasche  Erledigung  der  Vakanz  in  aller 


G  S.  unten  Brief  No.  XXV. 


128  Heinrich  Sehrohe. 

Interesse.  Auch  das  Domkapitel  hatte  an  die  Dringlich- 
keit der  Angelegenheit  gemahnt.  Trotzdem  beschränkte7  sich 
Kurfürst  Wolfgang  darauf,  zu  schleunigem  Verfahren  aufzu- 
fordern. Waren  durch  irgend  einen  Anlaß  die  Rechte,  die  der 
Universität  bei  einer  Neubesetzung  zustanden,  geschmälert 
worden,  so  schreckte  sie  nicht  davor  zurück,  auf  ihre  Befug- 
nisse selbst  einen  Kurfürsten  hinzuweisen.  So  erklärte8  die 
Universität  am  18.  Dezember  1620,  der  Hofsekretarius  Gabriel 
Dopperich  halte  sich  die  Geschichtsprofessur,  die  gar  nicht 
erledigt  gewesen  sei,  angemaßt;  ein  Schreiben,  das  Kur- 
fürst Johann  Schweickhardt  an  seinen  Siegier  richtete,  und 
in  dem  die  Kollatur  enthalten  war,  habe  Dopperich  hierzu 
veranlaßt.  Sie  sandten  ferner  dem  Kurfürsten  einen  Extrakt 
aus  den  Statuten,  wonach  die  Vergebung  der  Geschichts- 
professur zu  allen  Zeiten  Sache  der  Universität  war.  ..Also 
verhoffen  wir  unterthenigst",  so  schlössen  sie  ihre  Eingabe, 
„Euer  Churfürstliche  Gnaden  •  (werden)  unnß,,  wie  bißhero, 
also  fürohin  bey  solchem  herbrachten  Jure  conferendi  ver- 
pleiben,  die  Statuta  in  väterlichen  Gnaden  handthaben  usw. 
lassen". 

Natürlich  war  auch  dann,  wenn  die  Universität  eine 
Professur  neu  zu  besetzen  hatte,  die  Mitwirkung  des  Kur- 
fürsten nicht  völlig  ausgeschlossen.  Der  Geschäftsgang  war 
vielmehr  folgender:  In  dem  Concilium  congregatum  einigte9 
sich  die  Universität  auf  eine  geeignete  Persönlichkeit,  die  ihr 
entweder  schon  aus  eigner  Beobachtung  bekannt  war,  oder 
die  sich  bei  ihr  um  den  erledigten  Posten  bewarb.  Dieselbe 
präsentierte  und  nominierte  sie  in  besonderer  Urkunde  dem 
Kurfürsten.  Dieser  ließ10  nun  der  vorgeschlagenen  Per- 
sönlichkeit eine  Präsentationsurkunde  ausfertigen,  die  ihr 
durch  die  Universität  ausgehändigt  wurde. 

Wie  viele  Professuren  in  dieser  Weise  der  Universität 
zustand*  n.  konnte  nicht  ermittelt  werden.  Wenn  die  Tat- 
sache, daß  die  meisten  hier  veröffentlichten  Gesuche  um 
Professuren  unmittelbar  an  die  Kurfürsten  gingen,  einen 
Rückschluß  gestattet,  so  besetzen  letztere  die  Mehrzahl  der 
Leinst  üble  aus  eigner  Machtvollkommenheit.  Wie  es  insbe- 
sondere l.ei  der  Artistenfakultät  gehalten  wurde,  läßt  das 
vorliegende  Material  völlig  unentschieden;  denn  es  ist  in  ihm 
auch  nicht  ein  Gesuch  enthalten,  das  eine  Professur  in  ge- 
mimter Fakultät  /uin  Gegenstande  hat. 

Doch  nicht   nur  bei   Neubesetzungen  machten  die  Kur- 


7  S.  unten  Briet   No.  VII.    —  8  s.  unten  Brief  No.  XX. 
:'  S.  unten  Briei  Xu.  Y.   —   ™  S.   unten   Brief   No.   VI. 


Die  *Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  l-_"> 

fürsten  ihren  Einfluß  geltend.  Sie  griffen  auch  dann  ein, 
wenn  ihnen  irgendwelche  Verhältnisse  mißfielen  oder  wenn 
sie  als  höchste  Instanz  zur  Entscheidung  angerufen  wurden; 
das  heißt,  sie  beaufsichtigten  die  Universität  und  sprachen 
in  besonderen  Angelegenheiten  der  Universität  Recht. 
Zwischen  1561  und  1582  tadelte11  der  Kurfürst  Daniel  die 
Unregelmäßigkeiten,  die  sich  bei  Abhaltung  der  Vorlesungen 
eingeschlichen  hatten,  und  forderte  darüber  Bericht  ein.. 
Streitigkeiten,  die  zwischen  den  Doktoren  der  Medizin  Justus 
Hartlieb  und  Johann  .Martin  Hohenstatt  ausbrachen,  be- 
wogen11' den  Kurfürsten  Ansehn  Kasimir,  den  derzeitigen 
Rektor  der  Universität  mit  einem  Ausgleich  zu  betrauen. 
Umgekehrt  wurde  die  Universität  bei  dem  Kurfürsten  vor- 
stellig13, als  sich  Stephanus  Dominicus  Brunheimer  durch  den 
Hof sekretär  Dopperich  in  seiner  Geschichtsprofessur  beein- 
trächtigt sah.  Mit  diesem  Aufsichtsrecht  der  Kurfürsten 
hing  es  zusammen,  daß  alle  Änderungs-  und  Verbesserungs- 
vorschläge ihnen  unterbreitet  werden  mußten.  Deshalb 
wandten14  sich  die  Mitglieder  der  medizinischen  Fakultät,  als 
sie  1661  das  Studium  in  dieser  verbessern  wollten,  mit 
ihrem  Vorhallen  an  den  Kurfürsten. 

Die  zweite  Richtung,  nach  der  die  unten  folgenden  Ur- 
kunden Aufschluß  geben,  betrifft  die  Persönlichkeil  einzelner 
Bewerber.  Freilich  sind  unter  letzteren  Mediziner  und 
Artisten  nicht  vertreten.  Von  den  beiden  Theologen,  die  nach 
Professuren  streben,  kommt  Hipparius  nicht  in  Betracht;  aus 
seinem  Schreiben15  nämlich  können  wir  über  Bildungssang 
und  Charakter  dieses  Mannes  kein  Urteil  gewinnen.  Dagegen 
tritt  uns  in  Dr.  theol.  Johann  Jakob  Völcker  ein  Gelehrter 
entgegen,  der  auch  wohl  heute  noch  den  Anforderungen  einer 
katholisch-theologischen  Fakultät  entspräche.  Er  hatte16 
nach  siebenjährigem  Studium  im  Collegium  Germanicum  in 
Rom  mit  höchstem  Lob  und  Preis  den  Magister  <\<-v  Philo- 
sophie erworben,  sodann  in  Perugia  den  Dr.  der  Theologie 
errungen;  außerdem  besaß  er  Empfehlungen  verschiedener 
Kardinäle. 

Im  Gegensatz  zu  Völcker,  der  an  fremden  Universitäten 
den  Grund  zu  seinem  Wissen  gelegt  halte,  stehen  die  zahl- 
reichen Juristen,  von  denen  die  folgenden  Aktenstücke 
handeln.  Sie  strebten  meist  aus  praktischen  Berufen  heraus 
nach  dieser  oder  jener  juristischen  Professur.    Dr.  Kuehom17 

11  S.  unten   Brief  No.   II.   —   12   S.   unten    Brief    No     XXVI. 
13  S.  ernten  Brief  No.  XX.  —    "   S.   unten    Brief  No.   XXVIII. 
15  S.  unten  Brief  No.  I.  —  «  S.  unten  Brief  No.   XXA 

17  S.  unten  Brief  No.  IV. 

Beitrüge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  9 


j:!U  Heinrich  Schrohe. 

war  kurfürstlicher  Siegler  und  Professor  des  kanonischen 
Rechtes.  Professor  Dr.  Üffenhals  versah18  die  Stelle  eines 
Assessors  bei  dem  kurfürstlichen  Hofgericht.  Dr.  Kaspar 
Beußer,  der  sich  1611  um  die  Professur  der  Institutionen 
bewarb,  war19  kurfürstlicher  Rat  und  Hofgerichtsassessor; 
diese  Professur  war  erledigt  worden  durch  den  Tod  Lic. 
Konrad  Kennickens,  der  zugleich  das  Amt  eines  weltlichen 
Richters  versah.20  Licentiat  Franz  Philipp  Faust  vereinigte21 
das  Kanzleramt  und  die  Professur  des  Zivilrechtes  in  seiner 
Person.  Bei  den  Bewerbern  um  juristische  Professuren,  die 
aus  praktischen  Berufen  hervorgingen,  ist  es  natürlich,  daß  sie 
auf  ihre  seitherige  treue  Pflichterfüllung  als  Empfehlung  hin- 
weisen. Ein  Beispiel  mag  in  dieser  Beziehung  ausreichen ! 
Licentiat  Franz  Philipp  Faust  rühmt  dem  Kurfürsten  Johann 
Schweickhardt  seinen  Schwiegersohn  Dr.  Kaspar  Beußer  mit 
folgenden  Worten22:  „Wiewol  ich  nhun  sein,  meines  dochter- 
mans,  qualitet  neher  nicht  anzihen  soll,  wil  oder  kan,  als 
E.  Churf.  Gnaden  dieselbige  vileicht  von  andern,  sonderlich 
dem  Hern  Vicario  in  Spiritualibus,  auch  dero  hern  Vitzdhomb 
und  Hoffrichtern  zu  Meintz  bißhero  vernhomen  hab  oder  noch 
vernhemen  kan  .  .  ."  Andere  wiesen  auf  ihr  gutes  Examen, 
auf  die  erfolgte  Doktorpromotion  und  auf  einzelne  erfolg- 
reich abgehaltene  Übungen  hin.  Dr.  Dionysius  Campius  tat23 
sich  nach  dem  Gutachten  des  kurfürstlichen  Kanzlers  und 
anderer  in  publice  docendo  et  disputandö  rühmlich  hervor. 
Johann  Karl  Fichart  ist24  ein  ,, gelehrter  man  in  den  rechten, 
welches  nit  allein  die  Professores  ordinarij  fürnemblich  E. 
Churf.  Gnaden  (Wolfgangs)  Cantzler  Doctor  Philips  alliier 
in  examine  habito  von  ime  erfahren,  sondern  auch  doctis 
commentarijs  suis,  so  er  beschrieben,  etwan  öffentlich  be- 
zeugen würdt".  Dr.  Muntzethaler  sagt20:  Ich  habe  mich 
„ein  Zeitlang  hero  nach  angenommenem  Gradu  doctoratus 
und  gehaltener  alhie  gewöhnlicher  repetition  nicht  allein 
bei  Churf.  Gnaden  (Johann  Schweickhardts)  wohlverord- 
netem loblichen  Hoffgericht  advocando,  sonder  auch  der 
loblichen  Universitet  gewöhnlichen  üblichen  Proceß  (ohne 
gesagtem  rhuin)  dermaßen  kündigt  und  erfahren  gemacht, 
daß"  usw.  Am  meisten  entspricht  unseren  Anschauungen 
die    Ar!,    wie    sich    Johann     Adam    Krebs    für    die    Pro- 


18  S.  unten  Brief  No.  VIII.    —  "  S.  unten  Brief  No.  IX. 

-  unten  Brief  No.  XI. 

:  unten  Brief  No.  KV,    \YI.   XVII  u.   XVIII. 

-   S.  unten  Brief  No.  IX.       -  23  s.  unten  Brief  No.  XI  u.  XU 

'   S.  im, len  Brief  No.  III.  —  25  s.  unten  Brief  No.  XVII. 


Die*-Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  131 


*D 


fessur  empfiehlt26;  er  erklärt  dem  Kurfürsten  Atiselm  Kasi- 
mir: „Wan  ich  dan.  gnädigster  Churfursl  undt  herr,  nach 
vollenden  vieljährigen  Juridischen  Studijs  andl  ange- 
nohmenem  gradu  Doctoratus  Zeit  wehrendes  unseres  exilij 
mit  consens  Juridicae  facultatis  dieser  orths  ein  collegium 
privatum  ein  Zeitlang  gehalten"  usw.  Krebs  hatte  also  schon 
vor  der  Bewerbung  eine  Art  akademischer  Lehrtätigkeit  aus- 
geübt. Die  meisten  anderen  Bewerber  um  Lehrstellen 
konnten  auf  Ähnliches  sicher  nicht  hinweisen,  indem  sie 
eben  lediglich  praktische  Juristen  waren.  Als  solche  hatten 
sie  zum  Teil  auch  sehr  merkwürdige  Anschauungen  über  den 
Wert  und  die  Bedeutung  einer  Professur.  Dr.  Caspar  Beußer 
bittet27  den  Kurfürsten  Johann  Schweiekhardt  um  die  er- 
ledigte Professur  für  Zivilrecht  in  folgender  Weise :  Es 
mögen  mich  Euer  Kurf.  Gnaden,  „  wofern  keiner  auß 
dero  Churf.  Gnaden  Hochansehenlichen  Herrn  Hoff- Käthen, 
denen  ich  dißfalls  gahr  gehrn  cediren  will  und  zu  cedireü 
schuldig  binn,  dero  mehrbesagter  Lectur  begeren  solte,  vor 
anderen  dämitt  gnedigst  providiren  und  gleichsam!)  zur 
Recompens  meiner  ahn  obgedachtem  E.  Churf. 
Gnaden  Vicariats-Gericht  bißanhero  gehabter  men- 
niglich derorthes  bekhandter  mühe  unndl  arbeit  be- 
gnadigen wollen".  Dr.  Lubentius  Pfingsthorn  wünscht28 
die  Professur  des  verstorbenen  Dr.  Bleienstatt,  ,,In  sonderer 
betrachtungh,  daß  ich  mein  übrige  hoffnungh  lebens  (so  ich  in 
studijs  et  praxi  gesetzt  hab)  under  Ew.  Churf.  Gnaden  pro- 
tection schütz  und  schirm  woll  zubringenn  undt  meiner  biß- 
hero  in  studijs  gehabter  mühen  und  angewandtenn  fleiß 
einigen  nutzen  spüren  und  befinden  mögt". 

So  suchte  sich  mancher  für  seither  geleistete  Dienste 
mit  einer  Professur  zu  entschädigen.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung verstehen  wir  es  auch,  daß 'verdiente  Staatsdiener 
ihre  nächsten  Angehörigen  dem  Universitätskörper  einzu- 
verleiben suchten;  sie  wollten  so  gleichsam  ihr  Anrecht  auf 
Vergünstigungen  im  Staatsdienste  anderen  zuwenden.  Es 
bittet  deshalb  Dr.  Christoph  Faber-1  für  seinen  Schwager 
Johann  Karl  Fichart,  der  weltliche  Richter  .Viani  Ebers- 
heim30 für  seinen  Sohn  Dr.  Gerhard  Ebersheini,  Lizential 
Franz  Philipp  Faust31  für  seinen  Tochtermann  Dr.  Kaspar 
Beußer,  Lizentiat  Anton  Bayer32  für  seinen  Tochtermann 
Dr.  Dionysius  Campius,  um  eine  Professur.  Andere  Bewerber 


,,:     g 

unten  Brief  No. 

XXIII.   —  "  S.  unten   Brief  \n,   \\  III. 

28    g. 

unten  Brief  No. 

WH.  _  29  s.  unten  Brief  Nfo.   III  u.  IV 

30    gj 

unten  Brief  \" 

\  III.  _  si  p.  unten  Brief  No    l\ 

32    g 

unten  Brief  No 

XI  u.  XIII. 

<)* 


132  Heinrich  Schrohe. 

iini  Professuren  machen  geltend,  daß  ihre  Verwandten  die- 
selhen  vorher  innehatten,  oder  daß  sich  letztere  um  den 
Staat  irgendwie  verdient  machten.  So  weist33  Dr.  jur.  utr. 
Karl  Faber  auf  die  Verdienste  hin,  die  sich  seine  Ver- 
wandten um  die  Mainzer  Universität  erworben  haben, 
Dr.  Franz  Vogt  wünscht34  die  Professur,  die  durch  den  Tod 
seines  Schwagers  erledigt  wurde.  Dr.  Kaspar  Beußer35  meldet 
sich  für  die  Professur  seines  Schwiegervaters. 

Gewiß  verraten  solche  Bewerbungen  keinen  besonderen 
Blick  für  die  Bedürfnisse  der  Universität,  vielmehr  eine  sie- 
wisse  Selbstsucht.  Aber  die  Aktenstücke  versetzen  uns  ja 
auch  nur  in  die  Verhältnisse  eines  bescheidenen  Staates. 
In  diesem  kommen  Herrscher  und  Beamte  öfter  in  Be- 
rührung und  darum  auch  in  nähere  Beziehungen.  Auch 
darauf  ist  zu  achten,  daß  Bittgesuche,  wie  die  vorliegenden, 
persönlichen  Wünschen  entspringen;  diese  legt  der  Antrag- 
steller häufig  ganz  offen  dar,  um  auf  Erfüllung  seiner  Bitten 
rechnen  zu  dürfen.  In  solcher  Intimität  liegt  der  Reiz,  den 
derartige  Aktenstücke  gewähren,  aber  auch  die  Gefahr  für 
deren  falsche   Beurteilung. 


Urkundliche  Beilagen. 


I. 

Lizentiat  Hipparius  bittet  Rektor  und  Universität  in  Sachen 
derPräbende  an  der  Liebfrauenkirche,  mit  der  eine  Theologie- 
lektur  verbunden  ist,  nicht  eher  zu  entscheiden,  als  bis 
sich  der   Kurfürst  zu   seinem  erst   abgesandten   Bittgesuch 

geäußert  hat. 

Vor  1559.1 

Gen.-Rez.  Mainz. 

Salutem  plurimam  cum  omnram  obsequiorum  meorum  promp- 
titudine,  Magnifice  domine  Rector,  praestantissimi  excellentissimi 
doctissimique  Viri   dni   Doctores  Licentiali  atque  Magistri. 

Iini  sul)  (lepuscülum  ex  PedelloUnivcrsitatis  inlellexi  vestras 
paternitates  atque  dominationes  hodie  ad  horam  7.  conventuros  ad 

35  S.  unten  Brief  No.  XXIV.  —  u  S.  unten  Brief  No.  XV. 

■'■■"•   S.   unten    Brief   No.    XVI    u.    XVIII. 

1  In  den  I 'red igten  des  Johannes  Wild,  die  Hipparius  1559  heraus- 
gab, isl  bereits  davon  die  Rede,  daß  er  „schweren  Chorgangs  halben" 
an  weiterer  literarischer  Tätigkeil  gehindert  sei.  Forschner,  Geschäfte  der 
Pfarrei  mm  Pfarrkirche  St.  Quintin  in  .Mainz,  S.  91 — 96.  Falk,  Bibel- 
studien  in  Mainz,  S.  203. 


Di&  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  133 

audiendum  quaedam  proponi  nomine  Reverendissimi  quae  Eor 
tassis  Stipendium  Theologicum  iam  vacans  concernere  possint. 
Quomodo  vero  ego  maxima  hactenus  [nfirmitate  ei  Tabellionum 
penuria  diffidentiaqüe  impeditus  Memoratum  iam  Reverendissimum 
Dominum  Nostruni,  Principem  nieura  Clementissimum,  hodie  lan- 
dein hora  sexta  per  proprias  litteras  ad  proprias  [psius  Reve- 
rendissimae  Celsitudinis  traditas  in  Causa  praefati  Stipendij  nostra 
persona  et  parte  informavi,  Idcirco  Vestras  paternitates  aique 
dominationes  humiliter  obnixeque  observatas  velim  (Cum  bis 
meis  preeibus  et  admonitione  non  opus  sit,  et  ego  de  Vestra 
Consultissima  prudentia  et  diligenti  aequitatis  consideratione  bona- 
que  erga  me  benevolentia  et  voluntate  optime  sperem  atque 
confidam)  si  illae  quae  proponuntur,  saepe  dictum  Stipendium  con 
cernunt,  non  prius  procedere  velint,  donec  etiam  prineipis  sen- 
tentiam  ad  meas  litteras  vel  hodie  vel  propediem  pereeperint. 
Hisce  paucis  paternitatibus  dominationibusque  in  suam  defen- 
sionem  et  paternam  curam  nie  humiliter  commendo  offeroque 
me  cum  omnibus  meis  (?).  Scriptum  ex  lecto  et  summa  infirmitäte 
intra  septimam  et  oetavam  quod  citius  tremulis  manibus  scribere 
nun  potui. 

Paternitatum  Dominationumque  Vestrarun,  Obsequentissimus 
Christianus    Hipparius    propria   manu. 

Quer  gesehrieben  von  Hipparius:  Praebenda  Universitatis  ad 
gradus  Mariae  Mog. 

Von  anderer  Hand:  Supplicatio  D.  Licentiati  Hipparii  pro  obtinendo 
stipendio  Theologico  seu  Canonicatu  ad  gradus  I!.  AI.  V.  cui  professura 
Theologica  annexa  erat. 

II. 

Dekan  und  Mitglieder  der  theologischen  Fakultät  (dem  Je- 
suitenorden anüehöris;)  geben  einer  Aufforderung  des  Kur- 
fürsten  Daniel  zufoge  über  die  Gründe  Aufschluß,  die 
Verzögerungen  und  Unterbrechungen  der  theologischen  Vor- 

lesungen  verursachten. 

(Zwischen  1561  — 1582;  vielleicht  1564  oder  1571,  beides  Seuchejahre, 
vergl.  Schrohe,   Kurmainz  in  den  Pestjahren    1666/67,  S.   1,  Amn.    1 

Gen.-Rez.  Mainz. 

Etsi  non  ignoramus,  Reverendissime  in  Christo  Praesul  <•! 
Olustrissime  Princeps,  paternam  Vestrae  Celsitudinis  admoni- 
tionem  ad  Academiam  Moguntinam  non  ita  pridem  institutam, 
nequaquam  principaliter  et  omnino  Facultatem  nostram  concernere 
(singulis  enini  diebus  binae  a  fratribus  hostris  Jesuitis  habentur 
lectiones,  declamatur,  disputatur,  praedicatur,  ui  Eerme  plures 
lectiones  fiant  quam  sunt  auditoresj  tarnen  iii  Vestrae  Celsitudini 
salistial  nosque  velul  membra  in  omnibus  obsequentia  exhibeamus, 
libuit  paucis  nostrae  morae  et  intermissionis  causas  referre.  Nam 
primo  nonnulli  ex  nobis  fuerunl  ad  sedandos  tumultus  hinc  a 
Vestra  Celsitudine  delegati,  tibi  aliquamdiu  sunt,  haud  sine  vitae 
suae  periculo  commorati,  donec  landein  in  statu  res  fuerinl  meliori. 
IntereapestishicMoguntiaecoepitgrassariel  ita  sevire,  ul  utrunque 
Collegium,  immo  omnes  Facultates  ampliusAnno  siluerinl  penuria 


134  Heinrich  Schrohe. 

auditorum  coacti.  Deinde,  cum  Vestrae  Celsitüdinis  munificentia 
instauraretur  Colleghim  Algesheim,  in  quo  hacteims  Theologia 
praelecta,  non  fuit  urbis  locus  certus,  ubi  profiteremur,  assignatus, 
nee  Dominus  Lambertus  ausus  fuit  nos  sine  Vestrae  Celsitüdinis 
eonsensu  ad  pristinum  Auditorium  reeipere.  Rogavimus  igitur 
Keverendos  Dominos  Doctorem  Lambertumla  et  Christianum,  ut 
ipsi  interim  vices  nostras  gererent  et  ordinarie  praelegerent  quod 
et.  summa  fide,  industria,  cura  ab  illis,  ut  supra  dixi,  et  factum 
est,  et  adhuc  fit  in  diem  praesentem.  Moneat  Deus  omnipotens 
suo  Spiritu  corda  hominum,  ut  tanta  diligentia  audiant  et  discant, 
quanta  Deo  volente  a  nobis  docebitur,  certe  nos  omnes  tales 
praestabimus  in  hoc  studio,  ut  Vestra  Illustrissima  Celsitudo 
omnem  humilitatem  et  obsequium  agnoscat.  Deus  pater  Domini 
nostri  Jesu  Christi  conservet  Vestram  Celsitudinem  in  gloriam 
sui  nominis  et  animae  salutem  atque  adeo  totius  Ecclesiae  aedifica- 
tionem   diu   salvam   et   incolumen.     Amen. 

Rmae  Cels.  V.  Decanus  et  Facultas  Theologica  Universitatis 
Moguntinae.  Universitatis  Moguntinae. 

Rückseite:  Theologorum  Excusatio  an  Churfürst  Daniel  ob  intermis- 

s;is    Lediones. 

III. 

Dr.    Christoph   Faber   bittet   den   Kurfürsten   Wolfgang,   die 
Lektur  in  Jure  Canonico,  die  durch  den  Tod  des  kurfürst- 
lichen Sieglers  Dr.  Kuehorn2  erledigt  sei,  seinem  Schwager 
Johann  Karl   Fichart  zu  übertragen. 

Aschaffenburg,  den  16.  Dezember  1586. 

Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Hoehwurdigster  Churfürst.  E.  Churf.  Gnaden  sein  mein 
unterthenigste  gehorsamme  willigste  dienst  jeder  Zeit  zuvor. 
Gnedigster  Her.  E.  Churf.  Gnaden  soll  ich  in  unterthenigkaitt 
onberichtet  nit  laßen.  Nachdem  Doctor  Kuehorn  E.  Churf. 
Gnaden  geweßener  Siegeler  am  16.  dieses  mit  todt  abgangen, 
daß  derwegen  E.  Churf.  Gnaden  eine  Lectur  in  iure  Canonico 
alhier  gnedigst  zue  conferiren  haben. 

Dieweill  dan  meiner  haußfrawen  prüder  Johan  Carlle 
Fichartt,  ein  furnemer,  geschickter  und  gelehrter  man  in  den 
rechten,  welches  nit  allein  die  Professores  ordinarij  i'ürnemblich 
E.  Churf.  Gnaden  Cantzler  Doctor  Philips  alhier  in  examine 
habito  von  iine  erfaren,  sondern  auch  doctis  commentarijs  suis, 
sii  er  beschrieben,  etwan   öffentlich  bezeugen  würdt. 

Also  ist.  mein  unterlhenigst  pitten,  wie  dan  auch  er  hiemit 
selhsl  unlerlhenigsl  pitten  thut,  E.  Churf.  Gnaden  wollen  ime 
solche  Lectur  ^neili^sl   conferiren. 

Dargegen  ist  er  erpietig,  mit  fleißigem  öffentlichem  profitiren 
in  den  rechten  (wie  er  dan  ondaß  sich  darzue  gefast  und  ent- 
schloßen    gewest)   sich    dermaßen    zu  erzaigen,    daß   die   Studiosi 

'■'  Vergl.  über  Lambert  Aucr,  den  ersten  Rektor  der  Mainzer  Jesuiten, 
Scliunk.   Beitr.   zur  Mainz.   Gesch.,    III,  S.    L63. 

-  Knodt,   De   Moguntia   Litterata   (.'"nun.    u,  s.  58. 


Dia  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  135 

inen  gern  hören,  auch  E.  Churf.  Gnaden  und  dein  Facultas 
Juridica  darab  sonder  gnedigst  und  angenemes  gefallens  haben 
werden. 

Und  obwoll  er  noch  zur  Zeitt  gradum  Licentiae  nii  erlanget, 
so  ist  er  doch  a  Professoribus  Juridicis  darzue  gelaßen  und  würdl 
seinen  actum,  geliebts  Gott,  in  Kurtzer  zeitt,  wan  eß  dein  Pro- 
motori und  Cancellario  gelegenn,  haltten.  Und  thuen  E.  Churf. 
Gnaden  dem  .Allmechtigen  zue  seinem  Göttlichen  schütz  und 
schirm  hiemit  unterthenigst  bevelen.  Datum  Maintz  am  16.  De- 
eembris  anno  1586. 

E.  Churf.  Gnaden 
untertheiuu'ster  gehorsammer  diener  Christoff  Faber  Dr. 

Rückseite:  Dem  Hoch-würdigsten  Fürsten  und  liern,  hera  Wblffgang 
Ertzbischoven  zue  Maintz,  des  Hailigen  Römischen  Reichs  durch  Ger- 
manien Erfz-Cantzlern  und  Churfursten.  meinem  gnedigsten  hernn.  Von 
anderen  Händen:  1586,  16.  Dec.  Dr.  Faber  verschreibt  seinen  Schwager 
Johann  Karlen  Ficharten  zur  verledigten  Lectur  weyländt  Dr.  Johah 
Kuhorn  selig.     Praesentirt  Aschaffenburg   Datum  den  18.   Decembris    L586. 

IV. 

Kurfürst  Wolfgang  antwortet  auf  das  vorstehende  Schrei  bei) 
des  Dr.  Christoph  Faber,  in  dem  dieser  für  die  erledigte Lektur 
des  Sieglers  Dr.  Johann  Kuehorn  seinen  Schwager  Johann 
Karl  Fichart  empfiehlt ;  es  sei  unmöglich  dieser  Bitte  zu 
willfahren,  da  diese  Lektur  einer  geistlichen  Person  zu- 
komme,  indem  sie  mit  einem  Kanonikat  an  der  Frankfurter 
Bartholomäuskirche  verbunden  sei. 

Ascbaffenburg,   den  19.   Dezember   1586. 

Mainz.  Stadtbibl.  Fnivers.  .\o.  108. 
Wolfgang 

Ehrsamer  und  ho'chlerter  lieber  getrewer.  Wir  haben  aus 
deinem  Schreiben  vom  16.  diß  gnediglich  lesendl  vernommen, 
welchergestalt  du  deiner  haußfrawen  Brueder  Johann  Carl 
Ficharden  zu  erlangung  deren  Lectur,  so  durch  thödtlich  ableiben 
weiland!  unnsers  geweßenen  Siglers  in  unnserer  Stall  Mainz  Doctor 
Johann  Kuehorn  selig,  in  Jure  Canonico  vacirt,  bey  mms  unter- 
theniglich  verschreiben  unnd  verbitten  thuest. 

Ob  wir  nun  wol  auf  solche  deine  unnd  anderer  bey  unns 
eingewandte  Commendation  beruften,  deinem  Schwager  mit  an- 
gezogener Lectur  gnediglich  gern  will  lab  reu  wollen.  So  mi 
wir  dir  yedoch  nii  pergen,  das  solche  Lectur  per  Bullam  Sixti 
Quarti  ]>iissimae  memoriae  auf  ein  Canonical  unnserer  St.  Bar- 
tholomes  Stifftskirchen  in  Franckfurl  Eundirl  unnd  die  praesen- 
lalio  der  Fniversilel  in  berurler  unnserer  Slall  Mainl/.  incorporirt, 
solche  Lectur  auch  bißanhero  yederzeil  von  Geistlichen  Personen 
possedirt  worden   ist.     Dieweil  es  dann   die   gelegenheii    hat,   so 

magst  du   verstendiglich    selbsl    al men,    wie    gerne    wir   auch 

sonsten  dir  unnd  bbermeltem  deinem  Schwager  hiermitl  befur 
derlich  erscheinen  wolten,  das  unns  darunter  ainige  enderung 
furzunemen   nii    wo!    gepuren    thue,    Welches    wir   dir   zur   nach- 


136  Heinrich  Schrohe. 

richtung  und  wissenschafft  in  geneigten  gnaden  hinwider  nit  pergen 
wolten.  Datum  Aschaffenburg  19.  Decembris  8ß.  An  Doctor 
Christof    Fabern. 

Zu  Beginn   des  Schreibens  links  ölten:  J.  D.  Kurtzvolck. 

V. 

Johann  Karl  Fichart  bittet  den  Kurfürsten  Wolfgang,  ihm 
die  Lektur  des  kanonischen  Rechtes,  die  durch  den  Tod 
des  Kanzlers  Dr.  Johann  Kuehorn  erledigt  ist,  zu  übertragen 
und  ihn  mit  dem  dazu  verordneten  Kanonikat  an  St.  Bar- 
tholomäus in  Frankfurt  zu  pro  vidieren,  zumal  ihn  die  Uni- 
versität, der  bei  dieser  Lektur  das  Recht  dazu  zusteht, 
ihrerseits  präsentiert  und  nominiert. 

Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Hochwurdigster  Churfurst.  E.  Churf.  Gnaden  sein  mein 
unterthenigste  gehorsamme  willigste  Dienst  meinem  geringen  ver- 
mögen noch  jederzeit  zuvor.  Gnedigster  Her.  Nachdem  weilant 
Doctor  Johan  Kuehorn  E.  Churf.  Gnaden  geweßener  Siegeler 
vor  wennig  tagen  mit  tott  abgangen,  dem  Gott  gneclig  sein  wöll, 
dadurch  dan  lectura  in  iure  Canonico  alhie  vacirt;  Dieweil  dan 
den  Ehrwürdigen  hoch-  und  wohlgelehrten  Hern  Rectori  Decanis 
caeterisque  Doctoribus  Licentiatis  et  Magistris  almae  universi- 
tatis  Moguntinae  Nomination  einer  qualificirten  personen  zue 
angeregter  Lectur  und  darzue  verordneten  Canonicats  auf  dem 
Stifft  zue  St.  Bartholomeus  zue  Franckfortt  vermög  einer  Bäpst- 
lichen  Bullen  Sixti  IUI  zuestehet  und  gepüret. 

Also  haben  sie  in  congregato  concilio  sich  verglichen  und 
entschloßen  meine  wiewoll  geringfügige  person  E.  Churf.  Gnaden 
alß  perpetuo  executori  angeregter  bapstlichen  Bullen  zu  prä- 
sentiren  und  zue  nominiren  und  darauff  mir  beigefügte  nomination 
fertigen  und  zuestellen  laßen. 

Wan  dan  ich  dero  unterthenigster  Hoffnung  bin,  E.  Churf. 
Gnaden  werden  mir  von  wegen  meines  avi  und  proavi  (so  diesem 
Ertzstifft  viel  iahren  gedienet)  zue  diesem  meinem  anfänglichen 
aufnemmen  und  wollfart  mit  gnaden  woll  gewogen  sein.  Und 
den  ich  deßen  entlichen  entschloßen,  gleich  nach  erlangter  pro- 
motion  in  Licentiatum  iuris  (wie  dan  verhoffentlich  in  künfftigem 
Januario  geschehen  soll)  mit  schuldigem  und  möglichem  fleiß 
in  iure  alhie  publice  zue  profitiren. 

Also  isl  an  E.  Churf.  Gnaden  mein  unlerthenigs  pitten, 
die  wollen  angeregt  Canonicath  und  dardurch  bemelte  Lectur 
gnedigst  mir  conferiren  unnd  darauff  gepürliche  literas  provisionis 
an  die  Ehrwürdige  Hern  Dechant  und  Capittell  obgenannts  stiffts 
S.  Bartholomei  (denselben  meine  person  und  qualification  zue 
solchem  Canonicath  wolbekant)  bei  dero  Cantzleien  fertigen  und 
mir   zuekommen   laßen. 

Solches  urab  E.  Churf.  Gnaden  underthenigst  zu  verdienen, 
will  ich  iederzeil  meines  läbens  genaigl  und  bereit  sein.  Und 
tlme  bieniii  E.  Churf.  Gnaden  dem  Allmechtigen  zue  seinem 
göll lieben    schütz    und   schirm   und  mich  deroselben  zue   gnaden 


Die  JViederbesetzung  erledigter  Professuren.  137 

Jederzeit  unterthenigst  bevelen.    Datum  Maintz  am  24.  Decembris 
anno  1586. 

E.  Churf.  Gnaden  unterthenigster  gehorsambster  diener 

Joannes  Carolus   Fiehardus. 

Rückseite:  Dem  Hochwurdigsten  Karsten  und  Dein.  Hern  Wolffgang 
Ertzbischoven  zue  Maintz,  des  hailigen  Römischen  Reichs  durch  Ger- 
manien Ertz-Cantzlern  und  Churfürsten,  meinem  gnedigsten  hernn.  Von 
anderer  Hand:  1586  27.  Dez.  Praesentirl  Aschaffenburg,  den  27.  De- 
cember  86. 

VI. 

Kurfürst  Wolfgang  bestätigt  die  Präsentation  des  Johann  Karl 

Fichart3,  den  die  Universität,  für  die  Lektur  des  verstorbenen 

Sieglers   D.  Johann   Kuehorn   vorgeschlagen  hat. 

Aschaffenburg,    den    14.    Januar    1587. 

Gen.-Rez.  Mainz. 
Wolffgangh 

Unseren  grueß  zuvor.  Ehrsame  hochgelerte  liebe  andech- 
tige  und  getrewe.  Uff  ewere  uns  jüngster  Tagen  wegen  ab- 
sterben weylandt  unsers  gewesenen  Siglers  D.  Johan  Kuhorns 
sehligen  zu  seiner  verledigten  Lectur  bescheene  praesentation 
uff  unseren  auch  lieben  getrewen  Johann  Cerlen  Fichardten 
gerichtet,  haben  wir  demselben  zu  volg  beyligende  Praesentation 
uff  sein  Fichardts  Person  verfertigen  und  außgehen  lassen.  Dho 
ehr  nhun  ewerem  anzeigen  nach  hierzue  qualificirt  oder  noch 
darzue  sich  geschickt  machen  werdet,  habt  Ihr  lme  dieselb  dar- 
zutun, zuzustellen  und  vervolgen  zu  lassen. 

Wollen  wir  euch  zur  nachrichtung  in  gewogenen  gnaden 
uhnverholen  sein.  Datum  Aschaffenburg  den  14.  Januarij 
Anno   1586.4 

Adresse:  An  Reetor  und  Universität  zu  Meintz.  Rückseite:  L586 
14.   .Tau. 

VII. 

Kurfürst  Wolfgang  fordert  die  Universitäi   auf,  für  die  Pro- 
fessur des  verstorbenen  Mediziners   Dr.    Dietrich    Lac5,   um 
die  sich  zweifellos  schon  etliche  beworben    hallen,   in   An 
betracht   der   herrschenden   Seuche    bald    eine    in    Eacultate 

medica  und    praxi   erfahrene   Person   zu    bestellen. 

Aschaffenburg,   den   15.   Oktober   1596. 

Gen.  -  Rez.    Main/.. 
WDlffgang 

Unseren  grues  zuvor.    Ehrsame  hochgelerte  liebe  andechtige 
ttnnd  getrewen.   Demnach  khurzverrückter  tagen  weilandl  D.Diete 
richLac  seliger  gewesener  Professor  Medicae  facultatis  beyUnnser 

3  Knodt,  a.   a.   <>..  S.   84. 

1  Da  die  Bewerbung  Ficharts  (vergl  \    erst  am  24.  Dezember  L586  ei 
tolgt,  so  kann  die  Bestätigung  der  Präsentation  nicht   von  einem  früheren 
Datum   sein;  denn    letztere   machte  eine   Bewerbung   überflüssi  muß 

also  die  Bestätigungsurkunde  wühl  das  Datum  des  II.  Januar  L58' 

5  Knodt,  a.   a.  ().,   S.   63. 

s^  . 


138  Heinrich  Schrohe. 

Universitel  in  unser  Statt  Maintz  zeitlichen  todes  verfahren,  dero- 
wegen  Unns  nit  zweifelt,  es  werden  alberait  etliche  urab  desselben 
gehabte  und  nunmehr  ^erledigte  Lectur  bey  Euch  angehalten 
haben  oder  sich  noch  küiifftiglich  angeben:  Und  aber  sonderlich 
bey  yetziger  aus  Göttlichem  gerechten  Zorn  umb  tinnser  vilfaltig 
sünde  unnd  unbuessfertigen  lebens  willen  eingerisßenen  beschwer- 
lichen seuchte  die  notturfft  nur  wol  erfordert,  solche  verledigte 
stelle  und  lectur  einer  solchen  qualificirten  in  facultate  medica  et 
praxi  wolerfarnen  Person  zu  conferiren,  damit  sowohl  Euch  selbst 
als  auch  unsern  Geistlichen  unnd  Welllichen  zuegewandten  unnd 
underthanen  insgemein  bedienet  sein  möge,  So  begeren  Wir  hier- 
mit gnediglich  bevelhendt,  Ir  wollet  solche  vacirendte  stelle  unnd 
lectur  änderst  nit.  dan  mit  einer  in  facultate  Medica  et  praxi  wol- 
erfarnen geübten  unnd  genugsam  qualificirten  Person,  welche  vor 
allen  dingen  unnser  wahren  Catholischen  Religion  zuegethan  und 
membrum  universitatis  seye  oder  deroselben  statutis  sich  zu 
conformiren  gewißlich  versprechen  und  würcklich  laisten  thue 
widerumb  ersetzen  unnd  bestellen,  auch  derselben  Person  namen 
und  gelegenheit  vor  der  endtlichen  reception  und  bestettigung 
Unns  in  allwege  wisßendt  machen.  An  solchem,  beneben  deine 
es  Euch  selbst  zum  Pesten  geraicht,  verhandlet  Ir  Unnserm  ge- 
feiligen gnedigen  willen,  unnd  wir  seindt  Euch  sambt  unnd  sonders 
zu  gnaden  wol  gewogen.     Datum  Aschaffenburg  15.  Octobris  96. 

Adresse:  An  Rektorn  und  Universitel  zu  Maintz. 

Zu   Beginn    des   Schreibens    links   oben :    D.    Ulrich   oder   Dulrich. 

Das  Mainzer  Domkapitel  hatte  in  dieser  Angelegenheit  am  11.  Ok- 
tober 1596  ein  besonderes  Schreiben  an  den  Kurfürsten  gerichtet  (Mainz. 
Stadlbibl.  Univers.  No.  108;  präsentiert  am  15.  Oktober  1596  in  Aschaffen- 
burg).  In  diesem  wird  betont,  daß  man  in  den  .jetzigen  betrübten  unndt 
schwindenn  gefehrlichen  leufften,  da  mann  alliier  (=  in  Mainz)  nit  ohnne 
sonderes  betraueren  aller  medicorum  eußerlicher  Hülff  faßt  entsetzt  ist" 
einen  in  der  „Profession  und  Praktik"  erfahrenen  Mann  heranziehen  möge. 
Die  Domherrn  wollen  selbst  nach  Vermögen  eine  billige  Gebühr  ,,zue 
einem  iärlichen  Stipendio  solcher  qualificirter  personnen  gemeinem  weßen 
zum  bestenn"  beitragen.  Das  Schreiben  des  Domkapitels  beantwortete  clöl 
Kiitliirsl  in  der  Weise,  daß  er  ihm,  ebenfalls  unter  dem  Datum  des  15.0k- 
tober,  von  dem  Befehle  Kenntnis  gab,  den  er  an  diesem  Tage  an  Rektor 
und  Universität  richtete.  (Das  Schreiben  an  das  Domkapitel  befindet  sich 
in    Abschrift  in   den   Akten   der   Generalrezeptur.) 

VIII. 

Kurfürst  Johann  Schweickhardt  bestätigt  seinem  Kanzler 
den  Empfang  eines  Schreibens,  das  Heinrich  Faber6  und 
Adam  Ebersheim7  an  letzteren  richteten;  es  kam  darin  die 
Neubesetzung  der  Professur  zur  Sprache,  die  durch  den 
Tod  des  Hoi'gerichtsassessors  Dr.  Offenhals  erledigt  war. 
Der  Kurfürst  befiehlt,  l)v.  (icrhard  Ebersheim,  dem  Sohne  des 
weltlichen    Richters  Adam  Ebersheim,  die  Präsentation  an- 


,;  Knodt,  a.  a.  <>..  S.  87.  —    •  Knodt,  a.  a.  <>..  S.  84. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  139 

fertigen  zn  lassen,  da  dem  Vater  und  damit  dem  Sohne  be- 
stimmte Anwartschaft  auf  die  erledigte   Lektur   bereits   er- 
öffnet worden  ist. 

Seligenstadt,   den   2.   März    1607. 

Gen. -Rez.    Mainz. 
Johann  Schweickhardus 

Ersamer  und  Hochgelehrter  Lieber  getreuwer.  Wir  haben  aus 
deinem  Schreiben  und  dessen  beylagen  gnediglich  verstanden, 
was  der  auch  Ersam  und  Hochgelehrte  unser  Decanus  unserer 
Juristen  facultet  und  Rath  und  dan  unser  Richter  urisers  well 
liehen  Stattgerichts  zu  Mainlz  und  liebe  getreuwen  Henrich  Faber 
der  Rechten  Doctor  und  Adam  Ebersheim  wegen  den  durch  töd- 
liches abieben  unsers  gewesenen  Assessoris  unsers  hofgerichts 
zu  Mainz  Doctoris  Petri  Offenhals  seligen  verledigten  lectur  iuridi- 
cae  facultatis  und  derselben  praesentation  halber  an  dich  und  du 
fürters  an  uns  gelangen  lassen  und  daruff  uns  underthenigst 
anheim  stellen  thust. 

Dieweyl  wir  uns  dan  in  gnaden  zu  entsinnen  wissen,  daß  wil- 
dem gedachten  unserm  weltlichen  Richter  der  angedeutten  vaci- 
tenden  lectur  halber,  und  damit  dieselbe  seinem  Sohn  Gerharden 
der  Rechten  Doctorn  conferirt  werden  möchte,  albereit  gnedigste 
Vertröstung  gethan  und  dan  er  H.  D.  Gerhard  albereit  dein  Her- 
kommen nach  seine  repetition  gehalten  haben  solle,  also  be- 
gehren wir  hiemit  genedig,  du  wollest  die  befürderung  thun,  damit 
die  mehr  berührte  praesentation  bey  unserer  Canzley  ü,e|>ührender 
maßen  außgel'ertigt  und  alß  dan  ihme  Doctor  Ehersheim  nacher 
Mainz  zu  geschickt  werde,  C rafft,  welcher  er  sich  hernacher  bey  ob- 
erwehntem  unserm  Dechant  unserer  Juristen  facultet  darselbsten 
der  gepühr  angeben  und  was  sonsten  dißfalls  die  Schuldigkeit  er- 
fordert,  wireklich  praestiren   und  tolnziehen    möge. 

Und    wir  wollten  es   dir   hinvvider   gnediglich   nil.  verhallten 
lassen. 

Datum  Seligenstall   den   2  Marti]   Anno   1(507 

An  H.  Cantzlern. 

Zu  Beginn  des  Briefes  links  oben:  Casp.  Grüning. 

IX. 

Lizential  Kranz  Philipp  Faust8  bittet  den  Kurl'iirslen,  bei  der 
Besetzung  der  Proi'ossura  Institutionum,  die  durch  den  Tod 
des  Lic.  Kennicken  erledigt,  ist,  seinen  Tochtermann,  den 
kurf.    Ral    und    Hol'gerichtsassessor    Dr.   Kaspar    Beußer,    in 

Betracht  zu   ziehen. 

(U.    Februar   1611.) 

Gen.-Rez.    Mainz. 

Hochwurdigster  genedigster  Churfurst   und  herr. 
Diesen  nachmittag  kompl  mir  daß  beygelegte  schreiben  vom 
liern  Prothonotario  ein,  die  durch  absterben  Lic.  Kennickens  seligen 
erledigte   professuram    [nstitutionum   in   der  juristischen    Eacultet 

8  Vergl.  Beilage    X.    XV.    XVI,    X\  II    u.    \\  III 


140  Heinrich  Schröhe. 

belangendt.     Daneben   aber   bittet   auch   noch   mein   Dochterman 

D.  Caspar  Beuser  E.  Churf.  gnaden  Rath  und  Hoffgerichts- 
Assessor,  do  ich  vermeint,  daß  die  genad  ime  widerfahren  könne, 
daß  ich  ime  meine  wenige  officia  darzu  praestiren  woltte,  ob  es  wol 
über  24  ü.  Jahrs  nicht  erreicht,  so  komt  es  Ime  doch  bey  diesen 
theuren  Jahren  ettwas  vorthelffen.  Wiewol  ich  nhun  sein,  meines 
dochtermans,  qualitet  neher  nicht  anzihen  soll  wil  oder  kan,  als 

E.  Churf.  gnaden  dieselbige  vileicht  von  andern,  sonderlich  dem 
Hern  Vieario  in  Spiritualibus,  auch  dero  hern  Vitzdhomb  und 
Hoffrichtern  zu  Maintz  bißhero  vernhomen  hab  oder  noch  ver- 
nhemen  kan,  So  stelle  ich  doch  billich  diese  Verordnung  zu 
E.  Churf.  gnaden  gnädigstem  gefallen,  dieweil  es  alle  gut  leuth 
sein,  wem  hie  damit  gnädigst  gratificirn  wollen. 

E.  Churf.  Gnaden  gehorsambster  diener 
F.  P.  Faust  Licentiatus. 
Rückseite:  Meinem  genedigsten  Churfürsten  und  hern  (von  anderer 
Hand:  1611  9.  Febr.).  Von  der  Hand  Johann  Schweickhardts :  „Wo  fern 
D  Beysser  anderer  geschehen  halber  der  Lectur  in  der  Woche  obwortten 
konnte,  soll  solche  Ime  vor  andern  werden  dessen  gelegenhcith  sich  der 
Cantzlev  zu   erkundigen".     Deiren  (?), 

9.  Febr.  1611  Archiepiscopus  Moguntinus. 

X. 

Lizentiat  Franz  Philipp  Faust  bittet  den  kurfürstlichen  Kam- 
merdiener Bartholomäus  Kon,  bei  dem  Kurfürsten  dahin  zu 
wirken,  daß  die  erledigte  Lektur  in  der  Juristenfakultät  einem 
der  beiden  anderen  Bewerber  verliehen  wird,  damit  Fausts 
Schwiegersohn  Dr.  Kaspar  Beußer  aus  dem  Verdacht  kommt, 

er  erhalte  diese  Stelle. 

Aschaßenburg,  den  7.  Mai  1611. 

Gen.  -  Rez.    Mainz. 

Domine  Bartholomee  Ihr  wißet,  daß  sich  mein  gnedigster 
her  der  dreyen  Competenten  halben  umb  die  Lectur  in  der  juri- 
stischen Facultet  noch  nichts  erkleret,  außerhalb  weßen  Ihre 
Churf.  Gnaden  sich  meines  dochtermanß  halben  sub  conditione, 
wan  er  die  Lectur  auch  exerciren  könne,  gnedigst  resolvirt,  wor- 
über er  aber  seine  enlschuldigung  underthenigst  eingewendet, 
darauff  schult  mir  solche  schrifften  durch  euch  widerumb  zu- 
gestelt  ohne  einzige  meidung  warauff  Ihre  Churf.  Gnaden  Ihren 
Ausschlag  lieben.  Wan  nhun  die  andere  beide  Competenten 
D.  Campius  and  I).  .  .  .  stolhs  ahnnehmen  und  meinen  dochter- 
inann  im  verdacht  haben,  als  wan  er  solche  Lectur  bekomen, 
So  bitte  ich,  ihr  wollet  mit  gelegenheit  unbeschwert  bey  Ihrer 
Churf.  Gnaden  undorlhenigste  Erinderung  thun,  ob  sie  sich 
genedigsl  resolviren  wollen  uff  einen  oder  andern,  damit  D.  Caspar 
aul.i  dem  verdachl  komt,  dal.»  verdiene  ich  hinwider  gantz  guet- 
willig  damit  eine  gluckselige  /eil.  Datuni  Aschaffenburg  den 
7.  Maij  lull.  Ewer  gueter  frenndt 

F.  P.  Faust  Licentiatus. 

Rückseite:  Churf.  Maintzischem  Cammerdienere  her  Bartholme  Konen 
Meinem    sundern   gueten    freundt.     Von   anderer  Hand:    1611    7  Maij. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  141 

XI. 

Lizentiat  Anton  Bayer9  bittet  den  Kurfürsten  Johann 
Schweickhardt,  eine  der  beiden  Lektüren,  die  durch  den 
Weggang  Dr.  Gerhard  Ebersheims  und  den  Tod  des  Lizen- 
tiaten  Konrad  Kennicken  in  der  juristischen  Fakultät  er- 
ledigt wurden,  seinem  Tochtermann  Dr.  Dionysius  Campius10 

zu  übertragen. 

Mainz,   den    17.    Juni    1612. 

Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Hochwirdigster  Fürst.    Dero  Churf.  Gnaden  seyen  jederzeitt 
mein  underthenigst  schuldig  unnd   gehorsarabste  dinst  eusersten 
Vermögens  bevor,  Gnedigster  Churf ürst  unnd  Herr,  WiewolE.  Churf. 
Gnaden    under   anderen    deroselben   jtzo    obliegenden    hochwich- 
tigsten  geschafften   Ich   ohngern   fernere   bemuhung   verursachen 
wollt,  So  hab  Ich  doch  nitt  umbgehen  mögen,  E.  Churf.  Gnaden 
underthanigst  ahnzumelden,   daß  vor  wenig   tagen  Ich   glaublich 
berichtet  worden,  welchergestaltt  D.  Gerhardt  Ebersheim  sich  in 
numerum  procuratorum  Judicij  Camerae  Imperialis  zu  Speyer  re- 
cipiren  lassen  unnd  des  Endts  nuhnmehr  zuverbleyben   bedacht, 
daher  auch  die  Lectur,  welche  Ihme  alhie  in  facultate  Juridica  zu 
versehen  obgelegen,  erledigt  worden  seye,  wie  dann  auch  durch 
todlichen  abgang  Licentiati   Conradi   Kennicken  gewesenen  welll- 
lichen    Richters    Lectura    Institutionum    Imperialium    vor   diesem 
vacirend  worden.     Wann  nuhn  E.   Churf.  Gnaden  Selbige  beyde 
Lecturen   zu   conferiren    haben    unnd    dann    Ich    nieinen    tochlei 
man  D.  Dionisium  Campium,  welcher  uff  begeren  bemelter  facultet 
vor  diesem  alhie  publice  Docendo  et   Disputando   ruhmlich  sich 
gebrauchen  lassen  unnd  zu  der  gleichen   Conditionen  versehent- 
lich genugsam  qualificirt  ist,  hierzu  gern  befurdert  sehen  woltt,  Er 
auch  ohne  das  weniger  nitt  als  dessen  Patruus  D.  Jacobus  Campius 
Protonotarius  S.   (=  selig?)  zuvorderst  E.   Churf.  Gnaden  under- 
thanigst. unnd  getrewhlich  zu  dienen  nach  vermögen  verwillig,  So 
ist  mein  underthenigst  unnd  hochvfleisßigste  bitt,  E.  Churf.  Gnaden 
geruhen  gedachls  meines  tochterninns  in  gnaden  ingedenck  /.u  sein 
unnd  selbiger  Lecturen  eine  Ihme  gnediglich  zu  conferiren,  wirdl 
sich  gewißlich  darbey  also  verhalten,  daß  Juridica  facultas   null 
Ihme  zufrieden  sein  unnd  E.   Churf.   Gnaden   Ihnen  zu  Höheren 
Sachen  zu  gebrauchen  ursach .haben  weiden.  So  seindl  wir  beyde 
auch  ein  solches  umb  E.  Churf.  Gnaden  underthenigst  unnd  ge- 
trewhlich zu  verdienen  zeitl   unsers  Lebens  nach  euserstem   ver 
mögen  so  willig  als  schuldig,  dero  Churf.  Gnaden  in  schul/,  des 
Allmechtigen   zu   Langwiriger   Fridlicher    regirung    guter    gesund- 
heitt   unnd    allein   glucklichen   wolstandt,    auch    mich    sampl    den 
Meynen    zu    beharrlichen    Churfurstlichen    gnaden    underthanigst 
bevehlendl.    Datum   Maintz   17.   Juni    Anno    Kil2. 

E.  Churf.  Gnaden 
underthenigsler   gehorsambsler    I  liener 
Antonius  Bayer  Licentiatus 

9  Knodl,   a.   a.   ().,   S.   80.   —  10   Knodt,   a.   a.   0.,   S.  SS. 


142  Heinrich  Schrohe. 

Rückseite:  dem  Hochwirdigsten  Fürsten  und  Hern,  Hern  Johann 
Schweicbardten  Ertzbischoven  zu  Maintz  des  Ray.  Römischen  Reichs  durch 
Germanien  Ertz - Cantzler  unnd  Churfürslen.  Meinem  gnedigsten  Hern. 
Von  anderer  Hand:  1612  17.  Jim.  H.  Schultheiß  zu  Maintz  pitt  für  seinen 
doi  hterman  D.  Campio  zur  vacirenden  Lectur  in  der  Juristen  Facultet 
zu  .Maintz.  Hieran  Ihre  Churf.  Gn.  zu  demselben  glücklichen  ankunfft  zu 
Maintz   zu   erindern.     Praesentirt    Franckfurth   den    19.    Junij    Anno    1612 

XII. 

J.  Coloniasis11  Juris  utr.  Dr.  schreibt  an  einen  Unbekannten, 
es  möae  ihm  die  Professur  des  Zivilrechtes  zuerteilt  werden, 
die  Dr.  Gerhard  Ebersheim  bis  zu  seinem  Weggang  innege- 
habt habe,  und  deren  jährliche  Besoldung  aus  den  erzbischöf- 
lichen Einkünften  erfolge. 
Den    18.   August   1612. 

Gen^Rez.    Mainz. 

Informavit  me  Dr.  Faber,  quod  ipse  babeat  et  possideat  Lee- 
turam  et  professuram  Deeretorum  et  quod  inde  a  Canonicis 
Aschaffenburgensibus  aceipiat  suum  annuum  Stipendium  nempe 
50  fl.  monetae  curr.  Quam  autem  obtinebat  Dr.  Gerhardus  Ebers- 
heim, erat  professura  Juris  civilis  cum  stipendio  anuuo  50  fl. 
qui  (=  floreni)  solvuntur  ex  reditibus  Archiepiscopalibus.  Fiat 
et.  expediatur  provisio  mea  in  spein  ad  hanc  quam  ipse  Dr.  Ebers- 
heim habuit  et  quae  ob  eius  discessum  et  migrationem  extra 
civitatem  Moguntinam  ad  procuratorium  in  camera  vacavit,  quia 
ad  hanc  et  non  ad  aliam  intentio  directa  fuit  Reverendissimi  cuius 
ego  quoque  etsi  Ecclesiasticus  tarnen  uti  Juris  utriusque  Doctor 
sinn  capax  sicut  Dr.  Faber  alterius  uti  Deeretorum  Dr.,  quem 
gradum  eins  professurae  et  lecturae  curam  se  aeeepisse  asserebat 
cum  iam  ante  fuisset  L.  L.  Dr. 

J.    Coloniasis.     (Coloniasius?) 

Rückseite:    1612,    18   die   Aug. 

XIII. 

Lizentiat  Antonius  Bayer1-  bittet  den  Kurfürsten  Johann 
Schweickhardt  nochmals,  eine  der  beiden  Lektüren  Dige- 
storum  und  lnstitutionum  Imperialium,  die  durch  den  Tod 
des  Liz.  Konrad  Kennicken  und  den  Wegzug  Dr.  Gerhard 
Ebersheims  erledigt  sind,  seinem  Tochtermann  Dr.  Dio- 
nysius   Campius  zu   übertragen. 

Mainz,   den  8.   September    1612. 

Mainz.  Stadtbilb.   (Jnivers.  No.  108. 

Hochwirdigster  Fürst,  Dero  Churf.  Gnaden  seyen  jederzeitt 
mein  underthenigst  schuldig  und  gehorsambste  Dinst  eusersten 
Vermögens  bevor,  (inedigster  Churt'ürst  unnd  Her,  In  Februariö 
nechstabgexyiehenen  Kill  Jahrs,  wie  auch  in  Junio  jüngsthin 
Seindl  E.  Churf.  Gnaden  durch  den  Groshoffmayster  mundtlich  und 
dann   durch  mich  in  sebrifften   undertbanigst  berichtet  unnd  ge- 

11  So  oder  Coloniasius  zu  lesen:  sonst  heißt  er  Johannes  de  Colonia; 
!.  z.  B.  unten   Beilage   XIV.  1:;  Vefgl.  oben  Beilage  XI. 


Die  ^iederbesetzung  erledigter  Professuren.  143 

betten    worden,     Nachdem    durch    absterben    Licentiati    Conrad] 
Kennicken  unnd  dann  wegen  der  durch  D.  Gerhard!  Ebersheimern 
zu  Speyer  ahngenommener  Procuratur  zwo  underschiedliehe  her 
turen  Digestorum  et  Institutionum  Imperial,  in  facultate  Juridica 
alhie   vaciren    unnd   derer   Collation   E.    Churf.    Gnaden    gepuren 
thetten.  Daß  dero  Churf.  Gnaden  meinen  tochtermann    D.   Dioni- 
sium   Campium   so   in   vorigen   Jahren   uff   guttachten    E.    Churf. 
Gnaden  Canntzlers  unnd  anderer  heren  Professorn  in  publice  do- 
cendo  et  disputando  sich  ruhmlich  gebrauch l  unnd  darzu  genug- 
sam qualificirt  ist,  miti  deren  einer  gnedigst  providiren  woltten. 
Dieweil    aber    vermuttlich    anderer    vorgefallener    Verhinderung 
halben  E.  Churf.  Gnaden  sich  hieruff  biß  noch  nitt  resolvirt  Unnd 
ich   gleichwol   hochmahls   der   underthenigsten   ohnzweivenlichen 
hoffnung  bin,  E.  Churf.  Gnaden  werden  mich  unnd  die  meynen  in 
gnaden   maynen.    So    hab   ich    nitt    umbgehen    mögen,    E.    Churf. 
Gnaden  hierunder  underthenigst  zu  erinnern,  Unnd  ist  hiermit!  aber- 
mahls  mein  underthenigst  unnd  hochvleißigste  bitt  E.  Churf.  Gnaden 
wollen  angeregtem  meinem  suchen  gnedigst  stadtgeben  unnd  sich 
deswegen  in  gnaden  wilfahrig  resolviren,  Hingegen  wirdt  gedachter 
mein  tochtermann  D.  Campius  sich  vermittelst  Gottlicher  gnaden 
also  verhalten,   daß  nitt  allein   facultas   .Turidica  sich   dessen  zu 
rühmen    unnd    die    Studiosi    mitt    Ihme    zufrieden    sein    können, 
Sondern   auch   E.    Churf.    Gnaden   Ihnen    zu   höheren   Sachen    zu 
gebrauchen  ursach  haben  werden,  Unnd  seindt  wir  beyde  solches 
imib  E.  Churf.  Gnaden  underthenigst  zu  verdienen  nach  euserstem 
vermögen   schuldig   unnd    willig    Dero    Churf.    Gnaden   in   schütz 
des  Allmechtigen  zu   langwiriger  fridlicher  regirung,  guter  leibs- 
gesundheit    unnd    allem    glucklichem    wolstandt,    auch    zu    dero 
heharlichen  Churf.  Gnaden  mich  sampt  allen  meinen  underthenigsl 
bevehlendt.      Datum   Mainz    8ten    Septembris    Anno    1612. 
E.  Churf.  Gnaden 

underthenigster  willigster  Diener  Antonius  Bayer  Lic. 
Eigenhändige  Bemerkung  des  Kurfürsten  Johann  Schweick- 
hardt:  Dieweil  der  Siegler  alberaids  praesentation  erlangt  ver- 
pleibe  es  dobey  und  wan  dan  die  Universitel  kein  feineres  diffl- 
culteten  machen,  quanlum  ad  Lecturam  Institutionum,  ist  solche 
Campio   bewilligt. 

Rückseite:  Dem  Hochwirdigsten  Fürsten  und  Hern,  Hern  Johann 
Schweicharden  Ertsbischoven  zu  Maintz  des  HayL  Elömischen  Reichs  durch 
Germanien  Ertz-Cantzler  annd  Churfürsten,  Meinem  gnedigsten  Hein.  Von 
anderer  Hand:  L612  8.  Sept.  Lic.  Bayr  pil  Seinen  Tochterman  D.  Cam- 
pium entweder  mit  der  profeßur  Digestorum  oder  Institutionum  zu  provi- 
•diren.     Praes.  Maintz   10.   Septembris  anno    L612. 

XIV. 
Dr.  Dionysius  Campius13  teilt  dem  Kurfürsten  mit,  daß  der 
kurfürstliche  Siegler  Johannes  de   Colonia    seine    Lecturam 
Digestorum  mit  seiner  Lectura  Institution  um   wegen  Sigilli- 


Vergl.    üben    Beilage   XI. 


144  Heinrich  Schrohe. 

feratsgeschäften  tauschen  möge,  und  bittet  um  diesbezügliche 

Genehmigung. 

Mainz,   den    17.    Februar    1(>1 6. 

Gen.  -  Rez.    Mainz. 

Hochwurdigster  Churf.  Euwer  Churf.  Gnaden  seyen  jeder- 
zeit meine  underthänigst  schuldig  und  gehorsambste  dienst  euser- 
sten  Vermögens  bevor,  gnedigster  Churf.  und  Herr!  Wiewoll 
Ich  Euw.  Churf.  Gnaden  wegen  andern  deroselben  itzo  obligenden 
hochwichtigsten  geschafften  einige  fernere  bemuhung  ungern  ver- 
ursachen sollen,  So  hab  Ich  doch  Euw.  Churf.  Gnaden  under- 
I henigst  zuverstehen  geben  wollen,  welcher  maßen  der  Erwürdig 
und  Hochgelahrter  Herr  Joannes  De  Colonia  Euwer  Churf. 
Gnaden  Sigler  seine  Lecturam  Digestorum  quam  ex  Collatione 
Rmae  Celsitudinis  suae  habet,  wegen  allerhandt  täglich  ein-  und 
überfallenden  Sigilliferatsachen  mitt  meine,  Mir  vor  von  E.  Churf. 
(inaden  gnedigst  conferirte  Lecturä  Institutionum  zu  permutirenn 
bedacht. 

Wan  dan  hochwurdigster  Churf.  und  Gnedigster  Herr  Ich 
mich,  ohne  rühm  zu  melden,  etliche  jar  hero  täglichen  fast  do- 
cendo  et  profitendo  gebrauchen  laßen,  deßen  mir  nicht  allein 
vornembliche  vom  Adell  und  geringeres  standts,  sondern  auch 
eine  hochlöbliche  Universitet  und  deroselben  anverwandte  sampt 
und  sonders  zeugnuß  geben  können,  wie  dan  auch  solchem  meinem 
instituto  mitt  allem  möglichen  Heiß  nachzusetzen  ich  wie  ver- 
nichtet,  also  erpietig. 

Also  ist  mein  underthänigst  hochfleißigste  pitt,  Euw.  Churf. 
(inaden  geruhen  solche  permutation  gnedigst  zu  gestatten,  und 
seihige  Lecturam  Digestorum  uf  Mich  et  viceversa  Institutionum 
Lecturam  uff  ehegemelten  hern  Sigilliferum   zu   transferiren. 

Solches  umb  Euw.  Churf.  Gnaden  die  tag  meines  lebens  nach 
eusersten  vermögen  underthänigst  zu  verdienen,  bin  Ich  schuldig 
und  willig,  Dero  Churf.  Gnaden  in  schütz  des  Almechtigen  zu 
langwerender  fridlicher  regierung,  guetter  gesundheit  und  aller 
glückseeliger  wolfahrt  und  Mich  zu  beharlichen  Churf.  (inaden 
demütiglich   befehlendt.     Datum  Maintz   den    17.   Februarij    1616. 

Euw.  Churf.  Gnaden 

Underthenigster  Willigster  Diener 

Dionysius  Campius  Dr. 

Rückseite:  Dem  Hochwurdigster!  in  Gott  Fürsten  und  Herrn,  Herrn 
Johan  Schweickharden  Ertzbischoven  zu  Maintz  des  Haiti«'.  Rom.  Reichs 
durcli  Germanien  Ertz-Cantzler  und  Churfursten,  Meinem  gnedigsten  Herrn. 

\ihi  anderer  Hand:  1616  19.  Febr.  Doctor  Campius  petit  di.mis.sio- 
ni'iu  professurae  [nstitutionum.  Praesentirt  Aschaffenburg  den  19.  Fe- 
bruarij  1616. 

XV. 

Dr.  Franz  Vogt14  bittet  den  Kurfürsten  Johann  Schweickhardt, 
ihm  die  Professur  zu  verleihen,  die  durch  den  Tod  seines 


"   KihkH,   a.   a.   0.,   S.  96. 


Die  *Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  1 4~> 

Schwagers,   des   kurfürstlichen   Kanzlers    Lizentiaten    Franz 
Philipp  Faust,   erledigt  sei. 

Den   30.   April    L616. 

( ten.  r  Rez.    Mainz. 

Hochwürdigster  Ertzbischove  unndt  Churfürst!  E.  Churf. 
Genaden  seindt  mein  underthänigsf  gehorsambst  unndt  schuldigst 
dienst  zuvor,  gnädigster  Herr!  VVaß  gestalt  der  Edel  unndt 
Hochgelärt  Herr  Licentiat  Frantz  Philips  Faust  E.  Churf.  Gnaden 
Cantzler,  mein  freundtlicher  lieber  schwager,  iüngst  todth  ver- 
fharen,  (lesen  seelen  der  Allmechtige  Gott  genade,  weiden  E. 
Churf.  Gnaden  ohne  Zweiffei  berichtet  sein.  Wan  dan  ehr  Herr 
Cantzler  seliger  alhir  zu  Maintz  auch  professor  Ordinarius  ge 
wesen.  wie  dan  auch  solche  stell  loblich  unndt.  wol  vertretten 
unndt  nhunmehr  E.  Churf.  Gnaden  dieselbe  mit  einer  anderen 
qualiiieirten  person  zu  ersetzen  gnädigst  wol  bedacht  sein  weiden, 
verhoffentlich  ich  mich  in  anderen  obliegenden  unndt  mir  von 
E.  Churf.  Genaden  ahnbefolenen  unndt  vertrauwten  Sachen  also 
verhalten,  daß  E.  Churf.  Genaden  daran  ein  Gnädigstes  belieben 
haben  weiden  oder  zum  wenigsten  in  meinem  vermögen  kein 
mangel  erschienen,  w enigerß  auch  nit  ich  furterß  unndt  in  anderi 
zu  erscheinen  underthänigst   wol   so   schuldig  als   willig   bin. 

Also  gelangt  ahn  E.  Churf.  Genaden  mein  underthänigst  bin, 
dieselbe gerhuen,  mir  auch  obberurte  vaccirende  professur  gnädigst 
zu  vertrauwen  unndt  anzubetelen,  inmasen  ich  mich  (lesen  beruft 
unndt  Verrichtung  aller  gebur  zu  bezeigen  underthänigst  gemeint 
undt  aller  Schuldigkeit  bestes  Heiß  obliegen  wolle.  E.  Churf. 
Genaden  damit  zu  langwüriger  erwünschter  wolfhart  unndt  glück- 
seliger regirung  dem  Allniechtigen  lieben  Gott  treuwligst  befolen, 
Geben  den  30.  April   1616. 

E.    Churf.   Genaden 

underthänigster 

Frantz  Vogt  Dr. 

Rückseite:  Dem  Hochwürdigsten  in  Gott  Fürsten  unndt  Hein.  Hern 
Julian  Schweicharten  Ertzbischoven  zu  Maintz  des  Hayligen  Romischen 
l'aichcs  (iurcli  Germanien  Krtz-Canlzlem  omihIi  Churfürsten  meinem  Gnä- 
digsten  Hern. 

Von  anderer  Hand:  Praesentirel  Meintz  den  30.  Vprilis  Anno  L616. 
Dr.  Vogt.   (Joh.  Schweickhardts  Hand?) 

XVI. 
Dr.  Kaspar  Beußer1,  bittet  den  Kurfürsten  Johann  Schweick- 
hardt,  ihm  die  Lectura  Juris  Civilis,  die  sein  Schwiegervater, 
der  kurf.  Geheime  Etai  und  Kanzler  Lizehtiat  Franz  Philipp 
Faust  bis  zum  vorgestrigen  Tage  innegehabi  habe,  über- 
tragen ZU  wollen. 
Main/,   den    1.    Mai    1616." 

Mainz.  Stadtbibl.   I  nivers    tfo.   L08. 
Hochwürdigster  Churfürst.     E.  Churf.  Gnaden  seindt   meine 

15  Vergl.  Beilage  IX,  X.  XVIII,  XXI.  XX  l\.  und  Knodt,  a.  a  <>. 
ft   88  u.   95. 

Beiträge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  .Mainz  u.  Gießen.  l" 


146  Heinrich  Schi'ohe. 

unnderthenigsl   unnd   gehorsambste  dienst  eußersten  vieyß  unnd 
Vermögens    iederzeitl    bevor.     Gnedigster   Herr! 

E.  Churf.  Gnaden  hab  vorgesteriges  tags  inilt  trawrigem  ge- 
niiitli  unnderthenigsl  berichtet,  welcher  gestalt  der  Allmächtig  liebe 
Gott  durch  seine  Göttliche  ohnwandelbare  Schickung  dero  Churf. 
Gnaden  gehaimen  Rath  unnd  Cantzler  Herrn  Licentiaten  Frantz 
Philips  Fausten,  meinen  beliebten  Herrn  Schweher  unnd  Vattern, 
seligen  andenckens  von  dießer  zeitlichen  weldt  unnd  ihrem  Jamer- 
Ibal  durch  den  natürlichen  thodl  in  die  ewige  frewdt  gantz  selig- 
I ich  hingenommen  unnd  versetzt  hall,  deßen  abgeschiedener  Sehlen 
die  Göttliche  Allmacht  gnedig  unnd  barmhertzig  sein  wolle.  Wann 
aber  nuhn,  Gnedigster  Churfürst  unnd  Herr,  E.  Churf.  Gnaden 
zweifelsohne  gnedigstes  wissen  tragen  werden,  waßmaßen  erst 
wohlgedachter  unnd  geehrter  mein  Herr  Schweher  unnd  Vatter 
seliger  von  E.  Churf.  Gnaden  Hochlöblichsten  Herrn  Vorfordern, 
weilandt  Herrn  Churfürst  Wolffgangen  Christmiltester  gedächtnus, 
in  dero  löblichen  Universitet  alhie  mitt  einer  Ordinari  Lectur 
Juris  Civilis  gnedigst  providirt  unnd  begnadiget  geweßen  unnd 
solche  Lectur  nunmehr  durch  deßen  thödtliches  ableiben  erlediget 
unnd  vacirendt  ist,  welche  E.  Churf.  Gnaden  ohngezweiffelt  ander- 
wertlich  zu  bestellen  gnedigst  gewilt  sein  werden,  Also  ist  unnd 
gelangt  demnach  ahn  E.  Churf.  Gnaden  mein  gantz  unnderthenisste 
bilt,  dieselben  geruhen,  meiner  wenigsten  person  dero  gnedigste 
gnad  in  so  viell  zu  bezaigen  unnd  mitt  solcher  ahnietzt  berürter 
vacii enden  Lectur  mich  gnedigst  zu  providiren,  Soll  auff  solche 
verhoffentlich  beschehene  gnadterweyßung  ahn  meinem  orth  daß- 
ienig,  waß  bey  solchem  officio  Lecturae  milir  beneben  anderen 
verordneten  Herrn  Professorn  zu  thuen  unnd  zu  verrichten  obligen 
wirdl.  alßo  getrewes  empsiges  vleyß  vermittelst  Göttlicher  ver- 
leyhung  versehen  unnd  volnzogen  werden,  daß  E.  Churf.  Gnaden 
zuvorderst,  unnd  dann  die  gesampte  Herrn  de  Facultate  Juridica 
darahn  ein  guetes  sattsames  genuegen  haben  sollen,  in  dießem 
erweyßen  E.  Churf.  Gnaden  mihr  ein  hochrühmliche  Churfürst- 
liche  gnad,  unnd  will  dieselbige  Xeitt  meines  lebens  mit!  meinen 
unnderthenigsten  gleichwohl  geringfügigen  diensten  auffs  eußer-d 
unnd  gantz  gehorsambst,  wie  ohne  daß  pflichtschuldigst  binn, 
zu  bediehnen  allzeit  bereif  unnd  gevließen  sein,  Thuc  darüber 
E.  Chnif.  Gnaden,  die  der  Allmächtige  Gott  bey  beharrlicher  guter 
leibs  vermöglichkeit  unnd  friedfertiger  bestendiger  Regierung 
vätterlich  lang  fristen  unnd  erhalten  wolle,  gnedigste  willfährige 
resolution  in  unnderthenigkeil  gantz  tröstlich  hoffen  unndl  er- 
waillen.  Signatum  Meintz  1.  Maij  1616  E.  Churf.  Gnaden  unnder- 
thenigster   unnd    gehorsambster  diehner   Caspar   Beußer    Dr. 

Rückseite:  Dem  Hochwürdigsten  Fürsten  unnd  Herrn,  Herrn  .lohan 
Schweickhardten  Ertzbischoven  zu  Meintz  deß  heyligen  Römischen  Reichs, 
durch  Germanien  Ertz-Cantzlern  unnd  Churfürsten,  Meinem  Gnedigstep 
Herrn. 

Von  anderer  Hand:  L616  1  Maij.  I).  Beysser.  (Joh.  Schweickhardts 
Hand?J     Praesentirl    Meintz  den  ersten   Maij   Ax>.   1616. 


Die  AYiederbesetzung  erledigter  Professuren.  147 

XVII. 

Dr.  H.  C.  Muntzethaler  bittet  den  Kurfürsten  Johann 
Schweickhardt,  ihm  die  Professur  Codicis  zu  verleihen,  die 
durch  den  Tod  des  Kanzlers  Lizentiaten  Franz  Philipp  Fausl 

erledigt  sei. 

(Den  2.  Mai   1616.  Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Hochwürdigster  in  Gott  Ertzbischoff  und  Churfürst.  E.  Churf. 
Gnaden  seyen  mein  underthenigst  schuldtwilligsl  und!  gehor- 
sambste  diensl  eußersten  Vermögens  zuvor,    (madigster  Herr! 

Demnach  auf  gesterigs  tags  beschehenes  tödtliches  abieben 
weilandt  deß  Ehrenvesten  Hochgelehrten  Herrn  Licentiaten  Fran- 
cisci  Philippi  Fausten  Churf.  Cantzlers  deßen  verwaltete  professur 
Codicis  vaciret  und  erlediget  und  nunmehro  dieselbe  mit  einer 
ändern  qualificirter  person  zu  ersehtzet  bey  E.  Churf.  Gnaden 
gnedigst  verhaltet!. 

Undt  aber  ich  ein  Zeitlang  hero  nach  angenommenem  gradu 
doctoratus  und  gehaltener  alhie  gewöhnlicher  repetition  nicht 
allein  bey  E.  Churf.  Gnaden  wolverordnetem  loblichem  Hoffgerichi 
advocando,  sonder  auch  der  loblichen  Universitet  gewohnlichen 
üblichen  Proceß  (ohne  gesagtem  rhum)  mich  dermaßen  kündig 
und  erfahren  gemacht,  daß  ich  mich  der  orten  besonder  gern  in 
dinsten  dem  gemeinen  wohlstandt  meines  geliebten  vatterlandts 
zue  guttem  gebrauchen  zu  laßen,  gäntzlig  entschloßen,  auch  solche 
vermittelß   Göttlicher  gnaden  der   gebühr   zu   vertretten    getrawe. 

Also  gelanget  ahn  E.  Churf.  Gnaden  mein  Underthenigst  hoch 
fleißiges  bitten,  dieselbe  geruhe  mich  zue  solcher  vacirenten  pro- 
fessur stell  gnädigst  uf-  undt  ahnnehmen. 

Will  Ich  mich  in  ahnbefohlenen  sachen  verhülflich  Göttlichem 
beistand  allem  möglichstem  fleiß  nach  dermaßen  erzeigen  undt 
finden  laßen,  daß  E.  Churf.  Gnaden  undl  mäniglich  ob  solchem 
ein  gnädigstes  stätsammes  genügen  undl  kein  rhewliches  nach- 
dencken  haben  soll.  E.  Churf.  Gnaden  Göttlicher  Almachl  zue 
langwuhriger  friedtfehriger  regirung  undl  allem  Churf.  wolstandt 
underthenigst  trewlichsl  entfehlendt  Undt  deroselben  verhoffent- 
liche  gnädigste  resolution   underthenigst   erwahrtend. 

E.  Churf.  (inadien   underthenigster  Gehorsamster 

H.   C.   Muntzethaler.    Dr. 

Rückseite:  Dem  hochwürdigsten  in  Gott  Fürsten  undt  herrn,  berrn 
Joban  Schweickharten  Ertzbischoffen  undl  Churfürsten  zu  Maintz,  meim 
Gnedigsten    herrn. 

Von  anderer  Hand:  1616  2  Maij.  Durchstrichen:  L643  hoc  anno 
öbiil  Hern-.  Faber.  Knodt,  S.  48.  Unter  der  Adresse:  Muntzenthaler.  roh 
Schweickhardts   Hand  ?) 

XVIII. 
Dr.  Kaspar  Beußer,  seither  am  kurfürstlichen  Yikariatsgerichl 
beschäftigt,    hiliei    den    Kurfürsten    Johann    Schweickhardt, 
die  Lectura  in  Jure  civili,  die  durch  den  Tod  seines  Schwie 
gervaters,  des  kurfürstlichen   Kanzlers  Franz  Philipp  Faust, 
erledigt  sei,  ihm  zu  übertragen,   wofern   nicht    Hofräte  sich 

10« 


I  18  Heinrich  Schrohe. 

da  tum  bewürben.    Er  unterstützt  sein  Gesuch  mit  dem  Hin- 
weis darauf,  daß  sein  Schwiegervater  beabsichtigt  habe,  ihm 

zum    sicheren   Besitze  der  Professur  zu   verhelfen. 

fDen   L2.  Juni    1616.) 

.Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Hochwürdigster  Churfürst  E.  Churf.  Gnaden  seindt  iederzeitt 
mein  underthenigst  unnd  gehorsambste  dienst  pflichtschuldigsten 
vleyß    unnd    eußersten    Vermögens    zuvoran.      Gnedigster    Herr! 
E.  Churf.  Gnaden  haben  ohne  Zweiffell  bißannoch  in  gnedigstem 
andencken,   waß  gestalt  dieselben  zu  näherem  mahl  nach  thödt- 
lichem  abieben  weiland  t  Herrn  Frantz  Philips  Fausten  E.  Churf. 
Gnaden  geweßenen  Cantzlers  meines  Hochgeehrten  unnd  beliebten 
Herrn  Schweher-Vatters  seligen   ich  umb  deßen  erledigte  Lectur 
in  Jure  Civili,  welche  er  in  seinen  lebtagen  unnd  sonderlich  in 
zwüschen  der  Zeitt,  nachdem  er  von  E.  Churf.  Gnaden  Hoff  zu- 
gestandener  leibs    ohnvermöglichkeil    halben    sich    zu    mehrerem 
ruchsamen  weßen  begeben  müßen,  nitt  ohne  bekhandtlichen  rühm 
in  alhvegen  bediehnet  unnd  versehen  gehabt,  in  Unnderthenigkeit 
supplicirendt   angelangt,    warzu   mich   dann    nitt   allein    die   ahn 
E.  Churf.  Vicariat  Gericht  nuhn  ettliche  Jahr  hero  fast  quadruplirte 
ordinari  mühsame  laborn  alß  die  sich  auch  ins  khünfftig,  wo  nitt 
häuffen    unnd    mehren,    doch    zum    wenigsten    alßo    continuiren 
mögten,  hingegen  aber  die  Wenigkeit  davon  habenden  Jährlichen 
salarij    angetrieben,    Sondern    mihr    auch    wohlermeldtes    meines 
Herrn  Schweher-Vatters  uff  seinem  thodtbett  drey  tag  vor  seinem 
seligen  abscheiden  ultronec  ohne  einige  meine  erinnerung  geführte 
reden,  daß  er  mihr  zwahr  längst  hiebevor  die  Vertröstung  gethan, 
seine  bißanhero   gehabte   Lecturani   Juris   bey   E.   Churf.   Gnaden 
vor  meine  person  unnderthenigst  dergestalt  außzubitten,  daß  ich 
nach  seinem  absterben  deren  gantz  gesichert  sein  solte,  hette  aber 
deme  seines  theills  gethanem  vertrösten  noch  zur  Zeitt  nitt  nach- 
gesetzt, mögte  gleichwohl  selbige  mihr  von  hertzen  gehrn  gönnen 
und    gnugsame    anleitung    gegeben    haben.      Wiewohl    ich     nuhn 
mittlerwoill   dero   tröstlichen   hoffnung   gelebt,   E.    Churf.   Gnaden 
auff  solches  derselben  mein  eingeschicktes  unnderthenigst  suppli- 
cirn,  gegen  dem  Edlen  unnd  Hochgelehrten  Herrn  Nicoiao  Gernon 
der  Rechten  Doctorn  E.  Churf.  Gnaden  gehaimen  Itath  unnd  Vice- 
Cantzler  alß  meinem  zu  dem  effect  erpettenen  großgünstigen  Herrn 
Patron  unnd  Maecenaten  einer  gnedigsten  gewirigen  antwortt  sich 
erklären  würden,  So  ist  iedoch  einige  biß  dato  nitt  ervolgt.    Wann 
ich   aber  eußerlich   so   viell   berichtet   werde, .  daß   obberürte   va- 
cirende  Lectur  von  E.  Churf.  Gnaden  biß  noch  ohnconferirt  ver- 
plieben,   sondern    in    gnedigster  election   unnd   wähl   der   concur- 
lirenden  Supplicanten  stehen  sollen,   derohalben   gelangt  ahn  E. 
Churf.   Gnaden    nochmals   mein   gantz   underthenigst   unnd   hoch- 
flehentliches  bitten,  wofern  keiner  auß  dero  Churf.  Gnaden  Hoch- 
ansehnlichen   Herrn   Hoff-Räthen,    denen    ich    dißfals    gahr   gehrn 
cediren    will   unnd   zu  cediren  schuldig  binn,   dero  mehrbesagter 
Lectur  heueren  solte,  dieselben  mich  vor  anderen  damitt  gnedigsl 
providiren    und    gleichsamb    zur    Recompens    meiner    ahn    obge- 
dachtem   E.    Churf.    Gnaden   Vicariat-Gericht   bißanhero    gehabter 


Die  ."Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  149 

menniglich  derorthes  bekhandter  mühe  annd  arbeil  begnadigen 
wollen.  Verhütte  unnd  getrawe  solche  Lectur  Stell  annd  waß 
dabey  mihr  alß  dem  iüngst  ankhommenden  wie  gepreuchlich 
praesidendo  promovendo  referendo  unnd  sonsten  weitters  zu  ver- 
richten obligen  wirdt,  alßo  vermittels!  Göttlicher  gnad  zu  ver- 
dienen unnd  zu  versehen,  daß  andere  zur  Juristen  Facultel  ver- 
ordnete Herrn  Ordinarij  Professores  ahn  meiner  person  annd 
fürfallenden  Expeditionen  versehentlich  ein  gutes  contentamenl 
gewinnen  sollen,  Welcher  von  E.  Churf.  Gnaden  meines  theills 
unnderthenigst  gepettener  gnad  mich  gäntzlich  getrosten  thue 
unnd  will  solche  gnaderweyßung  die  Zeitl  meines  lebens,  gestalt 
ohne  daß  verpflichtet  binn,  mitt  meinen  eußersl  vermöglichen  wie- 
wohl zumahl  geringfügigen  diensten  gehorsamst  zu  bediehnen 
empsiges  ohngespartes  Vleiß  bereit  unnd  gevliesßen  sein,  E.  Churf. 
Gnaden  damitt  dem  Allmächtigen  zu  lang  bestendiger  leibsge- 
sundtheit  unnd  friedtglücklicher  Churfürstlicher  Regirung,  mich 
aber  Deroselben  zu  wehrenden  gnaden  in  unnderthenigstem  gehoi 
samb  anbevehlendt 

E.   Churf.   Gnaden 
Unnderthenigster  unnd  gehorsambster  diehner 
Casp.  Beußer  Dr. 
Rückseite:  Dem  Hochwürdigsten  Fürsten  unnd   Herrn,   Herrn  Johann 
Schweickhardten  Ertzbischoven  zu  Meintz  deß  Heyligen  Römischen  Reichs 
durch    Germanien    Ertz - Cantzlern    unnd    Churfürsten,    Meinem    Gnedigsten 
Herrn.     Von  anderer  Hand:  1616  12.  Jim.    Praesentirt  .Meintz,  den  L2.  Junij 
Anno   1616.     D.   Beysser.    (Joh.   Schweickhardts   Hand?) 

XIX. 

Dr.  med.  Stephanus  Dominicus  Brunheimer16,  welchem  nach 
dem  Tode  des  Dr.  Gerhard  Holtmann17  die  Lektur  der  Ge- 
schichte übertragen  wurde,  hat.  während  zweier  Jahre  keine 
Entschädigung  dafür  erhalten,  ja  es  wurde  sogar  der  Sekre- 
tär Dopperich  mit  der  Lektur  betraut.  Er  bittet  daher  Rektor 
und    Universität,   seine  Rechte   zu   wahren. 

Mainz,   den   13.   Oktober    1620. 

Gen.-Rez.    Mainz. 

.Tarn  seeundus  leime  agitur  annus,  Magnifice  Rector  caeterique 
Patres  Assessores  Academici,  quod  posl  defunetum  Venerandum 
senem  I).  Gerardum  Holtman  piae  memoriäe  Lectura  Historica 
pionatus  snm  communi  Assessorum  tum  temporis  calculo.  Cuius 
rei  gralia  nieiim  erua   Academiam  nostram  aninmm  magis  devinc- 

hun  habebam,  sc<\  (quo  nescio  Eato)  contigit,  q I  eadem  lectura 

hactenus  frui   neutiquam    mihi    licueril    pensumve   duorum   anno 

11  Über  Stephanus  Dominicus  Brunheimer  findet  sich  in  dem  Album 
der   Mainz,   medizinischen    Fakultät    folgender   Eintrag      \.nno   Domini    L616 

21.   Januarij   reeeptus  est   ad   facultatem   Medicai sta   eiusdepi   Statuta 

Stephanus  Dominicus  Brunhejmerus,  promotus  Friburgi  Brisgoviae 
Medicinae  Doctor,  praesentibus  Clarissimis  et  Experientissimis  DD.  Joane 
Georgio  Thein  Decano  ei  Joanne  Nicoiao  Fischer  Seniore  Vergl,  auch 
K lt.  a.  a.  0.,  S.  93  u.  97.   —  IT  Knodt,  a.  a.  <>..  S.   72. 


150  Heinrich  Sehrohe. 

rum  nulluni  receperim.  Et  lecturae  ut  video  praetor  Academicomm 
scitum  alius  longe  post  nie,  Dominus  nempe  secretarius  N.  Dop- 
richl   substitutus  sit. 

Res  duobus  his  ferme  annis  summopere  mihi  cordi  fuit  atque 
iam  dudum  libellum  hunc  reminiscentiae  obtulissem,  nisi  spes 
me  aluisset,  patres  Academicos  privilegiorum  memores  (cum  his 
alios  cadere  durum  sit)  pro  necessitate  laboraturos,  ut  sui  con- 
socii  Academici  Jurati  ad  munera  et  stipendia  deinerenda  magis 
promoverentur  quam  alius  quispiam  qui  vel  gradu  palaestrico 
non  insignitus  vel  etiam  in  allium  Academicum  nullo  modo 
inscriptus    sit. 

His  igitur  pensatis  tandem  ego  pro  partis  nieae  debito 
decentique  ad  Vestram  Magnificentiam  et  Clarissimos  D.  D. 
Vestras  supplex  venio,  ut  gratiae  munus  quoddam  tarn  erga  me 
quam  statutorum  nostrorum  symphoniam  demonstretis,  rem,  ut 
aequi  bonique  est,  persolvatis  et  tandem  securitatem  mihi  authori- 
tate  vestra  causetis. 

Id  ipsuin,  si  qua  ratione  per  me  erga  Magnificentiam  et  Cla- 
rissimas  DD.  Vestras  recompensari  queat,  omnem  me  lapidem 
moturum  nolini  dubitetis.     Mogunliae   13tio   Octobris   1620. 

Magnificentiae  Vestrae  et  Clarissimis  Dominationibus  Vestris 
officiose  addictus  Stephanus  Dominicus  Brunheimerus  Med.  Doctor. 

Copia  supplicationis  Domini  Doctoris  Stephani  Dominici 
Almae   Universitati   Mog.    16.   Decembris   1620  exhib. 

XX. 

Rektor  und  Universität  erklären  dem  Kurfürsten  Johann 
Schweickhardt,  ihnen  habe  die  Übertragung  der  Lectura 
historiarum  stets  zugestanden  und  dementsprechend  hätten 
sie  diese  im  Erledigungsfalle  dem  Dr.  phil.  et  med.  Stephanus 
Dominicus  übertragen,  während  sich  diese  der  Hofsekretär 
Gabriel  Dopperich  angemaßt  habe;  übrigens  könne  letzterer 
eine  Professur  oder  Lektur  nicht  erhalten,  weil  er  an  der 
Universität  weder  graduiert  noch  immatrikuliert  sei.  Sie 
bitten  deshalb,  dem  Dr.  Stephanus  Dominicus  zu  seinem 
Recht   und   seinen   Gebührnissen   zu   verhelfen. 

Den   IS.  Dezember   1620. 

Gen.  -  Rez.    Mainz. 
Hochwürdigster   Ertzbischove! 

Waß  ahn  unnß  dieser  tage  Stephanus  Dominicus  philosophiae 
unnd  Medicinae  Doctor  schrifftlich  supplicando  gelangen  laßen, 
daßelb  haben  E.  Churf.  Gnaden  auß  der  Beilagh  mit  mehrerni 
gnädigst  zue  vernehmen. 

Nuhn  ist  ni!  ohn,  dal.'»  uff  absterben  Magistri  Gerhardi  holt- 
mans  su  nach  Dr.  Bürgers  thodl  seeligen  die  vom  supplicanten 
angedeute  Lecturam  Historicam  anno  1617  den  16.  Septembris 
von  unnß  empfangen,  wie  ihme  Doctori  Dominico  hernachmals  er- 
wciiic  Lcctnr  all.)  wieder  Vacirenl  den  28.  Novembris  abgewichenen 
Sechßzehenhnndert    Achtzehenten    ihars    einhelliidieh    conferiiet. 


Die  «Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  151 

darab  er  vom  herrn  Siegler  seithero  daß  hörlich  Gell  nhie  nil  be 
kohmen,  Sondern  hingegen  in  Craffl  eines  von  E.  Churf.  Gnaden 
ahn  vorigen  herrn  Sieglern  Joannem  de  Colonia  sul>  dato  den 
12.  Decembris  ermeltes  Secbßzehenhunderi  A.chtzehenten  Jahrs 
abgangenen  Schreibens  unnd  darin  begriffener  Collatur  sich  deßen 
dero  hoffsecretarius  Gabriel  Dopperich  angemaßel  annd  noch  an- 
maßen thuet. 

Dieweill  aber  in  unsern  statutis18  außdrücklich  vorsehen 
unnd  bißhero  bey  der  Universitet  so  gehalten  worden,  daß  nie- 
mand! einige  lectur  oder  Profeßur  haben  soll«'  noch  möge,  welcher 
zuvhor  der  Universitet  nit  Immatriculirl  unnd  in  einer  Facultet 
graduirt  ist.  Also  kan  ermelter  secretarius,  so  weder  graduiri  noch 
immatriculirt,  dieser  lectur  zuemahl   nil   fehigh  sein. 

Zw  deine  vermögen  auch  die  statuta,  wie  E.  Churf.  Gnaden 
auß  beygefüegtem  extraet19  gnedigst  zuesehen.  daß  Rector  unnd 
Universitel  diese  lectur  iederzeit  conferiren  sollen,  gestalt  bißhero 
ihe  und  allewegh  beschehen.  Sinthemahl  dan  nuhn  solche  Lectur 
nhie  nit  vaciret  (wie  E.  Churf.  Gnaden  zwahr  anders!  berichtet 
worden),  sondern  nach  absterben  D.  Bürgers  dieselbe  alßbaldten 
Dr.  Holtman  und  nach  solchem  ietzigem  supplicanten  conferiret 
gewesen,  dabey  auch  den  statutis  unnd  observantiae  nachgesehen 
worden. 

Also  verhoffen  wir  derohalben  unnderthenigst  E.  Churf. 
Gnaden  deme  unnd  den  statutis  ichtwas  zuewieder  nichl  be 
schehen,  sondern  vielmehr  unnß  wie  bißhero  also  furohin  bey 
solchem  herbrachten  Jure  conferendi  verpleiben,  die  Statuta  in 
vätterlichen  Gnaden  handthaben  unnd  obangeregteni  supplicanten 
seiiL  gebühr  sambt  deme  ausstandt  hiefuhro  von  dero  ietz  ver- 
ordtnetem    herrn    Sieglern    gnedigst     vergnüegen     unnd     liefferen 


1S  In  den  Akten  der  Generalrezeptur  finden  sich  die  Stellen  der 
Statuten,  die  für  diese  Erklärung  in  Betracht  kommen,  in  doppelter,  tiichl 
ganz   gleichlautender  Ausfertigung;   die   Varianten   sind   eingeklammert: 

Extractus  Statutorum  Almae  Universitatis  Mogun.  Ex  Rubrica.  De 
Matricula.  Statuimus  et  ordinamus,  ul  (omnes)  qui  de  Corpore  Universitatis 
Mogun.  censeri  ei  reputari  volunt,  in  Matriculam  se  inscribi  Eaciant,  alias 
enim  cos  (nee  privilegijs  Universitatis  praedietae  gaudere)  nee  ad  aliquam 
professionum   maxime,   ut   in   Ulis   legant,   reeipi   volumus. 

Ex    Rubrica.      De   Lecturis:    Statuimus    praeterea    et    ordinamus,    ul 
riullus     Doctorum,     (Licentiatorum,     Magistrorum,     aul     cuiusque    alterius 
sialus)    in    ali«|ua    professione    seu    facultate    legere,    exercere,    aul    di 
taro   praesumat,    nisi    prius    Universität!    nostrae   sil    immatriculatus   ei 

c-.in  Eacultatem,  in  qua   legere  intendit,  sil   reeeptus  et)  a   Red lenique 

licentiam  obtinuerit.   -  -  Auf  der  Rückseite  des  einen   Auszuges  steht    L620 
10.    Dezember, 

19  Ebenda;  die  Stelle,  die  hier  in   Betrachl   k ml.   hat   in  der 

Eührlicheren   Form   folgenden   Wortlaut: 

Ex  Statutis  Collegii  Schenekenbergl]  sub.  Tit.  De  Lectionibus:  His 
superesl  lectio  Historica,  quam  piae  memoriae  Vir  Dominus  Ivo  Witi 
gis.  .Iiiriuie  Doctor  et  Juris  Canonici  Ordinarius  atque  sigillifer,  sua  muni 
Eicentia  instituit;  (ea  alternis  octennis  annis  utrique  gymnasio  per  vices 
cedit  ;J  quod  si  professor  historicus  (intra  octennij  spatium)  lectionem  re 
bignaverit,  Universitatis  (neu  Eacultatis)  est.  alium  ex  eadem  domo  sufficere. 


152  Heinrich  Schrohe. 

werden  laßen.  Solches  gereicht  zue  handthabungh  der  Universitel 
Jura  unnd  Slalula  unnd  wir  seint  es  hienwider  umb  E.  Churf. 
Gnaden  zu  verdienen  wie  ohne  daß  Pflichtschuldigh  also  willigh. 
Dieselbe  damit  Göttlichem  Gnadenreichem  Schul/,  trewlichst 
dero  aber  mini.)  zu  bestendigen  Churfürstlichen  Gnaden  under- 
thenigst   gehorsambst  empfehlen). 

Datum   den   IS.    Decembris    1620. 

E.  Churf.  Gnaden  underthenigst  gehorsambste 

Rector  unnd  Universitet  in  Meintz. 

Rückseite:  Copia  Schreibens  ad  Reverendissimum  Archiepiscopuin 
Moguntmuni      (1620  IS.  Dec.) 

XXI. 

Dr.  Kaspar  Beußer20  bittet  den  Kurfürsten  Georg  Friedrich, 
ihm  die  erledigte  Lectura  Juris  civilis  zu  übertragen.  Diese 
Bitte  sprach  er  unlängst  aus,  als  Dr.  Valentiims  Amandus 
Bleydenstatt21  von  gefährlicher  Leibesschwachheit  ergriffen 
wurde;  jetzt,  da  Dr.  Bleidenstatt  in  verflossener  Nacht  ver- 
starb, wiederholt  er  sie. 

Mainz,   den  MO.   Juni   1628.         Mainz.   Stadtbibl.   Univers.  No.   108. 

Hochwürdigster  Churfürst,  E.  Churf.  Gnaden  Seyen  meine 
Underthenigst  getreuwilligste  dinst  in  schuldigstem  gehorsam!) 
jederzeit   bereit    zuvorahn. 

Gnedigster  Herr! 

E.  Churf.  Gnaden  möegen  sich  ahnnoch  gnedigst  erinneren, 
wal.i  ahn  Dieselben  Ich  ohnlängsthin,  all.)  damahlß  herr  Dr.  Va- 
lentinus  Amandus  Bleydenstatt.  in  gefährlicher  leihsschwacheit 
begriffen  geweßen,  Seiner  bey  alhiesiger  Universität  habendter 
Lecturen  Juris  Civilis  halben  da  selbige  uff  deßen  begebendten 
töttlichen  abgangh  vacirent  werden  soltte,  in  underthenigster  Pitt 
i^elan^en  lal.'en,  YYan  nuhn  ehr  Dr.  Bleydenstatt,  maßen  Ich  bericht 
bin,  in  verwichener  Nacht  Sein  leben  geändet,  deine  der  Almechtig 
liebe  Gott  vätterlich  gnaden  undt  barmhertzigh  sein  wolle,  und 
also  deßelben  Lectura  .Iuris  nuhnmehr  E.  Churf.  Gnaden  lediglich 
ahnheimb  gefallen  ist,  So  will  meine  dabefohr  abgangene  demüh- 
tigste  Till,  weßen  auch  dabeneben  gegen  E.  Churf.  Gnaden  unndt 
dero  herrn  Cantzlern  mich  gehorsambst  erpietig  gemacht,  noch- 
mahLß  underthenigst  wiederholt  haben,  lebe  daruff  dero  getrösten 
Zuversicht,  wo  solche  lectur  von  E.  Churf.  Gnaden  ettwan  noch 
zur  /eil!  ohnbegeben  sein  sohle,  Sie  werden  damit  meine  wenige 
Persohn  vor  anderen  gnedigsl  nilf  ohnbedachl  laßen,  midi  thue 
hierunihe  E.  Churf.  Gnaden  der  l ! ot I liehen  obachl  zue  beständiger 
guetter  leibß  vermöglighheil  lan^wehrendter  Churf.  Degierungh 
undt  allem  erwünschten  wohlstandt,  dero  aber  mich  zue  ge- 
trewisten  immermöglichsten  schuldtpfli* ddigslen  dienslen  gantz 
underthenigst  empfhelen.   Geben  Meintz  den  30.  Junij  Anno  1G28. 

Ew.  Churf.  Gnaden 
Underthenigster   und   gehorsanibster  diehner 
( laspar  Beusser  Dr. 

20  Vergl.   Beilage   No.    IX,   X.    XVI,   XVIII   u.   XXIV. 
-•'   Knodl    a.   a.  <>..  S.  88. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  153 

Rückseite:   Dem    Hochwürdigsten    Fürsten    undt   Herrn    Herrn   Geöj 
Fridericheri    Ertzbischoven    zue    Meintz    deß    hayligen    Römischen    Reichs 
durch  Germanien  Ertzcantzlern   undt   Churfürsten,   Bischoven  zue  Wbrmbs, 
Meinem  Gnedigsten  Herrn.     Von  anderer   Hand:   Dr.   Beusser.     Praesentirl 
Meintz  den  1.  Julij   1628. 

XXII. 

Dr.  Lubentius  Pfingsthorn22,  dem  Aussicht  auf  eine  Richter- 
stelle oder  au'f  ein  Assessorat  bei  dem  kurfürstlichen  Hof- 
gericht eröffnet  worden  ist,  bittet  den  Kurfürsten  Georg 
Friedrich,  ihm  die  Professur  zu  verleihen,  die  durch  den 
Tod  des  Dr.  iur.  Bleidenstatt  in  der  juristischen  Fak»ltä1  er- 
ledigt ist. 

(Den   8.   Juli    1628.) 

Gen. -Rez.    Mainz. 

Hochwürdigster    Churfursl,    Gnädigster    Herr.     Ew.     Churf. 
Gnaden  haben  sich  ohn  Zweiffell  noch  gnädigsl  zu  entsinnen,  waß 
maßen  Ew.  Churf.  Gnaden  (alß  ich  vor  etlichenn   monathen  umb 
ein  guete   wilfarige   gnädigste   befurderungh,   da   inßkünfftigh    bei 
einem  weltlichen  Stattgericht  durch  eines  thodtlichen  abgangh  ein 
Richterstelle    oder    hei    einem    löblichen    Churf.    Hoffgericht    ein 
Assessorat  erlediget  solte   werden,    mir   zu   erweißenn    in    iinder- 
thenigst  supplicando  hab  angehalten)   die   gnädigste  vertröstungh 
gethann,  meiner  inßkünfftigh  auf  begebende  gelegenheil  in  Gnaden 
eingedenkh  undt  behülfflich  zu  sein.    Dieweil  sich  nun  nach  dem 
willen  Gottes  begebenn  undt  zugedragenn  hall,  daß  der  Ehrnvest 
undl  hochgelehrt  her  Pleienstatt  der  Rechten  doctor  undt  in  Eacul- 
tafe  .luridica  alhie  zue  Maintz  geweßener  Professor  iuris  Ordinarius 
kurtz  verrückter   tagen    thodts   verfahronn    und    auß   dießern    zer- 
genghlichen    leben    in    Godt   verschiedenn    ist,    deßen    SebJ    Gott 
gnädigh  undt  harmhertzigh  sein  wolle,  also  daß  solche  professur 
Ihunmehr  erledigt  undl  dan  Ew.  Churf.  Gnaden  ahn  deß  im   hörn 
enisi  hlaffenen  Doctoris  Pleienstadten  statt  ein  andere  qualificirte 
Persohn  zu  verordtnenn  gnädigst  bedacht  ist,  Wan  dan  ich  solchen 
ohangeregten   erledigten    di<Misl    undl    professur    vermittelß    Gött- 
licher Gnaden  getreulich  zu  versehen  getraue,  auch  nichts  liebers 
wünschen   mögt,   alß   daß   von    Ew.   Churf.   Gnaden    ich   zu   solcher 
erledigter  professur  gnädigsl  jkonie  befürdert  werdenn,  In  sonderer 
helrachlungh,  daß  ich   mein    übrige   hoffnungb   lebens   (so   ich   in 
sludijs  et  praxi  geselzl   halt)  ander  Ew.  Churf.  Gnaden  protection 
schul/,  und  schirm  woll  zubringenn  undl  meiner  bißhero  in  sludijs 
gehabter  muhen   undl   angewandlenn    Heiß  einigen    nutzen   spui 
und  befinden  mögt.     So  glangt   undl   ist  ahn   Ew.  Churf.  Gnaden 
mein  underthenigst  gehorsambste  bitten  undl  begehrenn,  Dieselbige 
frühen   mich  (\a-  gnädigsten   vertröstungh   nach   in   Gnaden   ietz 
zu   bedencken    undt    ahn    deß    im    hernn    entschlafenen    Doctoris 
rleienstatl  geweßenen  in  faculiaie  juridica  alhie  zu   Maintz  Juris 
l'rofessoris  ordinarij  erledigte  Stelle  für  anderen  exspeetanten  zu 
genuß  deßelben  mich  khommen,  auch  mich  darzue  auf    undl  ahn 

23  Vergl.  Beilage   No.   XXVI. 


154  Heinrich  Schrohe. 

zunehmen  gnädigst  ahnordtnen  laßen,  wil  ich  demselben  getreu- 
lich vermittels  Göttlich  Gnaden  also  abwartenn  und!  mich  so  ge- 
fließenn  verhalten,  daß  Ew.  Churf.  Gnaden  andt  sonsten  menigh- 
lich  verhoffentlich  werden  darab  ein  Gnädigst  gunstigen  undt 
freundtlichenn  wolgefallenn  haben  undt  dem  gemeinen  Vatter- 
landt  zu  nutz  undt  meines  Nechsten  wolfhart  geraichen  soll. 
Solches  umb  Ew.  Churf.  Gnaden  bin  ich  mit  underthenigsten  ge- 
horsambstenn  dienstenn  zu  verdienen  willigst  Damit  Ew.  Churf. 
Gnaden  Göttlicher  protection  zre  langhwiriger  glücklicher  Re- 
gierungh  emphelendt 

Ew.  Churf.  Gnaden 

Underthenigster 

Lubentius  Pfingsthornn  Dr. 

Rückseite :  Ahn  den  Hochwurdigsten  Fürsten  und  Herrn  Herrn  Georgh 
Friderichen  deß  heiligen  Stuelß  zu  Maintz  Ertzbischoffen,  deß  heiligen 
Römischen  Reichs  durch  Germanien  Ertz-Cantzelern  undt  Churfürsten, 
Bischoffen  zue  Wormtß,  Meinem  Gnädigsten  Furstenn  undt  herrn.  Undor- 
thenigste  supplication.  Lubentij  Pfingsthornn  Dr.  Von  anderer  Hand: 
1628  8.  Juli. 

XXIII. 

Dr.  Johann  Adam  Krebs23  bittet  den  Kurfürsten,  ihm  die  Pro- 
fessur zu  verleihen,  die  in  der  juristischen  Fakultät  durch 
den  Tod  des  Dr.  Andreas  von  Jossen  frei  wurde.  Krebs 
weist  zu  seiner  Empfehlung  n.  a.  darauf  hin,  daß  er  während 
des  Exils  (=  schwedische  Besetzung  der  Stadt  Mainz)  an 
seinem  Aufenthaltsort  mit  Zustimmung  der  juristischen  Fa- 
kultät ein  Privatkolleg  gehalten  habe  und  gleiches  für  den 
kommenden   Winter   seines   Unterhaltes   wegen    plane. 

(Den   7.   November   1635.) 

Gen.-Rez.    Mainz. 

Hochwurdigster  Ertzbischove  undt  Churfurst.  E.  Churf. 
Gnaden  seyen  meine  underthänigst  gehorsambste  dienst  ver- 
pflichtem  eußerstem  vermögen  undt  debuoir  nach  bereit  vor. 
Gnädigster  Herr! 

Waß  moßen  E.  Churf. Gnaden  professuren  eine  zu  Meintz  durch 
abieben  Dr.  Andreae  Jossen  vacirendt  worden  undi  deroselben  gnä- 
digstem belieben  nach  wiederum!)  zu  ersetzen  ist,  deßen  werden 
K.  Churf.  Gnaden  zweiffelß  ohne  annoch  gnädigster  erinnerung 
sein.  Wan  ich  dan,  gnädigster  Churf.  undt  herr,  nach  vollenden 
vieljahrigen  Juridischen  Studijs  undt  angenohmenem  gradu  Doc- 
toratus  Zeil  wehrendes  unseres  exilij  mit  consens  Juridicae  facul- 
tatis  dieser-  (»riß  ein  collegium  privatum  ein  Zeitlang  gehalten, 
auch  noch  femers  dießen  winter  über  (im  fall  der  Allmechlige 
unsere  reslihilion  prolongiren  werde)  derogleiche  collegia  zu 
notwendigem  meinem  underhalt  anzufangen  undt  zu  volfuhren 
mich  (Belibts  Gott)  zu  undernehmen  gedonckhe  dergestalt, 
daß  im  fall  schier  oder  morgen  durch  E.  Churf.  Gnaden  gnädigstes 
Verordnung    daß    Studium    Juridicum    in    flohr    undt    öffentliche 

-■■  Vergl.  Beilage   No.   KXVII. 


Die  .Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  155 

Übung  in  deroselben  Churf.  haubt-  undl  residentz-Statt  Meint/, 
solle  gebrachl  werden  die  gesagte  ledige  professurstell  (ohne 
ruhin  zu  melden)  nicht  allein  der  gebühr  uudt  erforderter 
schuldichkheit  nach  zu  verdrehten  mihr  wohl  getrauete,  sondern 
uff  solche  begabenheit  nach  derogleiche  professur  auch  so  viel 
doh  iner  gehorsam  1  is I   anhalten  wölte. 

Also  habe  die  underthänigst  flehentlichster  pitt,  mich  bey  Ew. 
Churf.  önaden" hiermit  gebrauchen  wollen,  daß  dieselbe  mit  an- 
geregter  professur  stelle  mich  zu  begnädigen  undl  mihr  seihe  vor 
andern  anzuvertrawen  gnädigst  geruheten. 

Welches  umlt  E.  Churf.  Gnaden  mit  gebührendem  fleißigsten 
obacht  bey  offtgesagter  professur  undt  sonsten  mit  schuldigst 
gehorsambslem  ufwarten  eußerstem  Vermögen  nach  zu  verdienen 
mich  underthänigst.  befleißen  werde;  Gott  den  Allerhöchsten 
pittent,  daß  Er  E.  Churf.  Gnaden  langwierige  gude  leibßfristung 
verleihen  undt  deroselben  Churf.  regierung  also  vatterlich  segnen 
wolle,  dahniit  dehro  Ertzstifft  undt  daß  Röhm.  Reich  irißgemein 
anieezo,  schier  künfftig  aber  die  posteritet  deßen  sich  zu  er- 
freuen möge  haben. 

E.    Churf.   Gnaden 
Underthänigst  gehorsambster  Diener 
Johan  Adam  Krebß  Dr. 

Rückseite:  Pitt  underthenigst  umb  die  durch  abieben  Doctoris  An- 
dreae   Jossen   verledigte    Professur    Stelle. 

Von  anderer  Hand:  1635  7.  Novembris.  Underthanigste  supplication 
Dr.   Jo.    Adami    Krebs.    Praesentirt   Cöln,   den   7.   Novembis   1635. 

Bemerkung  des  Kurfürsten:  Fiat,  ut  petitur;  Anseimus  Casimirus 
Airbiepiscopus. 

XXIV. 

Ör.  iur.  utr.  Karl  Faber24  richtet  an  den  Rektor  Dr.  theol. 
N.  Broich  und  an  die  Universität  die  Bitte,  ihm  die  Professur 
der  Geschichte,  die  durch  den  Tod  Kaspar  Beußers  erledigl 

sei,    zu    übertragen. 

Den  16.  September  1637. 

Mainz.  Stadtbibl.  ünivers.  No.   L08. 

Reverende  et  Eximie  almae  Universitatis  Moguntinae  Rector 
Magnifice,  sacrosanctae  Theologiae  Doctor  profundissime,  Domine 
colendissime. 

Reverendae  Magnificentiae  Vestrae  absque  dubio  innotescil 
qualiter  ab  obitu  quondam  Clarissimi  et  Consultissimi  viri  Domini 
Caspari  Beussers  professura  eiusdem  Historiarum  Reverendae 
Magnificentiae  Vestrae  almaeque  universilati  Moguntinae  confe 
renda  cesserit. 


2i  Bald  nach  dem  Tode  des  Dr.  iur.  Dionysius  Campius  erhiell  Karl 
Faber  dessen  erledigte  Stelle  an  dem  kurfürstlichen  Vikariats-  u.  Proto 
hotariatsgerichte.  Unter  dem  16.  Oktober  H',11  (Datum  Mainz)  befiehl! 
der  Kurfürst  Anselm  Casimir  dem  Provicar  in  spiritualibus  Dr.  Fi 
fcrach,  an  Stelle  des  abwesenden  Vikars  in  spiritualibus  Dr.  Karl  Faber 
in  Pflichl  zu  nehmen  und  an  genannten  Gerichten  zu  installieren.  Akten 
der  Generalrezeptur. 


150  Heinrich  Schrohe. 

[taque  cum  nemo  sit  qui  in  praefata  universitäte  ean- 
dem  hactenus  expetierit,  haud  iniqua  spe  fretus  reor  eos 
qui  quorumve  parentes  erga  hanc  almam  universitatem  Mo- 
guntinara  bene  meriti  fuenuit  prae  aliis  bravio  quodam  sive 
honore  condecorandos  f-ore.  Eapropter  summis  quam  possum 
precibus  contemlo,  Reverenda  Magnificentia  Vestra  atque  alma 
haec  universitas  Moguntina  nie  eodem  honore  et  professura 
honorare  sive  conferre  non   dedignetur. 

Quod  cum  summa  gratitudine  animi  tum  omni  genere  huniani- 
talis  et  officij  erga  Reverendam  Magnificentiam  Vestram  adeo- 
que  totam  universitatem  Moguntinam  promereri  conabor,  Re- 
verendae  Magnificentiae  Vestrae  animi  declarationem  desuper  sub- 
misse  expectans    16.    Septembris    Anno    1637. 

Reverendae  Magnificentiae  Vestrae  ad  obsequia  paratissimus. 

Carolus  Faber  J.  U.  Dr. 

Rückseite:  Reverendo  et  Eximo  viro  Domino  N.  Broich25  almae  uni- 
versitatis  Moguntinae  Rectori  Magnifico,  S.  S.ae  Theologiae  üoctori  pro- 
fund issimo  nee,  non  collegiatae  Ecclesiae  ad  S.  Petrum  Moguntiae  Cano- 
nico  Capitulari  dignissimo,  Dno  suo  colendissimo. 

Von  anderer  Hand :  Carolus  Faber  supplicat,  ut  ipsi  Professura 
lüstoriarum  conferatur  a.   1G37. 

XXV. 

Kurfürst  Anselm  Kasimir  ersucht  Rektor  und  Universität 
den  Dr.  theol.  Johann  Jakob  Völcker25a  mit  dem  Universitäts- 
Kanonikate  zu  providieren,  das  an  dem  Liebfrauenstift  durch 
den  Tod  Dr.  Sebastian  Stechmanns  seit  längerem  er- 
ledigt ist. 

Mainz,  den  12.  Januar  1G39. 

Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Anselm  Casimir  von  Gottes  gnaden  Ertzbischove  zu  Maintz 
und  Churfurst. 

Unsern  grüß  zuvor.  Ersame  undt  hochgelährter  Liebe  An- 
dechtige  und  getrewe.  Bey  unß  hatt  sich  der  auch  Ersame 
und  hochgelährte  Johann  Jacob  Völckher  S.  S.  Theologiae  Doctor 
umloiiliiMiigsl,  angeineldt  und  ihme  zu  deine  durch  tödtliches 
ableiben  weylandt  Doctoris  Sebastiani  Stechmans  Unßers  Stieffts 
Divae  Virginis  ad  Gradus  alhie  selig  vacirendein  Canonicat  durch 
mittel  Unßerer  intercession  gnädtigst  zu  verhelften  gantz  in- 
stendigst  gebetten. 

Ann  haben  Wir  unß  zwar  gnedtiglich  erindert,  welcher- 
gestalt  in  Anno  1635  auß  da  zumahl  von  ermeltem  Unßern  Stifft 
cieglcn  und  erheblichen  Ursachen  wir  Euch  gnedtiglich  dahin 
vermahnet,  daß  Ihr  mit  Ewerer  riomination  ad  vacantem  Prae- 
bendam  üniversitatis  einhalten  und  ad  tempus  damit  supersediren, 
Euch  aber  dabeneben  versichert  halten,  daß  solches  zu  keinem 
praeindilio  inlJkünfftig  außgedeutet  werden  solte,  inmaßen  dan 
wir  auch  gern  vernehmen,  daß  dem  Stifft  zu  guetem  solche  da 
zu  mahl  einge williget    worden    ist;   Diewcil   Wir  nun   gleichsamb 

25  Knodt,  a.  a.  0.,  S.  94,  96,  u.  101.  —  -:':|  Vergl.  auch  Beil.  No.  XXVI. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  15' 

bey  unß  gnedtiglich  erwegen,  daß  eine  geraume  Zeil  verfloßen 
ist,  daß  solches  Canonicat  vacirendl  verblieben  und  der  ietzige 
Supplicant  alß  ein  originarius  dießer  ohrten  seine  Studia  Philo- 
sophica  und  Theologica  alsoweit  volnführt,  daß  er  sich  nach 
verfließung  Siebenjähriger  Zeit  in  collegio  Germanico  zu  Rom 
mit  höchstem  Lob  und  Preyß  in  Magistrum  Philosojdiiae.  hernechsl 
aber  in  Doctorein  S.  S.  Theologiae  zu  Peius  promoviren  laßen, 
unß  auch  seiner-herrlichen  vortrefflichen  qualiteten  halben  von  ver 
schiedenen  Cardinal  und  andern  also  hoch  gerumbl  nnd  ge- 
nießen werden,  welche  sich  an  ietzo  in  der  thadt  also  erweiß- 
lichen  befinden,  daß  wir  ihnen  zu  seinem  vorhabenten  intent 
und  zu  erlangung  deren  bey  Unßerm  Slifft  Stae  Mariae  Virginis 
ad  gradus  noch  ohnbegebenem  Canonicat  desto  lieber  befürderl 
sehen  möchten,  Also  haben  wir  nachgestalt  dießes  subiecti, 
welches  in  Theologica  Facultate  ad  Professuram  habile  et  quali- 
ficatum,  nit  underlaßen  wollen.  Euch  solches  hiemit  bestermaßen 
recommendiren,  Euch  dabeneben  gnedtigst  ersuchent,  ermelten 
Völckher  auß  denen  oberzehlten  Ursachen  damit  zu  providiren 
nit  zweiffelendt,  unßer  Stifft  ad  gradus  sich  seiner  persohn  her 
nechst  in  vielfältigen  occasionibus  nutzlichen  zu  bedienen  wißen 
wurdt  und  nechst  deine  eine  solche  willfährige  erklährung  unß 
zu  sonderbahrem  gnedigsten  gefallen  gereicht,  So  wollen  wir 
es  auch  gegen  Euch  hinwider  in  gnaden  erkennen,  damit  wir  Euch 
obnedaß  sambt  und  sonders  Avohl  gewogen  verbleiben.  Datum 
zu  St.  Martinsburg  in  Tnserer  Statt  Mäintz,  den  12.  Januarij 
Anno   1639. 

Anseimus   Casimirus  Archiepiscopus  Moguntinus. 

i  Eigenhändige  Unterschrift.) 
Rückseite:  Den  Ersamen  und  Hochglährten  Unsern  Lieben  Andech- 
tigeu  und  Getrewen  Rectorn  Dechant  und  Doctorn  unserer  Dniversitet  in 
loserer  Statt  Mäintz.  Prd.  (Produciert  ?)  den  17.  Januarij  Anno  L639. 
Von  anderer  Hand:  Littera  Electoris  Anselini  Casimiri  quibus  Joannes 
•lue  Völcker  Theol.  Dr.  ad  Professuram  et  Canonicatum  ad  gradus  B.  V. 
per  tempus  vacantem   commendetur  d.   d.    12.   Jan.    L639. 

XXVI. 

Beschluß  der  Universität   in  der  Streitsache   des    Dr.   med. 
Harlliel)  mit  Dr.  Hohetastatt  wegen   Zulassung  des  letzl-rm 
zur  medizinischen  Fakultät.26    Hohenstatl  wird  für  ein  rieh 
Iges  Mitglied  der  Fakultät  erklärt,  doch  werden  ihm,  damit 
er  aller  Universitätsprivilegien  teilhaftig  wird,  genannte  Ver 

pflichtungen  auferlegt. 

(Don  16.   Dezember)   Dilti. 

Gen,-Rez.     Mainz. 

Demnach  zwischen  herrn  Justo   Hartlieb   midi    herrn   Johan 
Martin  Hohenstatt,  beeden  der  Artzney  Doctorn,  sich  wegen  ietz 

26  Ober  diese   beiden   Professoren  der  Medizin  sowie  über  Professor 
Simon  Jung   vergl     Beilage   No.    XXVIII,   ferner   Knodt,   a.   a.   0.,   S.    L02 
103,  106  u.  100;  über  den   Rektor  von  Andlau   Knodt,  a.  a.  0.,  S.    L00 


158  Heinrich  Schrohe. 

berührten  herrn  Hohenstatts  admission  ad  facultatem  Medicarn 
ein  zeithero  etliche  strittigkeiten  erhalten,  auch  deßwegen  Ihro 
Churfürst.  Gnaden  Anselm  Casimir  hochseligsten  andenckens. 
dem  hochwurdig  wohl  Edelgeborn  herrn  Johan  Ulrich  von  And- 
law  deß  hohen  Ertz-  undt  Dohmstieffts  Maintz  Dohmbsengern  etc. 
derozeit  dieser  löblichen  Universität  Rectorn  gnedigst  anbefohlen, 
diese  strittigkeit,  befindenen  (sie)  dingen  nach  in  der  gutte  zu 
componiren  undt  vergleichen,  Also  haben  hochgedachte  ihro 
Gnaden  dem  Edlen  undt  hochgelehrten  herrn  Lubentio  Pfingst- 
horn,  der  rechten  doctorn  gnedigst  committirt,  daß  mit  zuzihung 
gesambten  Assessorn  dieser  Universitet  alß  herrn  Johan  Jacob 
Völckern  S.  S.  Theol.  Doctorn,  herrn  Frantz  Philips  Beussern,  der 
rechten  Licentiaten,  herrn  Julian  Jacob  Oppenheimern  undt  herrn 
Johan  Adam  Pfeffern,  beede  der  rechten  Doctorn,  herrn  Simon 
Jungen  undt  herrn  Georg  Blum,  beede  der  Medicin  Doctorn,  undt 
herrn  Magistri  Hausen  diese  sach  furnehmen,  beede  partheyen 
Vorbescheiden,  dieselbe  ihrer  notturfft  nach  anhören  undt  dahin 
trachten  undt  sehen  sollen,  wie  vermög  obengeregtes  gnedigstes 
Churf.  befelchs  diese  Differentien  ohn  andere  weitleuffigkeit  hin- 
zulegen sein  mögten,  deine  dan  zu  gehorsamen  volg  Montag  den 
16.  Decembris  vermelte  herrn  sambt  beeden  eingangs  gedachten 
herrn  Medicis  zusammen  kommen  undt  nach  genugsanier  ari- 
hörung  eines  undt  andern  theilß  vor-  undt  anbringen,  endtlichen 
die  sach  dahin  componirt  undt  verglichen,  daß  weilen  facultas 
Medica  vor  2  Jahren  die  admissionsgelter  von  herrn  Dr.  Hohen- 
statt  empfangen,  zugleich  ihnen  das  gewohnliche  juramentum 
praestiren  laßen,  also  wureklich  ad  facultatem  uff-  undt  an- 
genohmen,  wie  dan  auch  derselbe  etzliche  actus  faetae  admissionis 
exercirt,  Daß  erwenter  herr  Dr.  Hohenstatt  auß  diesen  undt  andern 
mehr  fürbrachten  motiven  undt  Ursachen  von  zeit  an  er  solches 
juramentum  abgelegt  pro  vero  facultatis  membro  zu  achten  undt 
halten  seye,  auch  gleich  andern  aller  Universitets  Privilegien  im- 
1 1 «uniteten  undt  befreyungen  zu  gaudiren  undt  zu  genießen  habe 
allein  mit  diesem  anhang,  daß  innerhalb  Jahresfrist  die  gewöhn- 
liche repetition  verrichten  oder  anstatt  derselben  uf  begebene 
gelegenheit  einem  candidato  praesidiren  solle.  Also  reeiproce 
hierzwischen  und  hinfüro  alle  differentien  und  strittigkeiten  hie- 
inii  uffgehoben  amicabiliter  et  fideliter  den  patienten  zu  trost  zu 
begebenten  occasionibus  invicem  consultiren  undt  beyrähtig  zu 
sein    verglichen    und    beschloßen    worden. 

Joannes  Hoeglein 
Syndicus   Universitatis   Mogunt.   in   fidem. 

Rückseite:   Onus  ab  Andlo  Rector  Universitatis  fuit   Anne  1646. 
\im:    anderer    Hand:    Conclusum    Universitatis    Moguntinae   ex   parle 
Doctoris    Hohenstadt    contra    Doctorem  Hartlieb    1646. 


über   Lubentius   Pfingsthorn   Beilage  No.   XXII;  über  Oppenheimer  Knodt, 

a.  a,    C,  S.    KU  ;   üher  Ücusscr  elicmla,  S.   104;  über  Pfeffer  ebenda, S.  103; 
über  Volckei    licilaue   No.    XXV. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  159 

XXVI I. 

Kurfürst  Anselm  Kasimir  teil!  der  Juristenfakultäl  mit,  daß 
er  L635  seinem  Hat,  dem  Dr.  iur.  Johann  Adam  Krebs27,  die 
erledigte  Professur  des  Dr.  Andreas  von  Jossen  übertragen 
habe;  darum  befiehlt  er,  daß  dieser  baldigst  dazu  präsen- 
tiert  würde. 

Mainz,   den  47.   September   1647. 

Gen.-Rez.    Mainz. 
Anselm    Casimir 

l Usern  gmes  zuvor.  Ersamb  und  hochgelerte  liebe  an- 
lächtig  und  getrewe.  Demnach  wir  dem  auch  Ersamb  hochge- 
lerten  Unserm  Rath  und  lieben  getrewen  Johann  Adam  Krebßen 
der  Rechten  Dr.  im  Jahr  1635  diejenige  professurstelle,  die 
durch  absterben  weylandt  Dr.  Andreae  von  Jossen  bey  unserer 
Iuris ten-Facultet  alhie  dahmahlen  vacirendl  worden  gnedigst  con- 
ferirt  und!  dahero  gern  sehen  theten,  daß  derselbe  ehist  hierzue 
|raesentirt  undt  vorgestelt  werde,  zumahlen  Kr  sich  bei  jiinusl 
vorgegangener  praesidirung  hierzu  genugsamb  qualificirl  gemachl 
hat,  also  befehlen  wir  hiemit  gnedigst,  Ihr  wollet  gedachten 
Unsern  Rath  auf-  und  annehmen  undt  unserer  Eacultet  an  obged. 
Dr.  Jossen  see.  blaz  dem  herkommen  genieß  praesentiren,  daran 
erstattet  ihr  Dnsern  gnedigst  befehlenden  willen  und  bleiben 
euch  benebens  zue  gnaden  wol  gewogen.  Datum  zue  S.  Martins- 
burg  in  unser  Statt  Mainz  den    17.  septembris   1647. 

Adresse:  Ahn   die  Juristenfacultel   alhie.     Zu  Beginn  des  Schreibens 
oben   links:   Cron. 

XXVIII. 

Die  medizinische  Fakultät  erklärt  dem  Kurfürsten  ihr:1  Be- 
reil Willigkeit,  sieb  bei  dem  jetzt  eingetretenen  Frieden  in 
den  Dienst  der  studierenden  Jugend  zu  stellen,  und  bittet 
deshalb  um  ein  jährliches  Stipendium-  mil  dessen  Einrich- 
tung wünscht  sie  den  Domdechanten  und  Statthalter  betraut. 

(Den   21.   Februar   1661.) 

GerL-Rez.     Mainz. 

Hochwürdigster  Ertzbischoff  und  Chtirfürsl.  (inedigster  Herrl 
Ewer  Churf ürs Hiebe  (inaden  werden  zweiffelsfrey  gnedigstes  wissen 
fragen,  was  ^eslall  ahnnoch  knrl/.  vor  dem  letzthin  im  h  Rom. 
Reich  insonderheit  aber  dieser  orthen  ahm  Rhein-  und  Mayn- 
ström  eusserst  gewütenden  Kriegs-  und  Qnweßen  alle  vier  Fakul- 
täten dem  Universitäl  oder  hohen  schul  alhie  zu  Mayntz  also 
ilarunler  auch  die  löbl.  .Mediein  vermittelst  Eleißiger  professuj 
bder  öffentlichen  leßens,  vigore  Churfl.  befehlen  und  Statuten 
ini  flor  geweßen,  aber  neben  vielen  andern  guten  und  nützlichen 
Sachen  viel  iahr  lang  bis  daher  gantz  daniderligen   blieben. 

Wan  aber  dur«di  die  gute  des  Allmächtigen  und  Ew.  Churfl. 
Gnaden   als    Patriae   patris   höchstrühmliche   treweyfferige   coope 

27  Verel.    Beilage    Nb.    XXIV. 


160  Heinrich  Schrohe. 

ration,  hülff  und  sorgfali  wir  nuhnmehr  samptlich  widerumb  in 
ruh  und  frieden  gesetzt  seind,  darinnen  die  gesampte  Studia  zu 
Gottes  Ehr  und  des  Vatterlands  Wohlfahrt  ferner  floriren  und 
liehen  der  Theologia  iurisprudentia  und  Philosophia  auch  das  noth- 
wendige  heylsame  Studium  medicum  vermittelst  fleißiger  professur 
reassumiret  und  wider  ahngestellet  werden  könte,  zumahlen  da 
sich  dieser  Zeit,  in  welcher  sonsten  kein  geringer  defectus  mehrer 
medicorum  zu  spühren,  von  Scholaren  oder  Studenten  meist 
l.indskindern  etzliche  feine  ingenia  ahngeben  und  hierinnen  gern 
die   hülffliche  hand  gebotten  sehen  möchten. 

So  weren  wir  unterschriebene  von  E.  Churfl.  Gnaden  Löbl. 
Universität  ahn  statt  doctoris  jungen  und  doctoris  hartliebs 
Seel.  ernante  zu  professoribus  Medicinae  geneigt  und  erbietig,  zu 
berührtem  Zweck  und  Verlangen  der  studirenden  Jugend  unßere 
von  Gott  verliehene  Talenta  ersprießlich  ahnzuwenden,  in  Ew. 
Churfl.  Gnaden  gnedigstes  gefallen  gehorsambst  stellend,  ob  selbige 
diese  unßere  wohlgemeinte  unterthänigste  offerta  gnedigst  genehm 
halten  und  iimb  ein  billiches  iährliches  Stipendium,  darahn  zwar 
■  las  stifft  S.  Stephan  ein  gewisses  weniges  zu  erledigen  schuldig 
were,  authentisiren,  zu  dem  end  auch,  jedoch  ohne  unßer  maß- 
geben, des  herrn  Dhomdechants  und  Statthalters  Hochwürden  und 
Gnaden  dieses  werck  bester  und  billigster  maßen,  weilen  besagt. 
Stifft  S.  Stephani  unßere r  medicinischen  facultät  ohnedas  noch 
ein  zimliches  im  rest,  das  werck  einzurichten  gnedigste  com- 
mission   ertheilen    wolten. 

Hierüber  Ewer  Churfürstlichen  Gnaden  gnedigste  befehlende 
resolution   und   meinung   unterthänigst   erwartend 
Ew.   Churfl.   Gnaden 
Unterthänigste  trewgehorsambste 

Ludwig  von  Hörnigk 

J.  Martin  Hochstatt 

Joh.   Joachim   Becher 
Medicinae   Doctores. 

Rückseite:  Ahn  Ihre  Churf.  Gnaden  underthänigst  memoriale  der 
Medicinischen   Facultät  doctoren  in  Mayntz. 

Von  anderer  Hand:  Den  21.  Februarii  1661  ist  diese  schritt! 
originaliter  nach  würtzburg  geschickt  und  hiesigem  herrn  Statthaltern 
iintertliäing    recommendiret    worden.28 

Beilage  zu   dem  Aktenstück  XXVIII. 

Über  die  in  dieser  Eingabe  genannten  Professoren  der  Me- 
dizin Simon  Jung  und  Jodoens  Hartlieb  sowie  über  die  drei 
Unterzeichner  der  Urkunde  finden  sich  in  dem  Album  der 
Mainzer   medizinischen    Fakultät   (Mainzer   Stadtbibliothek) 

folgende   Einträge: 
Anno  Domini  1(>17  undecimo  Januarij  receptus  est  ad  facul- 
tatem  Medicam  iuxta  eiusdem  statuta  Simon  .lang  Moguntinus, 

28  Der  liier  erwähnte  Domdechant  und  Statthalter  ist  Johann  von 
Heppenheim,  genannt  von  Saal.  Vergl.  iiher  ihn  Sehrohe,  in  der  Fest- 
schrill   Im    Prälat    Schneider,   S.    141 — 157. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  161 

promotus  Romae  in  Medicinae  Doctorem,  praesentibus  Clarissimis 
et.  Experientissimis  D.D.  Joanne  Georgio  Thein  Decano  el  Joanne 
Nicoiao  Fischero  et  Stephano   Dominico   Brunheymer. 

Anno  Domini  1617  22.  Martij  receptus  c>\  ad  Facultatem 
Medicam  iuxta  eiusdem  Statuta  Jodocus  Hartlieb.29  Bam- 
bergensis,  Ingolstadij  promotus  in  Medicinae  Doctorem,  praesen- 
tibus Clarissimis  et  Expertissimis  Dnis  D.  Joanne  Georgio  Thein 
Decano  Stephano  Dominico  Brunheymero  et  Simone  Jung. 

Ego  Ludovicus  von  Hörnigk,  die  24.  Maij  st.  vet.  L625 
Argentorati  in  Doctorem  Medicinae  legitime  et  solemniter  pro- 
moius  a  Dno  Doctore  Melchiore  Sebitio  seniore  Facultatis,  hodie 
trigesima  Decembris  adeoque  penultima  Anni  1653,  postquam 
clarissimis  Dnis  Doctoribus  Medicae  Facultatis  et  juramento  präe- 
stito  et  aliis  satisfecissem,  ad  dictam  inclytam  Facultatem  sum 
receptus  Decano  venefabili  Nob.  et  Experientissimo  Dno  Doctore 
Johanne  Martino  Hohenstadt  praesentibus  reliquis  duobus  puta 
dno  D.  Simone  Jungio  et  dno  D.  Jodoco  Hartlieb. 

Ego  Joannes  Martinus  Hohenstadt  Ao  1644  23.  .lunij 
promotus  Romae  Medicinae  Doctor  A  Dno  Simone  Jung  Medicae 
Facultatis  Seniore  hodierna  die  22.  nimirum  Januarij  stipulata 
mane  ad  Facultatem  Medicam  receptus  iuxta  statuta  praesentibus 
clarissimis  atque  experientissimis  Dnis  Domino  Doctore  Simone 
Jung  D.  D.  Jodoco  Hartlieb  Anno  millesimo  Sexcentesimo  quadra- 
gesimo   sexto.    Obiit   ultimo   Maii    1664. 

Ego  Joannes  Joachimus  Becherus  Spirensis,  Die  Decima 
Bona  Septembris  hujus  anni  currentis  MDC.LXI  in  ipsa  hac 
Moguntia  Medicinae  Doctor  legitime  ei  solenniter  promotus, 
hodie  vigesimo  octavo  Novembris  immediate  subsequentis  ab 
mclytae  Facultatis  p.  t.  Decano  Spectabili  Domino  Ludovico 
von  Hörnigk,  postquam  superaddito  juramento  consueto  Facultati 
satisfecissem,  ad  eandem  sum  receptus  l'iaesenle  Nobili  el  Ex- 
perientissimo Domino  Doctore  Joanne  Martino  Hohenstatl  suo 
Dromotore. 

tnter  Ludwig  von  Hörnigk  einzelne  Daten  über  ihn  bei 
Schunk,  Beiträge  zur  Mainzer  Geschichte  III,  S.  309,  Knodt 
a.  a.  0.,  S.  104,  und  Schrohe,  Kunnainz  in  den  Pestjahren 
1666/7,  S.  98  -  -  fand  im  Jahre  L663  eine  Doktor])  roinol  ion. 
statt,  zu  der  in  folgender  Weise  eingeladen  wurde  (das 
Plakat    befindet    sich    in    den    Akten    der   Generalrezeptur): 

L.  S./STN  9E0T  QAAAMA.  Ad / Sanctissimae  Trinitatis 
M;iiorem  Gloriam,  /  Ecclesiae  Catholicae  Incremenlum,  '  Rei- 
publicae  Universae  Emolumentum,  Patriae  Charissimae  Ornamen- 
fcum,  /  Ipsis  Calendis  Martij  media  horä  oetauä  matutinä,  Anni  nati 
Messiae   supra  Milesimum   sexcentesimi  / sexagesimi    tertij,/Post 

-;)  Indem  Memorienbuch  des  Keichklaraklnsters  in  Mainz  beißt  es:  ..Den 
12.    Dezember   1658   ist    gestorben  unser  Medirns   Wen-   Dr.   Jodocus    Hart 
lieli,    welche!    unserem    Konvent    in   der    pestilenzischen    Krankheil    große 
Hilfe    und    Treue    erzeigt     hat".        Srhrohe,     >(ies(duclile    des     Reichklara- 
klosters, S.   19. 

Beiträge  /..  Gesell,  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  u 


162  Heinrich  Schrohe. 

collatam  prius  licentiam  /  ä  /  Reverendissimo  in  Christo  Patre  ac 
Domino,  /  D.  Wolthero  Henrico  A  Strevesdorf.  /  Episcopo  Ascalo- 
nitano  Eminentissimi  Principis  /  Electoris  et  Archiepiscopi  Mog. 
Suffraganeo,  SS.  Theolog.  Doctore  /  Eximio,  Facultatis  Theolog. 
Uniuersitatis  Coloniensis  inter  Ordinarios  Professores  et  Regentes 
aliquol  annis  Seniore,  Uniuersitatis  Moguht.  Cancellario  Amplis- 
simo,  Collegiatae  Ecclesiae/B.  Virg.  Erfurti  Praeposito,  hie  ad 
D.  Petri  Scholastico  et  Canonico,  Dn.  nostro  /  suspiciendissimo  / 
Magnificus,  Nobilissimus  et  Excellentissimus  Vir,  /  D.  Ludovicus 
von  Hörnigk,  U.  Juris,  Medicinae  et  Phil.  Doctor,  S.  Sedis  Aposto- 
licae  etMaj.Caesareae/ad  rem  Librariam  in  Imperio  Commissariuä 
et  Censor  Generalis,  Caesareus  itidem  Consiliarius  /et  Comes  Pala- 
tinus,  Consiliarius  Mogunt.  Aulicus  et  Med.  prof.  pub.  /  Ord.  nee 
non  p.  t.  Decanus,  /  Ex  Venerandae  Facult.  Medicae  in  antiqua 
Universitate  hac  Moguntinä,  unanimi  Cons'ensu  et  Decreto  /  Xo- 
bilem,  Clarissimum et  Experientissimum  Medicinae  Canditatmn/Dn. 
Michaelem  Capitel  Veldkircharhoetum  in  Medicinae  Doctorem  / 
More  Maiorum,  Rituque  solenni  in  Brabeuterio  RR.  PP.  Soc. 
Jesu  maiore,  /  creabit,  declarabit  et  pronunciabit  /  ad  quam  Pane- 
gyricum  Actum  /  Omnes  ac  singuli  quotquot  Virtutibus  bonis- 
que  litteris  volunt,  pro  statüs  sui  conditione,  debitä  /  observantiä 
officiose  et  amanter / rogantur,  accersuntur,  invitantur. /Benevole 
itaque  /  Adeste,  speetate,  tavete,  et  re  a  nobis  bene  gesta,  plau- 
dite.  P.  P.  et  Facult.  figillo  subsignat.  die  28  febr.  1663./  Disser- 
tatiunculae  Inaugurales  /  D.  Promotoris  /  De  Jurisprudentiae  et 
Medicinae  6c§eX<ptXia  seu  Consororietate  vel  saltem  areta  et  magna 
Consanguinitate  et  Conjunctione. /D.  Doctorandi  / De  Curatione 
Podagrae  per  solum  Lac  et  au  talis  unqüam  fieri  possit  V/Mogun- 
tiae,  ex  Typographeio  Nicolai  Hevll,  Uniuersitatis  Typographi 
jurati  Anno  M.  DC.  LXIII. 

XXIX. 

Kurfürst  Damian   Hartard   übersendet   die   Klageschrift   des 
Dr.   Cranebiter,   dem  die  juristische   Fakultät   die  Professur 
j licht  gestattete,  an  den  Rektor  Dr.  Volusius  und  die  Univer- 
sität zur  Entscheidung. 

Mainz,  den   13.  August  1676. 

Gen.-Rcz.    Mainz. 
Damian  Hartard. 

Waß  vmi  Dr.  Cranebiter  gegen  unsere  Juristen  facultät  albie 
unili  deßwillen,  weil  sie  ihine  die  ordinari  professur  nicht  ge- 
fallen wolle,  bey  miß  underthänigsl  geklaget,  wohin  sich  auch 
beklagte  l'aculläl  dagegen  vernehmen  laßen,  solches  communiciren 
Wir  euch  ab  bey  verwahrten  orignalacten  mit  dem  gnedigsten 
befehl,  daß  ihr  euch  hierunder  bestendig  informiren  und  vertilgen 
sollet,    waß    recht    ist.    seiinll.    euch    damit. 

Main/,    den    13.    August    1676. 

Adresse:  Alm  Weihbischoffen  Dr.  Vblusium  alß  rectorem  Magnificum. 

Links    oben  zu  Beginn  des  Schreibens:  Zinn  S.    Hechts  oben:  stylus. 


Die  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren.  163 

XXX. 

Die  Juristenfakultät  teilt  dem  Kurfürsten  Franz  Lothar  die 
Gründe  mit,  die  sie  bestimmten,  dem  Bakkalaureus  Christoph 
Rudolf  Winterhelt  juristische  Privatvorlesungen  zu  unter- 
sagen; der  Kurfürst  hatte  nämlich  das  Memoriale  Winter- 
helts  der  Fakultät  übersandt  und  diese  zum  Berieht,  auf- 
gefordert. 
(Juni  1697.) 

.Mainz.  Stadtbibl.  Univers.  No.  108. 

Hochwürdigster  Ertzbischoff  und  Churfürsl 
Gnädigster  Herr! 
Aus  dem  ahn  Ew.  Churf.  Gnaden  von  Christoph  Rudolph 
Winterhelt  übergegebenen  und  unß  von  dero  hochlöbl.  Regirung 
communicirten  Memoriale,  umb  darüber  unsern  bericht  unter- 
thänigst  zu  erstatten,  haben  wir  mit  mehrerem  ersehen,  Waß- 
gestalten  derselbe  sich  beklage,  daß  von  Decano  facultatis  Juridicae 
privata  collegia  zu  halten,  wiewohlen  er  es  umbsonsten  Ihete, 
Ihme  seye  inhibirt  wordten.  Nun  geruhen  Ew.  Churfürsl  1.  Gnaden 
gnädigst,  sich  unterthänigst  referiren  zu  lassen,  wie  daß  L.mo  er- 
zielter Winterhelt  in  seinem  Memoriale  selbsten  gestehet,  daß 
Er  kein  Licentiatus,  sondern  nur  Baccalaureus  seye,  es  hat  aber 
hier  keiner,  wan  er  auch  schon  von  hiesiger  Universitet,  vorher 
tacultatem  docendi,  er  seye  dan  wenigstens  licentiatus  .Iuris  und 
membrum  facultatis  Juridicae,  welches  derselbe  2do  seiner  Eigenen 
geständtnuß  nach  ebenfals  nit  ist,  deßwegen  hier  jederzeil  ob- 
gservirt  wordten,  daß  wan  einer,  so  sirh  anderwerts  etwa  helle 
graduiren  lassen,  in  allhiesige  facultet  einzutretten  und  deren 
Privilegien  sich  theilhafftig  zu  machen  verlangt,  zuvor  die  consueta 
Jura  abstatten  müssen  wie  ander  andern  11.  Dr.  Hörnick  der  abge- 
lebte H.  Dr.  Moll,  so  zu  Ingelstatt  Licentiam  bekommen,  deßgleichen 
unser  mitprofessor  Laßer  selbsten  gethan  halten,  dannoch  ist 
JB.tio  auch  denjenigen,  die  Membra  hiesiger  facultel  seint,  nit  zu- 
gelassen, propria  authoritate  privatim- zu  profitiren,  sondern  die 
haben  jederzeit  hei  denen  professom  umb  permission  angehalten, 
wie  auß  denen  aoeh  vorhändigen  Memoralien  von  Dr.  I  ranebiter, 
Dr.  Waßmuth  sehl.,  Dr.  Heger  und  hie  Fläck,  die  doch  de  Eacul- 
laie  wahren,  zu  ersehen,  ohnerhört  aber  ist,  daß  sich  ein  solches 
einer  ah  Externa  facultate  mil  bestand  solle  ahngemaßl  haben 
und  dieses  zwar  darumh,  aul't  dal.»  durch  solches  unordentliche 
dociren  keine  Confusio  in  Studijs  der  gantzen  Universitel  zum 
naehlheil  erwachse  und  denen  audiloren  dardurch  von  einem 
zum  andern  zu  vagiren,  quibus  per  se  varietas  placet,  kein  anlaß 
gegeben  werdte,  also  daß  sie,  wie  s'ndis  gebührt,  aichtß  rechl  ab- 
solvirn,  sondern  zu  dero  ohnersetzlichen  schaden  /eil  und  Kosten 
übel  anwenden  und  in  Jure  kein  l'undaiueiil,  wie  per  Studium 
ordinatum  continuum  geschehen  muß,  setzen,  sodan  pro  l.1"  haben 
Dr.  Ilaaren  ad  Jus  Canonicum  und  Dr.  Petz  ad  tnstitutiones  so- 
wohl vergangenes  Jahr  alß  auch  dieses  von  Martini  ahn  biß  hie- 
hero    ieder   alle    woche    meistens    1    lectiones    gehalten    und    ist 


164         Heinrich  Schrohe:  Wiederbesetzung  erledigter  Professuren. 

Dr.  Honcamp  ebenfalß  bereith,  wan  einige  auclitoren  von  neuem 
anfangen  Woltern,  daß  seinige  zu  verrichten,  es  mag  aber  wenig 
zur  sach  thuen,  daß  gedachter  Winterhelt  privata  collegia  umb- 
sonst  zu  halten  vorgibt,  maßen  diejenige,  so  under  Unß  die 
Institutiones  hören  und  waß  gewöhnlich  zahlen,  ein  gantzes  Jahr 
mit  4  Rthlr.  auslangen,  Armen  aber  bey  unß  auch  umbsonst  gern 
zugelassen  werdten,  also  daß  dieses  geringe,  so  doch  von  allen 
nit  gereicht,  wirdt,  deß  andenß  nit  wehrt,  auch  kein  erhebliche 
ursach  sein  mag,  darumb  die  alte  bey  der  Universitet  wohlher- 
ueluachte  privilegia  oder  üblige  observantz  zu  infringiren. 

Dahero  gelanget  ahn  Ew.  Churfürstl.  Gnaden  unser  unter- 
thänigstes  bitten,  dieselbe  geruhen  gnädigst  die  vom  Baccalaureo 
Winterhelt  eigenthätig  angefangene  ohnzuläßliche  zu  praejudiz 
hiesiger  Universitet  und  deren  professoren  gereichente  Collegia 
einstellen  zu  lassen,  zeitliche  professores  aber  bey  denen  her- 
brachten Privilegien  gnädigst  zu  schützen  alß  die  wir  zu  Ew. 
Churfürstl.  Gnaden  underthänigsten  dinsten  immerdar  geflissen 
seint  und  leben 

Ew.   Churfürstl.   Gnaden 
unterthänigste 
Decanus  Senior  Doctores  und  professores 
der  Juristen  facultet  alhier. 

Rückseite:  Ihro  Churfürstl.  Gnaden  zu  Maintz  und  Bischoffen  zu 
Bamberg  underthänigster  bericht  und  bitte  sambtlicher  professoren  der 
Juristen  Facultet  alhier  deß  Baccalaurei  Winterhelts  anmasliche  collegia 
betreffend. 

Von  anderer  Hand :  Praesentirt  den  8.  Jun.  97.  Entsprechend  dem 
Vermerk  auf  der  Vorderseite  links  oben:  Ad  consilium,  steht  auf  der 
Rückseite :  Lectum  et  conclusum.  Man  haltet  darvor,  daß  dem  Bacca- 
laureo Winterhält  fernerweith  Collegia  privata  zu  halten  von  der  alhisigen 
Universität  zu  untersagen  sey  und  demselben  bedeutet  werden  könte,  sich 
bey  der  Universität  forderist  zu  legitimiren  und  praestanda  zu  praestirem 
welchem  nach  Er  alß  dan  die  hergebrachte  privilegia  genießen  könte. 

Mayntz  den  8.  Junij  97.      E(x)  M(andato)  Efmminentissimi). 
Von  einer  dritten  Hand:  Licentiato  vel  Baccalaureo  Juris  Winterheld 
weiden   die   Collegia   privata   zu   halten   verbotten. 


Wie  man  im   18.  Jahrhundert  an  der  Univer- 
sität Mainz   für  die  Ausbildung  von  Professoren 
der  Kameralwissenschaft  sorgte. 


Von  Wilhelm  Stieda. 


I. 


Nachdem  Friedrich  Karl  Joseph  von  Ertha]  im  Jahre 
1774  die  Zügel  der  Regierung  als  Kurfürst  von  Mainz  er- 
griffen hatte,  ging  alsbald  sein  Bestreben  dahin,  die  Hoch 
schule  zu  Mainz  tunlichst  zu  fördern.1  Mi1  Besorgnis  halle 
kr  die  einheimische  Jugend,  der  zu  Hause  nichts  Aus- 
reichendes geboten  wurde,  auf  auswärtige  Lehranstalten 
ziehen  sehen.  Nachteile  waren  hieraus  erstanden,  und  st» 
schien  es  zu  ihrer  Vermeiduni:  zweckmäßig,  die  LJniversitäl 
neu  zu  beleben,  um  so  mehr,  als  dadurch  die  Stadl  .Mainz, 
die  heilige  Religion  und  damit  das  allgemeine  StaatswohJ 
sicher  ebenfalls  Nutzen  haben  winden.  Zu  diesem  Zwecke 
entschloß  sich  t\cr  Kurfürst,  zur  Aufhebung  dreier  Klöster 
m   .Mainz,   der  Karlhause  am   Michelsberg,  des  Altmünster- 


1  K    (I.  I'.ockcnhi'inicr,  Hie  I « estauration  der  Mainzer  Hochschule  im 
Jahre   1784,   .Mainz   1884,   S.   11. 


166  Wilhelm  Stieda. 

(weibl.  Zisterzienser)  und  des  reichen  Klarissen  (Mino- 
riten)-Klosters  am  Flachsmarkte  und  schenkte  am  15.  No- 
vember 1781   deren  Vermögen  der  Hochschule.2 

So  konnte  im  nächsten  Jahre  Johann  Friedrich  von 
Pfeiffer,  ein  Kameralist  von  Ruf,  der  durch  eine  große  An- 
zahl von  Schriften  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt 
hatte,  obwohl  er  Protestant  war  und  bereits  im  64.  Lebens- 
jahre stand,  zum  Professor  der  Kameralwissenschaften,  und 
zwei  Jahre  später  Nikolaus  Karl  Molitor  in  jugendlichem 
Alter  auf  den  Lehrstuhl  der  Chemie  und  Pharmazeutik  be- 
rufen werden.3  Beiden  Männern  verdankt  man  die  Errich- 
tung einer  Kameralfakultät,  an  der  für  Unterrichtszwecke 
zunächst  drei  Lehrstühle  vorgesehen  waren :  für  Land-  und 
Stadtwirtschaft  sowie  für  Handlungswissenschaft,  für  all- 
gemeine Polizeiwissenschaft,  für  Staatswirtschaft  und  Finanz- 
wissenschaft.4 Doch  gehörten  zu  der  „kameralischen"  Fa- 
kultät,  der  sechsten  in  der  Reihe,  auch  noch  die  Lehrer 
der  angewandten  Mathematik,  der  Botanik,  der  Chemie,  der 
Vieharzneikunde.  Sie  sollte  sich  insbesondere  bestreben : 
,.die  eigenen  Landesproducte,  deren  vor  andern  räthlichen 
Verarbeitung,  den  Aktiv-Landeshandel  und  den  wichtigen 
Gegenstand  zu  ergründen,  was  für  einen  Antheil  die  beyden 
Rhein-  und  Main-Flüsse  an  dem  allgemeinen  europäischen 
Kommerzium   wirklich   haben   und   etwa  haben   könnten".4 

Unter  den  Kameralwissenschaften,  so  führte  die  im  Jahre 
1784  veröffentlichte  Neue  Verfassung  der  verbesserten  hohen 
Schule  zu  Mainz5  aus,  versteht  man  die  Wissenschaft,  die 
einzelnen  Familien  in  Wohlstand  zu  setzen  und  dadurch  den 
Staat  reich  an  allerhand  Gütern,  auch  wohl  nach  Verhältnis 
mächtig  zu  machen,  eine  weitläuftige,  schwere  und  gleich 
allen  anderen  unerschöpfliche  Wissenschaft.6  Im  letzten 
Grunde  war  es  mithin  der  Wunsch,  die  wirtschaftlichen 
Verhältnisse  im  Kurstaate  erfreulich  günstig  zu  gestalten, 
der  auf  die  Errichtung  einer  eigenen  Fakultät  und  die  nach- 
drückliche Beförderung  der  in  ihr  vertretenen  Wissen- 
schaften führte.  Als  Zuhörer  dachte  man  sich  Studenten 
der  Jurisprudenz,  die  indes  erst  gegen  den  Schluß  ihres 
auf  vier  Jahre  berechneten  Studiums  sich  mit  den  Fächern 
vertraut  zu  machen  haben  würden.  Sie  sollten  im  sechsten 
Semester   die    Vorlesungen  über  Landwirtschaft,   Gewerbe-, 


2  Bockenheimer,  a.  a.  0.,  S.  14. 

3  Wilhelm  Stieda,  Die  Nationalökonomie  als  Universitätswissenschaft, 
Leipzig   1906,   S.   188.       -  4  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  195. 

5  Verfaßt  von  Benzel,   .Mainz  1784.   -  6  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  192. 


^Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  in, 

Manufaktur-  und  Fabrikwesen  sowie  die  Handlungswissen- 
schaft,  und  im  siebenten  Semester  die  Polizei-,  Finanz-  und 
S taatswirtschaft   hören.7 

Mehr  Schwierigkeiten  bereitete  die  Wahl  der  Lehrenden. 
Unter  den  Männern,  die  für  den  Vortrag  der  Kameralwissen- 
schaften  in  Frage  kamen,  einer  Wissenschaft,  die  damals 
seit  kaum  viel  mehr  als  50  Jahren  an  deutschen  l'uiver- 
sitäten  gelehrt  wurde,  gab  es  keine  große  Auswahl.  Srhon 
daß  man  auf  den  64jährigen  Pfeiffer  gegriffen  hatte,  deutet 
wohl  die  Verlegenheit,  an,  in  der  man  sich  befand.  Als 
15  Jahre  später  an  der  Universität  Greifswald  die  Pro- 
fessur für  Kameralwissenschaften  zu  besetzen  war,  hatte 
man  ebenfalls  die  größten  Schwierigkeiten  zu  überwinden 
und  konnte  nur  mit  Hülfe  einer  ausgedehnten  Korrespon- 
denz endlich  den  geeigneten  Mann  ausfindig  machen.  Es 
gab  eben  noch  verhältnismäßig  wenige  Kameralisten,  die 
sich  dem  gelehrten  Berufe  des  Professors  zu  widmen  geneigt 
waren.  Diejenigen  aber,  die  sich  dazu  bereit  erklärten,« 
waren  in  erster  Linie  Naturforscher,  Landwirte  und  Techno- 
logen, noch  keine  eigentlichen  Nationalökonomen.  Damals 
schrieb  Professor  Franz  in  Stuttgart8,  „wie  gut  es  die 
Kameralisten  hätten,  die,  nachdem  sie  ausstudiert,  sich  alle 
so  sanft  zu  betten  gewußt,  daß  es  beynahe  unmöglich  wäre, 
einen  von  ihnen  aus  seiner  behaglichen  Lage  herauszu- 
heben".9 

Nun  war  Pfeiffer  kränklich,  durch  seine  sonstigen  Amis 
geschälte  oft  von  Mainz  fern  gehalten,  -  -  er  bekleidete  wie 
es  scheint,  außer  seiner  Professur  noch  einen  praktischen 
Posten   —   und  man  mußte  auf  einen  Ersatz    im    Hinblick 
auf  sein  Alter  bedacht  sein.     Da  kam  man   auf  den    nahe 
liegenden    Gedanken,    zwei    talentvolle    Studenten,    Schüler 
von  Pfeiffer,  dazu  zu  bestimmen,   sich   dem  akademischen 
Berufe  zu  widmen.    Auf  Grund  von  Instruktionen,  die  wahr 
scheinlich  Pfeiffer  selbst  aufgesetzt   halle,  der  auf  die   Aus- 
bildung der  jungen  Männer,  in  denen  er  weiterzuleben   ge 
dachte,   großes   Gewicht    legte,    winden  sie  in    Main/,    in    be- 
sonderen   Privatvorlesungen    unterwiesen   und   mit    Stipen- 
dien aus  der  kurfürstlichen  Kasse  auf  Reisen  und  auf  andere 
deutsche  Universitäten   geschickt.     Diese  Instruktionen   und 
pinige  Reiseberichte  haben  sich  im  Großherzoglichen  Haus 
und   Staatsairhiv   zu    Darmstadt   erhalten.     Wegen   des  all- 


7  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  193. 

8  F.  Chr    Franz.   1751     L828,  Stieda,  S.    L52,  365. 

9  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  90. 


168  Wilhelm  Stieda. 

gemeinen  Interesses,  das  sich  an  sie  knüpft,  lassen  wir 
sie  im  Anhange  wörtlich  folgen.  Sie  erlauben,  in  die  An- 
schauungsweise des  18.  Jahrhunderts  und  den  Entwicklungs- 
gang der  Studien,  die  man  für  nötig  hielt,  erwünschten 
Einblick   zu   nehmen. 

II. 

Eines  Tages  hatte  der  Kurfürst  befohlen,  daß  Professor 
Pfeiffer  einige  „Subjekte"  in  Vorschlag  bringen  möge,  die 
zu  künftigen  Lehrern  der  Kameralwissenschaften  ausge- 
bildet werden  könnten,  und  aus  denen  man  dann  einen 
auswählen  wollte.  Bald  darauf  konnte  der  im  Jahre  1782 
aus  dem  Ruhestand  zurückberufene  Freiherr  von  Benzel, 
der  zum  Kurator  der  Universitäten  Mainz  und  Erfurt  be- 
stellt worden  war10,  melden11,  daß  zwei  Herren  in  Frage 
kämen,  die  sich  „durch  Fleiß  und  besondere  Fähigkeit" 
auszeichneten.  Es  waren  Franz  Karl  Spoor,  der  Sohn 
eines  verstorbenen  Mainzer  Bürgers,  im  Alter  von  25  Jahren, 
und  Georg  Adam  Schleenstein12,  der  Sohn  eines  Mainzer 
Getreidehändlers  (Fruchtmitter),  23  Jahre  alt.  Beide  werden 
als  „halb  bemittelte"  charakterisiert.  Leider  ist  es  nicht 
möglich  gewesen,  über  ihre  Familie  und  ihre  persönlichen 
Schicksale  Nachrichten  zu  erlangen.  Keines  der  vielen 
Nachschlagewerke,  das  Ausweise  über  die  Gelehrten  des 
18.  Jahrhunderts  enthält,  kennt  ihre  Namen.  So  hat  sich 
auch  nichts  mehr  über  ihre  wissenschaftlichen  Leistungen 
ermitteln  lassen.  Spoor  ist  schon  im  Jahre  1796  gestorben, 
im  Alter  von  mutmaßlich  nur  38  Jahren,  scheint  somit  zu 
rechter  Entwicklung  nicht  gelangt  zu  sein.13  Er  hatte 
im  Jahre  1783  eine  Prüfung  aus  der  Polizeiwissenschaft 
mit  allgemeinem  öffentlichem  Beifalle  überstanden  und  wurde 
gerühmt,  „von  Lernbegierde,  vielem  Fleiße,  wirklich  gutem 
Vortrage  und  gesetztem  Geiste"  zu  sein.  Es  gereichte  ihm 
zur  Empfehlung,  daß  er  auch  in  der  Jurisprudenz  guten 
Fortgang  genommen  hatte.  Für  Schleenstein  wurde  geltend 
gemacht,  daß  er  mehr  natürliche  Fähigkeit  (doch  wohl  im 
Vergleich  mit  Spoor),  einen  lebhaften  Geist  besäße  und 
gleichmäßigen    ausgezeichneten     Fleiß    zur   Schau    getragen 


10  Bockenheimer,  a.  a.  0.,  S.  17. 

11  Am  5.  April   L783,  Akten  im  Großh.  Hess.  Haus-  u.  Staatsarchiv  in 
Darmstadt,   betreff,  die  Kameralfakultät   zu  Mainz. 

12  Auch  Schlehenstein  geschrieben. 

18   Cd.    Mitteilung  von   Professor  Velke   in   Mainz,   Stieda,   a.   a.   0., 
S.  199. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  169 

hätte.    Auch  in  den  nicht  kameralistischen  Vorlesungen  halte 
er  sich   als  einer  der  besten  Studenten   srwiesen. 

Bei  solcher  Charakteristik  war  offenbar  die  Ent- 
scheidung, wen  man  zum  Professor  bestimmen  sollte,  nichl 
ganz  leicht.  Pfeiffer  selbst  hatte  gemeint,  daß  man  beide 
eine  Zeitlang  weiter  zu  bilden  suchen  müsse,  um  sich 
davon  zu  überzeugen,  wer  der  tüchtigere  sei,  während  Frei- 
herr von  Benzel,  ohne  es  näher  zu  begründen,  sich  mehr 
für  Schleenstein  aussprach.  Schließlich  wurde  die  Frage 
dadurch  zur  Zufriedenheit  beantwortet,  daß  der  Kurfürst 
beide  Herren  auszubilden  befahl,  da  sie  als  Lehrer  in  Mainz, 
Erfurt    oder   sonstwo   würden   Verwendung   finden    können. 

Jetzt  kam  es  darauf  an,  durch  Instruktionen  den  ein- 
zuhaltenden Bildungsgang  festzulegen.  Pfeiffer  verlangl  i, 
daß  der  Kandidat  1.  alle  wesentlichen  Teile  der  Kameral- 
wissenschaft theoretisch  sich  zu  eigen  machen  müsse, 
2.  den  Hülfswissenschaften  fleißig  obzuliegen  habe,  3.  prak- 
tisch sich  betätigen  und  4.  außerhalb  Landes  reisen  müsse, 
um  Universitäten,  Kameralschulen  usw.  zu  besuchen  und 
auf  diese  Weise  weiter  zu  studieren.  Zu  den  Hauptfächern 
rechnete  Pfeiffer  Landwirtschaft,  Stadtwirtschaft  inil  Manu- 
faktur- und  Fabrikwesen,  Handlungs Wissenschaft,  Polizei- 
wissenschaft,  Staatswissenschaft.  Er  wollte  auf  diesen  Ge- 
bieten beiden  Herren  Privatvorlesungen  halten  und  sie  zu 
praktischen  Ausarbeitungen  anleiten.  Im  zweiten  Lehrjahre 
sollten  sie  ihrerseits  versuchen,  sich  im  Lehramte  zu  üben, 
indem  sie  mit  den  Teilnehmern  der  Pfeifferschen  Vorlesungen 
Repetitorien  anstellten.  Zu  den  Hülfswissenschaften  cech- 
nete  Pfeiffer  theoretische  und  praktische  Mathematik,  Natui 
geschiente  und  Naturlehre,  Chemie,  Vieharznoikunst.  Die 
praktische  Betätigung  sollte  darin  bestehen,  daß  sich  die 
zukünftigen  Leuchten  der  Wissenschaft  mit  der  Landwirt- 
schaft, dem  Ackerhau,  dem  Weinhau,  dem  Holzanbau,  dn 
Bewirtschaftung  von  Landgütern  vertraut  zu  machen  he 
mühen  und  Fabriken  und  Manufakturen  besichtigen  sollten. 

Demnach  würde  nach  der  Pfeifferschen  Auffassung  lin 
die  weitere  Ausbildung  zum  Professor  nötig  gewesen  s  'in  : 
Besuch  von  Vorlesungen,  seminaristische  Tätigkeit,  be- 
stehend  in  schriftlichen  Ausarbeitungen  über  bestimmte 
Fragen  und  Veranstaltung  von  Repetitorien  mil  jüngeren 
Studenten,  Besichtigung  von  Landgütern  und  industriellen 
Betrieben,  endlich  Besuch  anderer  Universitäten,  oder 
spezieller  Lehranstalten  l'ür  fCameralwissenschaften,  offenbar 
in  der  Absicht,  die  Auffassungen  von  h ervorragenden  Fach 
Vertretern  kennen  zu  lernen.     Man  würde  auch  heute  noch, 


17u  Wilhelm  Stieda. 

um  Rat  befragt,  wie  man  sich  am  besten  für  eine  Professur 
der  Nationalökonomie  vorbereite,  keinen  bessern  erteilen 
können.  Nur  daß  allerdings  der- Rahmen  der  zu  studierenden 
Fächer,  insbesondere  der  Hülfswissenschaften,  anders  ge- 
zogen werden  müßte.  Die  juristischen  Fächer  hatte  Pfeiffer 
augenscheinlich  nicht  genannt,  weil  die  beiden  Kandidaten 
im  eigentlichen  Kameralkursus,  wie  er  für  die  Universität 
Mainz  vorgesehen  war14,  sich  mit  ihnen  hinlänglich  bekannt 
gemacht  haben  mußten. 

Sollte  dieses  Gutachten  zunächst  wohl  wesentlich  theo- 
retisch den  Umfang  der  anzueignenden  Wissenschaften  he- 
stimmen,  so  schloß  sich  daran  eine  im  speziellen  Fall  unter 
Berücksichtigung  der  Eigenart  der  jungen  Leute  einzu- 
haltende Anweisung.  Pfeiffer  hatte,  nachdem  die  kurfürst- 
liche Zustimmung  zu  ihrer  Ausbildung  eingetroffen  war,  seine 
Schützlinge  noch  einmal  eingehend  geprüft  und  gefunden, 
„daß  diese  Leute  in  den  nötigsten  fremden  Sprachen  und 
in  der  Philosophie  ziemlich  bewandert,  allein  in  den  mathe- 
matischen, ökonomischen  und  Finanzwissenschaften  sind  sie 
ebenso  unerfahren  als  in  der  Kunst,  sich  in  schriftlichen  Auf- 
sätzen kurz,  zierlich,  deutlich  bestimmt  in  ihrer  Muttersprache 
auszudrücken".15  Darauf  faßte  der  Freiherr  von  Benzel  in 
dem  Bericht  an  den  Kurfürsten16,  der  somit  über  die  An- 
gelegenheit auf  dem  Laufenden  gehalten  sein  wollte,  zu- 
sammen, was  demnächst  zu  geschehen  habe :  Privatlektüre 
und  tägliche  theoretische  und  praktische  Übungen  bei  Pfeiffer, 
Naturgeschichte  bei  Bergmann17,  Mathematik  bei  Westhof en18 
und  Eickemeyer19.  Chemie  und  Vieharzneikunde  dagegen 
sollten  noch   zunächst  ausgesetzt  werden. 

An  diese  Auslassungen  schließen  sich  offenbar  die  un- 
datierten Instruktionen,  die  Professor  Pfeiffer  ausgearbeitet 
balle  und  die  nur  auf  4  Monate  Geltung  haben  sollten.  Ich 
denke  mir,  daß  dabei  an  die  Zeit  von  Mai  bis  Ende  August 


II  Stieda,  a.  a.  ().,  S.  193. 

15  Bericht  vom  28.  April  1783. 
";  unter  dem  29.  A.pril   L783. 

17  Joseph    B.,    Kxjesuit,   1740—1803;   Bockenheimer,  a.   a.   0.,   S.  38. 

18  Karl  Westhofen,  Professor  der  mathematischen  Wissenschaften, 
stirbt  L804;  Bockenheimer,  a.  a.  0.,  S.  38.  Über  ihn  als  Mitglied  des 
Klubs  in  .Mainz  siehe  K.  (1.  Bockenheimer,  Hie  Mainzer  Klubisten,  Mainz 
IN' ti;,   S.  67. 

III  Rudolph  Eickemeyer,  1753 — 1825,  ursprünglich  Militär,  Professor 
dei  mathematischen  Wissenschaften;  Bockenheimer,  a.  a.  0.,  S.  38.  „Denkj 
Würdigkeiten"  des  Generals  Eickemeyer  sind  1845  von  Heinr.  Koenig 
herausgegeben. 


.Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  171 

1783    gedacht   worden   ist.20     Sie   brachten    insofern    einige 
Änderungen,   als   nicht   nur    Chemie,    sondern   auch   A'alur 
geschiente  auf  den  nächsten  Kursus  verschoben,  die  Physik 
und  Mathematik  jedoch  noch  auf  die  weiteren   Kurse  aus- 
gesetzt wurden. 

Ganz  richtig  hatte  sich  nun  Professor  Pfeiffer  klar  ge- 
macht, daß  sich  eins  nicht  für  alle  schicke.  Wenn  die  beiden 
jungen  Leute  zu  künftigen  Professoren  herangebildet  werden 
sollten,  empfahl  es  sich  wohl,  jedem  eine  Spezialität  zuzu- 
weisen. Aus  diesem  Bedürfnis  erklärt  sich  die  zweile  In- 
struktion, die  den  künftigen  Dozenten  für  ,, Landkultur"  vor- 
sieht.21 Von  diesem  ist  in  dem  kuratorischen  Bericht  an 
den   Kurfürsten   nicht  die   Rede. 

Der  einstige  Vertreter  der  Technologie  und  Handlungs- 
theorie hatte  nach  der  Instruktion  damit  zu  besinnen,  sich 
im  Zeichnen  zu  vervollkommnen.  Im  übrigen  mußte  er 
die  besten  literarischen  Erscheinungen  seines  Fachgebiets 
(das  heißt  Technologie,  Fabrikwissenschaft,  Handelstheorie, 
Warenkunde,  Buchhai terei)  studieren  und  nachdem  er  in 
der  Theorie  der  Maschinen,  Werkzeuge,  Apparate  fest  ge- 
worden, dazu  schreiten,  sich  praktische  Erfahrungen  zu 
sammeln.  Dies  sollte  durch  Inaugenscheinnahme  von  Hand- 
werks- und  Fabrikbetrieben  in  Mainz  und  eifriges  Studium 
in  den  Kammerakten  angebahnt  werden.  Für  die  praktische 
Erlernung  des  Handels  aber  sollte  der  junge  Gelehrte  die 
Kontore  in  Mainz  besuchen  und  in  freundschaftlicher  Unter- 
redung mit  den  Handelsherren  Kenntnisse  erwerben.  Xach 
beiden  Richtungen  seien  kleine  Reisen  zur  Besichtigung 
von  Fabriketablissements  in  der  Umgegend,  insbesondere 
auch  der  von  den  französischen  Refugies  angelegten,  an- 
zuschließen und  endlich  während  der  künftigen  Herbst- 
ferien in  einem  Aufentbalte  in  Frankfurt  a.  M.  Vervoll- 
kommnung zu  erstreben.  Für  diesen  wurde  etwas  naiv 
empfohlen,  unter  dem  Vorwand  eines  Handelsgeschäfts  mit 
hervorragenden  Kaufleutcn  Fühlung  zu  neinner]  „und  da 
durch  sich   manche  praktische   Erfahrung  zu   sammeln". 

Auch  der  spätere  Vertreter  der  Landwirlschal'l  sohle 
mit  Übungen  im  Zeichnen  von  Pflanzen,  Bäumen;  öko- 
nomischen Maschinen,  Gartenanlagen  usw.  beginnen;  dann 
sich  mit  den  besten  theoretischen  Werken  über  Landkultur 
verliaul  machen.  Da  in  dieser  Hinsicht  die  l'uiversiläls- 
bibliothek    in    Mainz    niclil     viel    zu     bieten    imstande    war. 


20 


Anhang  No.   1.     -  21  Anhang  No.  2. 


17v2  Wilhelm  Stieda. 

sollte  er  selbst  durch  Namhaftmachimg  von  Büchern  zu 
deren  Vervollständigung  beitragen.  Um  praktische  Kennt- 
nisse sich  anzueignen,  sollte  er  von  Zeit  zu  Zeit  auf  ein 
nah  belegenes  Landgut  sich  begeben,  ferner  jede  Woche 
einige  Male  die  Bauern  in  den  Dörfern  bei  ihren  Feldarbeiten 
beobachten  und  kleinere  Fahrten  ins  Rheingau,  ins 
Xassauische,  Pfälzische  usw.  unternehmen.  Daraus  würden 
ihm  Kenntnisse  des  Getreidebaues  und  Weinbaues  sowie 
der  Kultur  von  Handelsgewächsen,  als  da  sind  Hanf,  Flachs, 
Tabak  etc.,  zu  eigen.  Über  dem  Studium  von  Getreide- 
bau, Hopfenbau  und  Viehzucht  war  das  der  Gartenkunst 
und  Forstwirtschaft  nicht  zu  vernachlässigen,  das  gleich- 
falls durch  Besichtigung  hervorragender  Gärten  und  main- 
zischer, hessischer,  pfälzischer  Waldungen  betrieben  werden 
könnte.  Endlich  sollte  er  den  Zutritt  zur  kurfürstlichen 
Universitäts-Kameral-Deputation  haben,  um  aus  deren  Akten 
über  landwirtschaftliche  Geschäfte  neue  geistige  Nahrung 
ziehen   zu   können. 

Man  darf  hoffen,  daß  beide  Herren  dieser  ihnen  von 
einem  hervorragenden  Vertreter  ihres  Fachs  gegebenen  An- 
regung gemäß  sich  während  des  Sommersemesters  1783  dem 
Studium  in  Mainz  hingegeben  haben  werden.  Wenn  sie 
gewissenhaft  verfuhren,  hatten  sie  keine  leichte  Aufgabe 
zu  erfüllen.  Am  Schlüsse  derselben  winkte  dann  die  Be- 
lohnung in  Gestalt  der  ebenfalls  vorgesehenen  kleineren 
Reisen  in  die  nächste  Umgebung.  Beide  Herren  hatten  bei 
ihren  theoretischen  Studien  gefunden,  daß  die  meisten 
Kameralwissenschaften  ,,so  enge"  mit  dem  anschaulichen 
und  der  eigentlichen  Praxis  verbunden  seien.  Dement- 
sprechend wünschten  sie  jetzt  zur  Reise  schreiten  zu  können. 
Dem  Kurator  schien  das  kein  unbilliges  Verlangen  und  er 
empfahl  daher  dem  Kurfürsten22,  nach  Schluß  der  Vor- 
lesungen die  Herren  Spoor  und  Schleenstein  zur  Besichtigung 
von  Fabriken  und  Manufakturen  in  die  umliegende  Gegend 
verreisen  zu  lassen.  Es  könnte  sich  handeln  um  Höchst, 
Orb,  Lohr,  Offenbach,  Hanau  und  Frankenthal.  In  diesen 
Städten  befänden  sich  viele  von  Wiedertäufern  (?)23  an- 
gelegte Etablissements,  die  berücksichtigt  zu  werden  ver- 
dienten.    Jedem  Kandidaten  schlug  der  Freiherr  von  Benzel 


-•-'  Am  23.  Augusl  1783. 
;  liier  liegt  wollt  eine  Verwechslung  mit  Reragiös  und  Wallonen  vor. 
l  ber  deren  Bemühungen,  industrielle  Anlagen  in  Hanau,  Offenbach  und 
Frankfurt  zu  begründen,  siehe  Pirazzi,  Bilder  und  Geschichten  ans  Offen- 
bachs  Vergangenheit  (1879),  S.  162.  Von  Fabriken  und  Manufakturen  in 
Hanau   vgl   Hanauisches  Magazin  (1783)  XL1I— LH.     in  Orb  mochte  etwa 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  17:; 

vor,  50  Taler  zu  verabfolgen  und  sie  zu  verpflichten,  ein 
Diarium  zu  führen,  in  dem  sie  ihre  Beobachtungen  würden 
eintragen   müssen. 

Auch  diese  Berichte,  die  getreu  die  Eindrücke  wieder- 
geben, haben  sicherhalten.2*25  Schleenstein  herichlel  in  dem 
seinigen24,  daß  er  gemäß  der  Instruktion  einige  Male  in  jeder 
Woche  die  Dörfer  besucht  und  dann  eine  Reise  ins  Darm- 
städtische,  Nassauische,  Pfälzische,  Zweibrückischo  und  in 
den  Rheingau  unternommen  habe.  Seine  Heise  hatte  ihn 
kennen  lernen  lassen  die  Ortschaften  Gonzenheim,  Mombach, 
Bretzenheim  und  Hechtsheim,  Nackenheim  und  Bodenheim, 
irräfenhausen  im  Darmstädtischen,  Pfungstadt,  Gundern- 
hausen,  Dieburg,  Aschaffenburg,  Emmerichshofen,  Nassau, 
Wendelsheim  im  Pfälzischen,  Kirchheimbolanden,  Kaisers- 
lautern. Schwerlich  wird  er  eine  alle  dies?  Orte  berührende 
zusammenhängende  Reise  gemacht,  sondern  wahrscheinlich 
kleinere  Fahrten  unternommen  haben.  Schließlich  halte  sein 
jftreg  ihn  in  den  Rheingau  geführt,  wo  er  indes  die  einzelnen 
Orte,  die  er  besucht,  hatte,  nicht  angibt.  Der  Wunsch,  die 
Bedingungen  des  Weinbaues  zu  erforschen,  halte  ihn  dabei 
geleitet.  Von  allem,  was  er  gesehen,  wußte  er  sachgemäß 
zu  berichten  und  gab  am  Schlüsse  seines  Berichts  zwei  be- 
achtenswerte Auslassungen  wesentlich  technischer  Natur, 
die  sich   auf  den  deutschen  Klee-  und  Krapp  hau    bezogen. 

In  andere  Gegenden  hatte  sich  unterdessen  Spoor  be- 
geben. Dieser  hatte  sich  zunächst  mit  verschiedenen  Hand- 
werksbetrieben bekannt  gemacht  und  dadurch  Lust  und 
Fähigkeit  erworben,  sich  nach  den  entsprechenden  Verhält- 
nissen im  Auslande  umzusehen.  Am  10.  September  17s;; 
trat  er  seine  Fahrt  an.  Er  reiste  zuerst  nach  Franklin!  a.  AI. 
und  fand  hier  in  der  Tat,  indem  er  sich  „als  einen  Kom- 
missionär hinstellte,  der  vielleicht  noch  mancherlei  Ge- 
schäfte mit  ihnen  zu  machen  Gelegenheil  haben  würde", 
Zutritt  zu  den  Kaufleuten  und  ihren  Gewollten.  Auch  mit 
Fabrikanten  gewann  er  Fühlung  und  ließ  sich  Auskunft 
über  ihre  Tätigkeif  erteilen.  Indes  kam  hierbei,  weil  die 
Anschauung  fehlte,  seine  „wissenschaftliche  Neugierde"  zu 
kurz.  Daher  begab  er  sich  am  Schlüsse  der  Messe  nach 
Offenbach,    das    „mit   Recht   ein    Manufakturstädtchen"    je 


die  Saline,  in  Lohr  die  Spiegelmanufaktur,  in  Höchsl  die  Tabakfabrife  von 
Bolongaro,  in  Frankenthal  dir  l'or/.ellanfabrik  die  Sehenswürdigkeil  [ör 
Kameralisten  sein.  Vgl.  Fr.  N.  Wolf,  Das  Landgericht  Orb  und  seine  Sa- 
hne (1824);  Friedr.  Stein,  Gesch.  der  Siadi  Lohr  am  Main  i  L898  .  S.  I  Infi'.. 
Gerning,  Die  Lahn-  und  Mainse«end  von  Kins  bis  Frankfurt  (1821),  S.  98  99 
(über  Höchst).      -  ^  Anhang  No.  3.    -  -••  Anhang  No.    I. 


174  Wilhelm  Stieda. 

nannl  zu  worden  verdient20,  und  dort  fand  er  die  erwünschte 
Gelegenheit,  sich  über  allerlei  Industriezweige,  als  Bijouterie, 
Plüsch-  und  Kalla weberei27,  Wollfärberei,  Wachslichtzieherei 
usw.,   ausgiebig  zu  unterrichten. 

Weniger  befriedigt  war  er  über  den  Verkehr  mit  den 
Arbeitern  selbst,  die  er  unfähig  fand,  über  ihre  Tätigkeit 
etwas  auszusagen.  Meist  seien  sie  nicht  gewohnt  über  sie 
nachzudenken  und  würden  über  den  Fremden,  der  sie  mit 
Fragen  und  Einwänden  aufhielte,  ungeduldig.  Von  Offenbach 
kam  er  nach  Seligenstadt,  wo  er  die  Wollenweberei  studierte. 
Hier  geriet  er  auf  einen  praktischen  Gedanken,  indem  er 
die  Pfälzer  und  die  Gräflich  Erbachschen  Wollenweber  und 
Tuchmacher  von  dem  Besuch  der  Märkte  in  den  Mainzischen 
Landen  im  Interesse  der  Seligenstädter  Tuchmacherei  aus- 
geschlossen wissen  wollte.28  Nur  dadurch  könnten  die 
letzteren  vor  dem  sonst  unausbleiblichen  Verfalle  bewahrt 
bleiben.  Den  Beschluß  macht  ein  Aufenthalt  in  Franken- 
thal, wo  er  andere  Industrien  als  in  Offenbach,  nämlich 
Wollenzeug-  und  Tuchmanufaktur  und  die  Porzellanfabri- 
kation kennen  lernte.29 

Beide  Berichte,  wenn  sie  heute  uns  auch  den  Eindruck 
hinterlassen,  mehr  an  der  Oberfläche  stehen  geblieben  zu 
sein,  als  hätte  erwünscht  sein  müssen,  erfüllten  doch  den 
Professor  Pfeiffer  mit  großer  Befriedigung.  Nachdem  er  sie 
gelesen,  sandte  er  sie  weiter30  an  den  Freiherrn  von  Benzel, 
indem  er  hinzufügte:  „Warheit,  Sachkäntnis,  Beurteilung^ 
kraft  mit  einem  ungekünstelten  aber  deutlichen  Vortrag, 
herrschen  in  der  Relation  und  dienen  zum  unverwerflichen 
Zeugnis,  daß  die  Verfasser  den  edlen  Stoltz  besitzen,  brauch- 
bar zu  werden  und  sich  dem  Vaterlande  recht  nützlich  zu 
machen.  Der  Gedanke,  daß  ich  in  diesen  jungen  Leuten 
noch  lange  leben  werde,  gereicht  mir  zu  besonderer  Satis- 
faction  und  ich  hoffe  sie  den  Winter  über  soweit  zu  bringen, 
daß  sie  künftigen  Früling  mit  vielem  Nutzen  aufs  Handwerk 


2,;  (her  Offenbachs  Industrie  geben  einige  Auskunft  P.  Heber,  Ge- 
schichte  der  Stadl  Offenbach  (1838),  S.  188—191,  und  Emil  Pirazzi, 
Bilder  um!  Geschichten  aus  Oilenbachs  Vergangenheit  (1879),  S.  159 — 176. 

-v  Calla,  ein  fassonnierter,  mit  erhabenen  Blumen  gewebter  wollener 
Plüsch,  Samt   oder  Velvel    in  allerlei   Karben.     G.  C.  Bohns  Warenlager3 
neu   bearbeitel    von   Norrmann,    L805. 

28  Über  Seligenstadt,  das  an  der  Geleitsstraße  von  Augsburg  und 
Nürnberg  zur  Frankfurter  Messe  lag,  und  seine  eigenartige  Sitten  vgl. 
Pirazzi,  a.  a.  0.,  S.  151  ff. 

-"■'  Über  die  Porzellanfabrik  zu  Frankenthal  im  Jahre  1782  vgl.  Mann- 
heimer Gcsrhichtshläller  (1904),  No.  4;  weitere  Literatur  bei  Stieda,  Die 
keramische   Industrie  in  Bayern,  S.  8.   —  so  Am  26.  Novbr.  1783. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaf't.  175 

reisen  und  sich  den  Sommer  über  qnalificiren  können  in 
alle  Sättel  des  so  weitläuftigen  Cameral-Fachs  gerechi  zu 
werden."  Auch  auf  den  Kurator  von  Benzol,  der  die  Berichte 
dem  Kurfürsten  zu  unterbreiten  hatte31,  machten  si  •  einen 
guten  Eindruck.  Er  meinte,  daß  der  Bericht  ,;viele  gute  An- 
merckungen  enthielte",  und  „bewiese  die  von  den  beiden 
Kandidaten  angewandte  Aufmerksamkeit  und  den  in  ihrem 
Richtigen  und  weitläuftigen  Fache  schon  gemachten  Fort- 
gang". 

Den  Winter  von  1783  auf  1784  haben  dann  die  Herren 
Spoor  und  Schleenstein  augenscheinlich  im  beruhigenden 
Gefühl  ihre  Pflicht  getan  zu  haben,  verbracht.  Die  Hoff- 
nung auf  die  größere  programmäßig  vorgesehene  Reise 
dürfte  ihre  Brust  geschwellt  haben.  Hoffentlich  werden  sie 
von  der  gebotenen  Gelegenheit,  sich  in  Mainz  belehren  zu 
lassen,    guten   Gebrauch    gemacht    haben. 

Professor  Pfeiffer  vergaß  auch  nicht,  sich  ihrer  anzu- 
nehmen. Am  29.  Februar  1784  regte  er  beim  Kurator  an, 
die  jungen  Männer  auf  Beisen  zu  schicken.  Nachdem  si  i 
eben  hoch  die  Anfangsgründe  der  Chemie,  die  er  privat issime 
vorgetragen  habe,  gehört  hätten,  seien  sie  in  der  Theorie 
fertig  und  um  „nun  das  Gehörte  gleichsam  in  suecum  et 
sanguinem  zu  verwandeln",  wären  sie  jetzt  auf  Reisen  zu 
schicken.  Vom  April  bis  Ende  Oktober  sollte  die  Pahrl 
dauern.  Er  werde  für  eine  Marschroute  und  Empfehlungs- 
briefe sorgen.  Von  unterwegs  sollten  die  beiden  Beisenden 
dann   von  Zeit  zu  Zeit  ihre  Tagebücher  einsenden. 

Vom  Kurator  daraufhin  wahrscheinlich  anueregt.  sich 
darüber  zu  äußern,  inwieweit  es  sich  empfehle,  für  die 
beiden  Herren  die  schon  begonnene  Beschränkung  der 
Studien  auf  einen  Teil  der  Kameralwissenschaften  festzu- 
halten, äußerte  sich  Professor  Pfeiffer  am  11.  März  1184 
noch  einmal  zur  Sache.  Jedem  Professor  sollte  man  die 
Wissenschaft  anvertrauen,  zu  der  er  die  stärkste  Neigung  zu 
haben  scheint.  Daher  soll  Spoor  sich  auf  Staatswirtschaft, 
Staats-Kommerzienwesen,  Siädtewirtschafl,  Pol  i  zei  Wissen- 
schaft, Finanzwissen  sc  hall,  Manufaklurwissenschafl  und 
Technologie  legen.  Schleenstein  dagegen  halle  zu  treiben:  die 
ganze  Landwirtschaft,  einschließlich  Vieharzneikunst,  Fische- 
rei, Bergwerke,  Porsten,  ökonomische  Chemie  (Lehre  von  Erd- 
lind Steinarbeiten,  Hafner-,  Fayence-,  Porzellan  ,  Glasmacher  . 
Ziegel-   und   Kalkbrennerei),  Zivilbaukunst:   Lehre   von   den 


31  Am  7.  Dezbr.  1783. 


176  Wilhelm  Stieda. 

Salzarten  (Potaschesieclereien,  Vitriolöl-  und  Scheidewasser- 
brennereien, Borax,  Zuckerraffinerien) ;  Lehre  von  brennbaren 
Körpern  (Raffination  des  Kampfers,  Zubereitung  des  Siegel- 
lacks, Verkohlung  des  Holzes  und  der  Steinkohlen,  Wachs- 
und Unschlittkerzen-Verfertigung),  Lehre  von  Metallen  und 
metallischen  Fabrikaten,  Probierkunst,  Glasmalerei  usw., 
Lehre  von  Färbereien,  Waschen,  Bleichen,  Lackieren,  Walken, 
Weissieden,  Vergolden,  Versilbern,  Verzinnen,  Ätzen  und 
Beitzen,  Lehre  von  der  Gärung,  der  Fermentation.  Mit  der 
kaufmännischen  Rechnungs-Verfassung  sich  zu  beschäftigen, 
scheint  Pfeiffer  nicht  für  nötig  erachtet  zu  haben,  da  sie 
„für  den  großen  Haufen  der  Kandidaten,  die  in  einem  Jahre 
absolviret  werden  wollen,  entbehrlich  und  zu  weitläuftig" 
sei,  auch  bald  vergessen  wäre. 

In  bezug  auf  die  einzuhaltende  Marschroute  entwarf 
Pfeiffer  zwei  Pläne.  Der  eine  führte  von  Mainz  über  Heidel- 
berg, Bruchsal,  Speyer,  Stuttgart  nach  Ulm,  von  da  zu 
Wasser  nach  Wien,  dann  nach  Steiermark,  Kärnten  und 
Triest  bis  Venedig :  zurück  durch  Tirol  über  Augsburg, 
Sachsen,  Berlin,  den  Harz,  Göttingen  nach  Cassel  und  Mainz. 
Nach  dem  anderen  Plan  sollten  Stuttgart,  Augsburg,  München, 
Wien,  Prag,  Dresden,  Leipzig,  Berlin,  der  Harz,  Göttingen  und 
Cassel  nebst  den  dazwischenliegenden  Gegenden  mit  den 
„Ausen    eines    guten    Beobachters"    bereist   werden. 

Keiner  der  beiden  Pläne  ist  vollständig  zur  Ausführung 
gelangt.  Wahrscheinlich  ist  noch  im  letzten  Augenblick  oder 
nach  Rücksprache  mit  den  Reisenden  selbst  eine  andere 
Route  aufgestellt  worden.  Auch  von  dieser  kamen  dann 
noch  Abweichungen  vor.  Dem  Kurfürsten  wurde  kein  be- 
stimmter Plan  mitgeteilt,  sondern  ihm  nur  durch  den  Kurator 
empfohlen32,  überhaupt  die  beiden  Privatdozenten  auf  Reisen 
ziehen  zu  lassen.  Beide  seien,  meinte  Freiherr  von  Benzel, 
gesetzten  Geistes  und  vom  besten  Willen  beseelt.  Man  könne 
erwarten,  daß  sie  ihren  Auftrag  gut  erfüllen  würden.  Die 
einzige  Verpflichtung,  die  man  ihnen  auferlegen  zu  müssen 
glaubte,  bestand  in  der  Versicherung,  daß  sie  niemals  ohne 
kurfürstliche  Genehmigung  in  andere  Dienste  übergehen 
würden.  Die  Tagegelder  wurden  für  beide  auf  vier  Gulden 
und  48  Kreuzer  bestimmt.  Doch  wurden  die  Fahrtkosten 
außerdem  bezahlt. 


32  Am  13.  März  1784. 


Ausbildung  in  Kam eral Wissenschaft.  177 


III. 


Am  18.  April  1784  reisten  Spoor  und  Schleenstein  aus 
Mainz  ab,  und  am  19.  Mai  war  der  Kurator  in  der  Lage,  dem 
Kurfürsten  den  ersten  Bericht  über  die  Reise,  datierl  vom 
7.  Mai  aus  Halle33,,  zu  unterbreiten.  Er  schilderte,  was  man 
in  Aschaffenburg,  Würzburg,  Fürth,  Erlangen,  Nürnberg, 
Leipzig  erlebt  und  gesehen  hatte.  Wissenschaftliche  und 
praktische  Rücksichten  verstanden  die  Reisenden  zu  ver- 
einigen. Der  Besuch  von  Rats-  und  Universitätsbibliotheken, 
von  Anatomien  und  chemischen  Laboratorien,  von  Zucht- 
häusern und  Spitälern  verband  sich  mit  der  Besichtigung 
von  Landgütern  und  .Manufakturen.34  Auf  dem  kurfürstlichen 
Ükonomiehof  bei  Aschaffenburg  verfehlten  die  Reisenden 
den  Inspektor  Wesseli3*a,  in  Würzburg  aber  erfreuten  sie  sich 
der  gütigen  Führung  durch  den  Hofkammerrat  Stoll311',  dessen 
Bekanntschaft  ihnen  eben  so  lehrreich  als  angenehm  war. 
In  Nürnberg  ereilte  sie  das  Mißgeschick,  daß  sie  diejenigen 
Persönlichkeiten,  an  die  sie  Empfehlungsschreiben  halten, 
nicht  daheim  trafen.  Doch  wurden  sie  entschädigt  du  ich 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Ordensgeistlichen  aus  der  Abtei 
Eberbach,  Herrn  Baumann,  dem  Verfasser  der  „entdeckten 
Geheimnisse  der  Land-  und  Hauswirtschaft",  der  ungemein 
herzlich  gegen  die  jungen  Reisenden  war.  Er  beabsichtigte, 
sich  an  der  Universität  Würzburg  um  eine  Professur  der 
Ökonomie   zu    bewerben.35 

Sehr  entgegenkommend  war  die  Aufnahme  in  Erlang  sn. 
Für  die  Gefälligkeit,  Freundschaft  und  Verbindlichkeit  der 
dortigen  Professoren  liegen  die  Fremden  aal  der  Berichl 
höchst  anerkennende   Worte  der  Dankbarkeit.     Seihst    Pro- 


33  Anhang  No.  5. 

M  Welche  Etablissements  sie  in  jeder  Stadl  aufsuchten,  siehe  im  ein- 
zelnen in  der  Abrechnung,  Anhang  No.  8. 

:i4a  Adam  Thomas  Wesseli  wurde  am   1.  Oktbr.   L782  Ihm  der  neuen 
imtereinrichtung    im    Kurstaat    .Mainz    zum    herrschaftlichen    Güter     odei 
Ökonomieinspektor  und    Frondschreiber  am   Vizedomami    Vschaffenburg  er- 
nannt.    Er  war  1810  noch  in  der  gleichen  Stellung.     Gefällige  Mitteiluni 
des  Kgl.   Kreisarchivs  Würzburg. 

:;"1  Kran/  Sebastian  Stoll,  Ins  177!)  Straßenbaukommissions-Sekretär, 
wurde  am  8.  Mai  177'.i  zum  Hofkammerrat  ernannt,  in  welcher  Stellung  er 
sich  1S02  nor|>  nachweisen  läßt.  Er  hat  sich  große  Verdienste  um  den 
Chausaeebau  und  den  Weinbau  erworben.  Gregor  Schöpf,  Historisch 
statistische  Beschreibung  des  Hochstifts  Würzburg,  Hildburgh  1802,  S.  111, 
152,    193,    194.     Gefällige   Mitteilung   des   Kgl.   Kreisarchivs   Würzbi 

3:'  Sein  Wunsch  scheint  nicht  in  Erfülluni  e  angen  zu  sein,  da 
Wegele  in  der  Geschichte  der  Universität  Würzburg  ihn  nicht  als  Professor 
anführt.     Das  Buch  „Entdecktes  Geheimnis"   usw.  erschien    L783 

Beitrüge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mninz  u.  Gießen.  ,a 


17s  Wilhelm  Stieda. 

fessor  Schreber36,  den  man  ihnen  als  einen  Mann  geschildert 
halte,  „hei  dem  sie  das  Gefällige  im  Umgange  nicht  suchen 
(lüil'lcn",  übertraf  ihre  Erwartungen.  Er  war,  obwohl 
„schüchtern,  ängstlich  und  zurückhaltend",  doch  in  jeder 
Hinsicht  hülfsbereit,  erklärte  den  jungen  Kollegen  alles  und 
gab  ihnen  einen  Empfehlungsbrief  an  Professor  Leske  in 
Leipzig  mit.37  Sein  Vater,  der  Vorgänger  Leskes  auf  dem 
Lehrstuhle  der  Kameralwissenschaften  in  Leipzig,  war  damals 
schon  gestorben.38  Professor  Suckow,  ein  bejahrter,  gut- 
herziger Mann,  zeigte  den  physikalischen  Apparat  und 
empfahl  sie  an  seinen  Bruder,  den  Professor  der  Physik 
und  Kameralwissenschaften  in  Jena.39  Den  Historiker 
Meusel40  suchten  sie  mehrere  Male  auf,  immer  freundlichst 
aufgenommen,  und  wohnten  auch  einer  seiner  Vorlesungen 
bei.  Der  Jurist  Häberlin41  aber,  der  zugleich  Vorstand  der 
Universitätsbibliothek  war,  ließ  es  sich  nicht  nehmen,  sie 
in  seine  Anstalt  und  nachher  zu  einigen  in  der  Nähe  be- 
findlichen industriellen  Etablissements  zu  geleiten.42  Nur 
mit  dem  Kliniker  Delhis43,  der  zugleich  als  „großer  Chemist" 
galt,  hatten  sie  Unglück,  insofern  als  er,  krank  im  Bett,  sie 
nicht  empfangen  konnte.  In  einer  Gesellschaft  von  Pro- 
fessoren und  Juristen,  in  der  sie  von  Häberlin  eingeführt 
wurden,  hatten  sie  Gelegenheit,  sich  über  die  seither  voll- 
zogene Restauration  der  Universität  Mainz  auszulassen. 
Hierbei  kam  dann  wohl  etwas  Lokalpatriotismus  zutage, 
wenn  nicht  die  Absicht,  dem  Kurfürsten  Angenehmes  zu 
s.'igen,  indem  sie  berichteten,  bemerkt  zu  haben,  daß  aus  den 
Mienen  der  Erlanger  Professoren  „oft  ziemlich  deutlich  Be- 
neidung"  hervorgeblickt  hätte.44 

:i,;  Johann  Christian  Daniel  Schreber,  1739 — 1800.  Alk.  Deutsche 
Biogr.     Stieda,   a.  a.  0.,   S.   107. 

;;T  Nathanael  Grottfried  Leske,  1751 — 1786,  seit  1777  ordentlicher  Pro- 
fessor der   Kameralwissenschaften   in   Leipzig,  Stieda,  a.   a.   0.,  S.  309. 

3fi  Im  Jahre   1777,  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  309. 

■'■'■'  Simon    Gabriel    Suckow,    1721 — 1786,    seil    1752   ordentlicher   Pro 

•r  in  Erlangen.     (1.   A.   W.  Fikenscher,   Vollständige  akademische  <ie- 

lehrten-iGeschichte    der    Universität    Erlangen,    1806.      Lorenz    Joh.    Dan. 

Suckow,  1722—1801,  ordentlicher  Professor  in  Jena,  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  78. 

111  Joh.    Gern-    Mensel.   1743—1820. 

13  Doch  wohl  Karl  Friedrich  Häberlin  gemeint,  1756—1808,  der  seit 
1782  außerordentlicher  Professor  war  und  nachher  nach  Helmstedt  üher- 
siedelte. 

1 -'  i  ber  die  Industrien  in  Erlangen  vgl.  Georg  Schanz,  Zur  Geschichte 
der    Ki. Ionisation    and    Industrie    in   Franken  (1884),   S.    10") ff. 

1  Heinr.  Friedr.  Delins.  1720 — 1791,  ordentlicher  Professor  der  Me- 
dizin, Fikenscher,  a.  a.  0.,  2,  S.  51  ff. 

44  Über  die  Universität  .Main/:  Bockenheimer,  Die  Restauration  der 
Mainzer   Hochschule   im   Jahre    1784,   Mainz   1884. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  179 

«. 
Prägte  sich-  der  Aufenthalt   in   Erlangen   gesellschaftlich 

unseren  Reisenden  stark  ein,  so  vermochten  sie  für  ihre 
fachliche  Ausbildung  sich  weniger  gefördert  anzusehen. 
Denn  keine  einzige  der  in  ihr  Fach  schlagenden  und  im 
Lektionsverzeichnis  angekündigten  Vorlesungen  war  zu- 
stande  gekommen.45 

In  Baireuth,  wohin  sie  an  den  Kammerregistrat! >r 
Wunder  verwiesen  worden  waren,  zeigte  ihnen  dieser  das 
ansehnliche  ^laturalienkabinett  und  die  im  sogenannten 
Brandenburger  Zuchthause  eingerichtete  Marmorschneiderei 
und  Schleiferei. 46 

Nach  Leipzig  gerieten  die  Reisenden  gerade  während 
der  Ostermesse  und  fanden  den  Aufenthalt  so  kostspielig, 
daß  sie,  rasch  entschlossen,  die  Fahrt  nach  Halle  fortsetzten. 
Professor  Leske,  hei  dem  sie  ein  Empfehlungsschreiben  ab- 
gaben, war  derart  mit  Geschäften  überhäuft,  daß  er  hei  aller 
Freundlichkeit  der  Aufnahme  nicht  viel  Zeit  für  sie  hatte. 

Nicht  ganz  ohne  Opfer  war  all  das  Schöne,  das  sie  ge- 
nossen hatten,  erlangt.  Auf  den  schlechten  Frühjahrswegen 
hatten  die  beiden  Kameralisten  viel  auszustehen  gehabt  und 
auch  unter  dem  wechselnden  Aprilweiter  gelitten.  Ihre 
Reisekosten  waren  dadurch  gestiegen  und  sie  sahen  mit 
Schrecken  dem  Ende  ihrer  Barschaft  entgegen.  Daher  schloß 
der  erste  Bericht  bereits  mit  der  Bitte,  bis  zum  22.  Mai  unter 
der  Adresse  des  „Blauen  Engel"  in  Leipzig,  wohin  sie  nach 
der  Messe  zurückzukehren  beabsichtigten,  einen  frischen 
Wechsel  zu  senden.47 

Dem  ersten  Briefe  folgte  vier  Wochen  danach,  am 
ö.  Juni,  der  zweite,  aus  Leipzig  datiert,  der  den  Empfang  von 
200  Talern  dankend  anzeigte.  In  Halle,  wo  die  Reisenden 
Mille  Mai  eingetroffen  waren,  hatten  die  Vorlesungen  noch 
nicht  begonnen.  Daher  hatten  die  Kameralisten  die  Gelegen- 
heit wahrgenommen,  um  die  Salzsiedereien  in  Halle  selbst, 


45  Über  die  Kameralwissenschafteh  an  der  Universität  Erlangen  im 
18.   Jahrhundert   siehe   Stieda,   a.   a.   0.,   S.   82/83. 

4c  Chr.  Meyer,  Hardenberg  und  seine  Verwaltung  (1892),  S.  103,  155, 
liezifleri  für  das  Jahr  1797  den  Wert  der  Fabrikation  auf  3000  Gulden 
und  auf  ebensoviel  den  Wert  der  Ausfuhr  der  Marmorfabrik  in  Baireuth. 
Die  „Vertrauten  Briefe  über  das  Fürstenthum  Baireuth"  (Baireuth  1794), 
S.  112,  erwähnen  das  Vorkommen  von  Marmor,  der  zu  Epitaphien,  Al- 
tären, Särgen  etc.  gebraucht  würde,  in  beinahe  allen  Gegenden  des  Voigt- 
landes. 

47  Dei  Blaue  Engel  war  ein  Gasthof  auf  der  vornehmen  Petersstraße 
in  Leipzig,  dessen  Inhaber  im  Jahre  1784  Phil.  Bernh.  Orb  war.  Im 
Leipziger  Adreß-,  Posl-  und  Reise-Calender  vom  Jahre  1784  heißt  es  von 
ihm:  „schenkt  Wein,  speiset  und  logirt  Fremde". 

12* 


180  Wilhelm  Stieda. 

die  Kohlenwerke  von  Löbejün48  und  Wettin49,  ein  Gut  des 
Herrn  Oberamtmanns  Holzhausen  bei  Gröbzig50,  sowie  die 
Kupferschmelze  zu  Rothenburg51  zu  besichtigen.  Nach  Halle 
zurückgekehrt,  wo  unterdessen  die  Vorlesungen  begonnen 
hatten,  konnten  sie  ihr  Wissen  bereichern  durch  die  Vor- 
lesungen des  Professors  Förster52,  des  Physikers  Karsten53, 
des  Botanikers  Junghans54,  des  Chemikers  Richter55  und  des 
Zoologen  Goldhagen.56 

Besonders  nahm  sich  ihrer  Professor  Förster  an,  wie 
sie  glaubten,  ,,aus  besonderen  Absichten".57  Er  führte  sie 
in  eine  Gesellschaft  Gelehrter  ein,  wo  sie  verschiedene  in- 
teressante Bekanntschaften  anknüpften.  Die  Bibliothek  in 
Halle  schien  ihnen  für  ihre  Fächer  nicht  belangreich. 

Auf  dem  Rückwege  nach  Leipzig  machten  sie  zunächst 
dem  Kammerdirektor  Hofmann  aus  Berlin  einen  Besuch,  der 
sich  während  des  Sommers  auf  seinem  Gute  Dieskau58  aufl 
hielt.  Durch  ihn,  der  ein  eifriger  und  ,,sehr  großer  Landwirtf 
war,  fühlten  sie  sich  außerordentlich  gefördert.  Desto- 
weniger  war  das  in  Leipzig  selbst  der  Fall,  wo  sie  das 
Studium  der  Kameralwissenschaften  „wider  Erwartung" 
schlecht  betrieben  fanden.  Leske  konnte  in  seiner  Vorlesung 
über  Naturgeschichte  nur  sechs,  Professor  Roessig59  in  der 
seini^en  über  Ökonomie  gar  nur  vier  Hörer  aufweisen.  Die 
Bibliothek  war  für  ihre  Fächer  ebenso  gering  wie  in  Halle, 


4S  Steinkohlengruben  im  Saalkreis,  Rgbzk.  Merseburg. 

49  Stadt    im   Saalkreis,   Rgbzk.   Merseburg. 

'"  Stadt   an   der  Fuhne  in  Anhalt-Dessau. 

51   Pfarrdorf   im   Saalkreis,   Rgbzk.   Merseburg. 

5-  Joh.  Christian  Förster,  1735—1798,  Stieda,  a.  a.  0.,  S.  85;  er  las 
über  theoretische  Philosophie  und  zugleich  über  Verwaltungsfächer. 

53  Wenzeslaus  Joh.  Gust.  Karsten,  1732 — 1787,  seit  1778  Professor 
der   Physik   in   Halle. 

''  Phil.  Kaspar  Junghans,  1738 — 1797,  ordentlicher  Professor  und 
Direktor  des  botanischen  Gartens  in  Halle. 

55  Einen  Professor  der  Chemie  dieses  Namens  weisen  Sehrader,  Ge- 
schichte der  Friedr. -Universität  Halle  (1894),  und  Poggendorf,  Biogr.  ele. 
Wörterbuch,  nichl  nach. 

•r,,;  .1.  Friedr.  Goldhagen,  stirbt  1788,  zunächst  Professor  der  Natur 
geschiehtc,   seit    1778  Professor  der   Medizin,  Schrader,   a.   a.   0.    1,   S.  401. 

57  Vielleicht  machte  er  sich  Hoffnung  auf  eine  Professur  in  Mainz. 
Talsächlich  war  damals  nach  einem  Berichte  des  Kurators  vom  27.  April 
1785  erwogen  worden,  „einige  Männer  von  erster  Größe  von  außen"  zu 
berufen.  Doch  fand  sich  Försters  Name  nicht  unter  den  genannten,  Stieda, 
a.  a.   0.,  S.  200. 

■r,s   Dorf  und  Rittergut  im  Saalkreis,  Rgbzk.  Merseburg,  Prov.  Sachsen. 

■r>»  Karl  Cfottlob  Roessig,  1752— 1806,' Stieda,  a.  a.  6„  S.  274.  Nach 
dem  Vorlesungsverzeichnis  für  das  Sommersemester  1784  las  Roessig 
Ökonomie  am  Montag  und  Dienstag  um  10  Uhr,  Leske  einen  „Cursus  histoi- 
riae    naturalis"    viermal    die    Woche    um    9   Chr. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  Is' 

und  (\er  botanische  Garten  von  „sehr  geringem  Umfange".60 
Beide  kamen  daher  zu  der  Überzeugung,  daß  in  Leipzig  ihres 
Bleibens  nicht  lange  sein  konnte  und  sie  ihre  Reise  nach 
Jena  alsbald  fortsetzen  müßten. 

In  Mainz  verfehlte  dieser  Brief  nicht  Eindruck  zu 
machen.  Der  Kurator  war  zufrieden  damit,  daß  die  beiden 
Praktikanten  ihre  Zeit  gut  zu  verwenden  schienen.  Aber 
er  konnte  sich  nicht  enthalten,  seinem  Begleitschrei  bei  i  an 
den  Kurfürsten  vom  14.  Juni  1784  die  Bemerkung  hinzuzu- 
fügen: man  sehe,  daß  von  manchen  deutschen  und  be- 
rühmten Universitäten  eben  das  nicht  geleistet  wird,  was 
dem  äußeren  Scheine  und  dem  Rufe  nach  davon  erwartet 
werden  sollte. 

Auf  der  Reise  von  Leipzig  nach  Jena  berührten  diie 
beiden  Privatdozenten  am  14.  Juni  Würchwitz,  wo  der  damals 
schon  durch  seine  Bemühungen  um  die  Ausbreitung  des 
Kleebaues  berühmt  gewordene  Schubart61  ansässig  war.  Er 
führte  sie  gefällig  durch  seine  Felder  und  erklärte  ihnen  alles. 
Jena  konnte  ihnen  wenig  bieten.62  Den  weimarischen 
Kammerrat,  Suckow,  der  seit  dem  Jahre  1756  Lehrer  der 
Physik  und  Mathematik,  auch  Forstwirtschaft,  Land-  und 
Stadtwirtschaft  war,  lernten  sie  als  einen  „sehr  großen  Eiferer 
für  die  Kameral Wissenschaften"  kennen.  Wenn  sie  auch 
außer  ihm  noch  einige  Bekanntschaften  machten  und  be- 
saben,  „was  in  ihrem  Fache  dienlich  seyn  konnte",  so  enl 
schlössen  sie  sich  doch  bald,  nach  Erfurt  weiter  zu  reisen. 

Doch  diese  ehrwürdige  Hochschule  leistete  auf  dem  Ge- 
biete der  Kameralwissenschaften  nicht  mehr  wie  Jena.  Pro- 
fessor Gotthard63,  der  an  die  Stelle  des  im  Jahre  verlier  ge- 
storbenen Professors  Hadelich64  getreten  war  und  nichl  ohne 
Beilall  die  Wirtschaftswissenschaften  vortrug,  lernten  sie 
nicht  keimen.  Sie  begnügten  sich,  den  Beamten  der  Kammer 
ihre  Aufwartung  zu  machen,  deren  einer,  der  Kammerral 
Midier,  sie  zur  Erbacher65  Stahlquelle  hinführte,  wo  er  ihnen 
einige  Experimente  vormachte.    Außerdem  zpgen  das  Polizei- 


so  über  die  Geschichte  des  botanischen  Gartens  vergl.  Mitteilungen 
der  Deutschen  Gesellschaft   in   Leipzig,  Bd.   10,  S.  •">  I  55 

,;1  Johann  Christian  Schubart,  edler  Herr  von  dem  Kleefelde,  1734  bis 
1787,  bewirtschaftete  die  Güter  Würchwitz,  Pobles  und  Kreischau  in  der 
Gegend  von  Zeitz.  Meusel,  Lexikon  der  verstorbenen  Schriftsteller,  Bd.  12, 
S.    182. 

62  Über  das  Kameralstudium  in  Jena  Stieda,  a.  a.  0.,  S.   78,  79 
,;:;  Job.  Christian  Gotthard,  stirbt    1813,  Stieda,  a.  a.  0.,  S.   104. 
i;!  Sigismund  Leberecht   Hadelich,   L734     1783,  Stieda,  a.  a.  0.,  S  99 
6S  Jac.    Dominicus,    Erfurt    und    das    Erfurtische    Gebiel    etc.    L793, 
Hd.    1,   S.    17,   führt    ein   Stahlwasser   bei    Urbich   an. 


182  Wilhelm  Stieda. 

haus  und  die  Zeug-  und  Wollenbandmanufaktur  ihre  Auf- 
merksamkeit auf  sich.  Der  einzige  Professor,  von  dessen 
persönlicher  Bekanntschaft  der  Bericht  spricht,  war  Stumm. ,;G 

In  Göttingen  fanden  die  Reisenden  endlich  eine  Lehr- 
anstalt, die  sie  fesselte.  Die  Persönlichkeit  Beckmanns,  der 
seit  dem  Jahre  1766,  zuerst  als  Extraordinarius,  seit  dem 
Jahre  1769  als  Ordinarius  über  Mineralogie  und  Landwirt- 
schaft, Technologie,  Handlungswissenschaft,  Polizeiwissen- 
schaft und  Kameral Wissenschaft  vortrug67,  war  in  ihrer  Uni- 
versalität offenbar  eine  Idealfigur  für  die  Mainzer  Kamera- 
listen. Der  Ruhm  dieses  Gelehrten  sowie  seine  zahlreiche  Zu- 
hörerschar flößten  gebührende  Achtung  ein,  und  da  ihnen 
„an  seiner  Freundschaft  viel  gelegen  war",  so  schrieben  sie 
sich  für  seine  Vorlesung  über  Ökonomie  und  Technologie  ein, 
obwohl  dieselbe  schon  begonnen  hatte.  Die  „vollkommen  be- 
setzte"  Bibliothek,  der  in  sehr  gutem  Zustande  befindliche 
botanische  (ökonomische)  Garten,  die  Erlaubnis  Beckmanns, 
seine  Mineralien-  und  Maschinensammlung  zu  benutzen, 
mußten   weitere   Anziehungsmittel    sein.68 

Fünf  Wochen  später  berichteten  sie  dann  aus  Göt- 
tingen69, daß  ihre  Studien  sich  in  normaler  Weise  vollzögen, 
der  eine  Tag  wie  der  andere.  Sie  hörten  zwei  Stunden 
täglich  Vorlesungen  bei  Beckmann,  benutzten  Vor-  und  Nach- 
mittags einige  Stunden  die  Bibliothek,  „die  in  allen  Theilen 
der  Kameralwissenschafl  gut  besetzt"  war,  und  arbeiteten  am 
Morgen  in  der  Frühe  wenigstens  zwei  Stunden  im  ökoi 
nomischen  Garten.  Die  ihnen  dann  noch  übrigbleibende 
Zeit  verbrachten  sie  mit  dem  Ordnen  ihrer  Auszüge  und 
Niederschriften  zu  Hause.  Bei  ihren  Studien  erwies  sich 
ihnen  von  großem  Nutzen  der  Bibliothekar  Dietze70,  der  zwei 
Wochen  darauf  an  die  Bibliothek  in  Mainz  berufen  wurde, 
aber  leider  früh  starb.71  Er  erlaubte,  die  Büchersammlung 
nicht  nur  zu  den  gewöhnlichen  Zeiten,  zweimal  die  Woche, 


''  Wie  es  scheinl  kein  Universitätsprofessor;  wenigstens  nirgends 
nachweisbar. 

'■'•  Johann  Beckmann,  L739-  L811.  Frensdorff,  Festschrift  zur  150jäh- 
rigen  Feier  der  Gesellschaft  d.  Wissenschaften  (1901),  S.  549;  Stieda; 
a.   a.   0.,   S.   37. 

68  Anhang  No.  7.  Auch  .1.  Meermann,  Freiherr  von  Dalem,  der  sieben 
Jahre  später,  nachdem  er  dorl  „zwe^  der  nützlichsten  Jahre"  seines  La 
bens  zugebracht  hatte,  aufs  neue  nach  Göttingen  kam.  war  seines  Luhes 
voll.  In  einem  Vergleiche  Göttingens  mit  Leipzig  mußte  'las  letztere  „bej 
siegl  vom  Kampfplatze  treten".  Meermanns  Reise  durch  Preußen,  Östeß 
reich   und  andere  deutschen   Länder  (1793),  Teil  I,  S.  31  ff ,  271. 

0;'  Anhang  No.  8. 

7"  Johann  Andreas  Dietze,  1729—1785.  Mensel.  Lexikon,  Bd.  -'. 
S.  365.  —  7'   Bockenheimer,  a.  a.  0.,  S.  -13. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaf't.  lv; 

sondern  auch  außerhalb  dieser  Stunden  zu  benutzen,  gab 
ihnen  Bücher  mit  nach  Hause  lund  hatte  nichts)  dagegen,  wenn 
sie  außerhalb  der  vorschriftsmäßigen  Bücherausgabe  ohne 
vorhergegangene  Bestellung  sich  Bücher  holten.  Trotz  aller 
dieser  fleißigen  Vorarbeiten  konnten  sie  sich  eines  gelinden 
Schauers  nicht  erwehren,  wenn  sie  an  die  Ausarbeitung  ihrer 
Vorlesungen  für  den  bevorstehenden  Winter  dachten.  Sic 
verfehlten  nicht,  den  Herrn  Kurator  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  daß  sie  für  diesen  Zweck  noch  manche  schöne 
Stunde  würden  opfern  müssen.  Noch  mehr  wurde  dieser 
Gesichtspunkt  im  letzten  Bericht  vom  5.  September 
1784 72  betont.  Sie  erklärten  es  geradezu  als  unmöglich,  die 
Menge  der  von  ihnen  gemachten  Auszüge  schon  in  Göt- 
tingen  in  ein  zusammenhängendes  System  zu  bringen,  und 
baten,  im  bevorstehenden  Wintersemester  noch  keine  Vor- 
lesungen von  ihnen  zu   erwarten. 

Laut  der  ihnen  gegebenen  Anweisung  hatten  die 
Reisenden  den  Rückweg  über  den  Harz  zu  nehmen,  offenbar 
in  der  Absicht,  sich  das  dortige  Bergwerkswesen  genauer 
anzusehen.  Bei  der  Verwirklichung  dieses  Planes  zeigten 
sich  indes  Schwierigkeiten.  Wenn  sie  Göttingen  nicht  vor 
Schluß  des  Semesters  verlassen  wollten,  so  konnten  sie 
erst  im  Oktober,  das  heißt  einer  für  den  Harz  ungeeigneten 
Periode,  ihre  Bergwerksreise  unternehmen,  für  die  sie 
glaubten,  vier  Wochen  nötig  zu  haben.  Wollten  sie  aber 
(iöttingen  schon  im  September  aufgeben,  so  mußten  sie 
; . i ,  1'  alles  verzichten,  was  ihnen  den  Aufenthalt  daselbst 
so  wertvoll  erscheinen  ließ.  Die  Anregung,  die  sie  dorl 
empfangen  konnten,  schien  ihnen  zu  wichtig,  als  daß  sie 
sie  ohne  weiteres  entbehren  mochten,  ja  sie  hegten  vielleicht 
die  Hoffnung,  daß  der  Kurator  ihnen  erlauben  würde,  das 
Wintersemester  1784/85  ebenfalls  in  Göttingen  zuzubring  sn. 
Wenigstens  teilten  sie  mit,  daß  in  diesem,  drei  Wochen 
aach  Michaelis,  die  Vorlesungen  offiziell  begännen,  tatsäch- 
lich eine  Woche  nach  diesem  Termine  und  schickten  ein  \  er 
zeichnis  der  für  dasselbe  angekündigten  Vorlesungen.  Die 
Bergwerksreise  durch  den  Harz,  meinten  sie,  winde  vermut- 
lich viele  Unkosten  verursachen  und  außerdem  glaubten  sie, 
da  ihnen  ja  noch  weitere  „praktische  Reisen"  in  lussichl  g  i 
stellt,  waren,  dieselbe  „mit  weil  größerem  Vortheile"  nach- 
holen  zu   können. 

Demnach  ist  es  offenbar  zur  Rückreise  über  den  Harz 
nicht  gekommen.  Anfang  Oktober  verließen  die  beiden 
Kameralislen  Göttingen,  das  ihnen  so  bei.  geworden  war.  und 

•-  Anhang  No.  9. 


184  Wilhelm  Stieda. 

kehrten  über  Cassel  und  Fulda  nach  Mainz  zurück,  wo  sie 
gegen  Ende  des  Monats  eintrafen. 

Nach  glücklicher  Beendigung  ihrer  Reisen  waren  sie  nun 
jedenfalls  so  weit,  daß  ihrer  Zulassung  als  Privatdozenten 
nichts  im  Wege  gestanden  haben  dürfte.  Vermutlich  ist  unter 
Empfehlung  von  Pfeiffer  ihre  Habilitation  ohne  jede  weitere 
Förmlichkeit  erfolgt.75  In  dem  Catalogus  lectionum  für  das 
Mitte  November  1784  beginnende  Wintersemester  erscheinen 
denn  auch  erstmalig  als  Docentes  Privati  Spoor  und  Schleen- 
stein.  Der  erstere  trug  die  Polizeiwissenschaft  (de  ordinando 
rei  publicae  statu  interno,  vulgo  Politiam  tradet),  der  letztere 
die  Landwirtschaft  (fundamenta  oeconomiae  ruralis)  vor. 
Wir  wir  wissen,  waren  beide  ohne  Vermögen,  und  da  von 
dem  Honorar  für  die  Vorlesungen  vermutlich  nicht  viel  er- 
wartet werden  konnte,  so  mußte  ihnen  ein  Einkommen  aus- 
geworfen werden.  Der  Kurator  beantragte  beim  Kurfürsten, 
ihnen  „bis  zu  weiterer  Verschickung  ein  mäßiges  Gehalt" 
auszusetzen,  das  sich  auf  100  Fl.  quartaliter  belaufen  sollte. 
Der  Kurfürst  war  damit  einverstanden.74  Freiherr  von  Benzel 
hielt  aber  dafür  auch  an  der  Forderung  fest,  daß  beide  im 
Wintersemester  1784  85  als  Magistri  legentes  auftreten 
sollten.  Es  würde  an  Vorlesungen  fehlen,  wenn  sie  sich  nicht 
betätigen  wollten,  andererseits  kämen  sie  dadurch  „in  den 
Strohm  der  Arbeit".  Sie  würden  auf  diese  Weise  die  noch  in 
ihren  Kenntnissen  vorhandenen  Lücken  am  besten  ausfüllen. 

Es  hat  den  Anschein,  als  ob  sie  sich  dem  Wunsche  gefüllt 
bälten  und  das  Wintersemester  1784/85  also  in  ernster  Tätig- 
keit verbrachten,  denn  die  Ausarbeitung  ihrer  ersten  Vor- 
lesungen war  trotz  der  mittlerweile  erlangten  Gelehrsamkeit 
keine  einfache  Sache.  Sie  scheinen  sich  ihrer  Aufgabe  mit 
Erfolg  unterzogen  zu  haben,  da  Professor  Pfeiffer  in  einem 
Berichte  an  den  Kurator  mit  Entschiedenheil  hervorhob,  daß 
beide  Privatdozenten  , .verdienten  zur  Vollkommenheit  geführt 
zu  werden".75  Er  hielt  eine  nochmalige  Reise  für  zweckmäßig. 
Nur  müsse  diese  so  angeordnet  sein,  daß  man  bei  der  Wahl 
<\t>v  Gegenden  auf  vernünftige  Ersparnis  (\rv  Kosten  und  vor- 
züglichen Unterricht  Bedacht  nehme.  Spoor,  der  sich  mit 
Polizei-.  Manufaktur-,  Kommerzienwissenschafl  und  Techno- 
logie befassen  sollte,  wäre  nach  den  Niederlanden,  Bremen, 
Lübeck.  Hamburg,  Sachsen,  der  ( »her  Lausitz  zu  schicken  und 
könnte  über  Teplitz  und    Nürnberg  zurückkehren.     Schlcn- 

tJber  die  Ausbildung  des  modernen  Privatdozententums  vergl.  E. 
Hörn  Zur  Geschichte  der  Privatdozenten,  in  Mitteilungen  der  Gesellschaft 
l    deutsche   Erziehungs    und   Schulgeschichte,   Bd.   XI  (1901),  S.    It'.lT. 

•'   Benzeis  Bericht  vom  20.  Novbr.   1784.   —  ™  Am  IG.   März   17s."'- 


Ausbildung  in  Kameral Wissenschaft.  1  sr, 

stein,  der  sich  den  ökonomischen  Wissenschaften  und  der 
Finanzwissenschaft  zugewandt  habe,  sollte  über  Göttingen 
nach  dem  Harz  reisen,  über  Dessau  und  Magdeburg  nach 
Berlin,  Schlesien,  Böhmen  fahren  und  über  Regensburg  und 
Ulm  heimkehren. 

Pflichtschuldigst  nahm  der  Kurator  die  Pfeifferschen  An 
regungen  auf  -und  ließ  sie  an  den  Kurfürsten  gelangen.76 
Nachdem  beide  Herren  ein  halbes  Jahr  öffentliche  Vor- 
lesungen gehalten,  sei  an  ihre  abermalige  Verschickung  auf 
Reisen  zu  denken.  Indes  fügte  der  Kurator  hinzu,  daß  für  die 
nunmehr  ins  Auge  gefaßten  Reisen  es  noch  zu  früh  schiene. 
Sie  seien  noch  nicht  in  der  Fassung,  ihr  Amt,  wie  es  sein 
sollte,  zu  erfüllen.  Benzel  hielt  dafür,  daß  wesentlich  nach 
zwei  Richtungen  die  weitere  Ausbildung  vor  sich  gehen  möge. 
Einmal  sollten  die  Herren  die  Hilfswissenschaften,  die  ihnen 
noch  abgingen,  nachholen  und  zweitens  sollten  sie  durch 
Hören  von  Vorlesungen  fortzuschreiten  versuchen.  Bei  Pro- 
fessor Fiebig77  könnten  sie  im  nächsten  Schuljahr  die  öko- 
nomische  Naturgeschichte  und  Botanik,  bei  Professor  Molitor 
die  Chemie  „ordentlich"  hören.  Das  Studium  der  Physik 
und  der  angewandten  Mathematik  könnte  noch  bis  zum 
folgenden  Jahre  verschoben  werden.  Unterdessen  aber 
müßten  beide  in  ihrem  Lehramte  fortfahren  und  sich' mit  d  m 
in  ihr  Fach  einschlagenden  Schriftstellern  und  überbau))!  den 
Theoretikern  vertraut  machen. 

Der  Kurator  legte  ferner  Gewicht  auf  praktische  Durch 
bildung.  Schleenstein  sollte  Zutritt  und  Bekanntschaft  in 
einem  bei  Mainz  nahegelegenen  Landgute  suchen,  um  sich 
dort  wöchentlich  einmal  über  die  laufenden  Geschäfte  zu 
unterrichten.  Im  Spätjahre  sollte  er  dann  einige  Wochen  bei 
einem  sogenannten  Wiedertäufer  (sie!)  im  Wormsischen 
arbeiten.  Endlich  wäre  er  auch  zu  den  Geschäften  der  kur- 
fürstlichen Beamten  zuzulassen,  also  etwa  in  Gernsheim, 
oiler  sollte  zu  den  kurfü  rst  liehen  Waldvisital  ionen  an  der 
Bergstraße  zugezogen  werden,  in  die  Tätigkeif  der  Kameral- 
depulation.  der  (ioneralrozeplur  Einblick  nehmen  usw. 
Schleenstein  sollte  namentlich  die  örtlichen  Zustände  im 
Kurfürstentum  zu  erlassen  sich  bestreben,  denn  „es  giebl 
vielleicht  in  keiner  Wissenschaft  wenigere  allenthalben  an 
vvendbare  Grundsätze  als  in  der  Landwirtschaft".  Spoor 
wiederum  müßte  bei  dem  kurfürstlichen  Vizedom  Amte  in 
Mainz  Zutritt  erlangen.     Er  hätte  zunächst  die  Handwerker 


7«   Am   27.    April    17*5. 

77  Johann    Fiebig,    Professor   der    Mineralogie,    stirbt    L792;    Bocken 
heimer.  a,  a.  0.,  S.  34. 


186  Wilhelm  Stieda. 

und  Künstler  in  Mainz  zu  verzeichnen  und  zu  klassifizieren 
und  sich  dadurch  praktische  technologische  Kenntnisse  zu 
erwerben.  Vorzüglich  käme  es  auf  Beförderung  der  Spinne- 
reien und  Webereien  an.  Im  Herbste  sollte  dann  auch  er 
eine  Reise  machen  und  zwar  nach  Seligenstadt  und  in  das 
obere  Erzstift,  auf  dem  Rückwege  Hanau  und  Offenbach  be- 
suchen, sich  überall  danach  umsehen,  wie  es  mit  dem  Aus- 
teilen der  Wolle  an  Landleute  zum  Verspinnen  zu  geschehen 
pflege.  Von  Frankfurt  und  Hanau  aus  werde  dieses  Ver- 
legen besonders   geübt. 

Der  Kurator  kam  somit  auf  die  in  den  ursprünglichen 
Instruktionen  und  Vorschlägen  Pfeiffers  enthaltenen  Ideen 
zurück.  Seligenstadt,  wo  Spoor  schon  gewesen  war,  mochte 
wegen  der  dortigen  Tuchmacherei  sich  für  die  Erlangung 
wirtschaftlicher  Kenntnisse  und  behufs  kritischer  Vorbil- 
dung zur  Durchführung  von  Reformen  besonders  eignen. 

Die  Entscheidung  zog  sich  jetzt  länger  hin,  als  es  früher 
der  Fall  zu  sein  pflegte.  Die  Privatdozenten  warteten  mit 
Ungeduld  und  dräneten  auf  eine  Entschließung.  Im  Juni 
1785  berichtet  der  Kurator  dem  Kurfürsten,  daß  sie  mit 
ihren  Vorlesungen  über  Polizeiwissenschaft  und  Landwirt- 
schaft fertig  geworden  wären  und  nun  um  Angabe  bäten, 
was  sie  im  Sommer  tun  und  mit  welchen  Gegenständen  sie 
sich  im  Winter  beschäftigen  sollten.  Offenbar  wird  diese  An- 
frage eine  Wiederholung  gewesen  sein,  denn  bis  in  den  Juni 
hinein  konnte  das  Wintersemester  nicht  gedauert  halten. 
Was  dann  daraus  geworden  ist,  ist  unbekannt,  Die  Akten, 
aus  denen  geschöpft  werden  konnte,  reichen  nicht  weiter. 

An  ihr  Ziel  sind  beide  Kandidaten  richtig  gelangt.  Seit 
dem  Wintersemester  1788  weist  der  Catalogus  lectionuni 
(und  dann  auch  der  Kurmainzische  Hof-  und  Staats- 
Kalender)  als  ordentliche  öffentliche  Lehrer  an  der  Universi- 
tät Mainz  nach  Franz  Karl  Spoor  für  Technologie,  Fabrik- 
wissenschaft, Handelstheorie  und  Staatsrechnungswissen- 
schaft,  Schleenstein  für  Landwirtschaft,  Forstwissenschaft, 
<lie  Theorie  i\w  Gartenkunst,  die  ökonomische  Botanik  und 
ökonomische  Zoologie.  Spoor  erscheint  zum  letzten  Male 
im  Vorlesungsverzeichnis  für  das  Wintersemester  1794  1)5; 
er  slarl»  im  Jahre  1794.  Schleenstein  ist  zum  letzten  Male 
im  Vorlesungsverzeichnis  für  das  Wintersemester  1797/98 
nachgewiesen.  Fr  war  jedoch  schon  im  Jahre  17915  nach 
Mannheim  übergesiedelt78,  weil  er  der  französischen  llegie- 
rung  den  bekannten  „Eid  für  Freiheii  und  Gleichheit"  nicht 

7'  Eigenhändiges  Schreiben  Schleensteins  aus  Mannheim  vom  25.  März 
1793  au  den  damals  mit  dem  llul'  und  der  Regierung  in  Miltenberg  wei- 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  187 

leisten  wollte.  Nach  Aschaffenburg  wird  er,  wenn  nicht 
schon  früher,  jedenfalls  nach  dem  Tode  l'riedr.  Karl  Joseph 
von  Erthals,  der  im  Jahre  1802  erfolgte,  übergesiedel!  sein. 
Karl  Theodor,  der  nene  Kurfürst,  gründete  aus  den  ihm  iiber- 
lassenen  Einkünften  des  Kollegial  st  il'ts  St.  Peter  und  Ale- 
xander  einen  allgemeinen  Schul-  und  Studienfonds,  aus  dem 
er  das  an  die  Stelle  der  Mainzer  Hochschule  getretene 
Lyceum  in  Aschaffenburg  dotierte.79  Unter  den  Professoren, 
die  laut  einem  Dekrete  Dalbergs  vom  10.  Oktober  1802  für 
die  Übersiedelung  nach  Aschaffenburg,  um  im  bevorstehen 
den  Lehrjahre  mit  Anfang  des  Novembers  Collegia  zu  lesen, 
in  Frage  kamen,  war  auch  Schleenstein.80  Er  war  um  diese 
Zeit  bereits  in  Aschaffenburg  anwesend.  Über  seine  dortige 
Tätigkeit  hat  sich  nichts  mehr  ermitteln  lassen.  Er  dürfte 
im  Oktober  1816  gestorben  sein,  da  in  diesem  Monat  sein.' 
Witwe  um  ein  Gnadengehalt  aus  dem  allgemeinen  Schul- 
und  Studienfonds  sich  bewarb.  Durch  den  Tod  Schleen- 
steins  waren  diesem  .einschließlich  der  Naturalien,  die  der 
verstorbene  Professor  bezogen  hatte,  1064  fl.  und  24  Kreuzer 
anheimgefallen,  aus  welcher  Summe  der  Witwe  212  fl. 
Sustentationsbeiträge  zugewiesen  worden  waren.  Mil  diesem 
Betrage  nicht  befriedigt,  erneuerte  die  verwitwete  Professorin 
ihr  Gesuch  am  13.  März  1807,  ohne  daß  aus  den  Akten 
ersichtlich  ist,  ob  sie  Gehör  gefunden  hat.83 

Spoors  Vorlesungen  erstreckten  sich  außer  der  Polizei- 
wissenschaft, mil  der  er  im  Wintersemester  1784/85  seine 
akademische  Wirksamkeit,  begonnen  halle,  und  die  er  auch 
im  Sommersemester  1785  las,  auf  Technologie  und  Gewerbe- 
polizei  (politia  opificiorum),  die  er  bis  zum  Sommersemester 
1788  im  Sommer  täglich  von  7—8  Uhr,  dann  seit  dem  Winter 
L788/89  im  Wintersemester  vortrug.  Sie  war  seine  Haupt 
Vorlesung  und  wurde  im  Anschluß  an  Beckmanns  Buch82 
gehallen.  Neben  ihr  kündigle  er  seit  dem  Sommersemester 
[788  Handelstheorie  und  Staatsrechnungswissenschaff  an, 
Ealls  sich  Zuhörer  finden  sollten  (siquis  adsil  desiderantium 
numerus).  Später  scheint  das  Interesse  für  die  letztere 
Vorlesung,  die  ja   auch   eine  sehr  wichtige  war,   gewachsen 

lenden    Statthalter    und    Domdechanl    Dalberg.      Gefällige    Mitteilung    des 
Kreisarchivs  Würzburg. 

"'■'  Bavaria,  Landes-  und   Volkskunde  des  Königreichs  Bayern,  Bd.   I 

S.   .",",'.)   (lXlilii. 

80  Berichl  des  Geistlichen   Rates  Scheideis  auf  das  Delikt   Kolto 
Gefällige  Mitteilung  des   Kgl.   Kreisarchivs  Würzburi 

bi  Kgl.  Kreisarchiv  München.  M.  \.  997.  Herr  Professor  G.  Hart 
in  Aschaffenburg  hatte  die  Güte,  mich  auf  diesen  Aki  aufmerksam  zu 
machen.     —  s-  Anleitung  zur  Technologie  etc.,   1777. 


188  Wilhelm  Stieda. 

zu  sein,  denn  seit  dem  Sommer  1789  las  er  Handelstheorie 
und  Staatsrechnungswissenschaft  täglich  des  Morgens  von 
7 — 8  Uhr.  Daran  schloß  sich  eine,  vermutlich  kürzere,  Vor- 
lesung üher  den  Einfluß  des  Handels  auf  den  Geist  der 
Nationen.  In  diesen  heiden  Vorlesungen  bestand  das  Pro- 
gramm des  Sommersemesters,  das  in  Mainz  vom  1.  Mai  bis 
Ende  September,  oder  von  Mitte  April  bis  Mitte  September  zu 
dauern  pflegte.  Im  Wintersemester,  das  in  der  Regel  am  12., 
seltener  schon  Anfang  November  begann  und  bis  Mitte  April 
dauerte,  beschränkte  er  sich  dann  auf  die  Technologie  und 
Gewerbepolizei,  einschließlich  der  Geschichte  gewerblicher 
Erfindungen. 

Schleensteins  Programm  war  etwas  umfangreicher.  El- 
las über  die  Theorie  der  Landwirtschaft,  ferner  Forstwissen- 
schaft und  Forstrecht,  über  Handelstheorie  (seit  dem  S.-S. 
1796)  und  seit  dem  S.-S.  1797  über  Technologie.  An 
einen  bestimmten  Turnus,  in  dem  seine  Vorlesungen  wieder- 
kehrten, scheint  er  sich  nicht  gehalten  zu  haben.83  Auch 
er  schloß  sich  an  Beckinannsche  Bücher  an  und  legte  die 
Grundsätze  der  deutschen  Landwirtschaft84  seinen  Be- 
trachtungen  zugrunde. 

Zur  Herausgabe  selbständig  erscheinender  Bücher 
scheint  weder  der  eine  noch  der  andere  Neigung  gehabt  zu 
haben.  Ob  sie  gelegentlich  in  der  periodischen  Presse 
kleinere  Abhandlungen  und  Aufsätze  veröffentlicht  haben, 
habe  ich  nicht  zu  ermitteln  vermocht. 


Anhang. 

1.   Instruktion  für  den  Dozenten  der  Technologie  und 

Handlungs-Theorie. 

Großh.   Hess.   Haus-  u.   Staatsarchiv  Darmstaclt,   Akten  betr.   die   Kameral- 

fakultat  zu  Mainz,  S.  19— 22.* 

1. 
Die  gegenwärtige   Instrukzion   beschränkt    sich    bloß   auf   die 
Vorbereitung,  welche  innerhalb  dieser  vier  Monathe  bis  zu   An- 
fang des  uächsten   Kursus   zu   nehmen   wäre. 

8:1  Nach  den  allerdings  nicht  lückenlos  erhaltenen  Vorlesungsverzeich- 
nissen der  Universitäl  Mainz  von  1784—1707  in  der  Stadtbibliothek  zu 
Mainz.    —  81  Erste  Ausgabe,  Göttingen  1769. 

1  Die  Wiedergabe  dieses  wie  der  folgenden  Sliicke  erfolgt  unver- 
kürzt und  in  der  Schreibweise  des  Originals.  Nur  in  der  Interpunktion 
und  in  dem  Gebrauche  großer  Buchstaben  zu  Beginn  der  Worte  ist.  ge- 
legentlich des  bessern  Verständnisses  wegen  geändert  worden.  Sofern 
die  Überschriften  vollständig  vom  Herausgeber  herrühren  oder  einige  Worte 
in   ihnen   ergänzt   sind,    wurden    Klammern  angewandt. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  189 

2. 

Da  Naturgeschichte  und  Chemie  bis  auf  den  nächsten  Kurs, 
Physik  und  Mathematik  aber  Ins  auf  die  weiteren  Kurse  aus- 
gesetzt bleiben,  so  halte  er  sich  inzwischen  im  Zeichnen  zu  üben, 
Vorzüglich  aber  sich  Fertigkeit  zu  erwerben,  Werkzeuge  und 
Maschinen,  wie  er  sie  bey  Handwerkern,  Künstlern  und  Fabri- 
kanten  antrifft,   gleich   nachzeichnen   zu   können. 

3. 

Dessen  Hauptbeschäftigung  aber  bleibl  sich  sowohl  im  theo- 
retischen   als    praktischen    des    demselben    angewiesenen    Faches 
zu  üben,  da  Sr.  Kurfstl.  Gnaden  ihm  Technologie,  Fabrikenwissen 
schaff,  Theorie  des  Handels,  der  Warenkunde  und  des  Buchhaltens 
gnädigst   bestimmt   haben. 

4. 

Um  sich  aber  A.  im  Theoretischen  Kenntnisse  zu  sammeln, 
so  habe  derselbe  die  beste  in  seinem  Fache  bisher  erschienene 
Litteratur  zu  benutzen,  und  welche  Werke  ihm  zu  seiner  weiteren 
Bildung  nöthig  seyen,  anzuzeigen,  daß  sie  angeschafft  werden. 
Vorzüglich  habe  er  durch  geschickte  Zeichnungen  sich  schon 
vorläufig  alle  Werkzeuge  und  Maschinen,  die  ganze  Manupulation 
bey  Handwerkern,  Künstlern  und  Fabrikanten  bekannt  zu  machen, 
um  schon  die  ganze  Art  zu  kennen,  und  um  nicht  alsdann  erst 
die  Anfangskenntnisse  davon  studieren  zu  müssen,  wenn  bei 
etwaigem* Besuch  derer  Handwerker,  Künstler  und  Fabrikanten  die 
Zeit  schon  zu  wirklicher  Beurtheilung  und  zu  soliden  Raisonne- 
ments  über  Kunstanlage  zu  verwenden   ist. 

Dergleichen  Zeichnungen  sich  in  denen  Kupferwerken  der 
Pariser  Encyclopadie  in  folio  und  in  denen  eigends  zu  solchen 
Gebrauch  zu  Paris  herausgegebenen  Zeichnungen  unter  Aufsicht 
der  Akademie  über  Handwerker,  Künstler  und  Fabriken  befinden.18 

Er  habe  also  zu  sorgen,  daß,  ehe  er  die  Werkstätte  derer 
Handwerker,  Künstler  und  Fabriken  besuche,  ihm  die  Theorie 
davon  schon   ganz   geläufig   seyo. 

5. 
Um  sich  aber  I!.  auch  zugleich  praktische  Erfahrungen 

in   seinein   Fache   zu    sammeln,   so    habe   derselbe 

a.  Werkstätten  derer  Handwerker,  Künstler  und  Fabrikanten 
in  hiesiger  Sladl  zu  besuchen,  vorzüglich  diejenigen  zu  beob 
achten,  deren  Hauptprodukte  zu  einem  Handelszweig  werden, 
und  welche  mit  Spinnen  und  Wehen  sich  beschäftigen.  Kr  habe 
aber  übrigens  alle  Gattung  Handwerker  und  Künstler  zu  be 
suchen,  um  bey  dem  Akademischen  Vortrag  der  Technologie  mil 
Einsicht  und   Erfahrung  sprechen    zu    können. 

Um  aber  hierinn  desto  mehr  Gelegenheil  zu  seiner  Vorbe 
Leitung  zu  erhalten,  geruhen  Sr.  Kurfstl.  Gnaden  demselben  den 
Zutritt  bey  dem  Kurfstl.  Amt  der  hiesigen  Sladl  gnädigsl  zu  ge 

lii  Doch  wohl  Diderol  et  d'Alembert,  Encyclop6die  ou  dictionnaeri, 
raisonne  etc.  des  sciences,  des  arts  et   des  metiurs,   1751  —  1777,   gemeint 


190  Wilhelm  Stieda. 

statten,  mit  dem  Auftrage,  die  Handwerker  und  Künstler  der 
hiesigen  Stadt  (namentlich  die  vorzüglichsten  jeder  Art)  zu  ver- 
zeichnen, zu  klassifizieren  und  sich  dadurch  praktische  techno- 
logische Kenntnisse  zu  erwerben.  Der  weitere  Zutritt  zu  denen 
Stellen,  welche  mit  der  eigentlichen  Handlung  beschäftigt  sind, 
bleiben  noch  vorbehalten. 

6. 
um  sich  zugleich 

b.  auch  praktische  Erfahrung  des  Handels  zu  ver- 
schaffen, habe  derselbe  sich  um  Bekanntschaft  und  Zutritt  in  ver- 
schiedene hiesige  Handels  Comtoire  zu  bewerben,  um  in  freund- 
schaftlicher Unterredung  auch  den  praktischen  Gang  des  Handels 
zu  erfahren  und  mit  anzusehen. 

7. 
dann  habe  er 

c.  kleine  Reisen  nach  Höchst,  Frankfurt,  Offenbach,  Hanau, 
Homburg  und  zu  denen  der  dortigen  Nachbarstadt  sich  befindenden 
Kolonien  französischer  Refugies,  ferner  nach  Frankenthal  und 
Neuwied  zu  machen,  um  die  an  solchen  Orten  befindlichen 
Fabriken  zu  besehen,  auch  gelegentlich  solcher  Reisen  in  denen 
oberen  Städten2  und  in  Seeligenstadt  sich  umzusehen,  in  welchem 
Zustand  die  Wollspinnerey  und  Tuchweberei  dort  gegenwärtig 
seye,  und  zu  untersuchen,  wie  stark  ihre  Zahl  seye,  wie  weit 
ihre  Arbeiten  in  den  Grad  der  Kunst  gehen  und  wohin  sie  solche 
Produkte  ihrer  Industrie  veräußern. 

8. 
und   endlich   habe  er 

d.  während  der  künftigen  Herbstmesse  in  Frankfurt  sich 
aufzuhalten,  sich  das  bei  Anfang  der  Messe  erscheinende  Meß- 
schema anzuschaffen,  die  darinnen  genannte  auswärtige  Fabri- 
kanten und  große  Kaufleute  zu  bemerken,  ihre  Gewölber  zu  be- 
suchen, um  die  Art  ihrer  Waaren,  und  die  Preise  kennen  zu 
lernen,  wobey  er  durch  geschickt  angelegten  feineren  Umgang 
Gelegenheit  haben  wird  unter  dem  Vorwand  eines  Handelsgeschäfts 
in  nähere  Unterredung  zu  kommen  und  dadurch  sich  manche 
praktische   Erfahrung   zu    sammeln. 

Er  ha  he  zu  gleicher  Zeit  in  Frankfurt  den  Zug  des  dortigen 
Handels  und  die  verschiedenen  Niederlagen  auswärtigen  Handels 
zu  studieren,  bey  welchen  Frankfurt  der  Hauptorl  des  Umtausches 
lind  deren  Bestellungen  geworden  ist. 

2.    Note  zur  Instruktion  für  den  Dozenten  der  Landkultur. 

Großh.   Hess.  Haus-  u.  Staatsarchiv  Darmstadt,  wie  oben. 

1. 
Die  Hauptabsichl  dieser  Instrukzion  wäre,  wie  sich  erwähnter 
Dozent,  innerhalb  dieser  vier  Monathen  bis  zu  Anfang  des  künf- 
tigen Kursus  zu  beschäftigen   und  zu  seinem  angewiesenen  Fach 
sich   vorzubereiten   habe. 

2  Im  oberen  Erzstifte  ? 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  191 


Da  ökonomische  Zoologie,  ökonomische  Botanik  und  Chemie 
bis  auf  den  nächsten  Kursus;  Physik  und  Mathematik  aber  bis 
auf  weitere  Kurse  ausgesetzl  bleiben,  so  hätte  derselbe  inzwischen 
auf  Fertigkeiten  im  Zeichnen  zu  denken,  und  zwar  vorzüglich 
Pflanzen,  Bäume,  oekonomische  Maschinen,  Garten- Anlagen,  Län- 
derei  Eintheilungen,  oekonomische  Gebäude  etc.  zu  zeichnen. 

3. 

Dessen  Hauptgeschäft  bliebe  aber  sich  das  Theoretische  und 
Praktische  seines  angewiesenen  Faches  mehr  bekannt  zu  machen 
und  zwar 

4. 

a.  in  Absicht  des  Theoretischen  die  Theorie  seines  Faches 
in  denen  besten  Schriftstellern  über  Landkultur  und  in  denen 
neuesten  Werken  hierüber  zu  studieren,  neu  erfundene  Arten 
der  Landkultur  und  ökonomische  Maschinen  zu  untersuchen,  auch 
die  neuesten  Meinungen  in  landwirtschaftlichen  Sachen  sich  be- 
kannt zu  machen,  und  sie  zu  prüfen,  ob  sie  wirkliche  Nutzen  und 
Anwendung  finden  oder  nur  bloß  an  Charlatanerie  gränzen;  auch 
diese  letztere  mus  man  wissen,  da  ein  geschicktes  Genie  durch 
gehörige  Abänderungen  und  Zusäze  sie  zu  denen  praktischen 
Säzen   berichtiget. 

Hiezu  hätte  er  aber  die  theils  auf  der  Universitäts-Bibliothek 
schon  vorhandenen  Werke  zu  benuzen,  theils  anzuzeigen,  was 
ihm  nöthig  scheine,  daß  ihm  zu  solcher  Vorbereitung  noch  an- 
geschafft  werde. 

5. 

In  Absicht,  des  Praktischen  aber,  (§  3)  um  sich  zu- 
gleich praktische  Erfahrung  zu  sammeln  und  sie  mit.  seiner  Theorie 
zu  vergleichen,  habe  er  innerhalb  dieser  vier  Monathen  folgende 
Vorbereitung  zu  befolgen,   und    zwar 

a.  Von  Zeit  zu  Zeit  in  ein  nahe  gelegenes  großes  Landgut 
zu  gehen,  die  dortige  Einrichtung  zu  studieren,  und  zugleich  den 
ganzen  Gang  der  dortigen  Ökonomie  und  Acnon  Feldarbeiten  zu 
beobachten,    dann 

b.  die  Woche  etlichmal  in  die  der  Stadl  nahe  gelegenen 
Dörfer  zu  gehen  und  die  Einrichtung  ihrer  Feldarbeiten  und  ihrer 
Landkultur  zu   untersuchen,  auch 

c.  beständig  kleine  Reisen  in  benachbarten  Gegenden  vor 
zunehmen,  z.  B.  ins  Rheingau,  ins  Nassauische,  Darmstädtische, 
Pfälzische,  um  auch  dort  die  verschiedene  Art  der  Landkultur 
zu  beobachten,  und  zwar  nicht  bloß  in  Absicht  des  Getreidebaues 
und  Weinbaues,  sondern  in  Absichl  des  Hanfs,  Flachs,  Tabak, 
Futterrüben,  Färbekräuter  etc. 

(I.  gelegenheitlich  solcher  Reisen  sich  Mühe  zu  geben  mil 
geschulten  Landwirthen  unserer  Gegend  in  Bekanntschaft  zu 
kommen  und  mit  ihnen  ökonomische  Gegenstände  zu  korre- 
spondieren. 


192  Wilhelm  Stieda. 

Bey  solchen  Reisen  habe  er  sich  nun  die  Flur-Eintheilung 
und  Erdarten  bekannt  zu  machen,  ob  Brache,  Geineindeweiden  da 
seyen  oder  nicht,  ob  man  Allmonde  habe,  und  wo  man  sie  ab- 
geschaft  hat,  auf  welche  Art  es  geschehen  seye,  was  für  Pro- 
dukte gezogen  werden,  wie  die  Viehzucht  beschaffen  seye,  worinri 
ihr  Vorzug  oder  Mangel  bestehe,  was  für  Futterkräuter,  was 
für  Handelskräuter,  ob  Bienenzucht  da  seye  und  wie  sie  ge- 
schehe, ob  auch  schon  etwas  Seidenbau  da  seye  usw. 

6. 

Da  er  aber  in  seinem  Fach  nicht  bloß  auf  Getreidebau, 
Hopfenbau,  Viehzucht  eingeschränkt  ist,  sondern  demselben  auch 
Gartenkunst  und  Forstwissenschaft  angewiesen  sind,  so  habe  der- 
selbe   auch    hierauf    Vorbereitung    vorzunehmen,    und    besonders 

a.  die  schönen  englischen  Gärten  unsrer  Gegend  zu  besuchen ; 
den  Schwezinger  Garten,  den  schonen  Busch,  das  Wilhelms  Bad3, 
den  Garten  der  verstorbenen  Landgräfin  bei  Hanau,  den  Gräfl. 
Osteinischen   Garten  auf   dem   Niederwald.4 

b.  Von  Schwezingen  eine  kleine  Reise  nach  Carlsruhe  zu 
machen  und  die  dortige  schöne  Baumschule  zu  studieren,  und 

c.  auf  diesen  Reisen  in  denen  mainzischen,  pfälzischen, 
nassauischen,  hessischen  Waldungen  ihre  Forsteinrichtung  zu 
beobachten  und  die  in  jeder  gepflanzte  Holzarten,  wodurch  sich 
zugleich  vorbereiten  wird,  bey  der  nächsten  kurfürstl.  Wald- 
Visitazion,  wozu  ihm  der  Zutritt  gnädigst  gestattet  ist,  seine  Reise 
mit  mehr  Einsicht  benutzen  zu  können. 

7. 

Bei  allen  diesen  habe  er  aber  hauptsächlich  darauf  zu 
sehen,  daß  er  die  Lokalverhältnisse  unsrer  Gegend,  ihre  Pro- 
duktion, Natur-Vortheile,  die  gegenwärtige  Art  der  Landkultur 
kennen  lerne,  u.  sie  mit.  denen  benachbarten  pfälzischen, 
nassauischen,  hessischen,  Badenischen  Gegenden  vergleiche,  um 
einzusehen,  worinnen  dieselbe  voneinander  abgehen,  was  aus 
solchen  Staaten  wohl  noch  gut5  wäre,  und  überhaupt  was  nach 
unserem  Lokalverhällniß  auf  seinen  durch  solche  Vorbereitung 
gesammelten  theoretischen  u.  praktischen  Kenntnissen6  sich  wohl 
bey  uns  anwenden  ließe. 

8. 

Inzwischen  seye  ihm  auch  der  Zutritt  a)  bei  der  kurfstl. 
Universitäts  Cameraldeputazion  und  b)  bei  diu'  Universitäts  Ge- 
neral  Rezeptur  gestaltet,  um  auch  durch  die  dort  vorhabenden 
landwirtschaftlichen  Geschäfte  Gelegenheit  zu  seiner  weiteren 
Bildung  zu  nehmen,  sich  allenthalben  anschaulich  zu  belehren 
und    würklich   mit   Hand    anzulegen. 

:I  Hei    Wachenbnchen. 

i  Über  Gartenbau  vergl.  Hirschfeld,  Theorie  der  Gartenkunst,  1779, 
in    kameralistischer    Beziehung    Krünitz,    Enzyklopädie,    Bd.    16,   S.    117  IT.. 

341ff.      Weitere    I alerat uranga Ben   daselbsl    S.   :S76.     Außerdem  J.  v.   Falke, 
Der  Garten,   seine   Kunst   und    Kunstgeschichte,  o.  .1. 
5  Unleserlich.  —  fi  Unleserlich. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  193 

9. 
Es  bleibe  ihm  aber  zu  seinem  Fache  angewiesen  die  ganze 
Landwirtschaft,  inclusive  die  Theorie  der  Landkultur  samt  Garten- 
lau,  Forstwissenschaft,  der  ökonomischen  Zoologie  und  der  öko- 
nomischen Botanik. 

3.  (Schleensteins)  unterthänig  gehorsamste  Berichterstattung 
von   einigen   kleinen  ökonomischen  Reißen. 

Großh.   Hess.  Haus-  u.    Staatsarchiv  Darmstadt,  Akten   betr.   die  Kameral- 

fakultät  zu  Mainz,  S.  35  ff. 

Der  von  Ew.  Excellenz  am  15.  July  mir  gnädig  zugetheilten 
Instruktion  zu  Folge,  war  es  sogleich  meine  erste  Beschäftigung, 
die  der  Stadt  nahe  gelegenen  Dörfer  die  Woche  etlichemal  zu 
besuchen  und  die  Einrichtung  ihrer  Feldarbeiten  und  ihrer  Land- 
kultur zu  untersuchen. 

Hierauf  nahm  ich  kleine  Reißen  in  das  Darmstädtische, 
Nassauische,  Pfälzische,  Zweibrückische  und  in  das  Rheingau 
vor,  um  auch  dort  (nach  gnädiger  Vorschrift)  die  verschiedene 
Art  der  Landkultur  zu  beobachten  und  dieselbe  mit  der  unsrigen 
zu  vergleichen   usw. 

Mil  dem  Wunsche,  daß  ich  hierin  die  Hohen  Absichten 
Ew.  Excellenz  nahe  gekommen  seyn  möchte,  erstatte  ich  Hoch- 
denselben   meinen   unterthänigen    Bericht   ab. 

Gonzenheim.7  Die  vorzüglichsten  Produkte,  welche  hier 
gewonnen  werden,  gewährt  der  Gartenbau,  den  die  hiesigen 
Landleute  in  einem  Grade  von  Vollkommenheit  treiben,  der  alle 
Aufmerksamkeit,  verdient.  Der  Boden  beinahe  in  der  ganzen 
Gegend  besteht  aus  einem  leichten  hitzigen  Sande,  dem  man 
aber  in  der  Nachbarschaft  des  Dorfes  seine  erste  Gestall  nicht 
so  leicht  mehr  ansieht.  Die  geschickte  Behandlung  des  Bodens, 
die  starke  Bedüngung  (wozu  nebst  dem  eigenen  Viestande  des 
Dorfes  die  Nähe  der  Stadt  den  größten  Vorschub  leistet  |  haben 
ihn  in  einen  so  glücklichen  Mittelboden  verwandelt,  in  dem  die 
meisten  Gewächse  freudig  ihr  Fortkommen  haben.  Zum  Garten- 
bau aber  hal  ihn  die  Natur,  da  sie  die  (legend  mil  Wasser  ver- 
sehen hat,  da  das  Dorf  in  der  Nähe  einer  großen  volkreichen 
Stadt,  liegt,  wo  die  Gartengewächse  gerne  Abnehmer  finden,  vor- 
züglich geschickt  gemacht.  Beide  Vorlheile  wissen  die  hiesigen 
Landleute  sehr  gut  zu  benutzen.  Ihre  Gartenländer  sind  in 
schmale  Beete  abgetheilt,  die  an  einer  Seite  mit  Graben  versehen 
sind,  wohin  sie  denjenigen  Vorrath  von  Wasser  leiten,  den  sie 
zu  hinlänglicher  Befeuchtung  ihres  Landes  bedürfen.  Erfahrung 
und  lange  I'hung  haben  die  meisten  hiesigen  Wirthe  zu  ge 
schickten    Küchenü'ärlnern    gemacht. 


7  Über  die  Ortschaften  Gonsenheim,  Mombach,  Bretzenheim,  Hechts- 
keim, Bodenheim,  Wachenheim  vergl.  K.  .1.  Brilmayer,  Rheinhessen,  1905 
Ober  Fruchtbarkeit,  Pflanzenproduktion  usw.  dieser  rheinhessischen  Dörfer 
sibt  einige   Auskunft    J.    Konr.    Dahl,    Statistik    und    Topographie   der   mit 
dem  Großh.  Hessen  vereinigten  Lande  des  linken  Rheinufers,  1816,  S.  22ff, 

Beitrage  z.  Gesch.  <3.  Universitäten  Mainz  u    Gießen. 


194  Wilhelm  Stieda. 

Mombach.  Auch  hier  macht  der  Gartenbau  eins  der  vor- 
züglichsten Produkte  aus.  Allein  in  der  Vollkommenheit,  wie  ich 
ihn  in  Gonzenheim  antraf,  wird  er  hier  noch  nicht  betrieben. 

Bretzenheim  und  Hechtsheim.  In  diesen  beiden  Dörfern 
hat  der  Fruchtbau  den  Vorzug.  Das  Erdreich  besteht  im  Ganzen 
genommen  aus  einem  vermischten  Leimboden,  der  fast  durch- 
gängig sehr  gut  gedüngt  und  zubereitet  ist.  Fast  alle  Haupt- 
arten werden  hier  vortheilhaft  gebauet.  Auch  fand  ich  hier 
meistens  beständige  Stallfütterung  eingeführt,  besonders  in 
Bretzenheim,  wozu  freilich  die  Noth  wegen  Mangel  an  Weid- 
gange die  Leute  gebracht  hat.  Man  irret  aber,  wenn  man  er- 
wartet, daß  man  dagegen  einen  starken  Kleebau  eingeführt  hätte; 
ich  fand  nur  sehr  wenig  ewigen  und  deutschen  Klee  angebauet. 
Allein  hier  eröffnet,  sich  eine  andere  Quelle  zu  Unterhaltung 
ihres  Viehstandes.  Da  die  Stadt  so  nahe  ist8,  so  besteht  ein 
großer  Theil  der  Fütterung  aus  den  Abgängen  von  den  Bier- 
brauereien, Branntweinbrennereien  u.  d.  g.,  welche  aus  der  Stadt 
herbeigeholt  werden.  Beide  Dörfer  würden  ihren  Viehstand  un- 
gemein vermehren  können,  wenn  sie,  indem  sie  gute  Felder 
haben,  den  deutschen  Kleebau  mehr  einführten.  An  beiden 
Orten  herrscht  noch  die  Gewohnheit,  die  Felder  in  drei  Fluren 
einzuteilen,  doch  aber  fand  ich  mit  Vergnügen,  daß  man  schon 
einen  guten  Teil  der  Brache  mit  Buben,  Kappes  u.  d.  g.  anbauel. 
Eingeführter  Kleebau,  mehrere  Einschränkung  der  Schäfereien, 
die  hier  ziemlich  beträgtlich  sind,  Freiheit,  seine  Felder  nach 
Wohlgefallen  zu  benutzen,  würden  den  Wohlstand  dieser  Dörfer 
ungemein  erhöhen. 

Nacken  heim  und  Boden  he  im.  Die  Lage  und  der  Boden 
des  hiesigen  Landes  haben  dasselbe  theils  zum  Weinbau  theils 
zum  Fluchtbaue  geschickt  gemacht.  Mit  Bedauern  sah  ich  an 
dem  letzteren  Orte  eine  ungeheure  Strecke  sehr  guten  Landes 
zu  einem  elenden  Weidgange  bestimmt,  das,  wenn  es  theils  zum 
Fruchtbaue,  theils  zum  ordentlichen  Klee-  und  Wiesenbau  be- 
nutzt würde,  seinen  Ertrag  ungemein  vermehren  und  die  Ge- 
meinde in  Stand  setzen  würde,  ihren  Viehstand  ansehnlich  zu 
vermehren.  In  Nackenheim  sah  ich,  daß  man  sich  schon  mehr 
auf  Produktion  einiger  andern  Naturalien  gelegt  hatte,  die  ich 
an  den  oben  benannten  Orten  noch  sehr  vermißte,  z.  B.  Flachs, 
Lein,  Welschkorn;  auch  traf  ich  hier  schon  hier  und  da  sehr 
schönen  deutschen  Klee  an. 

Gräfenhausen  im  Darmstädtischen.-'  Das  Land  von 
Mainz  bis  Groß  Gera  und  von  hier  nach  Gräfenhausen  besteht 
aus  feinem  Sande,  der  last  durchgängig  gut  zubereitet  ist.  Über- 
haupt herrscht  im  Darmstädtischen  unter  den  Landleuten  viel 
Industrie.      Man    kann    eigentlich    nicht    sagen,    was    das    Haupt 


s  Hechtsheim   liegt   eine  Stunde  von  Mainz. 

'■'  Über  Gräfenhausen,  Pfungstadt,  Gundernhausen  und  Dieburg  verglj 
.1.    ,\.    Demian.    Sl;dislik    und    Topographie    des    Großherz.    Hessen.    L825J 
Teil  2;  sowie  (I.  \V.  .1.  Wagner,  Statistisch-topogr.-histor.  Beschreibung 
Großherz.  Hessen,   L829— 31. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft. 

produkt  des  Landes  ist.  Man  sieht  die  Felder  hier  mit  Roggen, 
Gerste,  Haber,  Welschkorn,  Hirse,  Lein,  Hanf,  Mohn.  Kappes, 
Cartuflen  nsw.  abwechslen.  Die  Landwirte  gewinnen  dadurch 
den  Vortheil,  sich,  wenn  ihnen  ein  oder  das  andre  Produkt 
misrathen  sollte,  an  den  andern  wieder  zu  erhohlen.  Hier  fand 
ich  fast  allenthalben  die  Methode  eingeführt,  deutschen  Klee 
unter  die  Somnierfrüchte  mit  auszusäen  und  nach  abgebrachtem 
Gel leide  den  Klee  in  der  Brache  zu  benutzen.  Viele  ehemalige 
Weidgänge  fand  ich  hier  abgeschafft  und  auf  eine  einträglichere 
Art  benutzt,  kurz,  ich  bemerkte  noch  manche  zurückgelassenen 
glückliche  Spuren  der  in  Darmstadt  1777  angeordneten,  1780 
aber  wieder  aufgehobenen  Landkommission.1" 

Das  herrschaftliche  Schloß  in  Gräfenhausen  dient  zn  ein*  ■ 
Invaliden  Hauße  und  zur  Erziehung  der  armen  Soldaten-Waisen- 
kinder.11    Den  Fond  dazu  macht  ein  sehr  ansehnliches  dazu  ge 
höriges  Gut  aus.    Mit  Vergnügen  sah  ich  hier,  wie  man  die  Kräfte 
der  Alten  sowohl  als  jene  der  Kinder  zum  Vortheile  des  Haußes 
und    zur   Erhaltung    der    Gesundheit    in    den    manichfaltigen    Ge 
gehäften  der  Wirtschaft  zu  benutzen  suchte.     Da  dem   Gujte  ein 
sehr    geschickter    Verwalter   vorgesetzt   ist,    so    fand    ich    hier   für 
meine  Wißbegierde  sehr  viele  Nahrung.     Der  Viehstand,  der  nicht 
aus  dem  Stalle  kömmt,   ist  sehr   groß,   ohne   daß   bei   dem    Hofe 
viele  natürliche  Wiesen   sind.    Man   mußte  also   die    Hauptstärke 
auf  den   Kleebau,   sowohl   den   deutschen   als   auch   den   ewigen, 
setzen;    und    wirklich    wird    derselbe    in    einem    Grade    von    Voll- 
kommenheit getrieben.   Die  Methode,  wie  man  hin'  den  deutschen 
Klee  haut,  habe  ich  in  der  Beilage  sub  Lit.  A  beigefügt. 

Pfungstadt.  Der  hier  eingeführte  Krappbau  reizte  vorzüg- 
(fch  meine  Aufmerksamkeit.  Die  Art,  wie  er  an  diesem  Orte  ge- 
baut wiid.  habe  ich  in  der  Beilage  sub  Lit.  B.  bemerkt.  So  ein- 
träglich der  Krappbau  ist,  so  gewiß  reicht  die  Art,  wie  man  hier 
zu  Werke  gehet,  den  meisten  Landleüten  zum  Verderben.  Es 
hat,  sich  nämlich  eine  Gesellschaft  zus  ammenge  than,  welche  durch 
baaren  Vorschuß  den  Krappbau  befördern  will.  Ilieher  wende! 
sieb  der  Landmann,  der  des  (leides  bedürftig  ist,  er  bietel  sich 
an,  einen  Morgen  Landes  mil  Krapp  zu  bepflanzen,  und  erhält 
dafür  zum  Voraus  MO,  40  und  mehrere  Gulden.  Anstatt  nun  den 
Acker,  wie  es  der  nützliche  Krappbau  lodert,  tüchtig  zu  bearbeiten 
und  zu  düngen,  verfährt  er  in  beidem  ganz  nachlässig,  und  die 
Folge  davon  isl,  daß  zur  Zeit  des  Kiiisauiiiielns  anstatl  etwas  zu 
gewinnen,   kaum   der   Landmann    seinen   Vorschuß    herausbringt, 

Vnii  hier  aus  reißte  ich  über  Darmstadt,  wo  ich  die  beiden 
englischen  Gärten  sab,  nach  Gunernhaußen. 

Herr  von  Rimpsch12  besitz!  hier  eine  sehr  ansehnliche,  wohl 


1,1  Vergl.  über  sie  Fr.  Soldan,  Geschichte  des  Großherzogtums  He 
L896,   S.    L76ff. 

11   Es  wurde  im  Jahre  1770  zu  diesem  Zwecke  angewiesen  und  dann 
seil    L81Ü  ah  Militärhospital    benutzt;   Wagner,  a.  a.   0.,   IM.    1,   S     - 

l-  Unleserlich;   könnte  auch    Rimpach   gelesen   werden. 


196  Wilhelm  Stieda. 

eingerichtete  Wirtschaft.  Bei  dem  melkenden  Rindviehe  ist  be- 
ständige Stallfütterung  eingeführt.  Allein  mit  den  Ochsen  wird 
eine  andere  Methode  befolgt.  Da  zu  dem  Gute  ansehnliche  Wal- 
dungen gehören,  so  bleiben  dieselben  beständig  darinnen,  fressen 
sich  fett  und  werden  alsdann  verkauft.  Ein  großer  Theil  der  ge- 
wonnenen Produkte  wird  in  der  bei  Hofe  befindlichen  Brauerei 
und  Brennerei  benutzt. 

Dieburg.  Die  merkwürdigsten  Gegenstände,  die  meine  Auf- 
merksamkeit auf  dem  Gute  des  Herrn  von  Großschlag13  beschäf- 
tigten, waren:  1.  Ein  sehr  schöner  und  in  wohlgebauten  Ställen 
gut  unterhaltner  Viehstand.  2.  Der  Küchengarten.  Die  verschie- 
denen Gattungen,  Arten  und  Abarten  der  Gemüße,  die  man  in 
diesem  vortrefflichen  Garten  antrifft,  müssen  in  jedem  Oekonomen 
den  Wunsch  erregen,  daß  doch  verschiedene  derselben,  die  gewiß 
zum  Theil  weit  einträglicher  sind,  als  unsere  gewöhnlichen,  in 
unseren  Feldern  gemeiner  gemacht  würden.  3.  Das  ausländische 
Gehölze.  Man  findet  hier  auf  einem  kleinen  Platze  eine  große 
Manigfaltigkeit  desselben. 

Aschaffenburg.  Der  Oeconomiehof  Seiner  Kurfürst]. 
Gnaden. 13a 

Das  hier  aufgeführte  Oekonomiegebäude  ist  schön  dauerhaft, 
und  in  allem,  dem  Zwecke  der  Oekonomie  gemäß.  Die  darinn 
befindlichen  Ställe  sind  reinlich,  geräumig  und  zum  Füttern  und 
Melken  des  Rindviehes  sehr  bequem  eingerichtet.  Aus  demselben 
sind  Rinnen  in  das  in  der  Mitte  des  Hofes  angebrachte  Dünger- 
magazin geleitet,  das  zugleich  mit  Cisternen  versehen  ist.  Der 
Viehstand  ist  sehr  ansehnlich  und  von  guter  Schweizerart.  Be- 
sonders aber  vergnügte  mich  die  Nachzucht,  darunter  ich  Stücke 
fand,  die  mir  vor  der  Mutterart  Vorzug  zu  haben  schienen.  Das 
Land,  welches  zu  dem  herrschaftlichen  Gute  gehört,  besteht 
theils  aus  feinen  hitzigen  Sande,  theils  aus  etwas  gröberem  Kies- 
boden. Da  es  hier  an  genügsamen  natürlichen  Wiesen  fehlt,  so 
muß  auf  den  Kleebau  vorzüglich  Bücksicht  genommen  werden, 
den  ich  auch  bei  meinem  Hierseyn  sehr  gut  gerathen  fand.  Allein 
diese  Quelle  bleibt  bei  der  Beschaffenheit  dieses  Bodens  in 
trockenen  Jahren  für  itzt  noch  immer  äußerst  gefährlich.  Sorg- 
fältiger Bau  des  Erdreiches,  gute  und  tüchtige  Bedüngung  des- 
selben werden  in  wenigen  Jahren  das  ganze  Land  in  einen  so 
^segneten  Mittelboden  umschauen,  dem  man  fast  alle  Arten  von 
Früchten  mit  Vortheil  wird  zumuthen  können.  Auch  werden 
die  Obstbäume  (welche  man  in  einer  bei  dem  Oekonomiegebäude 

13  Der  letzte  Freiherr  Carl  Friedrich  Wilibald  Groschlag  von  Die- 
burg starb   1795).     Kneschke,   Allgem.   Deutsches  Adels-Lexikon,  4,   S.  54. 

13a  Der  Ükonorniehof  Seiner  Kurt.  Gnaden  ist  der  heutige  Nilkheinii-r 
Hof  in  der  Gemeinde  Seider  bei  Aschaffenburg.  Vergl.  über  ihn  P.  A. 
Winkopps  topogr.-stat.  Beschreibung  des  Großherzogtums  Frankfurt,  Weim. 
1812,  S.  344/345;  J.  W.  C.  Steiners  Gesch.  u.  Topographie  der  alten  Graf- 
schalt und  Cent  Ostheim  u.  der  Stadt  Obernburg  a.  M.,  Aschaffenb.  1821, 
S.  294 ff.  Eine  Instruktion  für  den  Hofverwalter  vom  Jahre  1780  im  Kgl. 
Kreisarchiv  Würzburg.  Gefällige  Mitteilung  des  Herrn  Kreisarchivrats 
Dr.   Göbl    in    Wiirzburg. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  l'.»7 

sehr  weißlich  selbst  angelegten  Baumschule  erzieht),  in  gehöriger 
Ordnung  auf  den  Feldern  umhergepflanzt,   dem  Land   mehr  An 
niuth  und  dem   Boden   mehr   Consistenz   geben.     Auch   der  hier- 
aufgerichtete schöne  Bienenstand  wird  bei  dieser  Umfassung  un- 
gemein gewinnen. 

In  den  beiden  schönen  Gärten,  dem  Schönbusche  und  Schön- 
thale,  fand  ich  bei  dem  Vergnügen  auch  für  meine  Wißbegierde 
viele  Nahrung.  'Ich  studierte  die  Anlage  der  beiden  Gärten,  be- 
schäftigte mich  mit  den  darin  befindlichen  ausländischen  Hölzern 
und  besonders  mit  der  Manigfaltigkeit  der  im  Schönthale  an 
Wänden  gezogenen  Obstarten. 

Emerichshofen.  Das  Landgut  Sr.  Excellenz  Herrn  Curators 
von  Bentzel.14 

Man  muß  bei  dem  Anblicke,  dieses  herrlichen  Landgutes 
sich  nur  einen  Augenblick  die  ehemalige  Sandwüste  denken,  um 
das  entzückende  Vergnügen  zu  fühlen,  gleichsam  eine  neue 
Schöpfung  durch  Menschenhände  hervorgebracht  zu  sehen.  Der 
Boden  des  Landes  besteht  fast  durchgängig  aus  einem  leichten, 
hitzigen  Sande;  allein  durch  abwechselnde  Bedüngung  desselben 
mit  Leim,  Asche  und  Viehdünger,  durch  seine  geschickte  Bear- 
beitung und  Bepflanzung,  sieht  man  ihm  bei  dem  ersten  Anblicke 
seinen  eigentlichen  Ursprung  nicht  an.  Das  ganze  Land  ist  in 
schönen  Ordnungen  mit  Obstbäumen  bepflanzt,  die  für  das  Auge 
eben  so  vielen  Beiz  haben,  als  sie  dem  Boden  durch  Ertheihmg 
mehrerer  Haltbarkeit  nützen.  Die  zu  dem  Gute  gehörigen  Wiesen 
sind  mit  italienischen  Pappeln  umpflanzt  und  bestehen  aus  ein« 'in 
Torf  gründe,  den  man  aber  durch  geschickte  Leitung  der  Canäle, 
durch  l'berdeckung  mit  anderer  Erde  usw.  gezwungen  hat,  das 
Schönste  und  gesundeste  Gras  zu  geben.  Allenthalben  sieht  man 
die  Natur  durch  Einsicht  und  Industrie  zum  Vortheile  ihres  Be- 
silzcrs  umgewandelt.  Das  herrschaftliche  Gebäude,  das  an  dei 
einen  Seite  an  einen  schönen  Garten  stößt,  der  mit  einem  Teich 
umflossen  ist,  ist  dauerhaft  wirtschaftlich  bequem  und  fällt  heri 
lieh  ins  Auge,  ohne  verschwenderisch  prächtig  zu  seyn.  Die 
übrigen  Wirtschaftsgebäude,  die  Scheunen,  Ställe,  die  Brennerei, 
das  Brauhauß  stehen  in  der  schönsten  Symetrie;  alles,  was  bei 
der  Wirtschaft  dem  Auge  eckelhaft  seyn  könnte,  hat  man  sehr 
geschickt  zu  verbergen  gewußt,   und  doch    wird    man,   alle   diese 

14  Heute  die  zur  (iemeinde  Kahl  a.  Main  gehörige  Einöde  mit  Schlol 
niil   drei  Wohngebäuden.     Bis   17(J7  befand  sich  an   dieser  Stelle  das  dem 
Biainzischen  Staate  gehörige  ,, Kahler  Reisig",  einst  Wald,  damals  unfrucht 
bare  Meide,  etwa  2500  Morgen.     Der  Kurfürst  Emmerich  Josef,  nach  dem 
(h'v  'tri    Emmerichhof en   genannt  wurde,   überließ  am    17.   März   L768  das 
Terrain  in  Erbbestand  an  die  drei  „Entreprenneurs" :  den  Geheimen  i lofr.it 
Franz  Ansein,   Freiherrn   von   Benzel,   den   Hofrat    Philipp   Karl   von   Dael 
und   den    Hofkammerrat  Johann    Heinrich   Linden    zum    Zwecke   der   I  ihai 
machung.     In   den   nächsten   Jahren   wurde  die   Kultivierung  durchgeführl 
und  drei  Höre  gegründet.      Der   Besitz  Benzeis  war  stark   überschuldet    und 
rollte    im    Jahre   17(.)2   gerichtlich    versteigert    werden.      Nach    einem    kur- 
mainzischen  Hofkammerakt  im  Kgl.  Kreisarchiv  Würzburg.     Gefällige  Mit- 
teilung des  Herrn   Kreisarchivrats    Dr.   Göbl   in   Würzburg. 


198  Wilhelm  Stieda. 

Gebäulichkeiten  nach  den  strengsten  Regeln  der  Oekonomie  be- 
urtheilt,  nicht  sagen  können,  daß  ein  einziges  bequemer  und  nütz- 
licher hätte  angebracht  werden  können.  Das  Rindvieh  ist  hier 
nicht  von  großer  Schweizer  Art,  sondern  von  einem  sehr  ein- 
träglichen Mittelschlage.  Allenthalben  fand  ich  Gegenstände,  die 
meine  Aufmerksamkeit  reizten  und  meine  Wißbegierde  befriedigten. 
und  ich  kann  dieses  Landgut,  als  eine  praktische  Schule  der 
Landwirtschaft   ansehen. 

Nassau.  Unsere  größesten  Cameralisten,  worunter  ich  Herrn 
von  Pfeifer  in  seinem  Lehrb.  2.  B.,  1.  Th.,  §  268,  nur  anführen 
will,  haben  es  schon  lange  als  ein  Hauptmittel  zur  Verbesserung 
und  Aufnahnje  der  Landwirtschaft  angesehen,  die  zerstreuten 
Güter  der  Unterthanen  zusammenzulegen  und  ihnen  ihre  Grund- 
stücke in  großen  Strecken  beisammen  zuzumessen.  Mit  diesem 
wichtigen  Geschäfte  hat  man  im  vorigen  Jahre  zu  FrikhofenU;i 
im  Nassau-Dillenburgischen  den  Anfang  gemacht.  Ich  begab  mich 
hierher,  um  den  ganzen  Gang  ihres  Verfahrens  einsehen  und  die 
Mittel  kennen  zu  lernen,  wodurch  sie  die  Unterthanen  zu  diesem 
Unternehmen  bewegten.  Ich  hatte  das  Glück,  an  den  Herrn 
Comissarien  sehr  gefällige  Männer   zu   finden. 

Wendelsheim   im   Pfälzischen.15 

Hier  hatte  ich  Gelegenheit,  mit  einem  sehr  geschickten  Oeko- 
nomen  bekannt  zu  werden,  Herrn  Krämer,  der  sich  schon  als 
Schriftsteller  in  diesem  Fache  gezeigt  hat.16  Er  verwaltete  die 
Güter  des  Prinzen  von  Salm  Kirburg17,  und  ich  fand  auf  den- 
selben Einrichtungen,  die  für  mich  in  vielen  Absichten  sehr  lehr- 
reich waren.  In  Begleitung  dieses  Mannes  setzte  ich  mein*' 
Reiße  nach  Kirchenpoland18  fort,  wo  ich  den  dasigen  englischen 
Garten  sah.  Von  hier  aus  kamen  wir  nach  Kayserslautern. 
dem  ehemaligen  Sitze  der  Pfälzischen  Cameral  hohen  Schule.111 
Ich  besah  hierauf  in  dem  Umkreise  von  3  bis  4  Stunden  einige 
Landgüter,  die  mir  vorzüglich  waren  gerühmt  worden.  Den 
Schellenberg,  einen  ehemaligen  schlechten  Weidegang  von 
mehr  als  1000  Morgen,  sah  ich  in  schönes  Landgut  umgewandeil. 
Auf  der  Reichenbach,  einem  ansehnlichen  Gute,  fand  ich 
herrliche  Felder.  Zu  Sichelbach,  wo  die  hohe  Cameralschule 
ein  Gut  angekauft,  hatte20,  war  ich  Augenzeuge  von  der  Pro- 
stitution, die  sie  sich  in  der  ganzen  Gegend  gemacht  haben.    Schon 

14;i  Frickhofcn,  Pfarrdorf  im  preuß.   Regbzk.   Wiesbaden. 

15  Rheinhessisches  Pfarrdorf.     Brilmayer,  a.  a.   0. 

"■  Vielleicht  ist  Jon.  Jak.  Krämer  gemeint,  der  im  Jahre  1782  ..P.e. 
Pachtungen  über  die  oekonomisehen  Bemühungen  des  18.  Jahrhunderts** 
veröffentlicht   hat. 

17  Friedr.  Joh.  Otto  Franz.  Christian  Philipp,  Fürst  von  Salm-Kyrburg 
seit  1779;   geb.    1715.     Krebel,  Europ.  genealogisches  Handh.  für  1781. 

18  Kirchheim-Bolanden,   Stadt   in   der   bayerischen  Pfalz. 

19  Über  die  Hohe  Kameralschule  in  Läutern,  Stieda,  a.  a.  0..,  S.  109 
bis  119. 

20  Über  das  Landgui  am  Siegelbach,  das  die  Hohe  Kameralschule 
als  Mustergut  bewirtschaften  ließ,  vergl.  C.  Fraas,  Geschichte  der  Landbau- 
und  Forstwissenschaft,    1865,   S.   116;   Stieda,  a.  a.   0.,  S.   110. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  199 

der  3.  Pächter  war  kurz  vor  meiner  Ankunft  durchgegangen  und 
die  Frucht«'  wurden  auf  dem  Felde  versteigert.  Das  einzige 
Monument,  das  man  noch  davon  hier  antrifft,  isl  ein  prächtig 
erbauter   Viehstall. 

Rheingau.  Meine  Ilauptabsicht  hei  dieser  Heise  war,  die 
veischiedenen  Laagen,  Erdarten  und  die  Art  und  Weise  den 
Weinstock  zu  behandeln  genau  kennen   zu   lernen. 

Im  Vertrauen  auf  die  gnädige  Nachsicht  Euer  Excellenz 
unterwerfe  ich   diese   meine   Berichterstattung    Indien    Einsichten. 

Euer  Excellenz  unterthänig  gehorsamster 
Schleenstein. 


Beilage  Li  f.  A. 

Methode  den  Deutschen  Klee  mit  den  Sommerfrüchten 

zu  bauen. 

Man  säet  in  ein  gut  zubereitetes  und  wohlgedüngtes  Feld 
mit  der  ('.erste  z.  B.  den  deutschen  Kleesamen  aus  und  läßt 
beides  mit  einander  aufwachsen.  Nun  zur  Aerntezeit  wird  die 
(leiste  abgebracht,  und  wenn  das  Wetter  ein  wenig  günstig  ist, 
so  hat.  man  sich  in  diesem  Jahre  noch  einer  Kleeärnte  zu  er- 
neuern Den  Winter  über  bleibt  das  Kleestück  mit  Mist  bedeckt, 
der  das  folgende  Frühjahr  wieder  abgezogen  wird.  Ist  nun  im 
JFrühlinge  kein  Frost  mehr  zu  befürchten,  so  wird  Gyps  auf  den 
Klee  gestreut,  und  die  Pflanzen  werden  dadurch  stärker  aus  dem 
linden  getrieben.  Bedient  man  sich  aber  dieses  Mittels  zu  frühe, 
so  setzt  man  sich  der  Gefahr  aus.  bei  einstellenden  Frost  seineu 
Klee  zu  verlieren.  Nun  wird  der  Klee  den  Sommer  über  3  biß 
4  mal  benutzt.  Gegen  den  Herbst  wird  das  Feld  in  groben  Stücken 
nur  einmal  umgestoßen,  und  ohne  neuen  Dünger  zu  geben,  Koggen 
auf  den  Acker  ausgesäet.  Die  Kleeschollen  faulen  den  Winter 
aber,  legen  sich  zusammen  und  düngen  den  Boden.  Wenn  nun 
die  Roggenärnte  eingethan  ist.  so  wird  der  Acker  durch  Pflügen 
und  Kggeu  tüchtig  zerrissen  und  gut  gedüngt.  Nun  fängt  man 
wieder  von  \rorne  an,  säet  z.  B.  Gerste  mit  Kleesamen  aus  und 
verfährt   auf   die   oben    beschriebene    Weise.-1 


Beilage  Lit.  B. 

Wie   der    Krappbau    in    den    Gegenden    d:-s    I!  heinst  ronis 

behandelt    wird. 
1.  Werden   zu  einem    Morgen   guten    Landes   a    L60    Ruthen 
a    1(5    Rheinland.    Schuhe    L6    vierspännige    Wagen    Dung 
erfordert. 

-'  über  die   Verbreitung  des   Kleebaues  in   Deutschland  s.  C.   Fraas, 
Geschichte  der   Landbau-   und    Forstwissenschaft,    L865,   S.   215,   219.     In 
der  Pfalz  beginnt  der  Klecl.au  sich  wesentlich  in  dein  Jahrzehnt  L760     l<«u 
auszubreiten;   am    Rhein    soll    er   durch    einen    Schüler   Schubarts   einge 
führt  sein. 


200  Wilhelm  Stieda. 

2.  wird  der  Dung  2  Schippen  tief  untergraben  und  wenn 
dieses  geschehen  ist,  zu  Anfang  des  Mayen,  bei  einer 
feuchten  Witterung  die  Pflanzen   gesetzt. 

3.  Auf  den  Morgen  werden  12000  Stücke  Pflanzen  gerechnet. 

4.  Wird  der  Acker  in  Beete  abgetheilt,  deren  jedes  10  biß 
12  Schuhe  breit,  und  zwischen  2  allemal  ein  Zwischenraum 
von  2  Schuhe  gelassen  wird,  welchen  man  im  ersten  Jahre 
zu  Kraut,  z.  B.  Kohlrabi,  benutzt.  In  folgenden  Frühjahre 
wird  dieser  Zwischenraum  ausgehoben,  und  auf  die  Beete 
vertheilt. 

5.  Diese  Beete  werden  in  kleine  Furchen  abgetheilt,  da- 
rinnen die  Krapp  Setzlinge  5  biß  6  Zoll  von  einander 
gelegt,  mit  Erde  die  Wurzel  bedeckt  und  mit  dem  Fuße 
zugetreten.  In  diesem  Zustande  werden  sie  gelassen  bis 
in  den  folgenden  Herbst,  da  dann  der  Acker  umgerodet 
und  der  Krapp  ausgemacht  wird.  Inzwischen  aber  muß 
der  Acker  etlichemal  von  Unkraut  gesäubert  werden.  Vor 
dem  Ausmachen  wird  das  Krappkraut  abgemähet,  gedörrt, 
und   den   Winter   über   mit   den   Ochsen   verfüttert. 

Anmerkung. 
Wenn   der   Acker   also    gut   zubereitet   ist,    so    kann   er   bei 
einem  Mittelertrage  80  Zentner  grüne  Wurzeln  liefern,  die  a  2  fl. 
pro   Pfund  von   dem    Acker   verkauft   werden,    ohne    was   vorher 
aus  Pflanzen  gelöst  werden   kann.22 


4.  (Spoors)  kurzer  Bericht  über  eine  kleine  technologische 

Reiße. 

Gnoßh.   Hess.   Haus-  u.   Staatsarchiv  Darmstadt,  Akten  betr.   die  Kameral- 

fakultät  zu  Mainz,  S.  29—33. 

Bevor  ich,  nach  der  mir  gnädig  ertheilten  Instruction,  die 
kleine  technologische  Beiße  unternahm,  so  machte  ich  mich  mit  ver- 
schiedenen Handwerkern  in  hiesiger  Stadt  bekannt,  um  mir  da- 
durch Lust  und  Fähigkeit  zu  erwerben,  den  Zustand  derselben 
auch  bei  Ausländern  zu  untersuchen,  und  ihre  Vortheile  um1 
neue  Erfindungen  zu  bemerken. 

Mit  dieser  praktischen  Vorbereitung  ausgerüslet,  die  mir 
meine,  auswärts  gemachte,  Bemerkungen  gar  vorzüglich  erreich 
terte,  träte  ich  d.   16ten  Sept.  meine  Beiße  an. 

Mein  erster  Aufenthalt  war  in  Frankfurt  während  der  Messe. 
Ich  schalle  mir  allda  das,  bei  Anfang  derselben  erschienene 
Meßschema  an,  und  bemerkte  mir  die,  darinn  genante,  aus- 
vvärlige    l'ahi  icanlen    und    Kaufleuthe. 


22  Über  Krapp  oder  Färberröthe  s.  Vom  Anbau  und  Commerce  des 
Krapps  in  Deutschland,  Leipzig  177'.).  8°;  Krünitz,  Enzyklopädie,  Bd.  L26; 
S.  21311.,  und.  .1.  Beckmann,  Gesch.  d.  Erfindungen,  Bd.  4,  S.  4t ff.  Der 
Krapp  wurde  im  IN.  Jahrhundert  wesentlich  in  Breslau  und  im  Elsaß  in 
der  Gegend   von   Hagenau   und   Bischweiler  gebaut. 


Ausbildung  in  Kamerahvissenschaf't.  2<U 

Nachdem  ich  mir  ihre  Bekanntschaften  durch  mancherlei 
Weege  zu  machen  suchte,  bat  ich  sie  um  die  Erlaubniße,  ihre 
Gewölber  zu  besuchen,  wozu  sich  Einige  desto  bereitwilliger 
zeigten,  je  gewisser  ich  mich  als  einen  Commissionair  hinstellte, 
der  vielleicht  noch  mancherlei  Geschäften  mit  Ihnen  zu  machen 
Gelegenheit   haben   würde. 

Auf  solche  Weiße  lernte  ich  die  Art  der  Waaren,  ihre  Mannig- 
faltigkeit,   ihre  tüite    und    Preiße    kennen. 

Auch  war  es  mir  hier  schon  eine  vorzügliche  Gelegenheit, 
mich  mit  den  Fabricanten  über  die  Verfertigung  der  Waaren 
selbsten  in  nahe  Unterredung  einzulassen;  wodurch  aber  meine 
wissenschaftliche  Neugierde  nicht  befriedigt  wurde,  weil  ich  nichi 
an  Ort  und  Stelle  wäre,  wo  ich  die  ganze  Verfahrungsart  mil- 
ansehen konte,  wie  aus  Naturproducten  Kunstproducte  werden. 
Ich  begäbe  mich  daher,  nach  weiterer  Anweisung  meiner  In- 
struction am  Ende  der  Frankfurter  Messe  nach  Ofenbach,  das 
mit  Recht  ein  Manufacturstädtgen   genannt  zu   werden   verdient. 

Hier  hatte  ich  die  erwünschteste  Gelegenheit,  die  Arbeiten, 
und  Verfertigung  der  Bijouteriewaaren,  des  Plüsch,  und  Cafa, 
der  Wollenfärberei,  der  Wachslichter,  Waagbalken,  usw.  in  ge- 
höriger Ordnung  zu  sehen;  wodurch  ich  in  den  Stand  geset/.et 
wurde,  vermittelst  meiner  Kenntnisse  aus  der  Naturgeschicbl<\ 
Phisik,  Mechanik,  und  Chimie  die  Gründe  der  verschiedenen 
Arbeiten,  und  ihre  Folgen  leicht  zu  begreifen,  und  einzusehen. 

Ich  bemühe te  mich  sodann  die  Kunstsprache  der  Arbeiter 
zu  verstehen,  fände  aber  hierbei,  wie  unangenehm  es  seye,  daß 
einerlei  Werkzeuge  und  Arbeiten,  bei  verschiedenen  Handwerkern, 
ganz  verschiedene  Benennungen  haben;  welche  man,  wenn  gleich- 
wohl die  technologische  Terminologie  philosopbisch,  oder  sisle 
matisch  bearbeitet  werde,  sich  dennoch  immer  eigen  machen 
muß,  so  lange  wir  von  den  Handwerkern  und  sie  von  uns  ver- 
standen werden  sollen;  sogut  als  man  die  Provinzialnahmen 
der  Pflanzen  wissen  muß,  wenn  man  die  Botanik  gemeinnützlich 
machen  will. 

Die  rohe  Materalien,  und  Nebenmaterial ien,  die  Verschieden- 
heit in  Werkzeugen,  und  Gerätschaften,  die  entweder  neue  Er- 
findungen, oder  noch  nicht  allgemein  bekannt  sind,  suchte  ich 
nichl  allein  kennen  zu  lernen,  sondern  auch  letztere  durch  Zeich- 
nungen meinem   Gedächtnisse   aufzubewahren. 

Ich    wurde    in    den    Werksteller]    von    dem    Grundsatz    voll 
kommen    überzeugt,    daß    die    Geschicklichkeit    der    Handwerker, 
und    die    Künstlichkeit    der    Werkzeuge    meistens    in    verkehrter 
Verhällniß  stehen,  daß  je  künstlicher  die   Werkzeuge,   desto  ein 
faltiger  die  Arbeiter  seyen,  usw.      •  Ich  bemerkte  aber  zugleich, 
wie  schwer  es    falle,   von   den   Arbeitern  etwas   abzusehen,   und 
zu   erfragen,    die    meistens    nicht    gewohnl    sind,    über    ihre    Be 
schäftigungen   nachzudenken,   noch    weniger    Lust    und    Fähigkeit 
haben,   sie   zu   erklären;    die   ungedultig    über    den    unwissenden 
Frembden   werden,   der   sie    mit   Kragen    und    Einwürfen    aufhält, 
und  die  aus  Einfalt  eben  dasjenige,  als  eine  seltene  Kunst,  und 


202  Wilhelm  Stieda. 

als  ein  unerforschliches  Geheimniß    verheelen,  wonach  sich  der 
ehrte  sorgfältig  erkundigt. 

Von  Ofenbach  setzte  ich  meine  Reiße  nach  Seeligenstadt 
fort.  In  diesen  Landstädtgen  wohnen  ohngefähr  40  Wollen- 
weber23, von  welchen  aber  nur  18  oder  20  auf  ihre  Rechnung 
arbeiten.  Sie  verfertigen  aus  Landwolle  9/4  breite  geringe  Tücher, 
liefern  solche  theils  an  das  hiesige  Militär,  theils  verkaufen,  und 
schneiden  sie  selbige  in  den  benachbarten  Gegenden  auf  den 
Märkten  aus,  und  schmeicheln  sich  aus  dergleichen  Tücher  einen 
beträchtlichen  Gewinn  zu  ziehen;  wenn  nur  der  Absatz  davon 
durch  die  Menge  sehr  schmaler  und  schlechter  Tücher,  welche 
die  Pfälzische  und  Gräfl.  Erbachische  Weber  im  Mainzer  Lande 
um  einen  geringen  Preiß  verkaufen,  nicht  alzusehr  geschwächet 
werde;  da  doch  derselben  Herrschaften  den  Seeligenstädter  nicht 
erlaubten,  auf  den  Märkten  in  ihren  Landen,  mit  Tücher,  die 
doch  weit  besser  seyen,  feil  zu  halten.  Ja  sogar  bestellten  die, 
in  Seeligenstadt,  und  in  der  Nähe  wohnenden  .luden  bei  den 
auswärtigen  Weber  dergleichen  schlechte  Tücher,  und  gingen 
mit  denselben   allda  haußiren. 

Es  ist  nicht  zu  läugnen,  daß  die  Seeligenstädter  Tücher  nach 
ihrer  Art  gut  gewebet  seyen;  nur  fehlet  es  ihnen,  meiner  Ein- 
sicht nach,  an  Kenntnisse  und  Muth,  die  Wolle  gehörig  zu  sor- 
tiien,  und  daraus  mehrere,  der  Feinheit  und  Rreite  nach  ver- 
schiedene, Tücher  zu  machen,  da  es  doch  allemal,  sowohl  für 
den  Tuchmanufacturisten,  als  für  den  einzelnen,  sich  selbst 
verlebenden,  Weber  keine  vorteilhafte  Einrichtung  ist,  nur  ge- 
linge, grobe  Sorten  von  Tücher  zu  verfertigen.  Die  hohe  Direction 
der  Handwerker  würde  also  sehr  reiflich  handeln,  die  Seeligen- 
städter Weber  anzuweisen,  auf  welche  Sorten  von  Tücher  sie 
ihre  Industrie  verwenden  sollen,  damit  daraus  sowohl  für  sie, 
als  das  Land  der  bestmöglichste  Vortheil  gezogen  werde:  und 
dann  wird  das  erste  seyn,  denselben  in  genauer  und  richtiger 
Sortirung  der  Wolle,  geschulten  und  faßlichen  Unterricht  zu  geben. 

Ich  behalte  mir  vor,  sobald  mein  Lehramt  mir  einige  Zeil 
übrig  last,  und  ich  die  Seeligenstädter  Webereien  noch  einmal 
besuchet  habe,  einen  vollständigen  Plan  zu  entwerfen,  wie  den- 
selben auf  die  leichteste  Art  aufzuhelfen  seye. 

Vor  der  Hand  aber  ginge  mein  dermaliges  Gutachten  dahin, 
die  Pfälzer  und  Gräfl.  Erbachischen  Weber  von  dem  Verkauf 
ihrer  Tücher  auf  den  Märkton  im  Mainzer  Lande  aufzuschließen; 
weil  1.  derselben  Herrschaften  den  Anfang  gemacht  haben,  ein 
gleiches  gegen  unsere  Weber  zu  verordnen;  weil  2.  dieser  aus- 
wärtigen Tücher  weit  schlechter  sind,  und  unsere  Unlerthanen, 
durch  den  Anschein  eines  wohlfeileren  Preises,  ohnbemerkt  be- 
trogen werden.  Sodann  solle  man  eben  den  in  Seeligenstaili 
wohnenden  .luden,  den  Verkauf  der  Pfälzischen  und  Erbachischcn 
Land I lieber  untersagen.  Durch  diese  gegründete  Verbothe  werden 
wenigstens  unsere  Seeligenstädter  Webereien  vor  dem  gänzlichen 

::'  Im  Jahre  1825  hatte  Seligenstadt  noch  22  Tuchmacher  aufzuweisen. 
Deniian,  a.  a.   0.,   2,  S.  83. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  2«»:; 

Verfall  gesichert,  welcher  ihnen  nicht  ausbleiben  kann,  sobald 
sie  nicht  einen  ungestörten  Absatz,  auf  dermalen  und  mit  ge 
ringen  Tücher,  erhallen. 

Der  letzte  Ort,  <\c\i  ich  auf  meiner  Reiße  besuchte,  wäre 
Frankenthal,  wo  ich  wieder  verschiedene  Manufacturen,  und 
Fabriken  angetroffen,  die  in  Ofenbach  nicht  etablirel  sind,  als 
Wollenzeug-  und  Tuchmanufactur,  Porcellanfabrik,  und  andere. 
Ich  brauchte  hier  die  neinliche  Art,  meine  praktische  Kenntnisse 
zu  vermehren,  die  in  Ofenbach  mir  so  mancherlei  Nutzen  ge 
währte,  und  hatte  auch  das  Glück,  in  diesen  Manufacturstädtgen 
Manches,  sowohl  in  der  Zubereitung  der  Materialien,  als  der 
selben  Verarbeitung,  zu  erfahren,  das  meine  Erwartung  übertraf. 

Ich  schließe  meinen,  in  die  Kürze  gezogenen  Bericht  mit 
folgender  Anmerkung,  daß  ich  schon  auf  dieser  praktischen 
kleinen  Reiße  recht  lebhaft  empfände,  was  D'Alembert  von  den 
Künsten  und  Handwerken  sagt:  ,,Es  lohnt  sich  sehr  wohl  der 
Mühe,  daß  man  sie  kennen  lerne,  die  Künste  und  Handwerke;  es 
sey  entweder  wegen  der  Vortheile,  die  man  daraus  zieht,  oder 
wegen  der  Ehre,  die  sie  dem  menschlichen  (leiste  machen.  In 
weh  liein  Sisteme  der  Phisik,  und  Metaphisik,  bemerkt  man  mehr 
Erfinduugsgeist,  mehr  Weisheit,  mehr  Harmonie,  als  in  den  Ma- 
schinen iles  Strumpfwirkers,  des  Tressenniachers,  des  l'osamen- 
fiers.  des  Tuchmachers  oder  des  Seidenarbeiters?"  Hin  Urteil, 
das  ganz  eines  D'Alemberts  würdig  ist! 

Unterthänig  gehorsamster 
F.  C.  Spoor. 

5.   (Reisebericht  der  Herren   Spoor   und    Schleenstein. 

Gmȧb.   Hess.  Haus-   a.   Staatsarchiv   Darmstadt,   Akten   betr.   die   Kameral- 

fakultät  zu  .Mainz,  S.  91-  IM. 

Halle  d.  7'""  May    L784. 
Hochwohlgebohrener  Reichsfreiherr. 
Gnädiger  Herr  Curator ! 

Eine  fehlgeschlagene  Gelegenheit,  mit  welcher  wir  schon 
den  171"1  April  unsere  Heiße  anzufangen  dachten,  machte,  daß 
wir  dieselbe  zuerst  den  folgenden  Tai;  antrallen.  Wir  he 
dauerten,  daß  wir  auf  dem  Kurfürstlichen  Oeconomiehof  bei 
Aschaffenburg  H.  Inspector  Weßeli  nicht  antreffen  konnten.  Wir 
suchten  aber,  soviel  es  möglich  wäre,  uns  um  die  ganze  Anlage 
und  Einrichtung  zu  erkundigen.  In  Würzburg  waren  wir  so 
glücklich,  an  H.  Hofkammerrath  Stoll  einen  Mann  zu  finden, 
dessen  Gefälligkeit,  und  Einsichten  in  die  Landwirtschafl  uns 
seine  Bekanntschaft  eben  so  angenehm,  als  lehrreich  machte. 
Er  hatte  die  Güte,  uns  selbst  auf  den   Fürstlichen  Oec iehof, 

er  vorgesetzet  ist   zu   begleiten,   und   alles   was  diese  ganze 
Anstalt   betrifft,   zu    erklären.     Die   vornehmste   Gegenstände    un 
serer  Aufmerksamkeit    waren  diesemnechsl   das   berühmte  Julius 


204  Wilhelm  Stieda. 

hospital24,  nebst  der  dabei  befindlichen  Botanik25,  Anatomie26, 
and  einmischen  Laboratorium,  die  Universitätsbibliothek,  die 
Wollenspinnerei,  und  Manufaetur  im  Zuchthauße.27  Wir  reisten 
von  hier  über  Fürt  nach  Nürnberg;  hier  begegnete  uns  das  Un- 
angenehme, daß  diejenigen  Personen,  an  welche  verschiedene 
gute  Freunde  uns  Addressen  mitgegeben,  abgereist  waren.  Wir 
fanden  in  Rücksicht  der  Manufacturen,  die  bekannte  Rohgießereien 
ausgenommen,  beinahe  alles  wieder,  was  wir  in  Fürt  gesehen 
haben.28  Auf  der  Ratsbibliothek  hatten  wir  das  unvermuthete 
Vergnügen  den  Verfasser  der  entdeckten  Geheimnissen  der  Land- 
und  Haußwirtschaft29,  H.  Baumann,  Ordensgeistlichen  aus  der 
Abtei  Eberbach,  kennen  zu  lernen.  Er  bezeigte  ungemeine  Freude, 
als  er  die  Absicht  unsrer  Reiße  erführe,  bot  uns  seine  Freund- 
schaft und  Briefwechsel  an,  und  machte  uns  sogleich  wogen  ver- 
schiedenen ausländischen  Sämereien  einige  Aufträge.  Er  ginge 
auf  Würzburg,  wo  er,  wie  wir  zu  vermuthen  viele  Ursache 
haben,  sich  um  eine  Professur  der  Oeconomie  bewerben  wird.  — 
Wir  werden  uns  immer  mit  dem  lebhaftesten  Vergnügen  an 
unsere  Aufnahme  bei  den  H.  Professoren  zu  Erlangen  erinnern, 
ihre  Gefälligkeit,  Freundschaft,  und  Verbindlichkeit  gegen  Fremde 
läsl  nichts  zu  wünschen  übrig.  H.  Hofrath  Schröber,  an  welchen 
wir  von  H.  Geh.  Rath  von  Pfeifer  eine  Addresse  hatten,  war  uns 
als  ein  Mann  beschrieben  worden,  bei  dem  wir  das  Gefällige 
im  Umgang  nicht  suchen  dürften.  Würklich  schien  uns  sein 
Äußeres  nicht  günstig;  er  ist  schüchtern,  spricht  sehr  ängstlich, 
und  zurückhaltend.  Um  so  auffallender  wäre  es  uns,  da  er 
mit  ungemeiner  Gefälligkeit  uns  selbst  in  den  hiesigen  botanischen 
Garten  führte,  in  dem  Universitäts-  so  wie  in  seinem  Privat 
Naturalienkabinetl  mit  unverdroßener  Mühe  uns  alles  vorzeigte 
und  erklärte,  und  uns  empfal,  bei  unserer  Rückkunft  nach  Mainz 
ihm  Nachricht  zu  geben,  auch  bei  jeder  Gelegenheit,  wo  er  uns 
eine  Gefälligkeit  erweisen  könte,  ihm  zuzuschreiben.  Auf  unsre 
Bitte,  uns  mit  einer  Addresse  nach  Leipzig  zu  versehen,  war  er 
sehr  willig,  und  überreichte  uns  ein  Empfehlungsschreiben  an 
II.  Professor  Leske.  Bei  H.  Hofrath  Suckov,  einem  bejahrten, 
gutherzigen  Mann,  der  uns  eine  Empfehlung  an  seinen  IL  Bruder 
zu  Jena  mitgab,  sahen  wir  die  phisicalische  Instrumenten.  Herr 
Hofrath  Meißel,  der  uns  sehr  freundlich  aufnähme,  besuchten  wir 
verschiedenmalen,  und  wohnten  einer  seiner  Vorlesungen  bei. 
II.    Hofrath    Delius,    Vorsteher   des    hiesigen    klinischen    Instituts, 

-'■'   Vergl.  Lutz,  Rückblick  auf  die   Entstehung  und   Entwicklung  des 
Juliusspitals,    Würzburg  1876. 

Vergl.  Lutz,  a.  a.  0.,  S.  33,  83. 
Vergl.  Lutz,  a.  a.  0.,  S.  ;s:>.  81,  82. 
-'•  Das  Zuchthaus  winde  im  Jahre  Kill.")  eröffnet  und  in  ihm  eine 
Tuchfabrik  zur  Beschäftigung  der  Sträflinge  errichtet;  eine  Verbesserung 
nahm  im  Jahre  L732  der  Fürstbischof  Friedrich  Karl  von  Schönborn  vor. 
Archiv  des  historischen  Vereins  von  I  nterfranken  und  Aschaffenburg, 
Bd.    IV  (1905),   S.    19,   Anm.  2. 

s   Di''    gleiche    Bemerkung    bei    Meermann,    Reise,    Teil    2.    S.    274. 
so  Wien   1783. 


Ausbildung  in  Kameralwissenscbaft.  205 

ein  großer  Chimist,   verlangten   wir   zu   sprechen;   allein  er   war 
krank  und  lag  zu  Bette. 

H.  Hofrath  Heberlin,  an  welchen  wir  von  H.  Hofrath  llart- 
leben30  eine  Empfehlung  zu  machen  hatten,  begleitete  selbst  uns 
in  die  Universitätsbibliothek,  und  von  da  nach  denen  daselbst. 
befindlichen  Manufacturen.  Den  Abend  vor  unsrer  Abreiße  Eührte 
er  uns  noch  in  eine  Gesellschaft,  die  sich  wöchentlich  einmal 
versammelt,  und"  worinnen  wir  noch  andere  H.  Professoren,  und 
Justitzräthe  kennen  lernten.  Der  Inhalt  ihrer  meisten  Gesprächen 
mit  uns  beträfe  die  verbesserte  [Jniversitäl  zu  .Mainz:  dal.)  ihre 
Lobeserhebungen  unverstellt  waren,  zeigten  ihre  Mienen,  aus 
denen  oft  ziemlich  deutlich  Beneidung  hervorblickte.  Wir  winden 
uns  mit  Vergnügen  auf  dieser  Universität  noch  lange  aufgehalten 
haben,  wenn  wir  Gelegenheit  gehabt  hätten,  ein  in  unser  Fach 
schlagendes  Collegium  zu  besuchen.  Es  waren  zwar  in  der 
Lectionstafel  verschiedene  angezeigt,  wovon  aber  keines  zu  Stande 
gekommen  war.  In  Rücksicht  der  Polizei  und  Oeconomie  der  Stu- 
dierenden erhielten  wir  verschiedene  hierüber  herausgekommene 
Verordnungen.  —  H.  Hofrath  Schroeber  hatte  uns  an  H.  Kammer- 
registrator  Wunder  in  Baireit  eine  Emphelung  mitgegeben;  dieser 
zeigte  uns  das  dortige  ansehnliche  Naturalienkabinett.  In  dem 
sogenannten  Brandenburger  Zuchthauße,  nicht  weit  von  der  Stadt, 
sahen  wir  die  berühmte  Marmorschneiderei  und  Schleiferei:  Wir 
erhielten  die  Verzeichnisse  sowohl  der  verschiedenen  Marmor 
Sorten,   als   der   Preiße   der   gefertigten   Waaren.  In   Hol.    wo 

sehr  viele  Baumwolle  gesponnen,  und  zu  Schnupftüchern  ver- 
arbeitet wird,  besuchten  wir  einige  Webstühle.  —  In  Leipzig, 
wo  wir  uns  eine  Zeitlang  aufzuhalten  gesonnen  waren,  gaben 
wir  unser  Emphelungsschreiben  an  H.  Professor  Leske  ab,  von 
dei'i  wir  auch  sehr  freundschaftlich  aufgenommen  wurden.  Allein 
wir  fanden  ihn  wegen  der  Messe  mit  so  vielen  Geschäften  über- 
häuft, überhaupt  alles  so  sehr  im  Gedränge,  und  den  Aufenthalt 
so  kostspielig,  daß  wir  unsere  Reiße  nach  Halle  fortzusetzen, 
und  von  da  nach  Leipzig  wieder  zurückzukehren  beschlossen. 

Unßere  Reiße  hatte  bis  Hof  wegen  beständig  anhaltendem 
Regen  und  Wind  viele  Beschwerlichkeil  für  uns.  Aber  dieses  war 
sehr  unbeträchtlich  gegen  das,  was  wir  durch  das  Voigtland  aus- 
zustehen halten.  Der  häutige  Schnee,  der  auf  vielen  Bergen  noch 
nicht  weggeschmolzen  war,  hatte  alles  bodenlos  gemacht.  Wir 
hallen  Mühe,  mit  3  Pferden  des  Tags  6  Stunden  weil  Eortzu 
kommen,  saßen  immer  in  offenen  Wagen,  und  mußten  täglich 
die  Abwechslungen  von  Regen,  Schnee  und  Hagelwetter  erfahren. 
Alle  diese  Unbequemlichkeiten  verdoppelten  unsere  Reisekosten, 
da  wir  überdies  hier  alles  theurer,  und  in  schwerem  Geldfuße 
zu  bezahlen  hatten. 

Wir  bitten  dabei'  unterlhänig,  Ew.  Excellence  mögen  die 
Gnade  haben,  uns  einen  Wechsel  nach  Leipzig  unter  der  Addresse, 
in  dem  blauen  Engel,   wo  wir  d.   22ten   May   wieder  eintreten 


30  Franz    Joseph    Hartleben,    1740—1808,    Professor    der    Pandekten 
in   Mainz. 


^0(i  Wilhelm  Stieda. 

werden,  anzuweisen.  -  Wir  erwarten  demnächst  den  Hohen  Be- 
fehl, ob  wir  die  Rechnung  wegen  dem  empfangenen  Gelde  in 
der  Mitte  oder  am  Ende  unserer  Reiße  einschicken  sollen. 

Ew.  Excellence  werden  es  uns  nicht  zur  Ungnade  aufnehmen, 
daß  wir  nach  unserer  Schuldigkeit  Hochdenselben  nicht  schon 
eher  Nachricht,  von  unserer  Reiße  gegeben  haben ;  indem  wir 
keinen  sicheren  Ort.  haben  anzeigen  können,  wo  wir  die  Hohe 
Befehle  zu  erwarten  hätten. 

Die  wir  mit  schuldigster  Ehrfurcht  uns  zu  nennen  die  Gnade 
haben  Ew.  Excellence 

Unterthänig    gehorsamste 
F.   Spoor  und  Schleenstein. 

6.    (Reisebericht    der   Herren    Spoor   und    Schleenstein   aus 

Leipzig  1784,  Juni  5.) 

Croßh.   Hess.  Haus-  u.   Staatsarchiv  Darmstadt,   Akten  betr.   die  Kamerad 

fakultät  zu  Mainz,  S.  96  ff. 

Hochwohlgebohrner  Reichsfreiher]', 
Gnädiger   Herr   Curator ! 

Mit  dem  gerührtesten  Danke  für  die  Hohe  Fürsorge,  die  uns 
Ew.  Excellence  immer  angedeihen  ließen,  melden  wir  Hochden- 
selben, daß  wir  von  Herrn  Kammerrath  Frege  zu  Leipzig  einen 
Wechsel  zu  200  Rlr.  Louisd'or  ä  5  Rthlr.  den  31,  May  ausbezahlt 
erhielten. 

In  Halle  waren  bei  unserer  Ankunft,  die  Vorlesungen  noch 
nicht  angefangen;  wir  besahen  daher  innerhalb  Halle  die  Stadt] 
und  königliche  Salz-Koten,  das  berühmte  Waisenhauß  mit  allen 
dazu  gehörigen  Einrichtungen,  verschiedene  Fabriken  und  machten 
sodann  eine  kleine  Reiße  auf  einige  Meilen  in  der  Gegend  von 
Halle.  Wir  befuhren  wegen  der  Verschiedenheit  der  Kohlen  und 
der  Art,  sie  zu  gewinnen,  zwei  Kohlenwerke  zu  Löbegin  und 
Wettin;  im  ersteren  hatten  wir  noch  das  Glück,  eine  ganz  neue 
Atdage  eines  Berckes  (?)  anzutreten.  Bei  dieser  Gelegenheit  be- 
suchten wir  auch  den  durch  die  Schriften  des  Herrn  Hofrathen 
Schubart  so  berühmten  Landwirthen  Herrn  Oberamtmann  Holz- 
hausen?1 in  Gröbzig,  welcher  die  Güte  hatte,  uns  seine  ganze 
sehr  beträchtliche  Oeconomie  zu  erklären  und  allenthalben  selbst 
zu  begleiten.  Endlich  die  nahe  dabei  gelegene  Kupferschmelzhütle 
zu  Rothenburg.  Bei  unserer  Rückkehr  hallen  die  Kollegien  ihren 
Anfang  genommen,  wo  wir  besonders  (hm  Vorlesungen  der  Herren 
Professoren  Förster  und  Karsten,  Professor  der  ExperimentaJ 
phisic,  Junghans,    der   Botanik,  Richter,    der   Chemie, 

Goldhagen,  der  Zoologie,  beiwohnten.    Herr  Professor  Förster  be- 
zeugte    uns,    wie    wir    glauben    aus    besonderen    Absichten,    viele 


31  Vielleicht  ist  Joh.  <i.  Holzhausen  gemeint,  der  allerdings  erst 
später,  nämlich  im  Jahre  L785  „Beilage  zu  J.  C.  Schubarts  Schrillen"  und 
1787  „Schreiben  an  Schubart  v.  Kleefeld  über  Riems  Reise  nach  (iröhzig" 
veröffentlicht  hat. 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft.  207 

Freundschaft  und  Gefälligkeit;  er  führte  uns  in  die  Gesellschaft 
der  Gelehrten,  wo  wir  auf  einmal  mit  mehreren  berühmten 
Männern  Bekanntschaft  machten  und  von  Verschiedenen  die 
Correspondence  erwarben.  Nebst  verschiedenen  Privatnaturalien- 
Kabinetten  besuchten  wir  noch  die  Bibliotheken,  welche  wir  aber 
in  unserem  Fache  schier  gar  nicht  benutzen  konten. 

Bei  unserer  Bückreise  nach  Leipzig  machten  wir  dem  Herrn 
Kammerdirektor » Hofmann    von    Berlin,    der    sich    während    des 
Sommers   auf   seinen    Gütern    zu    Discau    aufhaltet,    unsere    Aul 
Wartung.     Wir    hatten    hier   das    Glück,    einen    sehr    großen   und 
eifrigen  Landwirthen  zu  finden.    Nachdeme  er  uns  die  ganze  Ein 
richtung  seiner  Wirthschaft  erklärte,  hatte  er  sogar  die  Gefällig 
keit,  uns  sein  Oeconomiebuch  und  Rechnungen  zur  Ueberzeugung 
seiner    vorteilhaften    Bestellung    vorzulegen. 

In  Leipzig  erkundigten  wir  uns  sogleich  bei  Herrn  Pro- 
fessoren Leske  und  Boeßig  um  alles,  was  in  unser  Fach  einschlage. 
Wir  erfuhren  aber  wider  Erwartung,  daß  das  Studium  der 
Kameralwissenschaften  auf  hiesiger  Universität  schlecht  betrieben 
würde:  Professor  Leske  zählet  in  seinen  Vorlesungen  über  die 
Naturgeschichte  6  Studenten  und  Boeßig  über  die  Oeconomie  nur 
Vier.  Die  Bibliothecken  sind  in  Ansehung  dieser  Wissenschaften 
gar  nicht,  zu  achten,  und  der  botanische  Garten  ist  in  sehr  ge- 
ringen Umfang.  Wir  werden  daher  auch  in  Leipzig  uns  nicht. 
lang  aufhalten,  sondern  sobald  möglich  nach  Jena  unsere  Meise 
fortsetzen.  Göttingen  wird  wohl  der  einzige  Ort  sevn,  wo  wir 
uns  mehreres  von  der  Bibliotheck  und  botanischem  Garten  zu 
versprechen  haben.    Wir  werden  eilen,  dahin   zu    kommen. 

Wollen  daher  Ew.  Excellence  an   uns   hohe  Befehle  ergehen 
zu  lassen  geruhen,  so  erwarten  wir  selbige  in  Göttingen,  jedoch 
zu  mehrerer  Sicherheit   mögen    Ew.    Excellence   auf   die   Adr. 
Post,  restant  zu  schreiben  die  Gnade  haben. 

Leipzig  d.   5.ten   Juni   17S4. 

Ew.   Excellence 
ünterthänig    gehorsamste 
F.  Spoor  and  Schleenstein. 

7.   (Reisebericht   der   Herren    Spoor   und    Schleenstein    .ms 

Göttingen    17.S4,  Juli  6.) 

(irvißh.   Hess.  Haus-  u.   Staatsarchiv   Dam  betr.  die  Kare 

fakultäl    zu    Mainz.   S.    L00— 101. 

Excellence 
Hochgebohrner   Reichsfreiherr, 

Gnädiger  Herr  Curator! 

Bei  unserer  Reiße  von  Leipzig  nach  Jena  besuchten  wii 

durch  seine  oeconomisi  he  Schriften   so  sehr   berühmten    II.   Hof- 

rathen   Schubart :!-   auf   seinem    Landgute    zu    Würgwitz,    welches 


82  Oeconom.-kameralistische    Schriften,    Leipzig    1783-   L78 


208  Wilhelm  Stieda. 

nur  einige  Meilen  von  der  ordentlichen  Straße  ablag.  Dieser  große 
und  eifrige  Landwirth  hatte  die  Gefälligkeit,  uns  allenthalben  hin 
auf  seine  Felder  selbst  zu  begleiten,  und  alles  augenscheinlich 
zu  zeigen,  was  er  in  seinem  Werke  über  die  Landwirthschaft 
lehret.  In  Jena  fanden  wir  zwar  an  H.  Kammerrath  Suckow 
einen  sehr  großen  Eiferer  für  die  Kameralwissenschaften,  dessen 
Korrespondenz  zu  erhalten,  wir  auch  so  glücklich  waren;  allein 
im  Ganzen  geschiehet  auf  dieser  Universität  in  Rücksicht  er- 
wähnter Wissenschaften  sehr  wenig.  W'ir  machten  also  nach 
Unserer  Instruktion  Bekanntschaft  mit  noch  einigen  H.  Pro- 
fessoren, besahen,  was  uns  in  unserem  Fache  dienlich  seyn  konnte, 
und  setzten  unsere  Reiße  nach  Erfurt  fort.  Hier  bedauerten  wir 
die  Abwesenheit  Sr.  Excellence  Herrn  Stadthalter;  allein  weil 
man  von  Hochdesselben  baldiger  Ankunft  sprach,  so  erkundigten 
wir  uns,  um  Gewißheit  zu  haben  bei  H.  Hofrathen  Redacker,  der 
uns  aber  auch  nichts  bestimmtes  sagen  konnte.  Wir  machten  in 
Begleitung  des  H.  Kammeracceßisten  Thelemann  bei  H.  geheimen 
Rath  von  Bellmont33,  und  H.  Kammerräthen  unsere  Aufwartung. 

H.  Kammerrath  Müller  führte  uns  in  Gesellschaft  des  H. 
Professor  Stumm  und  Thelemann  nach  der  Erbacher  Stahlquelle, 
wo  ersterer  die  gewohnlichen  Handproben  mit  diesem  Wasser 
machte,  und  uns  zugleich  das  Resultat  der  aus  diesem  Wasser 
gemachten  einmischen  Untersuchung  mittheilte. 

Wir  reißten  sodann  nach  Dietendorf,  um  die  dortige  Manu- 
facturen  der  Herrnhuther  zu  sehen.  In  Erfurt  besuchten  wir  vor- 
züglich das  Polizeihauß,  die  Zeug-  und  Landmanufactur.  Unsere 
Reiße  von  Erfurt,  nach  Göttingen  nahmen  wir  über  Heiligenstadt34, 
wo  wir  uns  einen  Tag  aufhielten.  In  Göttingen  sprachen  wir  so- 
gleich mit  H.  Professor  Beckmann,  bei  dem  wir  uns  um  den  Zu- 
stand der  Kameralwissenschaften  erkundigten.  Wir  erfuhren  von 
ihm,  daß  die  Bibliothek  in  diesen  Fächer  vollkommen  besetzt, 
und  der  oeconomische  Garten  in  sehr  gutem  Zustande  seye. 
Wir  freueten  uns,  hier  endlich  das,  was  wir  nirgend  antrafen, 
nemlich  einen  Ort  zu  finden,  wo  wir  mit  den  nöthigen  Hülfs- 
mitteln  unterstützet,  unsere  Kenntnisse  erweitern  könne.  Da 
uns  an  der  Freundschaft  des  Professor  Beckmann  sehr  viel 
gelegen  ist,  theils  um  die  öfentliche  Bibliothek,  und  den  oeco- 
nomischen  Garten,  theils  seine  eigene  Privatbibliothek,  Mine- 
ralien, und  Maschinensammlung  zu  benutzen,  und  überdies  der 
Ruhm  dieses  Mannes  und  sein  zahlreiches  Auditorium  uns  an- 
lockte, so  beschlossen  wir,  seinen  Vorlesungen  über  die  Oeco- 
nomie  und  Technologie  beizuwohnen.  Hiezu  kömmt  noch,  daß 
er  durch  den  oeconomischen  Garten,  die  ansehnliche  Sammlung 
von  Maschinen  usw.  in  Stand  gesetzt  wird,  die  Sachen,  die  er 
voil ragt,  vor  Augen  zu  legen.  Wir  glaubten  daher  nicht,  der 
Hohen  Willensmeinung  Ew.  Excellence  entgegen  zu  handeln,  wenn 


83  Job.  Arnold  Rellmont,  1718—1803,  Churf.  Mainzischer  wirkl.  gebj 
Rat  und  Regierungsdirektor  in  Erfurt. 
;;1   Preuf,   Stadt   im  Regbez.  Erfurt. 


Ausbildung   in  Kamerahvis.-en-i-hatt.  209 

wir  uns  in  seine  Collegien  für  dieses  halbe  Jahr  einschreiben 
ließen,  die  zwar  schon  einige  Zeit  angefangen  waren;  allein  da 
wir  aus  den  Vorlesungen  des  H.  Geheimen  Raths  von  Pfeiffer  in 
diesen  Wissenschaften  schon  bewandert,  sind,  nichts  dabei  ver- 
lieren. — 

Wir  bitten  nun.  Ew.  Excellence  mögen  die  Gnade  haben, 
uns  einen  Wechsel  nach  Göttingen  zu  iiberschicken  :  wir  können 
leicht  vermuthefi,  daß  es  Ebendenselben  sein-  auffallend  seyn 
werde;  allein  die  große  Reißunkosten  und  das  außerordentlich 
theure  Zehren  von  Leipzig  bis  Göttingen,  die  Praenumerations- 
gelder  für  die  Collegien,  die  Anschaffung  der  nöthigen  Hand 
Sucher  und  sonst  noch  andere  Vorausbezahlungen  entblösten  uns 
ganz  vom  Gelde. 

Wir  werden  mit  dem  zu  hofenden  Wechsel  viel  länger  ans 
dauern  können,  indem  die  sehr  schwere   Reißunkosten  uns  von 
einer  sehr  ansehnlichen  Ausgabe   befreien. 

Die  wir  uns   zu  beharrlichen  Gnaden  schuldigst  empfehlen 

Göttingen,   den  6.   Juli   1784. 

Ew.   Excellence 

Unterthänig    gehorsamste 

F.   Spoor  und  Ä.  Schleenstein, 

wohnhaft   bei    Schneidermeister   Bruhns 

auf  der  Jüdenstraße. 


8.    (Reisebericht   der  Herren   Spoor    und    Schleenstein    aus 
Göttingen  1784,  Aug.  11.) 

Großli.   Hess.  Haus-  u.   Staatsarchiv  Darmstadt,  Akten   betr.  die   Kameral- 
fakultät   zu   .Mainz,   S.    108—112. 

Göttingen,    d.    11.    Aug.    84. 

Excellence 

Hochwohlgebohrner   Reichsfreiherr, 

Gnädiger   Herr   Curator! 

Das  Hohe  Schreiben  Ew.  Excellence  vom  25ten  Juli  haben 
wir  den  30.,en  Juli  empfangen,  und  sagen  llochdenselben  dafür 
'Jen   gehorsamsten   Dank. 

Die  (iuädige  Aufnahme  unserer  eingeschickten  Rendite  ist 
iins  die  stärkste  Ermunterung,  alle  Krallen  aufzubieten,  uns 
in  der  Zukunft,  dein    Staate    recht    brauchbar   zu    machen. 

Die    an    die    Kurfürstliche    Kammer    in    Heiligenstadl    ange 
wiesene  300  fl.  dortiger  Währung  haben   wir  den   3.ten   Aug.  er 
halten.    Es   war  uns  dalier  ohnmöglich,   dem    Hohen    Befehl    Ew. 
Excellence  zufolge  die  beiliegende  Rechnung  zu   Ende  <l<^  Julius 
anzuschicken.     Nichts    wird    der    Rechnung,    luv.    Excellence    so 
raffallend  seyn,  als  der  Betrag  des  Fuhrwesen:   Allem  ofl   trafen 
wir  den  Postwagen  zu  der  Zeit,  nicht   an,  wo  wir  mil   unseren  Ge 
■^hüllen    fertig    geworden;    oder,    wir    würden    uns    manchmalen 
ohne  allen  Nutzen   2   oder   3   Tagen   an    einem    Ort    aufgehalten 

Beitrage  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  II 


210  Wilhelm  Stieda. 

halten,  wenn  wir  ihn  hallen  abwarten  wollen.  Zum  andern  wäre 
es  ohnmöglich,  hei  sehr  kaltem  ungestümen  Wetter  durch  die 
Nacht  auf  offenem  Wagen  zu  fahren.  Unit  wir  fanden  nach  ge- 
nauer Berechnung,  daß  der  ordinäre  Wagen  für  uns  beide  mit 
unserem  Koffer  heinahe  eben  so  hoch  gekommen  wäre,  als  wenn 
wir  auf  einen  besonderen    Wagen   gefahren. 

Unsere  Beschäftigungen  in  Göttingen  sind  an  einem  Tage, 
wie  dem  Anderen.  Die  Gegenstände  unserer  Arbeiten  sind  1.  die 
Vorlesungen  über  Oeconomie  und  Technologie,  den  Tag  durch 
2  Stunden  beizuwohnen,  2.  die  Universitätsbibliothek,  welche  in 
allen  Theilen  der  Kameralwissenschaft  gut  besetzet  ist,  und  welche 
wir  die  Morgends-  und  Nachmittagszeit  durch  mehrere  Slunden 
benutzen,  3.  der  oeconomische  Garten,  der  uns  des  Morgens  in 
der  Frühe  wenigstens  zwei  Stunden  beschäftigt.  Die  übrige  Zeit 
müssen  wir  dazu  anwenden,  die  aus  Büchern  gemachte  Auszüge 
zu  Hauße  in  gehörige  Ordnung  zu  setzen. 

Ew.  Excellence  werden  daher  gnädig  einzusehen  geruhen, 
wie  beschwerlich  uns  die  Aufarbeitung  unserer  zukünftigen  Vor- 
lesungen durch  den  Winter  fallen,  welche  uns  manche  Stunden 
kosten,  die  uns  zu  den  ersten  Gegenständen  beinahe  ohnentbehr- 
lich  sind. 

Nach  unserer  Instruktion  sollen  wir  auch  den  Harz  be- 
reißen.  Wir  finden  dazu  keine  andere  Zeil,  als  nach  geendigten 
Collegien  im  Monath  October,  in  welchem  aber  die  gewöhnlich 
in  hiesiger  Gegend  eintretende  übele  Witterung  unsere  Beiße 
dahin  sehr  leicht  hindern  kann;  -  -  Bleiben  daher  Ew.  Excellence 
bei  der  Instruktion,  so  müssen  wir,  um  dem  Hohen  Befehl  ganz 
sicher  nachzukommen,  den  Monath  September  dazu  wehlen,  wo 
wir  aber  die  richtige  Vortheile  in  Ansehung  der  Bibliothek,  des 
oeconomischen  Gartens  und  der  oeconomischen  Vorlesungen 
dieser  Beiße  aufopfern  müssen;  da  unser  Aufenthalt  auf  dem 
Harz  wenigstens  durch  4  Wochen  bei  schwerem  Geldaufwand 
wehren  muß,  um  daraus  den  gehörigen  Nutzen  zu  ziehen. 

So  leid  es  uns  ist,  die  schöne  Werke  auf  dem  Harz  der- 
malen nicht  zu  befahren,  so  sahen  wir  uns  dennoch  aus  ange- 
gebenen Ursachen  verbunden,  bei  Ew.  Excellence  deswegen  noch 
einmal  anzufragen;  da  wir  uns  überzeugten,  daß  es  der  Hohen 
Absich I,  warum  man  uns  hieher  nach  Göttingen  geschicket,  um 
deswillen  entgegenseye,  weil  wir  verschiedene  Vortheile  entsagen 
müßten,  wodurch  wir  unsere  Theorie  fester  und  ausgebreiteter 
machen,  und  wir  ohnehin  die  Befahrungen  mehrerer  Bergwerken, 
sofern  uns  die  praktische  Beißen  Gnädigsl  gestattet  werden,  auch 
mit  weil   größerem   Vortheile  nachholen   könnten. 

Wir  werden  uns  ilzl  nicht  getrauen,  die  Beiße  nach  dem 
Harz  vorzunehmen,  bevor  Ew.  Excellence  deswegen  die  Hohe 
Willensmeinung   an    uns    wieder   haben    ergehen   lassen. 

Die  Wintervorlesungen  fangen  gewöhnlich  3  Wochen  nach 
Michaelistag  an  und  endigen  sich  in  der  Osterwoche.  Die  Sommer- 
vorlesungen  nehmen  3  Wochen  muh  Ostern  ihren  Anfang  und 
werden    in    der    Michaeliswoche    beschlossen. 


Ausbildung  in  Kamerahvksenscliafl. 


211 


Bei  dem  ersten  Eintritt  in  die  Bibliothek  suchten  wir  die 
Bekanntschaft  des  H.  Professor  und  Bibliothecarius  Dietz,  der 
sich  auch  gleich  anfangs  gegen  uns  außerordentlich  freundschaft- 
lich bezeigte.  Er  böte  uns  an,  die  Bibliothek  nicht  nur  zu  den 
gewöhnlichen  2  Tagen  der  Woche,  sondern  auch  außer  dieser 
Zeil  zu  besuchen,  die  Bücher,  so  wir  besonders  benutzen  wollten, 
nach  Hauße  mitzunehmen,  und  außer  den  gewöhnlichen  Slunden 
uns  selbsten  ohne  weitere  Anfrage  Bücher  zu  holen.  U.  Pro- 

fessor Dietz  (hat)  Sonnabend  öffentliche  Vorlesung  über  die  ge- 
lehrte Geschichte,  besonders  vom  15,cn  Jahrhundert,  welcher  wir, 
um  mehr  mit.  ihm  bekannt  zu  werden,  beiwohnen.  -  -  Aus  seinem 
sehr  freundschaftlichen  Betragen,  welches  er  gleich  Anfangs  gegen 
uns  geäußert,  merkten  wir,  daß  er  eine  geheime  Absicht  dabei 
halien  müßte;  und  wir  haben  gefunden,  daß  wir  dieselbe  errathen, 
«nachdem  wir  2  Wochen  nachher  seine  Vocation  an  die  Kurf. 
Mainz.  Universität  erfahren. 

Ew.  Excellence  mögen  die  Hohe  Gnade  haben,  uns  zu  er- 
lauben, zwei  Herbaria  viva,  die  wir  auf  Anrathen  des  H.  Pro- 
fessor Beckmann  bei  dem  oeconomischen  Gärtner  bestellt  haben, 
in  die  nächste  Bechnung  einzuführen.  Wir  haben  dieselbe  aus 
dieser  Ursache  für  sehr  nothwendig  gehalten,  weil  sie  nicht  allein 
uns  zu  Unterhaltung  der  gesammelten  Kenntnissen  der  (iewächsen 
dienen,  sondern  auch  wir  die  Pflanzen  nach  der  Natur  den  zu- 
künftigen Zuhörern  der  oeconomischen  Vorlesungen  vorlegen 
können.  Wir  hätten  diese  Bestellung  noch  nicht  unternommen, 
sondern  zuvoderist  bei  Ew.  Excellence  darum  angefragt,  wenn 
wir  nicht  hätten  befürchten  müssen,  daß  nach  einiger  Zeit  ver- 
schiedene Pflanzen  mit  den  Blüthen  ausgegangen  wären.  Das 
Buch  Papier  mit  Gewächse  einzulegen,  kostet  36  Kr.,  wie  stark 
aber  die  Einlagen  weiden,  läßt  sich  jetzt  noch  nichl   bestimmen. 

Wir  empfehlen  uns   Ew.   Excellence  zu   Hohen  Gnaden. 

Ew.   Excellence 
Unterthänig    gehorsamste 

F.  Spoor,  und  A.  Schleenslein. 


1784 

Berechnung  der  Gelder,  so 
uns  für  unsere  Sommerreiße 
aus  dem  Kurfürstlich  main- 
zischen Universitätsfonds  aus- 
bezahlt worden. 


Ein- 
nah- 
men 


11. 

rli. 


ki-. 


Aus- 
gaben 


Hl. 


kr. 


April  d.lOten 

May  d.  31tL'n 

August     < 

3  ICD 


In  Mainz  Conventionsgeld 

In  Leipzig  3()()  11.  in  Louisdor 
a   5  Thh'.   niaelil 

In  Heiligenstadt  300  11.  in 
Louisdor  ä  5  Tlilr.  4 
Groschen  machet       .     .     . 


Resl 


n. 
rh. 


kr. 


300 

— 

_ 

— 

— 

360 

— 

— 

— 

347 

23 

— 

— 

— 

14* 


•2[0 


Wilhelm  Stieda. 


1784 

Ein- 
nah- 

Berechnung   der    Gelder,    so 

Aus- 
gaben 

Rest 

uns   für  unsere  Sommerreiße 

men 

aus    dem   Kurfürstlich    main- 

i 

zischen  Universitätsfonds  aus- 

fl. 

kr. 

fl. 

kr. 

fl. 

kr. 

bezahlt  worden. 

rh. 

rh. 

rh. 

Vom  18.  April 

Diäten  für  Beide 

bis  11.  August 

p.  Tag  4  fl.  48  kr.  betragen 

— 

— 

556 

48 

— 

— 

inclus. 

Reiseunkosten  u.  Trink- 
gelder 
Mainz 

April  d.  18ten 

Für  Fuhrwesen  nach  Aschaf- 

— 

— 

13 

4 

— 

— 

A  seh  äffen  bürg 

d.  lOten 

Die  Einrichtung  auf  dem  Kur- 
fürstl.     Oekonomiehof     zu 

— 

— 

— 

48 

— 

— 

— ■ 

Für  Fuhrwesen    nach  Würz- 

— 

— 

DJ 

20 

— 

— 

W  ü  r  z  b  u  r  g 

d.  21ten 

Trinkgeld    für   diejenigen,    so 

uns  im  Hospital  alles  zeigten 

— 

— 

2 

24 

— 

— 

d.  22teu 

Auf  dem  fürstl.  Oeconomiehof 

— 

— 

48 

— 

— 

d.  24len 

In  der  Wollenspinnerei  und  Ma- 

nufactur  im  Zuchthause     . 

— 

— 

— 

34 

— 

— 

— 

In  der  Bibliothek     .... 

— 

— 

3G 

— 

— 

d.  25ten 

Für  Fuhrwesen  nach  Nürnberg 
N  ü  r  n  b  e  r  g  und  F  ü  r  t  h 

— 

— 

18 

8 

~~ 

d.  26ten 

Dem  Lohiidiener  p.  1 1/a  Tage 

— 

— 

1 

30 

— 

— 

— 

Auf  der  Rathsbibliothek    .     . 

— 

— 

1 

12 

— 

— 

— 

In  der  Rothgießerei 

— 

— 

36 

— 

— 

— 

In    der    Brillantschleiferei    im 

Zuchthause       

— 

— 

— 

24 

— 

— 

d.  27teu 

Auf  der  Papiermühle  zu  Mügels- 

dorf  bei  Nürnberg    .     .     . 

— 

— 

30 

— 

— 

d.  i2Sten 

In  der  Hutfabrik      .... 

— 

— 

— 

24 

— 

— 

— 

In  den  Drahtziehereien     .     . 

— 

— 

48 

— 

— 

— 

In  den  Rothgerbereien      .     . 

— 

— 

20 

— 

— 

d,  29ten 

Für     Fuhrwesen      nach     Er- 

— 

— 

3 

50 

— 

— 

E  r  1  a  n  g  e  n 

d.    3()tcn 

Dem  botanischen  Gärtner 

— 

— 

1 

12 

— 

— 

— 

Im  Naturalicnkabinet    .     .     . 

— 

— 

— 

48 

— 

— 

May 

d.    Iten 

In  der  Kaltunmanufaklur 

— 

— 

— 

36 

— 

— 

— 

In   der  Papiermühle      .     .     . 

— 

— 

26 

— 

— 

Ausbildung  in  Kameralwissenschaft. 


2lS 


1784 
Berechnung    der    Gelder,    so 
uns    für  unsere  Sommerreiüe 
aus  dem  Kurfürstlich  mainzi- 

Ein- 

nah- 
men 

Aus- 
gaben 

Best 

schen  Universitätsfonds  ausbe- 
zahlt worden. 

11. 

rli. 

kr. 

fl. 
rh. 

kr. 

11.    , 
,     kr. 
rh. 

May  (1.  llen 

In  der  Spiegelschleiferei    .     . 

— 





24 





— 

In  der  Goldschlägerei  .     .     . 

— 

— 

— 

12 

_ 

— 

d.  3tei1 

In  der  Anatomie      .... 

— 

— 

— 

24 

_ 

— 

— 

In  der  Bibliothek     .... 

— 

— 

— 

48 

_. 

— 

— 

Gewürkte  Strumpfmacher 
Handschuhmacher   .... 

— 

— 

— 

22 

— 

— 

— 

Bandmanufaktur       .... 

— 

_._ 

— 

36 

— 

Seiden-  u.  Sammetmanufaklur 

— 

— 

— 

18 

— 

— 

d.  4lcn 

Für  Fuhrwesen  nach  Bayreuth 
B  a  y  reut  h 

— 

— 

12 

i:> 

— 

d.    5ten 

Im  Naturalienkabinet    . 

— 

— 

— 

48 

— 

— 

— 

In  der  Marmorschneiderei  im 

— 

1 

L2 

— 

— 

d.  6ten 

Für  Fuhrwesen  nach  Hof     . 

— 

7 

10 

— 

— 

— ■ 

Unterwegs       Alaunsiedereien 

und  Schmelzwerk      .     .     . 

— 

— 

2 

28 

— 

— 

Hof 

d.  7tL'n 

In  den  Baumwollenspinnereien 

— 

und  Webereien     .... 

— 

— 

— 

is 

— 

— 

Für    Fuhrwesen    nach    Gera 

— 

— 

14 

12 

— 

— 

Gera 

d.  10te» 

In  der  Zeugmanufaktur     .     . 

— 

— 

— 

49V2 

— 

— 

— 

Das  Fuhrwesen  nach  Leipzig 

— 

— 

15 

311/* 

— 

— 

— 

Das  Goffre  nachzuholen    .     . 

— 

— 

5 

— 

— 

— 

d.   llte» 

Leipzig 
Dem  Lohndiener      .... 

1 

12 

d.    13,en 

Für    Fuhrwesen    nach    Halle 
Halle 

— 

1  1 

22'  v 

— 

— 

d.  15ten 

In  den    Salzkoten      .... 

— 

— 

1 

2:» 

— 

—~ 

d.  18teu 

Für  Fuhrwesen  nach  Löbegin 

und  Gröbzig 

— 

— 

\ 

2:. 

— 

— 

— 

In    der    Kohlengrube  Löbegin 

— 

— 

\ 

2:> 

— 

— 

— 

Dem  Aufseher  zu  Gröbzig     . 

— 

— 

— 

36 

— 

— 

d.   L9ten 

Für    Fuhrwesen  von  Gröbzig 

nach    Bothenburg,    Wettin 

und  zurück  nach  Halle 

— 

— 

.) 

53 

— 

— 

— 

In  der  Schmelzhütte  zu  Bothen- 

— 

— 

1 

19 

— 

— 

— 

In  den  Kohlengruben  zu  Wettin 

— 

— 

2 

2  i 

— 

— 

d.    i>lten 

Die  Einrichtung   im  Waisen- 

— 

— 

1 

12 

— 

— 

214 


Wilhelm  Stieda. 


Mayd.  21teD 


d.  22ten 


d.  25ten 


d. 
bis 
d. 

Oßteu 
11.  Juni 

Ogten 

.1 
d. 
d. 
d. 
cl 

uni 

Oten 

3ten 
7  ten 

gteu 

d. 
d. 
d. 

lOten 
Uten 

1 3ten 

d. 

1  4ten 

d. 

15ten 

d. 

Igten 

d.  I9ten 

d.  20ten 

(I.  23ten 

d.  25ten 


1784 

Berechnung  der  Gelder,  so 
uns  für  unsere  Sommerreiße 
aus  dem  Kurfürstlich  mainzi- 
schen Universitätsfonds  ausbe- 
zahlt worden. 


Im  Naturalienkabinet    . 

Dem  Vorsteher  der  Seiden- 
plantage        

In    der  Universitätsbibliothek 

In  der  Rathsbihliothek      .     . 

In  der  seidenen  Strumpfmanu- 
faktur      

Für  das  Fuhrwesen  zurück 
nach  Leipzig 

Leipzig 

Zusammen    dem   Lohndiener 

Ein  Privatnaturalienkabinet  zu 
sehen      

Die  Universitätsbibliothek 
Die  Modellkammern      .     .     . 
Die  Rathsbihliothek      .     .     . 
Die  verschiedenen  Einrichtun- 
gen bei  Breitkopf     .     . 

Kammfabrik 

Seidene  Strumpfmanufaktur 
Im  botanischen  Garten  .  . 
Fuhrwesen  nach  Zeitz      .     . 

Zeitz 
Fuhrwesen  zu  Hofrath  Schu- 
bart Würchwitz   .     .     .     . 
Fuhrwesen  nach  Jena       .     . 

Jena 
Im  Naturalienkabinet  auf  dem 

Sch]of3 

Auf  den  Bibliotheken   .     .     . 
Im  botanischen  Garten 
Wollene     Strumpfmanufaktur 

Gerbereien 

Fuhrwesen  nach  Erfurt    . 

E  r  f  u  r  t 
In  der  Wollenbandmanufaktur 
Nach  Diedendorf  um  die  dor- 
tigen     Manufakturen      der 
Herrenhuter  zu   sehen   .     . 


44 

44 
!  44 
L  12 


26 


-2    24 


1    12 


3G 
54 

12 

12 
36 
18 
45 
10     18 


10 


8 


18 

28 


12 
39 

27 

131/* 

27 

49 

27 


36 


Ausbildung  in  Kameralwissenschaft. 


-215 


1784 
Berechnung    der    Gelder,    so 
uns    für  unsere  Sommerreifie 

Ein- 
nah- 
men 

Aus- 
gaben 

liest 

aus  dem  Kurfürstlich  mainzi- 

schen Universitätsfonds  ausbe- 
zahlt worden. 

Q.    - 
,      kr. 

rli. 

(1. 
ih. 

kr. 

tl. 
rh. 

kr. 

lunid.  30ten 

Von  Erfurt  über  Gotha.  Mühl- 

hausen   nach    Heiligenstadt 

12 

l3Vi 

— 

— 

Juli 

Heiligenstadt 

d.  -iten 

Fuhrwesen     nach     Göttingen 

G|ö  1 1  i  n  g  e  n 

Kollegiengelder  und 

B  ücher 

7 

L6«/i 

d.  5,en 

Das  Honorarium  fürProf.  Beck- 

mann       

— 

36 

— 

— 

— 

Beckmann  Landwirtschaft    in 

— 

— 

3 

12 

—   • 

Beckmann  Technologie3''! 

— 

— 

3 

is 

—    — 

Vogt  Mineralogische  Beisen37) 

—    — 

1 

54 

— 

— 

Nicolai  Beißen38)     .... 

— 

— 

7 

30 

— 

— 

Für  ein  Werk  die  Einrichtung 

im  Hallischen  Pädagogio  be- 

—    — 

'21 

— 

— 

Die  Einrichtung  im  Hallischen 

Waisenhause 

—     — 

1 

:; 

—   — 

Summa 

1007 

23 

852 

u 

1  5  l 

•J!t 

Göttingen  den  ll'"n  August  1784. 


Unterthänigst   gehorsamste 
(i.   A.   Schleenstein. 
F.  C.  Spoor. 


35  Grundsätze  der  deutschen  Landwirtschaft,  '■'>.  Aufl.  L783.  1  Rtlr. 
12  Gr. 

6  Anleitung   zur  Technologie,   2.    Aufl.    L780.     2    Rtlr. 

37  J.  Karl  Willi.  Voigt,  Miie-i ;i !■  '-iscln-  lieis<-ii  duivli  das  Herzogtum 
Weimar  a.  Eisenach,    L782.      1    Rtlr.    L5  Gr. 

:;v  Fr.  Nicolai,  Beschreibung  einer  Reise  durch  Deutschland  and  die 
Schweiz,  12  Teile,  1783—1797,  zu  1  Rtlr.  Danach  waren  offenbar  uoch 
nicht  mehr  als  7  Bände  erschienen.  Die  Bücherpreise  nach  Heinsius' 
ßücherlexikon  angegeben. 


121(5  Wilhelm  Stieda:    Ausbildung'  in  Kameralwissenschaft 

9.  (Reisebericht  der  Herren  Spoor  und  Schleenstein  an  den 
Kurator  Benzel   in  Mainz   aus   Göttingen   1784,   Septbr.   5.) 

Giioßh.   Hess.  Haus-  u.   Staatsarchiv  Darmstadt,  Akten  betr.  die  Kameral- 
fakultät  zu   .Mainz,   S.    115 — 116. 

Excellence 

Hochwohlgebohrner   Reichsfreiherr, 

Gnädiger   Herr   Curator ! 

Unseren  Brief  vom  ll.ten  Aug.  nebst  der  dabei  gelegten 
Rechnung  werden  Ew.  Excellenz  erhalten  haben. 

Womit  wir  uns  hier  beschäftigen,  haben  wir  im  vorigen  Briefe 
schon  die  hohe  Gnade  gehabt  Hochdenselben  anzuzeigen.  Be- 
sonders macht  uns  die  Bibliothek,  worauf  wir  den  größten  Theil 
des  Tages  zubringen,  außerordentlich  viel  zu  thun;  und  dieses 
um  so  mehr,  da  es  uns  an  der  Litteratur  in  den  Kameral Wissen- 
schaften beinahe  ganz  fehlte.  Wir  sind  beschäftiget  alle  Werke 
in  diesem  Fache  durchzugehen,  und  uns  aus  allem,  was  uns 
nützlich  scheint,  Auszüge  und  Anmerkungen  zu  machen.  Diese 
Arbeit  häuft  sich  aber  so  sehr,  daß  wir  die  Hofnung  aufgeben 
müssen,  die  Menge  der  Auszüge  hier  in  ein  zusammenhängendes 
Si stem  zu  bringen.  Wir  würden  Ew.  Excellence  um  die  hohe 
Gnade  ersucht  haben,  uns  von  den  Vorlesungen  den  nächsten 
Winter  zu  befreien,  um  aus  dem  gesammelten  ein  vollkommenes 
Ganze  zu  machen,  wenn  wir  nicht  überzeugt  gewesen  wären, 
daß  unsere  Bitte  gegen  den  Plan  von  Ew.  Excellence  seye. 

Wir  legen  hier  einen  Catalog  von  den  nächsten  Winter- 
vorlesungen in  Göttingen  bei ;  wir  müssen  aber  bemerken,  daß 
die  Vorlesungen  gewöhnlich  8  Tage  später,  als  die  Anzeige  ist, 
ihren   Anfang   nehmen. 

Nach  unserer  Instruction  nehmen  wir  die  Rückreise  über 
Cassel  und  Fuld.  Wir  halten  es  daher  für  nöthig,  zu  Anfang 
des  Octobers  von  Göttingen  abzureisen.  Ew.  Excellence  werden 
aus  der  eingegebenen  Rechnung  zu  ersehen  die  Gnade  haben, 
daß  wir  mit  dem  angezeigten  Reste  bis  zu  Ende  des  Octobers 
nicht  auskommen  können.  Wir  bitten  datiere  Hochdieselbe  uns 
wieder  mit  einem  Wechsel  nach  Göttingen  zu  versehen. 

Die  wir  Ew.  Excellence  uns  zu  hohen  Gnaden  ferner  emphelen 
und  in   tiefester   Ehrfurcht  beharren 

Ew.   Excellence 
unterthänig  gehorsamste 
Spoor  und   Schleenstein. 

Göttingen  d.  5.  September  1784. 


-C3»0»K»- 


Beiträge  zur  Geschichte  der 
Stadt  und  Universität  Gießen. 


Gießen  1591,  nach  Federzeichnung  W.  Dilichs. 


VI. 

Alt-Gießen. 

Von  Gustav  Frhrn.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

(Mit.   einer    Siegeltafel    und    einem    Lageplan;    im    Texte    eine    Planskizze, 
zwei  Ansiehten,  drei  Siegelabbildungen.     Nebsl  drei  urkundli 

und    einem    Anhang.) 


clien 


iieaben 


Die  Anfänge  einer  Stadt,  die  mehr  als  einmal  in 
schweren  Kriegszeiten  den  Landesherrn  und  seine  obersten 
Behörden  in  ihren  festen,  von  Philipp  dem  Großmütigen  er- 
bauten Mauern  geborgen  und  die  Landgrafschafi  Hessen- 
Dannstadt  so  vor  dem  Untergang  bewahrl  hat,  einer  Stadt, 
die  seit  300  Jahren  der  Sitz  der  Landeshochschule  ist.  die 
endlich  auch  als  Gemeinwesen  in  erfreulichstem  Aufblühen 
begriffen  ist,  verdienen  eine  eingehendere  l'td ersuchung, 
als  sie  es  bisher  erfahren   haben. 

Meine  Arbeit  soll  da/u  den  Anfang  machen;  ihre  Er- 
gänzung  wird  hauptsächlich  von  einer  planmäßigen  weiteren 
Aufdeckung  der  Grundmauern  der  Burg  zu  erwarten  sein. 

I.    Die   Gründungs  zeit    (U'i'   Stadt    Gießen. 

Die  Stadt  (ließen  wird  zum  erstenmal  im  M.ii  des 
■lahres  1 248  erwähnt:  der  Schultheiß,  die  Schöffen  und  die 
Gemeinde  der  Bürger  zu  ,,(<izen"  bekundeten  damals  einen 
vor  ihrer  Kapelle  ausgesprochenen    Verzicht.    Die   Urkunde 


220  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

führt  als  Handlungszeugen  sieben  Ritter  und  fünf  Schöffen 
auf;  ihr  wurde  das  Stadtsiegel  -  -  „nostre  civitatis  sigillum" 
angehängt.1  Dieses  Siegel  zeigt  einen  gepanzerten  Reiter 
mit  Schild  und  Fahne;  es  führt  in  einem  späteren,  besser 
erhaltenen  Abdruck,  der  auf  der  Siegeltafel  unter  No.  2 
wiedergegeben  ist,  die  Umschrift:  f  Willemmus.  dei  gracia. 
Palatinos,  com.  in.  Tuigi.2  Man  lernt  also  aus  ihm  den 
Stadtherrn  kennen;  den  Grafen  Wilhelm  von  Tübingen, 
der  mitunter  auch  als  Graf  von  Gießen  bezeichnet  wurde. 
Fast  gleichzeitig  mit  dem  ersten  Auftreten  der  Stadt- 

SD  O 

gemeinde  erhält  man  Kenntnis  von  dem  Vorhandensein  einer 
zweiten  Korporation  in  Gießen,  der  der  Burgmannen  der; 
gräflich  tübingenschen  Burg.  An  zwei  Urkunden  aus  den 
Jahren  1251  und  1255  hängen  die  „castellani"  von  Gießen 
ihr  gemeinsames  Siegel  an,  ohne  dabei  der  Mitwirkung  der 
Stadtgemeinde  Erwähnung  zu  tun.3  Fürst  F.  K.  zu  Hohen- 
lohe-Waldenburg  hat  das  an  der  Urkunde  von  1255  hängende 
Burgmannensiegel  nach  dem  Original  abgebildet.4  Eine  Yer- 
gleichung  mit  dem  Stadtsiegel  ergibt  aber,  daß  es  sich  um 
ein  und  denselben  Stempel  handelt,  der  in  den  Urkunden 
sowohl  als  Stadt-,  wie  als  Burgmannensiegel  bezeichnet 
wird.  Beide  Gemeinschaften  waren  mithin  seit  Gründung 
der  Stadt  in  organische  Verbindung  getreten,  ohne  daß  die 
Burg  ihre  Sonderexistenz  aufgegeben  hätte. 

Wenn  eine  Stadtgemeinde  ein  Siegel  führt,  unter  einem 
Schultheißen  steht,  ein  Schöffenkollegium  gebildet  hat  und 
ihren  Gottesdienst  in  einer  eigenen  Kapelle  besucht,  so  ist 
offenbar  ihre  Gründung  bereits  zum  Abschluß  gelangt.    Es 

SD  SD  SD 

würde  im  allgemeinen  nichts  entgegenstehen,  die  Entstehung 
Gießens  vermutungsweise  bereits  in  eine  etwas  ältere  Zeit 
zu  versetzen :  in  vorliegendem  Falle  kann  man  aber  mit 
Wahrscheinlichkeit  den  rechtlichen  Abschluß  der  Gründung 
als  innerhalb  der  Jahre  1243  bis  1248  geschehen  ansetzen. 
Gerade  das  gemeinsame  Siegel  der  Stadt  und  der  Burg- 
mannschaft ermöglicht  diese  Ansetzimg.  Es  ist  nämlich 
durch  einen  stümperhaften  Stempelschneider  einem  Siegel 
des  Stadtherrn  selbst,  des  Grafen  Wilhelm  von  Tübingen] 

1  Urkunde  No.    1. 

ä  A.  Wyß,  Hessisches  Urkundenbuch,  I,  Abt.  I,  No.  215,  und  III, 
No.  1356.  Wvl'i  wollte  es  als  No.  3  der  Siegeltafeln  seines  3.  Bandes 
wiedergeben.      Infolge   seiner   Erkrankung    unterblieb   es. 

•;    V.    F.    (I.    Gudenus,    Codex    Diplomatien*    etc..    II,    No.    66    u.    85. 

4  F.  K.  z.  II.  Über  die  Siegel  der  Pfalzgrafen  von  Tübingen  s.  6  u. 
Taf.  II,  5a.  Der  Abbildung  zugrunde  liegt  das  Originalsiegel  im  fürstlich 
solmsischeri  Hausarchive  zu  Braunfels.  Dann  desselben  Autors  Sphragi- 
stisebe   Aphorismen,   S.    103   u.   Tafel   25,   No.   281. 


Alt-Gießen.  221 

nachgebildet  worden,  das  dieser  zuerst  im  März  1244  führte, 
während  er  im  August  1243  noch  mit  einem  nur  Schild  und 
Helm  des  Hauses  Tübingen  darstellenden  anderen  Stempel 
siegelte.5  Fürst  Hohenlohe  bildete  beide  Siegel  nebeneinander 
ab,  und  wies  bereits  auf  die  Abhängigkeit  de*  Siegels  der  Stadl 
von  dem  ihres  Herrn  hin.  Er  kannte  freilich  das  älleste 
Siegel  des  Grafen  Wilhelm  nicht,  das  z.  B.  einer  hessischen 
Urkunde  aus  dem  Jahre  1239  anhängt.  Es  wurde  auch  zu 
den  Schiffeuberger  Fälschungen  aus  angeblich  1229  und  12.").") 
benutzt.6  Dieses  Siegel  war,  besonders  auch  in  der  Umschrift, 
weit  besser  gestochen  als  das  von  1244.  Die  große  Lilie, 
die  in  dem  Siegel  von  1244,  wie  in  dem  Stadtsiegel,  als  auf- 
fälliges Beizeichen  zwischen  Bein  und  Gewand  des  Reiters 
vom  Rande  aus  hoch  hinauf  reicht,  findet  sich  im  Siegel- 
rest  von  1239  an  jener  Stelle  gar  nicht,  obgleich  sie  darauf 
sieht har  sein  müßte.  In  dem  Fragment  von  1229  sei  sie,  sagt 
Wyß,  unter  den  Füßen  des  Pferdes  teilweise  erhalten.  Sie 
muß  also  bedeutend  kleiner  gewesen  sein;  etwa  nur  so 
groß    wie  in  dem  Siegel  des  älteren  Bruders  Rudolf.7 

Ich  vermag  mich  bei  dieser  Sachlage  der  von  Wyß  ans 
gesprochenen  Ansicht,  daß  das  älteste  Siegel  des  Grafen 
Wilhelm  als  Muster  für  das  Gießener  neue  Stadtsiegel  ge- 
dient habe,  nicht  anzuschließen.  Der  Stempelschneider  mag 
es  zwar  gekannt  haben,  richtete  sich  aber  in  wesentlichen 
Punkten  auch  nach  dem  von  1244,  das  seinem  schwachen 
Können  eine  leichtere  Aufgabe  stellte. 

Dann  müßte  also  der  Abschluß  der  Stadtgründung  kurz 
vor  1248  fallen.  Dazu  stimmt  gut  die  Zeugenreihe  einer 
Urkunde  von  1245,  die  einen  Austausch  /wischen  den 
Klöstern  Arnsburg  und  Altenberg  über  ihre  Höfe  zu  Heuchel- 
heim bei  Gießen  betrifft.  Als  anwesende  Zeugen  ans  Gießen 
treten  dabei  nur  drei  Burgmannen  auf;  ans  Heuchelheim  zwei 
dort  wohnhafte  Gießener  Bunrmannon  und  alle  Hauern  des 
Dorfes.  Wäre  ein  Schultheiß  von  Gießen  bereits  bestelll  ge- 
wesen, so  würde  seine  und  der  Schöffen  Anwesenheit  erwähnt. 
worden  sein,  ebenso  wie  bei  einer  l'rknnde  von  12öl,  in 
der  es  sich  auch  um  Heuchelheimer  Grundstücke  bändelte.8 

Die  Sitte,  daß  landesherrliche  Städte  in  ihren  Siegeln 
das  Bild  und  das  Wappen  ihres  Herrn  führten,  kommt  gerade 

6  Wirtembergisches   l'.-ll.    IV,   S.   60  u.    76.      Die   Umschrifl    lautet: 

f  COMES  WILLEHELMUS  DE  TUWING. 

6  Wyß,  a.  a.  0.,  III.  No.  1.117,  1348  u.  L349,  and  in  seinen  Exzerpten. 

Von    der    Umschrift    ist    erhalten:    j   WILHE    GRACIA    ■    P    

TVINGIN—  i  I'.   Hohenlohe,  a.  a.   <>.,  Tafel   I,   No.  3. 
8  De   Gudenus,    Codex    dipl.,    II,    No.    59    U.    66. 


-2±2 


Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 


in  Hessen  um  diese  Zeit  recht  häufig  vor.  Nach  dem  Ver- 
kauf der  Herrschaft  Gießen  an  den  Stammvater  des  hes- 
sischen Fürstenhauses  erscheint  das  Bild  des  Landgrafen 
in  dem  neuen  Siegel.9 

Auffällig  ist  die  völlige  Beibehaltung  der  Umschrift  des 
Herrensiegels  in  dem  der  Stadt,  ohne  jeden  auf  den  Ort  be- 
züidichen  Zusatz.  Aus  der  Nachbarschaft  ist  das  älteste 
gemeinsame  Siegel  von  Burg  und  Stadt  Friedberg  bekannt, 
das  auch  den  gemeinsamen  Herrn,  den  Kaiser,  als  Subjekt 
enthält:  Sigillum  Cesaris  in  Frideberic.10  Hier  trennte  sich 
aber  Stadt  und  Burg  bald,  während  in  Gießen  die  Gemein- 
schaft auch  in  den  Siegeln  erhalten  blieb.11 

Vor  der  Gründung  der  Stadt  Gießen  scheint  das 
zum  tübingenschen  Landesteil  gehörige  Großen-Linden  der 
Markt-  und  Münzort  der  Herrschaft  gewesen  zu  sein.12 


0  Es  ist  vorstehend  abgebildet  worden.  Auch  erscheint  es  um- 
gezeichnet   als   Außcnschmuck   dieses   P.andes. 

1(1  Abgebildet  in  den  Kunstdenkmälern  im  Großh.  Hessen,  Kreis  Fried- 
berg,   S.    72.   -  •   "   Das   Nähere  im   Abschnitt    VII. 

12  Dil'  Münze  No.  182  im  Funde  von  Nauhorn  mit  der  deutlichen 
Umschrift,  Linden(siumo)  wird  von  Fachleuten  als  ein  Beischlag  zu  der 
No.  117  desselben  Fundes  angesehen.  Ich  halte  sie  für  ein  Erzeugnis 
der  Lindener  Münzstätte,  die  von  dem  Herrn,  dem  Pfalzgrafen  von  Tü- 
bingen, weder  verliehen  gewesen  sein  wird.  An  das  Ministerialengeschlechl 
v.  Linden  als  Münzherrn  isl  sicher  nichl  zu  denken.  Zeitschrift  f.  "Numis- 
matik. XVI,  S.    Lölff.:   II.   Weber,   Der  Münzfund   von   Nauborn. 


Alt-Gießen.  j-.1:: 


II.   Die  Burg  Gießen. 

Früher  als  die  Stadt  selbst  findet  sich  schon  ihr  Name, 
ier  an  dem  befestigten  Sitz  des  Gründers,  des  Grafen  Wil- 
helm von  Tübingen  und  seiner  Vorfahren  von  der  Mutter- 
Seite  her,  haftete.  Nicht  nur  er  selbst  wird  seil  1214  mit- 
unter als  Graf  von  Gießen  bezeichnet,  auch  seine  Groß- 
mutter, die  Gräfin  Salome,  wohnte  als  Witwe  im  Jahre  1197 
in  ihrer  Burg  „Giezzen".  Sie  starb  vor  dem  Jahre  L203.  Ihre 
einzige  Tochter  Mechtild  war  mit  dem  Vater  des  Grafen  Wil- 
helm, dem  schwäbischen  Pfalzgrafen  Rudolf  von  Tübingen, 
vermählt,  dem  sie  die  halbe  Erbschaft  des  einst  nach  dem 
Gleiberg  benannten  Grafenhauses  in  die  Ehe  gebracht  hatte. 

Graf  Wilhelm  von  Gleiberg,  der  sich  urkundlich  von 
1131 — 1158  findet,  war  mit  einer  Gräfin,  die  denselben 
seltenen  Vornamen  Salome  führte,  vermählt.  Es  lieg!  kein 
zureichender  Grund  vor,  an  der  Identität  der  um  das  Ja  lu- 
ll.").") erwähnten,  mit  der  noch  1197  lebenden  Gräfin  zu 
zweifeln.  Sie  mag  die  letzte  Gattin  des  Grafen  Wilhelm 
gewesen  sein;  als  ihr  Geburtsjahr  aber  kann  man  etwa  das 
Jahr  1117  annehmen.  Sie  würde  dann  als  Achtzigerin  ver- 
storben sein.13  Ihre  einzige  Tochter  kann  als  Spätfing,  etwa 
1150  geboren  sein.  Sie  nannte  ihren  jüngsten  S  »hu  nach 
ihrem  Vater  Wilhelm;  ein  Taufname,  der  dem  Hause  !  ii- 
bingen  bis  dahin  fremd  war.  Die  Einschiebung  einer  Gene- 
ration zwischen  den  Grafen  Wilhelm  von  Gleiberg  und  die 
Plalzgräfin  Mechtild  halte  ich  für   überflüssig.14 

Ulrich,  Graf  von  Tübingen,  Herr  zu  Gießen,  ein  Sohn 
des  Grafen  Wilhelm,  hat  dann  bekanntlich  diese  ihm  ent- 
legene Besitzung  zwischen  dem  l.">.  A umist  L264  und  dem 
29.  September  1265  an  Landgraf  Heinrich,  Herrn  von  Hessen, 
veräußert.15  Aus  der  Sühneurkunde  des  Käufers  raitHartrad, 
Herrn  von  Merenberg"5,  erfährt  man,  daß  die  edlen  Männer 
von  Isonburg  und  von  Brauneck  auch  wegen  des  Kaufes 
im  Streite  mit  dem  Landgrafen  lagen.17   Der  Herr  von  Meren- 


13  Die  Hypothese,  die   Wyß,  a.   a.  <>..  S.    null'.,   über  ihre   Abstam- 
mung aufgestellt  hat,  ist  nicht   haltbar.    Es  fehlen  ja  unter  den   Mitherren 
von  Mctternich  um   1185  z.   II.    die   Herren    von    fsenburg   und   die  Gl 
von  Katzenelnl)02en,  also  die  Haupterben  der  Grafen   von   Arnstein. 

"  Anders  Wyß,  a.  a.   (.)..  S.    lölf. 

15  Zuletzt  in  meinem  Aufsatz  in  den  Quartalblättern  des  ih-t    \, 
f.  d.  Großh.  Hessen.   N.   F.,   II.   Bd.,  No.  6  (1897),   S.   227ff.,  eröi 

'«  Wyß,  a.  a.   0.,   No.   1356». 

17  icdi  hahe  dort  zu  zeigen  versucht,  daß  es  sich  um  Ansprüche 
handelte,  die  von  den  Ehemännern  und  Kindern  zweier  Schwestern  des 
Verkäufers  erhohen  wurden.  Ich  bin  jetzt  zu  der  Ansicht  gelangt,  daß 
<.'s  sich,  außei  um  Heilwig  von  Isenburg,  noch  um  die  ungenannte  Gattin  des 


224  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

berg  erhielt  das  ehemals  von  dem  Grafen  von  Tübingen 
getragene  Gießener  Burglehen,  auf  das  er  bei  Beginn  des 
Streites  verzichtet  hatte,  zurück.  Die  Erwähnung  gemein- 
samer Gerichtsbezirke  zeigt,  daß  dieses  Verhältnis,  das  noch 
lange  zwischen  Hessen  und  Nassau  fortbestand,  aus  alter 
Zeit  herrührt. 

III.  Die  Familienzugehörigkeit  des  Grafen  Wilhelm 

von  Gleiberg. 

Daß  Graf  Wilhelm  von  einem  Sprößling  aus  der  Ehe 
des  Grafen  Friedrich  von  Luxemburg  mit  einer  Schwester 
des  letzten,  1036  verstorbenen  Konradiners  der  Wetterauer 
Linie,  des  Grafen  Otto  von  Hammerstein,  herstammte,  darüber 
besteht  jetzt  wohl  kein  Zweifel  mehr.18.  Er  mag  etwa  ein 
Enkel  des  1057  erwähnten  Friedrich  von  Gleiberg  gewesen 
sein;  der  Name  seines  Vaters  ist  unbekannt.  Das  Reiter- 
siegel Wilhelms,  das  Wyß  seiner  trefflichen  Abhandlung 
beizufügen  beabsichtigte,  liefere  ich  unter  No.  1  der  Siegel- 
tafel nach,  weil  ich  mit  ihm  darin  übereinstimme,  daß  es 
sich  mindestens  um  den  Abguß  von  einem  echten  Siegel 
handelt,  wenn  es  auch  einer  späteren  Schiffenberger  Fäl- 
schung angehängt  ist.  Wilhelms  Geburtsjahr  kann  man  etwa 
auf  das  Jahr  1090  ansetzen. 

Die  einzige  ernste  Schwierigkeit,  die  dieser  Ableitung 
der  letzten  Grafen  von  Gleiberg  entgegenzustehen  scheint, 
ist  der  Umstand,  daß  weder  Graf  Wilhelm,  noch  sein  Vater 
in  der  Schiffenberger  Stiftungsurkunde  von  1129  erwähnt 
werden,  während  die  Stifterin,  die  Gräfin  Clemencia  von 
Gleiberg,  hervorhebt,  daß  sie  eine  Teilhaberin,  die  Pfalz- 
gräfin Gertrud,  hatte,  der  ein  Viertel  des  Wiesecker  Waldes, 
in  dem  das  Kloster  erbaut,  wurde,  zustehe.19  Da  man  an  der 
Echtheit  der  Urkunde  nach  der  sorgfältigen  Untersuchung 
von  Wyß  nicht  wohl  zweifeln  kann  -  -  das  ihr  aufgedrückte 
erzbischöfliche  Siegel  folgt  unter  No.  3  der  Siegeltafel20  — ,  so 
bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  daß  die  Folgen  der  1103  ge- 

Jfciiiricli     von    Brauneck    handeln    wird    (1245 — -1265),    die    zwei    Söhne, 
Gebhard   (1267  ff.)  und    Heinrich    (1267 ff.),    hatte. 

18  Siehe  meine  genealogischen  Studien  zur  Reichsgeschichte  im  Archiv 
für  Hess.  Gesch.  u.  Ä.-K.,  N.  F.,  III,  S.  351ff.  Außer  Wyß  hat  sich  gleich- 
zeitig II.  Witte  in  seinen  genealogischen  Untersuchungen  zur  Reichs- 
geschichte unter  den  salischen  Kaisern  mit  dem  Hause  Luxemburg-Gleiherg 
eingehend  beschäftigt.  (Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Ge- 
schichtsforschung,  V.  Ergänzungshand,   S.   441  ff.) 

19  Die  Pfalzgräfin  besaß  diesen  Bruchteil  als  Zubehör  der  späteren 
Herrschaft  Cleeherg,  die  ihren  Anteil  an  der  Grafschaft  Gleiberg  darstellte. 

20  Noch  ein  anderes  Siegel  desselben  Erzbischofs  folgt  unter  No.  5 
der  Siegeltafel,  auf  das   Wyß  wiederholt  Bezug  nimmt. 


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Siegeltafel  zu  dem  Aufsatze  Alt- Gießen. 


Alt-Gießen.  225 

schehenen  Eroberung  der  sehr  festen  Burg  Gleiberg  durch 
König  Heinrich,  den  Vater  des  Grafen  Wilhelm  auch  seines 
Anteiles  an  dem  Wiesecker  Wald,  und  zwar  zugunsten 
seiner  Agnaten  in  Luxemburg  beraubt  balle.  Die  Restitu- 
tion mag  erst  nach  der  Gründung  Schiffenbergs  geschehen 
sein.  Nachträgliche  Schwierigkeiten  können  als«»  der  Stiftung 
der  Gräfin  dementia  bei  dieser  Sachlage  leicht  erwachsen 
sein,  über  deren  Beseitigung  man  aus  echten  Urkunden 
nichts  weiß. 

Um  Anhaltspunkte  für  Zeit  und  Umstände  der  Erbauung 
|er  Burg  Gießen  zu  gewinnen,  ist  eine  Orientierung  über  die 
Verzweigungen  des  Hauses  Luxemburg  erforderlich, 
ein  Thema,  das  auch  durch  Wyß  und  Witte  nichl  völlig 
geklärt  worden  ist,  Es  sind  dabei  zuerst  einige  künstlich 
geschaffene  Erschwerungen  des   Problems  zu   beseitigen. 

Witte  bringt  die  Eroberung  Gleibergs  mit  dem  Kampfe 
um  das  Erbe  des  Pfalzgrafen  Heinrich  von  Laach  in  Ver- 
bindung, den  er  für  einen  Bruder  des  1057  erwähnten  Grafen 
Friedrich  von  Gleiberg  und  für  einen  Sohn  des  Graf en  Dietrich 
von  Luxemburg,  des  jüngsten  Sohnes  der  konradinischen  Erb- 
tochter, hält.  Ich  sehe  aber  keinen  Grund,  an  der  gleich- 
zeitigen Angabe  in  der  Chronik  des  Marianus  Scottus  zu 
zweifeln,  daß  Heinrich  von  Laach  ein  Bruder  des  Vaters  des 
Gegenkönigs  Hermann  von  Salm  gewesen  sei.-1  Es  bedarf  mir 
einer  leichten  Änderung  in  der  Anordnung  der  Genealogie 
des  Hauses  Luxemburg,  um  diese  Nachricht  verständlich  zu 
machen.  Man  hat  Gisilbert  Graf  von  Salm  zu  scheiden 
von  seinem  ältesten  Sohn  Gisilbert  Graf  von  Luxemburg, 
dessen  jüngerer  Halbbruder  Heinrich  Graf  von  Laach  ge- 
wesen sein  wird.  Als  nächste  Erben  des  Pfalzgrafen,  der 
aber  bekanntlich  seinen  Stiefsohn  an  Kindesstatl  annahm, 
würden  nur  seine  Großneffen  in  Betracbl  gekommen  sein, 
wie  die  nachstehende  Übersicht  ausweist. 

Von  den  sechs  Söhnen  des  Grafen  Friedrich  von  Luxem- 
burg bleiben  nur  zwei  als  mögliche  Ahnherren  der  späteren 
Grafen  von  Gleiberg  übrig,  die  Grafen  Hermann  und 
Theoderieh. 

.Man  hat  versucht,  diesen  Grafen  Hermann  mil  dein 
Pfalzgrafen  Hermann  II.  von  Lothringen  (1064  f  L085)  zu 
identifizieren.22  Das  scheitert  an  den  Altersverhältnissen  und 

21  Herr  Archivdirektor  Dr.  Friedensburg  halle  dir  Güte,  die  I»' 
treffende  Stelle  im  Codex  Palatinus  830  zu  vergleichen:  sie  isl  unzweifel 
baft  gleichzeitig  und  richtig  gedruckt. 

22  Wenck,  Hess.  Landesg.,  III,  S  206  217;  dann  Annale,,  ,|  bist. 
Vereins  f.  d.   Niederrhein,   XV,   S.  37ff.     Ihnen  sind   M.   Schmitz,   Die 

Beitrage  z.  Gesch.  d,  Universitäten  Mainz  n    Gießen  i  ■ 


226 


Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 


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Gesch.  d.  lothringischen  Pfalzgrafen,  S.  .'52 IT.,  und  Witte,  a.  a.  <).,  S.  443 ff., 
auch  Meyer  v.  Knonan  in  den  Jahrbüchern  d.  I).  K.  gefolgt;  während 
Wyß,  a.  a.  ().,  S.  4553),  diese  Hypothese  für  schwach  begründe!  erklärte. 


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Das  aus  der  Notiz  über  die  Güter  der  \.btei  Siegburg  zu  Bendorf  her- 
geholte Argument  ist  durch  Oppermanns  Untersuchung  beseitig!  worden, 
(Westdeutsche  Zeitschrifl   I.  Gesch.  u.  Kunst,   XXI,  S.  83.) 


15* 


i2L28  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

besonders  auch  daran,  daß  Heinrich  von  Laach  aus  ehe- 
rechtlichen  Gründen  unmöglich  die  Witwe  des  Bruders 
seines  Vaters  hätte  heiraten  können.  Man  weiß  über  die  Her- 
kunft dieses  Pfalzgrafen  Hermann  nichts  Sicheres.  Da  er  als 
cognatus  König  Heinrich  V.  bezeichnet  wird,  und  seine  Erb- 
schaft wenigstens  zum  Teil  an  diesen  gelangt  sein  soll,  da 
er  ferner,  gemeinsam  mit  König  Heinrich  IV.,  im  Jahre  1082 
einen  Forst  im  Kirchspiele  Remagen  besaß,  so  muß  er  aus 
sehr  angesehenem  Geschlecht  entsprossen  sein.  Dafür 
spricht  auch  seine  geplante  Heirat  mit  einer  Tochter  des 
Gegenkönigs  Rudolf  und  sein  Ehebund  mit  Adelheid  von 
Orlamünde.  Grafenrechte  besaß  er  im  Ruhrgau  und  Keldach- 
gau;  auch  seine  Beziehungen  zum  Kloster  Brauweiler  endlich 
sprechen  stark  dafür,  daß  er  mit  dem  Hause  des  Pfalz- 
grafen Ezzo  verwandt  war,  dem  sein  Vorgänger  angehörte.2' 

Bezüglich  des  Grafen  Theoderich  aber  habe  ich  in  der 
folgenden  Tafel  eine  Vermutung  zum  Ausdruck  gebracht, 
deren  Begründung,  als  hier  zu  weit  führend,  bei  anderer 
Gelegenheit  versucht  werden  soll.  Es  bliebe  also  nur  Graf 
Hermann  als  Ahnherr  der  letzten  Grafen  von  Gleiberg  übrig, 
deren  übersichtliche  Zusammenfassung  vorstehend  versucht 
worden  ist. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  Herren 
von  Merenberg  durch  Beerbung  eines  Grafen  Otto  von  Glei- 
berg Mitherren  von  Gleiberg  geworden  sind.24  Sein  an  ge- 
fälschter Urkunde  hängendes  Siegel  ist  unter  No.  7  der  Siegel- 
tafel wiedergegeben. 

Meine,  in  der  genealogischen  Tafel  gegebene  Hypothese 
über  die  Abstammung  der  Grafen  von  Are  aus  dem  Hause 
Luxemburg  beseitigt  die  Schwierigkeit,  daß  die  halbe  Herr- 
schaft Gleiberg  allein  kein  Äquivalent  für  die  den  anderen 
Söhnen  Graf  Friedrichs  zugefallenen  reichen  Besitzungen 
gewesen  sein  kann.25  Bereits  Witte  hat  die  Momente  her- 
vorgehoben, die  für  eine  Verwandtschaft  beider  Häuser 
sprechen.    Die  Güter  um  den  Laacher  See  würden  danach 


23  So  schon  Lacomblel  im  Archiv  f.  d.  Gesch.  des  Niederrheins,  III, 
1.  S.  33.  Die  späteren  Beziehungen  seiner  Witwe  zu  Limburg  a.  d.  Lahn 
erklären  sich   einfach  aus  ihrer  dritten  Ehe  mit  Heinrich  v.  Laach. 

24  Der  /weif,.],  den  Wyß  (a.  a.  0.,  S.  458 ff.)  an  der  Existenz  eines 
Grafen  Otto  von  Gleiberg  erhoben  hat,  läßt  sich  gegenüber  dem  wieder 
aufgefundenen  lateinischen  Original  des  Eppsteiner  Lehnbuches,  dessen 
Veröffentlichung  durch  Herrn  Archivdirektor  Dr.  Wagner  bevorsteht,  nicht 
aufrechterhalten. 

2r>  Auch  Graf  Wilhelm  von  Gleiberg  war  zu  Tbür  im  Maiengau  be- 
gütert. 


Alt-Gießen.  _•_■  | 

zu  den  ältesten  Besitzungen  des  Hauses  Luxemburg  ge- 
hören können,  über  dessen  Abstammung  ich  mich  bei 
anderer  Gelegenheit,  abweichend  von  Parisot,  äußern  weide. 

IV.   Graf  Heribert.  Das  Alter  der  Burg  Gleiberg. 

Der  Schwiegervater  des  Grafen  Friedlich  von  Luxem- 
burg, der  ihm  als  Mitgift  seiner  Tochter  die  Burg  Gleiberg 
zugewiesen  haben  muß,  war  der  Konradiner  Graf  Heribert, 
der  jüngste  Sohn  des  Grafen  Udo  (f  949;,  dcv  der  Wetterau 
und  dem  Oberrheingau  vorstand.-6  Die  Mutler  Heriberts 
stammte  aus  dem  Hause  Vermandois.  Vermählt  war  er  mit 
Irmintrud  (Imiza),  einer  Tochter  des  Grafen  Megingoz  und 
der  Herzogstochter  Gerberge  von  Lothringen.27 

Heribert  starb  im  Jahre  992,  nicht  997,  wie  man  seither 
nach  einer  unbestimmten  Angabe  Thietmars  annahm. -s  Sein 
Todestag  war  vielleicht  der  5.  Juni;  es  findet  sich  im  Nekro 
logium  des  S.  Cyriaciklosters  Naumburg  in  der  Wetterau  ein 
Eintrag,  den  man  auf  ihn  beziehen  kann.29  Dieses  in  der 
Burg  Naumburg  errichtete  Kloster  scheint  bereits  eine  Grün- 
dung seiner  Vorfahren  gewesen  zu  sein.  Auch  ein  unehe- 
licher  Sohn  Heriberts,  namens  Bernhart  oder  Bennelin,  be- 
schenkte es  im  Jahre  1035  mit  einigen  Hörigen.30 

Aus  einem  Reichsaufgebot  für  Italien  vom  Jahre  981 
erhellt,  daß  Graf  Heribert  selbst  mit  20  Gepanzerten  zu  er- 
scheinen hatte.31  Im  Todesjahre  Heriberts  verfügte  Köni-i 
Otto  die  Rückgabe  der  ihm  zu  Benefiz  verliehenen  Güter  des 
Klosters  S.  Maximin,  die  im  Nahegau,  Wormsgau  und  Speier- 
gau  gelegen  waren.  Im  Jahre  976  lagen  drei  Orte  bei  Geln- 
hausen im  Kinziggau  in  der.  Grafschaft  Heriberts.32  Daß  er  die 
Burg  Gleiberg  bereits  besessen  hat,  das  erhellt  aus  einer  Nach- 


2<:  Udo   war  ein   Sohn   des  910  verstorbenen    Herzogs  Gebhard   von 
Lothringen. 

-7  Siehe  meine  genealogischen   Studien   zur  Reichsgeschichte  im   Ar- 
chiv   f.    Iiess.    (lesrh.    u.    A.    K.,    \.    F.    III,    S.    351  IT 

2^  Alon.  denn.  SS.  XIII,  S.  206,  Z.  18:  Ob  Heribraht  comes;  S.  207, 
Z.   4:   Ob  Heribran(h)l    comes.     Thietmari   Chron    IV.   60. 

a?  Großn<    Hofbibliothek    zu     Darmstadt,    Handschrift     J.    L955  fol.: 

Bonifacii  episcopi.     Obiil   Herebertus.     Qui  contulil   n asteri stro  pro 

remedio  anime  sue  quedam  mancipia  et  jus  quod   habemus  in   Erbstat. 

30  Schmidt.  Zur  Gesch.  d.  Kl.  Naumburg,  im  Archiv  f.  hess.  Gesch. 
ii.  A.   K.,   I,  s.  213ff.         Im   Necrologium   ist   die  Schenkung  zum  1.  Ja 
miar  eingetragen.   —    Dieser    liennelm   sclieiul    sich   auch    als   Zeuge   seines 
Bruders  Otto  v.  Hammefstein  bei  einer  Schenkung   an  die    \.btei   Werden 
zu  finden.     H.   Bresslau   in   Forsch,  z.   I).  Gesch.,   XXI.  S.    105. 

81  Neuester  Abdruck  hei   Uhlirz,  Jahrbücher  d.  D.  II.  unter  Otto   n 
u.   III.,  Exkurs   VIII.    -32  m.  <;.,  |)|i.   n;  No.   L28 


230  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

rieht,  die  seine  an  Weif  II.  vermählte  Enkelin  Imiza  von 
Luxemburg;  betrifft.  Sie  stamme  aas  dem  salischen  Ge- 
schlecht  von  der  Burg  Gleiberg.  Das  kann  sich  nur  auf  die  Her- 
kunft ihrer  Mutter  beziehen;  es  bedeutet,  daß  Gleiberg  von 
diesem  Geschlecht  bereits  bewohnt  war.  Ich  halte  es  aber  für 
unwahrscheinlich,  daß  es  eine  alte  Feste  der  Wetterauer  Kon- 
radiner  gewesen  ist,  deren  Hauptsitz  im  mittleren  Lalmgau 
vielmehr  das  benachbarte  Wetzlar  war.  Die  Grenze  des 
Wetzlar  umgebenden  Bannforstes  lief  so  nahe  an  Gleiberg 
her,  daß  es  bei  dessen  Abgrenzung  nicht  Sitz  eines  Kon- 
radiners  gewesen  sein  wird.  Auch  findet  sich  innerhalb  des 
zum  Gleiberg  gehörigen  Gebietes  ein  alter  Herrensitz  zu  Oden- 
hausen  a.  d.  Lahn,  der,  seinem  Namen  nach,  Gründung  eines 
Udo  ist.  Er  diente  noch  im  13.  Jahrhundert  als  Witwensitz 
der  Herrschaft  Merenberg.33  Auch  das  Nichtvorhandensein 
einer  Klosterstiftung  zu  Gleiberg  spricht  für  eine  spätere 
Entstehung;  etwa  nach  der  Erbteilung,  die  Heribert  mit 
seinen  Brüdern  getroffen  hat ;  also  nach  der  Mitte  des 
10.  Jahrhunderts. 

Die  Grafschaft  in  dem  vom  Dekanat  Wetzlar  des  Erz- 
bistums Trier  eingenommenen  Teile  des  Lahngaues,  der 
sich  von  Gießen  bis  Weilburg  zu  beiden  Seiten  der  Lahn 
erstreckte,  scheint  nach  der  Katestrophe  des  Herzogs  Eber- 
hard den  Konradinern  nicht  mehr  zugestanden  zu  haben. 
Während  des  10.  und  11.  Jahrhunderts  finden  sich  wenigstens 
keine  Grafennamen,  die  sich  mit  der  Familie  des  Grafen 
Heribert  oder  seiner  Erben  in  Verbindung  bringen  ließen. 
Es  scheint,  daß  erst  im  12.  Jahrhundert  die  Grafenrechte 
in  der  östlichen  Hälfte  des  Gebietes  an  das  Haus  Gleiberg 
gelangten,  das  bis  dahin  seine  Grundherrschaftals  Immunilät 
besessen  haben  wird.  Die  Art  der  Verteilung  der  Gerichls- 
barkeit  im  Hüttenberg  zwischen  Hessen,  Nassau  and  der 
Herrschaft  CTeeberg  legt  allerdings  die  Vermutung  nahe,  daß 
mindestens  die  Centgerichtsbarkeit  dort  schon  frühe  zu  Glei- 
berg gehörte;  während  noch  1065  das  zum  Hüttenberg  ge- 

33  Im  Jahre  1906  habe  ich  hinter  dem  Kirchhofe  von  Odenhausen 
die  Reste  eines  wahrscheinlich  quadratischen  Wohnturmes  von  über  9  Meter 
Seitenlänge  bloßgelegt,  dessen  Mauerstärke  1,50  beträgt.  Er  gehörte  zu 
einem  Herrenhofe,  der  jetzt  größtenteils  von  dem  Kirchhof  bedeckt  ist. 
Die  Kirche,  eine  kleine  romanische  Basilika,  gehörte  sicher  bereits  zu 
diesem  Herrenhofe.  — i  Über  Odenhausen,  auf  dem  Gipfel  des  Berges 
Altenburg,  habe  ich  vor  einigen  Jahren  einen  ovalen  Mauerring  festgestellt. 
Die  mit  mit  Speiß  versehenen  Bruchsteinmauern  haben  eine  Fundament- 
stärke von  ca.  2  m;  der  Umfang  des  Mauerzugs  beträgt  384  m,  die  größte 
Breite  77  m;  der  Inhalt  0,95  Hektar.  Da  sich  keinerlei  Spuren  der  IV- 
wohnung  dieser  Stätte  landen,  so  scheint  diese  Burganlage  unvollendet  ge- 
blieben zu   sein. 


Alt-Gießen. 


231 


hörige  Großen-Linden  in  der  Grafschaft  eines  Grafen  Wern- 

her  lag. 

Auch  die  oberlahngauische  Grafschaft  Hiiclicsl.il].  die 
im  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  den  Herren  von  Merenberg 
als  Allod  zustand,  zeigt  in  früherer  Zeil  fremde  Grafen 
namen,  die  freilich,  ebenso  wie  im  Hüttenberg,  Vasallen- 
Eamilien  der  Konradiner  und  ihrer  Erben  angehört  halten 
könnten. 

Daß  die  übrigen  Kinder  Graf  Heriberts,  insbesondere 
(iraf  Otto  von  Hammerstein  und  Gerberga,  Markgräfin  von 
Bchweinfurt,  teil  an  Gleiberg  gehabt  hätten,  dafür  findet 
sich  keine  Spur.  Sie  sind  offenbar  mit  anderen  Besitzungen 
abgefunden  worden. 

Auch  die  Pfalzgrafen  von  Tübingen  hatten,  obgleich 
sie  in  der  Burg  Gießen  Alleinbesitzer  waren,  ihren  Anteil 
an  Gleiberg  nicht  etwa  aufgegeben.  In  der  Sühneurkunde 
zwischen  Hessen  und  Merenberg  vom  Jahre  L265,  die 
Zwistigkeiten  anläßlich  des  Ankaufes  der  Herrschaft  Gießen 
beilegte,  überträgt  der  Landgraf  alle  Rechte  und  Ansprüche, 
die  der  Verkäufer,  Ulrich,  Graf  von  Tübingen,  an  der  Burg 
Gleiberg   hatte,    dem    Herrn    von    .Merenberg    zu    Eigentum. 

Endlich  vermag  der  Grundriß  der  Burg  Gleiberg 
selbst,  uns  vielleicht,  neben  der  Geschichte  ihrer  Herren, 
Anhaltspunkte  zu  gewähren,  die  für  die  älteste  Geschichte 
Gießens   ins   Gewicht   fallen   können. 


Aus  der  hier  beigefügten,  nach  dem  Gleiberg-Führer 
hergestellten  Skizze  (\i^  ältesten  Teiles,  der  Oberburg  Glei- 
berg, erhellt,  daß  ZU  beiden  Seiten  des  innersten  J'ores  a 
besondere  Baugruppen  lagen;  jede  hatte  einen  Berchfrit 
(b  und  c)  und  daran  anstoßend'-  Wohngebäude  (d  und  e 
Der  zwischen  den  beiden  Baugruppen  gelegene  lh>l  (f)  harrt 
in  seinem  oberen  Teil  noch  der  Aufräumung.  Die  Beste  der 
romanischen  Kapelle  liegen  im  westlichen  Teile  bei  g.  Dieser 
Befund    entspricht    dein,    was    wir    aus    der    Geschichte    der 


232  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

Burgherren  erfahren  haben,  daß  nach  dem  Jahre  1136  nur 
noch  zwei  Linien  an  der  Burg  beteiligt  gewesen  sind. 

Auch  mir  erscheint  die  Art  des  Mauerwerks  an  dem 
viereckigen,  in  der  Außenmauer  stehenden,  gebrochenen 
Berchfrit  erheblich  älter  zu  sein  als  die  des  freistehenden 
runden  Turmes  b.  Der  Turm  c  ist  aus  verhältnismäßig 
kleinen,  rauh  behauenen  Stücken  hergestellt,  die  eine  recht- 
eckige Vorderseite  zeigen,  während  der  Turm  b  aus  Basalt- 
säulen auf  gemauert  ist.  Die  Mauerstärke  des  viereckigen 
Turmes  beträgt  nach  meiner  Messung  3,65  m,  die  lichte  Weite 
des  Innenraumes  4,65,  so  daß  also  die  Seitenlänge  nahezu 
12  m  erreicht.34 

Es  scheinen  mir  zwei  Möglichkeiten  zur  Erklärung  vor- 
zuliegen. 

1.  Nach  der  Zerstörung  der  Burg  im  Jahre  1103  fand 
der  Neubau  des  viereckigen  Turmes  statt.  Später,  nach 
1136,  wurde  die  Burg  geteilt,  der  Besitzer  der  Osthälfte 
errichtete  sich  dann  den  Bundturm  auf  seinem  Alleineigen- 
tum. Er  oder  seine  Erben  kamen  in  Streit  mit  ihrem  Nach- 
barn, und  zerstörten  ihm  den  alten,  früher  gemeinsamen  vier- 
eckigen Berchfrit.  Der  so  in  seiner  Sicherheit  Bedrohte 
baute  sich  eine   neue  Burg  im  Tale   zu  den  Gießen. 

2.  Nach  der  Zerstörung  von  1103  wurde  die  Trümmer- 
stätte geteilt.  Der  Herr  der  Osthälfte  baute  sich  einen  neuen 
runden  Berchfrit,  während  der  der  Westhälfte,  auf  dessen 
Anteil  der  1103  gebrochene  viereckige  Berchfrit  gefallen 
war,  sich  nicht  zu  einem  Neubau  auf  Gleiberg  entschloß, 
sondern  (ließen  erbaute.  Er  behielt  seine  Rechte  auf  die 
Hälfte  von  Gleiberg  zwar  bei,  machte  aher  immer  weniger 
Gebrauch  davon.  Erst  1265  ging  das  volle  Eigentum  der 
Westhälflc  auf  den  Herrn  der  Osthälfte  über.35 


1  ;'4  Die  völlige  Ausräumung  des  Turmes  und  Hofes  steht  bevor;  auch 
die  Untersuchung  der  höher  erhaltenen  Turmwand  nach  dem  Albertusbau 
lim   wäre  erwünscht. 

:i:'  Hen  Dr.  Dersch  hat  in  einem  Märburger  Vortrag,  über  den  die 
Oberhessische  Zeitung  referierte,  die  Ansicht  geäußert,  daß  der  viereckige 
Berchfril  noch  1561  bestanden  haben  müsse.'  Er  stützt  sich  auf  eine  im 
Marburger  Staatsarchiv  verwahrte  flüchtige  Kartenskizze,  die  in  jenem  Jahre 
anläßlich  vom  Grenzstreitigkeiten  zwischen  Hessen  und  Nassau  gefertigt 
worden  ist.  Gegenüber  der  deutlichen  Federzeichnung  Dilichs  von  1591 
und  der  guten  Ansicht  der  Burg  bei  P.  Fürst,  Lihellus  novus  politicus 
]>l>.  VI,  F  17,  1638,  müßte  dann  die  Zerstörung  des  Turmes  vor  151)1 
geschehen  sein.  Es  fehlt  aher  auch  keineswegs  an  älteren  Skizzen,  die 
deutlich  nur  den  einen  runden  Berchfrit  zeigen;  z.  B.  Plan  No.  662  im 
Darmslädter  Haus-  u.  Staatsarchiv,  der  zu  denselben  Grenzstreitiskeilen 
gehört,  wie  der  Flau  von  1561.  Zudem  ist  der  Marburger  Plan  von  156! 
ganz  schematisch  ausgeführt:  er  zeigt  keine  Spur  des  Bemühens,  sorgfältig 
den  Zustand  der  Burg  wiederzugeben.  Vergl.  auch:  Hessenland  1906, 
X.  20,   21  u.   23. 


Alt-Gießen.  -j:;:; 

Da  Graf  Wilhelm  von  Gleiberg  (1131—1158)  in  seinen 

Urkunden  stets  allein,  ohne  Erwähnung  seines  an  Gleibera 
mitbeteiligten    Verwandten,    handelt,    so    scheinl     mir    die 
Teilung,  wie  sie  später  zwischen  Hessen   und    Xassau   vor- 
handen  war,    sclx.n   frühe,    etwa   bald   nach    1136,    stattge 
fanden  zu  haben. 

Die  Xichtejrwähnung  von  Gießen  zwischen  den  Jahren 
1136  und  1197  ist  meines  Dafürhaltens  kein  genügender 
Beweis  dafür,  daß  die  Burg  erst  kurze  Zeit  vor  1197  er- 
richtet worden   ist. 

V.  Die  Lage  und  die  Reste  der  Gießener  GrafenbuTg. 

Man  hat  in  Gießen  drei  Burgen  oder  Schlösser  zu 
unterscheiden : 

1.  Die  Grafenburg  aus  dem  12.  Jahrhundert,  die  den 
Anlaß  zur  Gründung  der  Stadt  gab.  Sie  hieß  im  lö.  Jahr 
hundert    die  alte  Bnr^,    im  Gegensatz   zu   einem   Neubau. 

2.  Die  zweite  Burg,   der  Sitz   des   landgräflichen   Amt- 
maims;  später  das  alte  Schloß,  die  Kanzlei,  genannt.    Ihre 
Erbauungszeit  ist  unbekannt;  sie  fiel  vermutlich  mit  der  Er 
Weiterung   der    Stadt   zusammen;    also   etwa   in   das   erste 
Viertel  des  14.  Jahrhunderts. 

3.  Das  neue  Schloß,   das  erst  etwa  1537  von   Land- 
graf Philipp,  anläßlich  der  Erbauung  der  Festungswerke  er 
richtet  wurde. 

Die  falsche  Datierung  dieses  dritten  I laues  hatte  früher 
Mißverständnisse  verursacht.  Hier  soll  die  Lage  der  Grafen- 
burg und  ihre  Ausdehnung,  genauer  als  seither  bestimmt. 
werden.30 

Johann-Just  Winckelmann,  der  1620  als  Sohn  eines 
Superintendenten  in  Gießen  geborene  Verfasser  (\i-v  Hessi- 
schen Chronic,  hatte  bereits  die  richtige  Auffassung,  die 
sich  späteren  Anzweifelungen  gegenüber  bestätig!   hat.37 


36  Frühere  Literatur:  F.  Kraft,  Gesch.  v.  Gießen  etc.,  S.  L36fl 
Meine  daran  anknüpfende  Ausführung  im  Archiv  f  hess.  Geschichte  etc. 
XI\,   S.   4271T.      II.    v.   Ritgen,   Die   erste   Anlage   Gießens    und    seiner 

Befestigungen,  im  IV.  Jahresbericht,  des  oberhess.  \nniis  f.  Lokalgeschichte, 
S.  35  ff. 

37  Hessenlands  Beschreibung,   II,  Cap.  <i,  S.  20!): darzwischen 

zunegst  ein  Burg-Schloß  gestanden,  itzo  noch  die  alte  Burg  genant,  dessen 
alte  Mauren  mit  dem  Umgang  und  Schießlöchern  in  der  Mitten  zusehen  .... 
In  gedachter  Allen  Burg  sind  die  Gebäue  und  Gründe  frey,  darin  ist  auch 
die  Superintendur  mil  llaui.i,  Hof,  Stall  and  Garten  begriffen,  an  dein, 
von  Schwalbach  adelichen  Wohnung;  ist  vormals  ein  Fürstl.  Leherf  ge- 
wesen, aber  im  Jahr  1585  mit   Bewilligung  des   Lands-Fürsten,   von  den 

Salvelden   erblich   zum    Ober-Pfarrhauß   erkauft    Die    Haubt-Kirche 

stehet  negst    bey   der  allen    Burg." 


234  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg 


o- 


Aus  dem  beigefügten  Grundriß  erhellt,  was  sich  bis- 
her von  den  Resten  der  Burgmauern  gefunden  hat,  und  wie 
sich  deren  Ergänzung  etwa  zu  denken  wäre.  Ich  schätze  den 
Flächeninhalt  dieser  Wasserburg  auf  fast  3V2  Morgen,  wozu 
dann  noch  der  breite  äußere  Graben  käme. 

Sie  bestand  aus  einer  im  Rechteck  angelegten,  mit  hohen 
Mauern  umgebenen  inneren  Burg  von  etwa  46  m  X  28,5  m, 
deren  Einbauten  sich  auf  den  Palas  des  Grafen  und  einen 
Berchfrit  beschränkt  haben  werden.  In  dem  geräumigen 
Zwinger,  der  in  unregelmäßig  eiförmiger  Gestalt  die  innere 
Burg  umgeben  haben  muß,  hat  man  die  Ställe  und  Scheuern, 
auch  die  Unterkunftsräume  für  die  Burgmannen  und  das 
Gesinde  zu  suchen.38  Über  das  Vorhandensein  einer  Vor- 
burg wird  weiter  unten  die  Rede  sein. 

Auf  der  Grundrißskizze  sind  die  Umrisse  der  Häuser 
und  Hofreiten,  sowie  ihre  Nummern,  nach  der  amtlichen  Auf- 
nahme eingetragen.  Seitdem  ist  über  die  Burgstätte  die 
Kirchstraße   neu   durchgeführt   worden. 

Die  vorhandenen  Mauerreste  und  die  Spuren  der  Graben- 
anlagen sind  mit  dem  bezüglichen  Urkundenmaterial  nach- 
stehend   übersichtlich    zusammengestellt    worden. 


A.  Die  innere  Grafenburg. 

1.  Die  Reste  der  Burgmauer.39 

Erhalten  sind  über  der  Erde  in  dem  Wohnhause  der 
Hofreite  Flur  I,  No.  1088  (1887  Eigentümer:  Wallenfels, 
August;  bis  1772  Lehen  der  Familie  v.  Schwalbach,  dann 
dem  Landesherrn  heimgefallen),  die  Außenmauern  nach 
Westen  und  Norden  (1,50  m  stark  und  9,50  m  hoch).40  Süd- 
lich an  diese  Hofreite  stößt  die  Hofreite  Flur  I,  No.  1093, 
„hinter  dem  Burggraben"  (1887  Eigentümer:  Leib,  Karl  und 
Ehefrau,  früher  ein  Teil  der  alten  Superintendentur,  1807 
an  Wagner  Loos  verkauft).  Die  westliche  Hausmauer  ist 
die  Verlängerung  der  des  nach  Norden  anstoßenden  Hauses 
Wallenfels.  Südlich  daran  stieß  in  derselben  Hofreite  ein 
dreistöckiges  Wohnhaus  (die  alte  Wohnung  des  Superinten- 
denten), deren  Westwand,  die  Fortsetzung  des  seither  ver- 


•  38  Die  Anordnung  des  Grundrisses  erinnert  an  die  Burg  Nordeck,  die 
ans  romanischer  Zeil   stammt.   —  39  v.   Ritgen,  a.   a.   0.,  S.  42 — 44. 

40  Kraft,  a.  a.   0.,  S.   136.     v.  Ritgen  sagt,  in  der  Westinauer  hätte! 
sich    zwei    Hundbogenfenster    in    tiefen    .Nischen    befunden,    die    später   er- 
weitert   und   ins   Viereck  umgestaltet  worden  seien. 


■ 


Alt-Gießen.  -i:\:, 

folgten  Malierzugs  war.41  Auch  zur  Südseite  dieses  Wohn- 
hauses muß  als  Fundament  die  Burgmauer  benutzt  worden 
sein.  Bei  Anlage  der  Baugrube  zum  neuen  Pfarrhaüse  (Flur  I, 
No.  1095),  das  über  der  Ecke  des  alten  Baues  steht,  trat 
die  Südwestecke  der  Burgmauer  gut  erhalten  zutage.41'  Da 
mit  wäre  die  Länge  der  Mauer  und  die  Richtung  dreier 
Seiten  derselben  festgelegt.  Für  die  Lage  der  vierten,  der 
Ostseite,  scheint  zwar  v.  Ritgen  auch  Anhaltspunkte  ge- 
funden zu  haben,  bezeichnet,  sie  aber  leider  nichl  nälier.43 
Für  diese  nach  der  Kirche  zu  gerichtete  Seite  des  Recht- 
ecks der  inneren  Burg  liegt  mir  nur  eine  sichere  An- 
gabe aus  dem  Jahre  1772  vor.  Als  damals  das  heimgefallene 
schwalbachische  Burghaus  (I,  No.  1088)  für  den  landgräf- 
lichen  Oberamtsverwalter  hergerichtet  wurde,  berichtet  der 
Oberst  und  Oberbaudirektor  L.  J.  Müller:  die  Hofmauer  sei 
sehr  ruiniert,  sie  habe,  dem  Ansehen  nach,  vor  alten  Zeilen 
eine  Defensionsmauer  vorstellen  müssen.  Insoweit  solche 
nach  dem  Kirchenplatz  zu  gehe,  wolle  sie  der  Oberamts- 
verwalter Sues  heruntergebrochen  haben,  weil  der  Hof  allzu 
enge  davon  eingeschlossen  sei.  Hier  wird  man  also  die  von 
Winckelmann  beschriebene  alte  Mauer  mit  dem  Umgang 
und  den  Schießlöchern  zu  suchen  haben. 

Verlängert  man   die   Nordwand   des    schwalbachischen 
Hauses  (1088)  bis  zur  heutigen  Grenze  der  Hofreite   nach 
dem  Kirchenplatz  zu,  so  wird  man  jedenfalls  ganz   in  der 
Nähe  der  Nordostecke  der  inneren  Burg  sein.   Eine  Parallele 
durch  diesen  Punkt  zu  der  Westmauer  schneidet   die   Hof 
reite  1092,  dann   die  schmälste  Stelle  der   Kirchgasse,   und 
trifft  rechtwinklig  mit  der  Verlängerung  der  Südmauer,  etwa 
an   der   Grenze    der   alten    Parzellen    1100    und    1099a,    zu 
sammen.  An  diese  schmälste  Stelle  der  Kirchgasse  setze  ich 
die  1527  erwähnte  Behausung  in  der  alten  Burg  neben  und 
über  der  Porthen.    Dieses  innere  Burgtor  lag  danach  nahe 
der  Südostecke.     Für  den  von   Ritgen   vermißten   Berchfril 
stehen  bisher  nicht  überbaute  Hof-  und  Straßenflächen  inner 
halb  der  Herrenbur»  zur  Verfügung.    Auch  ist  es  nicht  aus- 
geschlossen,  daß  ihn  eine  der  älteren  Bauten  überdeck!  hat. 


41  Heim  Abreißen  dieses  Baues  im  Jahre  1868  scheint  leider  keine 
Aufnahme  der  Mauer  stattgefunden  zu  haben.  Laut  Bericht  von  177!)  be- 
stand diese  Wand  des  Hauses  aus  Stein.  (Großh.  Haus  u.  Staatsarchiv, 
Akten,  Pfarrgebäude,  Gießen.) 

42  Eigene  Erinnerung,  die  die  allgemein  gehaltene  Angabe  \.  Ritgens 
bestätigt. 

4:;  Nach  seiner  Rechnung  müßten  die  Nord-  und  Südseite  je  .'{li  m 
lan^  gewesen  sein,  während   ich  nur  28,50  m  annehme. 


^::(i  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

2.  Urkundliches  über  die  Hofreiten  der  inneren 

Grafenburg. 

a.  Der  erste  schwalbachische  Burgsitz  (I,  No.  1088; 
daranstoßend  im  Zwinger,  1089  und  1090).  Dieser  Burg* 
sitz  in  der  alten  Burg  zu  Gießen,  ein  Hauptwohnsitz  der 
Familie,  war  hessisches  Lehen.  Er  fiel  1771  dem  Lehns- 
herrn heim. 

b.  Der  zweite  schwalbachische  Burgsitz  (Teil  von 
1099a  und  1100).  Dieser  Burgsitz,  gelegen  zwischen  dem 
Kirchturm  und  der  Superintendentur,  war  ebenfalls  hessi- 
sches Lehen.  Er  grenzte  1712  an  das  Haus  des  Kriegszahl- 
meisters Meurer,  der  ihn  mit  lehnsherrlichem  Konsens  von 
den  von  Schwalbach  erwarb.44  Es  sei  ein  uraltes  Gebäude 
nebst  Gärtchen.  Das  Meurersche  Haus  lag  an  der  Kirch- 
gasse, gegenüber  dem  Kirchturm  und  der  Hofreite  No.  1092. 
Es  gehörte  nach  und  nach  dem  Superintendenten  Dr.  Lieb- 
knecht, dem  Advokat  Dr.  Liebknecht,  dem  G.  K.  Filimann. 
Im  Brandkataster  von   1819  führte  es  die  Nummer  18.45 

1695  wird  der  Garten  bezeichnet  als  gelegen  bei  dem 
Haus  in  der  Altenburk,  wo  die  Durchfahrt  unterher 
gehet,  an  der  Frau  Clodien  Hauß46,  mit  dem  Platz,  wo 
die  Scheuer  darauf  gestanden  bei  dem  Haus.47  Ein  alter 
Vermietungsvertrag  dieses  Hauses  vom  Jahr  1527  bezeichnet 
es  als  die  Behausung  in  der  alten  Burgk  beyneben  und 
über  der  Porthen  und  die  Schuwer  daran,  den  Garten 
bueßen  der  porten  zu  der  obgemelten  Behausung  gehörig. 
Die  v.  Schwalbach  verliehen  sie  damals  an  den  Stadt- 
schreiber Job.  Hornigk,  der  die  verfallenen  Gebäude  wieder 
herstellen   sollte.48 

An  der  engsten  Stelle  der  Kirchgasse  befand  sich  also 
noch  1695  die  alte  überbaute  Pforte  in  die  innere  Burg. 

c.  Der  erste  und  zweite  Burgsitz  der  v.  Roden- 
hause i.i.  Diese  Familie  trug  noch  1496  zu  hessischen  Lehen: 
Ein  Haus  mit  seiner  Zubehörung  gelegen  zun  Gießen  in] 
wendig  der  Altenburg,  und  noch  ein  Haus  nebst  Zubehörung 
daselbst  gegen  der  von  Dernbach  Hausung,  die  früher  der 
verstorbene  Graft  v.  Rodenhausen  gehabt  habe.49    Im  Jahre 

44  Großh.    Haus-   u.    Staatsarchiv,    Lehnsakten,   v.   Schwalbach. 

45  Großh.  Ortsgericht  Gießen,  Kataster,  errichtet  zwischen  1728  und 
1743  und  später  fortgeführt. 

■U]  Vergl.    bei    2,    d.      Gemeint   ist   die   Hofreite   No.    1092. 

47  Großh.  Haus-  u.  Staatsarchiv,  Lehnsakten,  Band  betr.  Ausfindige 
machung  der  Lehnsbestandteile  von   1695 ff. 

48  Großh.  Haus-  u.  Staatsarchiv,  Urkunden,  (ließen.  Alte  Abschrift 
aus   Nebels   Nachlaß. 

4!l  Großh.  Haus-  u.  Staatsarchiv,  Lehnbuch  Landgraf  Wilhelm  III.. 
fol.   81'. 


Alt-Gießen.  •_>:;; 


1497  verkauften  die  Lehenträger  dein  Lehnsherrn  ihre 
Hausung  mit  dem  Beihans  und  der  Hofstätte  dabei  in  der 
Altenburg  zu  Gießen  gelegen.50  Es  ist  als  sicher  anzunehmen, 
daß  dies  dieselbe  Hofreite  ist,  die  Landgraf  Philipp  im  Jahre 
1537  seinem  Rentmeister  zu  Gießen,  Endres  Salfell  genannt 
zum  Bern  und  seiner  Hausfrau  auf  Lebenszeit  einräumte. 
Sie  wird  in  der  Urkunde  als  die  landgräfliche  Behausung 
hinter  dem  Pfarrkirchhof  bezeichnet.51  Diese  Vergünstigung 
verwandelte  der  Landgraf  später  in  ein  Mannlehen.  In 
dem  Lehenrevers  der  Söhne  Salfelts  wird  es  als  landgräf- 
liches Freihaus,  an  Joh.  v.  Schwalbachs  Behausung  gelegen, 
bezeichnet.  Im  Jahre  1585  verkauften  die  salf eltischen 
Lehnsbesitzer  dieses  Haus  an  den  Gotteskasten  zu  Gießen, 
wozu  der  Lehnsherr   1590  einwilligte. 

Das  älteste  der  beiden  Häuser  in  der  Superintendentur 
wurde  1807  veräußert  (No.  1093),  das  andere  wurde,  wie 
oben  erwähnt,  abgerissen.  Es  liegt  eine  Skizze  über  den 
Bezirk  dieser  großen  Hofreite  aus  dem  Jahre  1780  vor. 

Endlich  fällt  jedenfalls  zum  Teil  noch  in  die  innere  Burg 

d.  der  Burgsitz  der  von  Dernbach  (I,  No.  1092, 
1887  gehörig  Knoll,  Willi.,  und  Ehefrau).  Obgleich  diese 
Behausung  während  des  15.  Jahrhunderts  öfters  erwähnt 
wird,  so  fehlt  es  doch  an  älteren  auf  sie  bezüglichen  Leims- 
urkunden. Als  im  Jahre  1661  ein  Bauplatz  für  den  Super 
intendent  Dr.  Misler  gesucht  wurde,  kam  ein  solcher  auf 
dem  Kirchhof,  hart,  an  dem  schwalbachischen  Hause  in 
Vorschlag.  Der  noch  mit  einem  Kellergewölbe  versehene 
Platz  sei  lange  Jahre  her  wüst,  früher  habe  nur  ein  Stall 
darauf  gestanden.  Es  heiße,  er  sei  ein  Lehen,  das  die 
v.  Dernbach  trügen,  die  es  aber  an  die  vom  Scheide  ge- 
ii.innt  Weschpfennig  versetzt  hätten. 

Die  v.   Dernbach   bestreiten  die  Lehnsei genschafl    und 
erklären  sich  zum  Verkauf  bereit52,  der  auch  zustande  kam. 

J.  N.  Misler  erbaute  ein  Wohnhaus,  das  er  an  eine 
mit  dem  Professor  D.  Clodius  verheiratete  Tochter  vererbte. 
Diese  Hofreite  wechselte  häufig  ihre  Besitzer.  Im  Jahre 
1773  gehörte  sie  einem  Herrn  v.  Rotten  holt'  ;,  der  sie  meist- 
bietend veräußern  ließ.  Dies  Anwesen  wird  erst  nach  Zer 
Störung  der  Ostmauer  angelegt  worden  sein;  es  erstreckt 
sich  über  die  innere  Burg  hinaus   in   den    Zwinger   hinein. 


50  Großh.   Haus-  u.   Staatsarchiv,   Urkunden,  Gießen. 
■■'   Mitteilung   des   Staatsarchivs   Marburg;   aus  dem    blauen    Kopiare 
M  1,  fol.  224.  —  52  Qroßh.    Haus-  u.  Staatsarchiv,   Pfarrakten,  Gießen. 
■r':;  Nicht  „v.  Rotenhausische",  wie  v.   Ritgen,  a.  a.  0.,  S.    lt.   irrig 

angibt. 


238  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

B.  Der  Zwinger. 
1.   Burgmannshäuser  im   Zwinger. 

a.  Der  Hof  der  Familie  Riedesel  v.  Bellersheim 
(Flur  I,  No.  1097  und  1098,  Hofreite  hinter  dem  Burggraben. 
1887:  Baltzer,  Karl).  Seit  1455  bis  zum  Heimfall  im  Jahre 
159954  findet  sich  ein  Zweig  der  Familie  Riedesel  v.  Bellers- 
heim im  Besitz  eines  hessischen  Burglehens :  ein  Haus  mit 
Scheuern  und  Hofreite  gelegen  zu  den  Gießen  in  der  Alten- 
burg. Seit  1599  wird  das  Einkommen  aus  diesem  Lehen 
an  Miete  und  Erbzinsen  in  der  Gießener  Amtsrechnung 
verrechnet.  Landgraf  Ludwig  hatte  einen  Teil  des  Gartens 
zu  der  nach  Norden  anstoßenden  Superinte ndentur  abge- 
treten, damit  darauf  eine  Scheuer  erbaut  werden  könne. 
Dieses  Stück  reichte  bis  an  die  Südmauer  der  inneren  Burg, 
umfaßt  also  etwa  die  Hälfte  der  heutigen  Pfarrhaushof  reite 
(1095,  1096).  Der  Rest  wurde  1622  an  den  Vizekanzler 
Dr.  Nie.  v.  Otthera  gegen  einen  Grundzins  von  5  fl.  über- 
lassen.55 

Diese  große  Hofreite  wird  vermutlich  aus  mehreren 
alten  kleineren  Burgsitzen  zusammengelegt  sein. 

b.  Der  Burgsitz  der  von  Elkerhausen,  früher  den 
von  Buseck  gehörig.  1408  belehnt  Landgraf  Hermann 
Drei  v.  Elkerhausen  mit  seinem  Hof,  als  der  begriffen  hat 
gelegen  zwischen  der  Stadtmauer  und  der  Kirchen  zu  den 
Gießen,  der  ihm  von  Burkard  und  Herrn  Gernand  v.  Buseck, 
Ritter,  heimgefallen  sei.  1446  wird  der  Hof  im  Lohnbrief 
bezeichnet  als  „zu  der  Cappellen" ;  1458  wohnte  der  Lehn- 
träger darin.56  Im  Jahre  1470  willigte  Landgraf  Heinrich 
in  den  Tausch,  den  der  Lehnsbesitzer  Craft  v.  E.  über 
sein  Haus  und  Burgseß  bei  der  Kirche  zu  Gießen  mit  den 
Baumeistern  und  Heiligenmeistern  der  Gießener  Pfarrkirche 
getroffen  hatte.  Der  Tausch  sei  „um  merglichs  noitdorftiges 
nutzens  willen"  der  Kirche  geschehen.  Auf  dem  Rücken 
der  Originalurkunde  steht  von  wenig  späterer  Hand  „zum 
baw".57  Es  ist  bereits  früher  bemerkt  worden,  daß  der 
allein  noch  von  der  alten  Pfarrkirche   siehende  Turm  die 


54  Der   letzte   Lehenträger  war  Quirin  Riedesel,  f  1599,   Aug.    17. 

55  Großh.  Haus-  a.  Staatsarchiv,  Lehnsakten  und  Rechnungen.  Die 
späteren  Besitzer  hießen  nach  dem  (üeßener  Grundbuch  Dr.  Overlack; 
Geh.  Ra1  und  Universitätskanzler  Koch,  Hofkammerral  Emmerling,  Georg 
Heinrich  Kind.  Joh.  Daniel  Ebel.  Nach  dem  Brandkataster  von  1819 
führte  es  die  No.   715. 

";  Copional  des  Statthalters  Rudolf  Sehend;  im  Archiv  des  Oberh 
zu   Nieder-Ofleiden,   Eol.   L87'ff. 

b"{    Großh.    Haus-   ii.   Staatsarchiv,    l'rkunden,   Gießen. 


Alt-Gießen.  239 

Jahreszahl  1487  trägt.  Das  Chor  der  alton  Stadtkirehe 
reichte  bis  auf  gleiche  Höhe  wie  das  Haus  an  der  Nordost- 
ecke  des  Marktplatzes,  und  war  nur  ca.  22  Fuß  von  dem 
Eckhause  der  Schloßgasse  entfernt.58  Die  Kirche  ist  nach 
und  nach  westwärts  vergrößert  worden,  ihr  Turm  scheinl 
auf  der  elkerhausenschen  Hofreite  erbaut  zu  sein,  die  sich 
auf  dem  Platz,  zwischen  der  Kirche  und  den  Hofreiten 
1092  und  1089  befunden  haben  mag.  Diese  Lagebestimmung 
ist  zwar  nicht  ganz  sicher;  die  urkundlichen  Nachrichten 
widersprechen  ihr  aber  nicht,  wie  ein  Blick  auf  den  Lage- 
plan  zeigt. 

c.  Der  dritte  Burgsitz  der  v.  Rodenhausen,  später 
den  von  Trohe  zuständig.  In  den  Jahren  1414  und  1440 
finden  sich  hessische  Lehnsurkunden  der  v.  Rodenhausen, 
wonach  sie  einen  Burgseß  zu  Gießen  auf  dem  alten  Ein- 
graben gelegen  bei  der  Kirchen  trugen.  Im  Jahre  1471 
wurden  vier  Gebrüder  v.  Trohe  mit  einem  Burgseß  zu  den 
Gießen  gegen  der  Capellen  daselbst  und  3  Mark  Geldes 
auf  der  Stadt  beliehen,  inmaßen  die  Senand  von  Roden- 
lausen  und  seine  Altern  gehabt.  Die  Lage  dieses  Burg- 
sitzes konnte  im  Jahr  1590  nicht  mehr  ausfindig  gemacht 
werden,  auch  1627  war  sie  gänzlich  unbekannt.59  Es  scheint. 
daß  auch  dieser  Burgsitz  in  dem  Raum  zwischen  der  Kirche 
und  den  Nummern  1092—1088  gelegen  hat,  neben  dem 
Sitze  der  v.  Elkerhausen.  Er  wird  also  zum  alten  Kirch- 
hof hinzugeschlagen  worden  sein. 

d.  Der  Burgsitz  der  Familie  Schlaun  v.  Linden. 
Eckhard  Schlaun  hatte  1414  einen  Burgseß  in  der  Alten 
bürg  zun  Gießen  zu  hessischem  Burglehen.  Seine  Nach- 
kommen  wurden  noch  im  16.  Jahrhundert  damit  beliehen. 
Dieses  Lehen  kam  später  auf  die  Schetzel  und  1661  an 
den  Kanzler  Fabricius.  Er  und  seine  Lehnserben  führten 
einen  langen  Prozeß  mit  den  v.  Schwalbach,  die  den 
schlaunschen  Burgsitz  im  Jahre  1517  angeblich  gemietet 
haben  sollen.  Es  scheint  also,  als  wenn  der  Platz  dieses 
Burgsitzes  unter  dem  Zubehör  der  großen  schwalbachischen 
Hofreite    zu    suchen    wäre,    etwa    auf    \o.    1089. 

2.   Mauer-   und    Grabenreste   des    Burgzwingers. 
Der  einzige  Mauerrest,  der  sich  bis  jetzt  nach  Mitteilung 
des  Tiefbauamts  Gießen  gefunden  hat,  lieg!  in  der  schnellen 


58  Grundriß  vom  30.  Okt.  1811  zum  Neubau  der  Stadtkirche  im 
Qroßh.  Haus-  u.  Staatsarchiv,  Plansammlung  \'<>.  681  (5)  Eingetragen  in 
den  diesem    Aufsatz  beigegebenen    Lageplan   der  allen    Bu 

59  Großh.  Haus-  und  Staatsarchiv,  Lehnsurkunden  und  Adel,  Bu 
Becker  Tal. 


:>4o  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

Gasse  zwischen  dem  Hause  No.  1097  and  der  Grenze  von 
No'.  1107  gegen  1106.  Ein  ungefähr  2  m  starkes  Mauerstück 
ziehl  in  Tiefe  von  etwa  1  m  quer  über  die  Straße,  gleich- 
Laufend  mit  dem  sogenannten  Burggraben.  Es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen  —  ich  habe  es  bei  seiner  Aufdeckung 
gesehen  -,  daß  es  ein  Rest  der  äußeren  Burgmauer 
ist.  Noch  heute  heißt  der  Raum  hinter  den  Häusern  am 
Markt  der  Burggraben.  Rechnet  man  seine  Breite  von 
der  Verlängerung  dieses  Mauerrestes  bis  zur  Grenze  der 
Hofreiten  am  Markt,  so  ergäbe  sich  das  stattliche  Ausmaß 
von  10  m.  Denkt  man  sich  den  Grabenzug  in  dieser  Breite 
um  die  vorher  beschriebenen  Hof  reiten  fortgeführt,  so  er- 
gibt sich  das  in  der  Planskizze  entworfene  Bild.  Die  heutige 
Stadtkirche  würde  mit  ihrer  hinteren  Hälfte  in  dem  alten 
Burggraben  stehen.  Die  äußere  Pforte  wird  man  dicht  süd- 
lich des  Kirchturms  anzunehmen  haben.  Der  Anschluß  der 
ältesten  Stadtmauer  ist  längs  der  nördlichen  Häuserreihe 
am  Kirchenplatze  zutage  getreten.  Das  schwächere  Mauer- 
werk mitten  in  der  Gasse  von  der  Marktstraße  nach  dem 
Burggraben  hin,  bedarf  noch  weiterer  Untersuchung. 

Es  ist.  selbstverständlich,  daß  sich  durch  Verfolgung 
der  Spuren  der  Außenmauer  noch  Änderungen  in  ihrem 
Grundriß  ergeben  können.  Bei  der  feuchten  Beschaffenheit 
des  Untergrunds,  auf  dem  sie  erbaut  wurde,  ist  es  nicht 
wahrscheinlich,  daß  man  später  auch  ihre  Fundamente  völlig 
entfernt  hat,  die  auf  einem  Pfahlrost  ruhen  werden. 

VI.  Die  zweite  Burg  und  der  Lauf  der  ältesten  Stadt- 
mauer. 

Die  Anlage  einer  zweiten  Burg  in  Gießen  zeigt,  daß  die 
Verhältnisse  der  alten  Grafenburg  dem  Bedürfnis  des  Herrn 
von  Burg  und  Stadt  nicht  mehr  genügten.  Es  kann  sein, 
daß  die  gewöhnlich  in  der  schwäbischen  Heimat  wohnenden 
Grafen  v.  Tübingen  ihren  Gießener  Burgmannen,  auf  deren 
Treue  die  Erhaltung  ihres  Besitzes  hauptsächlich  beruhte, 
nach  und  nach  zu  viele  Rechte  eingeräumt  hatten.  Ihre  ge- 
nossenschaftliche Selbständigkeit  mag  dem  neuen  Landes- 
herrn, dessen  Hausbesitzungen  in  der  Nähe  lagen,  lästig  ge- 
worden sein.  Auch  das  Anwachsen  der  Stadt  und  damit  die 
Beschränkung  des  Raumes  für  die  landgräfliche  Gutswirt- 
schaft, ebenso  die  veraltende  Art  der  Befestigung  der  Grafen- 
burg  kann  den  Neubau  mitveranlaßt  haben,  in  dem  der 
Amtmann  des  Landgrafen  allein  wohnte.  Er  enthielt  auch, 
wie  heute  wieder,  Unicrkunftsräume  für  den  Landes- 
herrn (Beilage  III,  S.  251)  selbst. 


Alt-Gießen.  241 

Die  erste  urkundliche  Erwähnung  der  neuen  Burg  mag 
vor  das  Jahr  1328  fallen,  was  natürlich  nicht  ausschließt, 
daß  die  Erbauung  selbst  beträchtlich  früher  anzusetzen  sein 
kann.  Im  Jahre  133G  erneuert  Landgraf  Heinrich  dem  Kon- 
rad Herrn  v.  Trimberg  ein  Burglehen  „ad  castrum  nostrum 
G".,  das  dieser  bereits  von  Landgraf  Otto  getragen  habe 
(f  1328).60 

Ob  es  Zufall  ist,  daß  Landgraf  Heinrich  von  Hessen  im 
Jahre  1305  einen  Burgmann  aufnahm  „ad  oppidum  nostrum 
dictum  G".,  und  sein  Sohn  Otto,  als  er  den  Johann  Herrn 
v.  Westerburg  1324  zum  Burgmann  in  Gießen  annahm,  auch 
nur  von  dem  „oppidum"  G.  spricht?"  Wäre  es  wörtlich  zu 
nehmen,  so  bestand  die  neue  Burg  damals  noch  nicht.  Ich 
kenne  keine  ältere  Urkunde,  die  beide  Burgen  nebeneinander 
erwähnt. 

Zur  annähernden  Bestimmung  der  Erbauungszeit  der 
neuen  Burg  kann  auch  noch  der  Umstand  herangezogen 
werden,  daß  Stadt  und  Herrschaft  Gießen  wahrscheinlich  be- 
reits vor  dem  Jahre  1335,  sicher  aber  vor  1338,  an  die  Reichs- 
kämmerer von  Falkenstein,  Herren  zu  Münzenberg,  zur 
Hälfte  wiederkäuflich  veräußert  worden  war.62  Diese  Zwei- 
herrschaft dauerte  bis  zum  Jahre  1364  an.  Die  Herren  von 
Falkenstein  erhielten  ihre  Hälfte  zu  hessischem  Lehen;  sie 
wurden  von  Hessen  auch  als  Ganerben  in  die  Herrschaft 
Gießen  aufgenommen,  das  von  den  Besitzern  der  nahen 
Festen  Lieh  und  Butzbach  eine  kräftige  Stütze  für  das  1324 
eroberte,  exponierte  Gießen  erwarten  mochte.63  Es  ist  un- 
wahrscheinlich, daß  während  einer  solchen  Besitzgemein- 
schaft der  Neubau  der  Burg  geschehen  isl  ;  er  wird  bereits 
von    Landgraf  Otto  angeordnet  worden  sein. 

60  Senckenberg,  Selecta  juris  et  Historiarum  de,  III,  S.  568,  und 
Wenck,   Hess.   Landesgesch.,   II,   U.  B.,  S.  342. 

61  Wenck,  Hess.  Landesgesch.,  II.  U.  B.,  S.  246.  (Korrektur  des 
Datums  nach  Mitteilung  des  Herrn  Archivdirektors  Dr.  Reimer.)  Beur 
bindete  Nachricht  v.  d.  ...  Commende  Schiffenberg,   II,  Beilagen  No.  220. 

62  Urk.  von  1338  m:  Beurkundete  Nachrichl  v.  il Com.  Schiffen- 
berg,  II,   Beilage   No.   220. 

"■■  Archiv  f.  Hess.  Gesch.  ii.  A.-Iv.  I,  S.  52  u  53;  II,  S.  132.  Die 
Erkunde  von  1335  April  27  bei  Reimer,  Hanauisches  l'.-l!..  II,  No.  439, 
spricht  dafür,  daß  damals  die  Falkensteiner  bereits  Mitherren  in  Gießen 
waren.  Wyß  hal  die  Crkundc  von  13.-5'.),  Juli  28,  übersehen,  in  der  sämt- 
liche Herren  v.  Falkenstein  als  Herren  von  Gießen  handeln  (Scriba,  Re- 
gesten, Oherliessen,  \"o.  1310).  Er  bezieht  irrig  die  Ganerbeneigenschaft 
der  Falkensteiner  zu  Hessen,  Merenberg  und  Isenburg  auf  Cleeberg  (a.a.O., 
III,  S.  495),  während  sie  sich  auf  ihre  Mitherrschafl  in  Gießen  gründete. 
sie  muß,  analog  der  Urkunde  von  1363,  bei  der  ersten  Veräußerung  bereits 
festgesetzt  worden  sein,  die  ich  zwischen  L328  und  1333  geschehen  an- 
setzen  möchte. 

Beiträge  /..  Gesch.  <].  Universitäten  Main/,  u.  Gießen.  16 


242  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

Die  Beilage  2  enthält  ein  Inventar  der  Bure  und  der 
zugehörigen  Wirtschaftsgebäude   aus   dem  Jahre   1435. 

Die  Ansicht,  der  Aula  auf  Seite  327  gewährt  gleichzeitig 
das  Bild  des  alten  Schlosses,  wie  es  im  Jahr  1754  beschaffen 
war.  Daß  es  vor  Anlage  der  Festung  Gießen  einen  andern  An- 
blick gewährte,  erkennt  man  aus  zahlreichen  Einträgen  der 
Festungsbaurechnung  von  1533. 64  Da  werden  wiederholt 
von  den  Maurern  Steine  an  der  Stadtmauer  hinter  dem 
Schloß  gebrochen,  ebenso  von  der  Stadtmauer  vor  dem 
Schloß.  Es  war  also  zwar  von  der  Stadt  durch  eine  Mauer 
getrennt,  aber  doch  von  der  Stadtbefestigung  mit  einge- 
schlossen. Die  Mauerreste,  die  sich  früher  und  in  neuerer 
Zeit  vor  und  hinter  dem  Schloß  in  der  Erde  vorgefunden 
haben,  rühren  wohl  daher. 

Der  heutige  Zustand  des  alten  Schlosses  scheint  mir 
nicht  zu  gestatten,  seine  Erbauungszeit  über  das  14.  Jahr- 
hundert hinauf  anzusetzen.  Insbesondere  spricht  der  spitz- 
bogige  innere  Torbogen  neben  dem  Turm,  ein  Bauteil,  der 
weiiig  Änderungen  ausgesetzt  zu  sein  pflegt,  für  diese  Zeit. 
Es  findet  sich  zwar  im  Keller  eine  im  Rundbosen  geschlossene 
Türöffnung,  aber  ohne  jede  Gliederung.  Eine  runde,  aus 
Quadern  aufgeführte  Säule,  ebenfalls  ohne  alle  Gliederung, 
stützt  das  Tonnengewölbe  des  Kellers  zunächst  des  Heiden- 
turmes. Sie  steht  nicht  in  der  Mitte  des  Gewölbes,  scheint  mir 
vielmehr  erst  nachträglich,  zur  Verstärkung  gesen  eine  neu 
angebrachte  Belastung  des  Gewölbes  über  ihr,  angebracht 
worden  zu  sein.ß5  Die  Art  der  Bearbeitung  der  Quader- 
steine hat  seinerzeit  E.  Wörner  veranlaßt,  sich  für  ihre 
Entstehung  in  romanischer  Zeit  auszusprechen66;  nach 
Äußerungen  von  Fachmännern  aber  ist  dieser  Schluß  nicht 
zwingend.  Es  könne  sich  auch  um  flüchtige  Renaissance- 
arbeit handeln.  Bekanntlich  wurde  das  alte  Schloß  im  Jahre 
1590  von    Landgraf  Ludwig   IV.  neu  zugerichtet.67 


1 '■  Großh.  Haus-  u.  Staatsarchiv,  Kriegs-  u.  Militärangelegenheiten, 
II.  Abt.,    Konv.    16. 

\.uch    \.    Ritgen,    a.    a.    0.,    S.    53,    glaubt,    daß    sie    eine    später 
angebrachte  Mauer  stützen   sollte. 

,;(1  Quartalblätter  des  Hist.   Vereins  f.  d.  Großh.  Hessen,  1889,  S.  62. 

07  Krall,  a.  a.  0.,  S.  135,  Anm.  -).  Durch  Herrn  Hauptmann  und  Kon.« 
servator  Kramer  freundlich  vermittelte  Photographie,  und  gutachtliche  brief- 
liche Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  B.  Sauer,  der  auch  eine  Äußerung 
des  Herrn  Privatdozenten  Dr.  Rauch  erwähnt.  Herr  Professor  Sauer  hält 
die  untere  Kellertüre,  die  kein  Profil  und  keinen  Beschlag  hat,  wegen 
der  Ähnlichkeit  ihrer  Herstellung  mit  einer  Kellertüre  auf  dem  Wirberg 
für   romanisch. 


Alt-Gießen.  243 

Bei  Herstellung  des  Schlosses  für  das  Absteigequartier 
des  Landesherrn  und  für  das  Museum  des  Geschichtsvereins 
hat  der  bauleitende  Architekt  H.  Hofmann  keine  Bauteile 
bemerkt,  die  meiner  Datierung  widersprächen. 

Vielleicht  aber  führt  ein  indirekter  Weg  zum  Ziele : 
die  Verfolgung  der  Mauern  der  ältesten,  kurz  vor 
1248  gegründeten  Stadt.  Ich  kann  mich  für  diese  Auf- 
gabe auf  die  antaillierten  Angaben  von  Kraft  und  v.  Ritgen 
(a.  a.  0.,  S.  45 ff.)  stützen,  sowie  auf  die  Einzeichnungen, 
die  das  städtische  Tiefbauamt  im  Verlaufe  der  Kanalisations- 
arbeiten gemacht  und  mir  freundlich  zur  Verfügung  gestellt. 
hat.  Kraft  hebt  auf  S.  139  mit  Recht  hervor,  daß  man  dabei 
den  Umstand  nicht  außer  acht  lassen  dürfe,  daß  bereits 
1325  eine  Neustadt,  südlich  neben  der  alten  Stadt,  angelegt 
worden  war,  deren  Bewohner  damals,  ebenso  wie  die  vor 
den  Toren  Wohnenden,  den  Bürgern,  die  innerhalb  der 
Mauern  der  Stadt  wohnten,  gleichgestellt  wurden.  Es  liegt 
nahe,  daß  man  nach  1325  die  trennende  Mauer  zwischen 
Alt-  und  Neustadt  beseitigte.  Kraft  rechnet  zu  dieser  alten 
Neustadt  die  Häuser  der  Marktstraße  (Kühgasse)  vom 
E.  Pistorschen  Hause  an  bis  zur  abgerissenen  Neustädter 
Pforte.  Mauerreste  haben  sich  in  der  Marktstraße  jedoch 
nur  weiter  nach  dem  Marktplatz  zu  gefunden.  Vom  Pistor- 
schen Hause  zieht  er  die  Mauer  der  Altstadt  westwärts  an 
den  Stadtbach,  an  dem  Südende  des  Burggrabens;  nach  Süd- 
Osten  aber  auf  das  J.  B.  Nollsche  Haus  („Zum  Ritter") 
zu,  von  da  an  den  Hintergebäuden  der  Häuser  an  der  Mäus- 
burg her  an  die  Hintergebäude  von  Ph.  Möhl,  in  dessen  Hof 
ein  halbrunder  Wehrturm  erkennbar  gewesen  sei  (S.  138). 
Von  dort  lief  sie  nach  dem  früheren  Stadtwagehaus  in  der 
Schulstraße  hin,  neben  dem  noch  ungefähr  bis  zum  Jahre 
1870  ein  Stück  der  Stadtmauer  erhalten  war.  Bei  der  Kana- 
lisation in  der  heutigen  Schulstraße  haben  sich  Mauerreste 
bach  dem  Markt  hin  nicht  vorgefunden,  so  daß  man  an- 
nehmen darf,  daß  es  sich  bei  der  Stadtwage  um  einen  Rest 
der  ältesten  Mauer  gehandelt  hat.  (ieht  man  nun  zuerst  zu 
äer  Nordseite  der  Altstadt  am  Kirchhofe  über,  so  haben 
sich  die  Fundamente  der  1533  auch  hier  abgerissenen  Stadt- 
mauer  längs  der  Häuser  an  der  Nordseite  des  Kirchen- 
platzes vorgefunden.  Sic  zogen  danach  durch  den  Burg- 
graben nach  der  Zwingermauer  der  Burg  hin.  Krall  hat  die 
Fundamente  der  Stadtmauer  östlich  davon,  hinter  dein  früher 
H.  Heichelheimschen  Hause  am  Lindenplatz,  zu  dem  eine 
kleine  Gasse  von  der  Schloßgasse  nördlich  abzweigt,  ge- 
sehen; sie  seien  „im   l>ogen  nach  der  Schloßgasse  ein- 


-_!  |  i  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

gezogen"  gewesen.68  Wenn  ich  diesen  Ausdruck  richtig 
verstehe,  so  lief  dieses  Fundament  also  nicht  parallel  dem 
Stadtgraben,  der  nach  dem  alten  Schloß  zu  in  gerader 
Richtung  streicht,  sondern  es  wendete  sich  im  Bogen  nach 
Süden  hin,  nach  der  Schloßgasse  zu.  Verbindet  man  diesen 
Punkt  im  Bogen  mit  dem  Manerrest  an  der  Stadt  wage,  etwa 
vor  dem  Ostende  der  Kaplaneigasse  her,  so  fiele  das  alte 
Schloß,  samt  den  ihm  gegenüberliegenden  Hofreiten,  außer- 
halb des  alten  Mauerrings. 

Kraft  rechnet  (S.  140)  zur  alten  Stadt  nur  die  Häuser 
am  Markt  und  an  der  Süd-  und  Ostseite  des  Kirchenplatzes, 
in  einem  Teile  der  Schloßgasse,  die  früher  Burggasse  hieß, 
die  Kaplaneigasse,  einen  Teil  der  Schulstraße,  die  Wagen- 
gasse, die  Mäusburg  bis  zum  Stern,  die  Wettergasse  und 
die  Marktstraße  bis  zum  Pistorischen  Hause,  dessen  hintere 
Hofreite  an  den  Burggraben  stößt.  Endlich  noch  das  Gäßchen 
von  der  Marktstraße  nach  dem  Burggraben  zu. 

Das  ist.  ein  sehr  beschränkter  Raum,  der  den  einer 
geräumigen  Vorburg  nicht  viel  überschreitet.  Da  in  der 
innern  Grafenburg  und  dem  Zwinger  keine  Kapelle  gelegen 
zu  haben  scheint,  so  darf  man  annehmen,  daß  die  spätere 
Stadtkapelle  dicht,  vor  dem  Burgtor  wenigstens  in  einer  von 
Alters  dazu  gehörigen  Vorburg  lag.  Diese  Vorburg,  von  deren 
Befestigung  vielleicht  noch  die  Mauerreste  im  südöstlichen 
Teil  des  Burggrabens  herrühren,  wurde,  nur  wenig  erweitert 
zur  Anlage  der  Stadt,  verwendet.  Der  Neubau  der  zweiten 
Burg  und  die  Anlage  der  Neustadt  im  Süden  mögen  dann 
auch  eine  unbedeutende  Erweiterung  der  Stadt,  an  der  Nord- 
ostecke mit.  sich  gebracht  haben,  um  die  Befestigung  der 
neuen  Burg  mit  der  Stadtmauer  in  Verbindung  zu  bringen.69" 


68  Kraft  glaubt,  daß  die  alte  Waldpforte  deshalb  hinter  dem  Heichel- 
heimschen  Hause  gestanden  habe,  nicht  an  der  Ecke  des  Einhorns.  Die 
starken  Fundamentreste  am  Einhorn  sprechen  aber  gegen  Krauts  Annahme. 
i  lui'jcn-  ist  der  Zug  der  Mauer  durch  die  Schloßgasse  bei  der  Kanalisie- 
rung  nicht  angetroffen  worden. 

,;:i  Man  hat  lediglich  aus  dem  Straßennamen  Mäusburg  schließen 
wollen,  daß  noch  eine  dritte  Befestigung  bestanden  habe.  Mir  scheint  es-, 
viel  näher  zu  liegen,  daß  dorl  Bürger  des  zu  Gießen  häufigen  Namens 
Mauß  wohnten,  deren  Behausung  von  Studenten  bewohnt,  scherzweise  die 
Mäußburg  genannt  wurde.  Der  Name  kommt,  meines  Wissens  nicht  vor 
L643  urkundlich  vor;  er  war  damals  wohl  noch  neu.  Einen  ähnlichen 
Scherznamen  legten  nach  Nebels  chronikalischen  Aufzeichnungen  1786  Stu- 
denten einem  allen  Keller  auf  dem  sogenannten  Graveliusberg  bei,  in  dem 
sie  sich  einrichteten.  Sie  nannten  ihn  die  Eulenburg,  welcher  Name  blei- 
bend wurde. 


Alt-Gief3en.  l'45 

VII.  Die  Genossenschaft  der  Burgmannen. 

Gießen  muß  von  der  Ritterschaft  der  Umgegend  be- 
sonders als  Wohnort  bevorzugt  worden  sein.  Auch  in  der 
Stadt  selbst,  nicht  nur  in  der  alten  Burg,  gab  es  nicht 
wenige  ihnen  zuständige  Wohnhäuser,  die  natürlich  nicht 
frei  waren,  sondern  der  Stadt  zu  dem  üblichen  Grundzins 
beitrugen,  der  jährlich  an  den  Stadtherrn  abzuführen  war.  In 
dem  Zinsregister  der  Stadt  von  1495,  das  Herr  Oberbiblio- 
thekar Dr.  Ebel  für  mich  freundlich  ausgezogen  hat,  finden 
sich  Häuser  des  Wigand  v.  Rodenhausen,  Gilberts  v.  Buseck, 
Crafts  v.  Weitershausen,  eine  ehemalige  Elkerhausensche, 
jetzt  landgräfliche  Hofstatt.  Ferner  das  Haus  des  Graft 
v.  Badenburg  und  der  Halber  (jetzt  landgräflich),  das  des 
Mengos  v.  Fetzberg  (früher  dem  Graft  Rode  und  den  Milch- 
Engen  gehörig),  Wernher  Rüßers  v.  Buseck,  Mengos  v.  Fetz- 
berg (angefallen  von  Eckard  v.  F. ;  früher  Imelut  Gemmen 
gehörig),  Crafts  v.  Elkerhausen,  ein  Pfarrhaus  (früher  Fyhen 
v.  Bleichenbach  zustehend)  und  endlich  das  den  Burg- 
mannen gemeinsam  gehörige  Haus. 

Die  Burgmannen  waren  beteiligt  am  Gericht  der  Stadt70, 
an  der  Vermögensverwaltung,  besonders  an  der  des  Mark- 
waldes, an  der  Vorstandschaft  der  Kirchenfabrik.  Sie  traten 
noch  lange  hin,  auch  in  Kriegsfällen,  als  Genossenschaft 
selbständig  auf.71  Noch  im  14.  Jahrhundert  führten  Burg- 
mannschaft  und  Rat,  wie  früher,  ein  gemeinsames  Siegel, 
das  hierunter  abgebildet  ist. 


Später,   vor  1371,   führle  die  Sladl    ein   eigenes   Siegel. 
Das  wenig  schöne,   mit  dem   geflügelten  G.   und   der  beid- 

70  Noch  1350  erfolgte  eine  Auflassung  vor  Burgmannen  und  Schöffen, 
als  Recht  ist  zu  den  Gyesen.     Baur,   U.-B.  d.   Kl.   Arnsburg,   Nb.  836. 

71  So  z.  B.  1370  in  einer  Fehde  mil  dem   Staufenberg  besitzenden 
Grafen  v.  Ziegenhain;  Kuchenbecker,  Analecta  Hassiaca,  I.  S.  130. 


246  Gustav  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

nischen  Krone  versehene  größere  Stadtsiegel,  das  nicht  vor 
1500  vorkommt,  ist  am  Schlüsse  dieses  Aufsatzes  abge- 
bildet worden. 

Wie  die  Burgmannen  ihre  geselligen  Vergnügungen  ge- 
regelt hatten,  wußte  man  bereits  aus  einer  Einung  vom 
30.  Dezember  1477,  die  unter  Mitwirkung  des  Landesherrn 
zustande  kam.72  Die  Beilage  2  gibt  eine  ältere  Einung  aus 
dem  Jahre  1388. 

Das  gemeine  Haus  der  Burgmannen,  ihr  Rathaus,  Trink- 
stube und  Festhaus,  die  heutige  Engelsapotheke  (No.  793  des 
Lageplans),  gehörte  im  18.  Jahrhundert  den  beiden  letzten  in 
Gießen  ansässigen  Burgmannengeschlechtern,  den  v.  Schwal- 
bach und  den  Nachkommen  des  Statthalters  Rudolf  Schenck 
zu  Schweinsberg,  der  1544  das  Burglehen  der  v.  Elkerhausen 
erworben  hatte.  Während  die  Familie  v.  Schwalbach  ihren 
Wohnsitz  in  der  alten  Grafenburg  bis  zu  ihrem  Erlöschen  bei- 
behielt, wohnten  die  anderen  Burgmannengeschlechter  später 
meistens  auf  ihren  Gütern.  Nur  in  Kriegszeiten  bevölkerten 
sich  ihre  im  Schutz  der  Landesfestung  gelegenen  Burgsitze. 


Erklärung  der  Siegel. ) 

Auf  der  Tafel: 

1.  Angebliches  Siegel  des  Grafen  Wilhelm  von  Gleiberg  (1131 — 1158)  von 
einer  gefälschten  Urkunde.  Umschrift:  j  COMES  •  WILLEHELM-'  •  DE 
GLIZB'..  Vergl.  A.  Wyß,  Hess.  Urkundenbuch,  I,  3.  Band,  No.  1334 
und   S.    141  IT.,   §  21    u.   §  25. 

"_'.  Gemeinsames  Siegel  der  Burgmannen  und  der  Stadt  Gießen.    1248  bis 

1265.    Umschrift:  f  WILLEMMVS  •  LEI  •  GRACIA   PALATINVS  •  COM 

IX  TVIGf.     Vergl.  A.  Wyß,  a.  a.  (>.,  I.  1,  No.  215;  I,  3,  No.  1356,  Anm., 
Abs.  2.     Im  Text  dieser  Abhandlung  Seite  220. 


72  Estor,  Auserlesene  kleine  Schriften,  III,  S.  296—303.   Falls  Mainzer 
Jahresanfang  anzunehmen  wäre,  so  müßte  man  1476  datieren. 
*)  In  2/3  der  wahren  Größe  dargestellt. 


Alt-Gießen.  247 

3.  Siege!  ilcs  ErzBischofs  Megener  von  Trier.  1129.  Vergl.  A.  Wvß, 
a.  a.  0.,   I,  3.  No.  1329;  S.  409,  Kap.  2. 

4.  Angebliches  Siegel  der  Gräfin  Clemencia  von  Gleiberg  von  einer  ge- 
fälschten Urkunde.  Vergl.  A.  Wyß,  a.  a.  0.,  I.  3,  Xo.  1332;  S.  444, 
§  24.  Auch  allgebildet  bei  F.  K.  Fürst  zu  Hohenlohe<-Waldenburg, 
Sphragistische  Aphorismen,  No.  43. 

5.  Zweites  Siegel  des  E.  B.  Megener.    1120.    Vergl.  A.  Wvß,  a.  a.  0. 

G.  Siegel  des  Klosters  Schiffenberg.  1246.  Vergl.  A.  Wvß,  a.  a.  0., 
No.   1352. 

7.  Angebliches  Siegel  des  Grafen  Otto  von  Gleiberg  von  einer  gefälschten 
Urkunde.  Umschrift:  f  OTTO  ■  COMES  •  DE  •  GLIBER(G).  Vergl.  Wyß, 
a.   a.  0,,   I,  3.  No.  1342;  S.  445,  §  25. 

Im  Texte : 

8.  Seite  222.  Zweites  Siegel  der  Stadt  Gießen.  1264ff.  Umschrift:  SIG 
ILLVM  :  CIVITATIS  :  DE  :  GIEZEN.     Vergl.  A.  Wyß,  a.  a.  0.,  No.  1356. 

9.  Seite  245.  Gemeinsames  Wappensiege]  der  Burgmannen  und  Bürger  zu 
Gießen.  1332ff.  Umschrift:  f  S'  CASTRENS1VM  ET  OPIDANORYM 
In  GYZYN.      Vergl.   A.    Wyß,   a.  a.   0.,    I,  2,   No.   576  u.   569. 

10.  Größeres   Siegel   der   Stadt  Gießen:   ein   geflügeltes   g,   daraus  hervor- 
springenden Löwen,  darüber  eine  „heidnische"  Krone  darstellend.  1500: 
1500.    llmjcrjrift:  3  maiu§  •  oüibnnovü  •  in  •  gieäfen.   Seite  ;246. 
(Der    Stadt   klein    Ingesiegel   finde!    sich    1392   erwähnt    bei   A.    Wyß, 
a.    a.   0.,   No.    1245.) 


Beilagfen. 

1.  Schultheiß,  Schöffen  und  Gemeinde  der  Stadt  Gießen 
bekunden  den  Verzicht  des  L.  v.  Rodheim  u.  s.  Ehefrau 
gegen  Kloster  Arnsburg  auf  Güter  zu  Steinbach.    1248  Mai.1 

Cunradus  sculthetus,  scabini  et  burgenses  universi  in  Gizen. 
Con  stare  facimus  omnibus  litte  ras  has  visuris,  quod  Ludewicus 
de  Rodeheim  et  Binhildis  uxor  ejus,  communieata  manu  renun- 
ciaverunt,   nobis    presentibus    ante    capellam    nostram   in    Gizen, 

1  Aus  eigenhändiger,  alle  Abkürzungen  nachzeichnender  Abschrift 
Bodmanns,  die  beim  Nachlasse  Nebels  (Großh.  Haus-  u.  Staatsarchiv  zu 
Darmstadt'1  verwahr!  wird.  Die  sorgfältige  Nachzeichnung  des  Siegels 
beweist,  daß  es  das  auf  der  Tafel  unter  No.  2  wiedergegebene  älteste 
Gießener  Siegel  ist.  Von  der  stark  beschädigten  Umschrift  war  nur  er- 
halten: ...  Mi GRACI  Dasselbe  Siegel  winde  be- 
reits nach  schlechter  Zeichnung  aus  Kindlingers  Handschriftensammlung  ab- 
gehildet  von  Günther,  Die  Wappen  der  Städte  des  Großh.  Hessen,  Fig.  I  I 
(Archiv  f.  Hess.  Geschichte  u.  A.-K.,  [II,  2.  Heft,  XI,  S.  30).  Unvollständiger 
Druck  bei  Baur,  U.-B.  d.  Kl.  Arnsburg,  No.  54,  nach  Kindlingers  Hand: 
Schriftensammlung.  Der  im  hiesigen  Archive  vorhandenen  Abschrift 
ist  die  Bemerkung  beigefügt:  „Sigillum  cerae  albae  jam  Euscae  impressum". 

Das  Original  befindet  sich  gegenwärlig  im  Staatsarchive  zu  Marhurg. 
Es  trägt,  die   Rückenaufschrift:   De  böls  I  Steinbach.     No.  16. 

Das  Siegel  ist  nicht  mehr  im  selben  Zustand,  als  ihn  die  Zeichnungen 
Bodmanns    und     Kindlingers    erkennen    lassen.       Es    fehlt    jetzt    das    unlere 

Stück,  auf  dem  die  Lilie  im  Siegelfeld  sichtbar  war.  Mas  Faksimile  Bod- 
manns  ist  fehlerfrei. 


248  Gustav  Frlir.  Schenk  zu  Schweinsberg. 

omni  actioni  et  querimonie,  quam  habebant  vel  habere  poterant 
contra  conventum  in  Arnesburg  super  bonis  in  Steinbach,  et 
resignaverunt  eadem  bona  in  manus  Wilhelmi  abbatis  ejusdem 
loci,  recipientes  decem  et  octo  solidorum  Coloniensium  ab  eodem. 
In  evidentiam  hujus  rei  testes  ibidem  fuerant  deputati :  Sifridus 
de  Hattenrode  et  Wernerus  füius  ejus.  Waltherus  Sluen.  Ernestus 
de  Rodeheini.  Wernerus  de  Rodeheim.  Johannes  de  Leikestren. 
Eckardus  de  Luzellinde,  milites,  Meigotus,  Wigandus,  Eckardus, 
Rubertus,  Heinricus  scabini.  Albertus  quondam  abbas  in  Arnes- 
burg, Fridericus  Ovelacker  et  alii  quam  plures.  Ut  hoc  itaque 
ratum  maneat,  nostre  civitatis  sigillo  fecimus  hanc  paginam 
confirmari.    Actum  anno  domini  m.°  cc.°  xlviij.    Mense  Majo. 

2.    Ordnung    der   Trinkstube    der    Burgmannen    zu    Gießen. 

1388  Ausg.   I.2  * 

Dis  hiernach  geschrieben  ist  die  alte  Einunge3  unser  der 
burgman  zu  Gießen. 

Wir  die  burgman  gemeynlich  zu  Gießen,  die  wohnhaftig  sein 
zu  Gießen  oder  noch  wohnhaftig  werden,  erkennen  öffentlich  in 
disem  brieffe  vor  uns  und  alle  unsere  erben,  das  wir  einmutig- 
lichen  mit  unser  aller  guten  willen,  wissen  und  verhünguns  einer 
eynung  überkommen  sein,  als  von  unsers  gemeinen  haus  wegen 
zue  Gießen,  als  hiernach  geschrieben  stehet.  Zum  ersten,  welcher 
burgman  unter  uns  abgehet  von  tods  wegen,  das  gott  lange  ver- 
halte und  söhne  lesset,  die  nicht  haus  gehalten  haben  und  bey 
uns  wohnhaftig  sein  wollen,  der  söhne  soll  ieglicher  geben  den 
bawmeistern  an  den  baw  des  hauses  ein  gülden  und  geloben, 
die  eynung  zu  halten  als  hiernach  geschrieben  steht.  Were  es 
auch  sache  welcher  burgman  söhne  hefte,  die  gewapnet  ritten, 
die  sollen  auch  geloben  diße  eynung  zu  halten.  Auch  zöge  ein 
burgman  bey  uns  in,  (der)  in  unser  haus  nit  gehöret,  und  wil 
der  in  unser  eynung,  der  soll  geben  vier  gülden  an  den  baw  des 
hauses,  als  wir  vor  geben  haben,  und  die  eynunge  schweren 
zu  halten.  Auch  soll  unser  keiner  sich  mehr  zu  unserm  haus 
zu  thun,  unten  oder  oben,  er  thue  es  dan  mit  rath  der  bauw- 
meister.  Es  ist  auch  geredt,  daz  unser  keiner  unsern  keller  oder 
haus  beraden*,  weder  mit  wein  oder  hier,  oder  mit  keiner  andern 
Sachen  solle,  es  were  dan  sache  daz  wir  gemeynlichen  oder 
unser  ein  theil  heiße  sie  mehr  oder  minner5  wein  oder  bier 
kauften  wollen,  daz  mögen  wir  in  unsern  keller  legem  und  unter 
uns  den  wein  oder  bier  ohn  ein  kerb  geben  pristern  und  burg- 
mannen. Und  sollen  die  bauwmeister  den  wein  und  bier  scheren, 
und  wen  sie  zu  ihnen  nemen  nach  moglicheyt.  Und  wan  der  wein 
oder  bier  auskommet,  wer  dan  wein  oder  bier  getrunken  hat,  soll 
bezahlen  den  unserm  knechte  binnen«  den  nechsten  monat  dar- 
nach,  und  wer  das  nichl  thete  und  der  knechi  den  bauwmeistern 

-   Au-    ungefähr    L600    gefertigter,    fehlerhafter    Abschrift    im    Großh. 
Haus-    u.    Staatsarchive,    l'rkundenabteilung,    Gießen. 

3   In   der   Vorlage:   „zeigunge".    —    i  „bewoden"  in  der  Vorlage. 
5  „mehr  oder  nimmer".   —  6  .feinen". 


Alt-Gießen.  249 

daz  sagete,  den  sollen  die  bauwmeister  pfenden  und  des  möge 
und  macht  han,  und  mag  der  kriech!  die  pfände  versetzen  oder 
verkeuffen  ohn  zorn  und  ohn  alle  gefehrde,  und  were  es 
gache,  das  iemandl  sein  pfände  wehrete  dru  bauwmeistern,  das 
sollen  uns  die  bauwmeister  kundt  thuen  und  zusprechen,  und 
den  sollen  wir  ihme  gemeynlich  helffen  pfenden,  und  wer  es  darzu 
lesset  kommen,  der  soll  es  verbüßen  mit  einem  gülden,  den  soll 
man  auch  niemandt  laßen  und  soll  gefallen  an  den  bauw.  Auch 
soll  unser  keiner  oder  unser  söhne  spielen  in  unserm  hauße  und) 
geldt  oder  um  bedegunge  ohn  gefehrde,  und  wer  das  breche,  der 
sol  es  verbüßen  mit  einem  gülden  an  den  bauw  und  soll  man  den 
niemandt  laßen,  und  wer  den  gülden  nit  gebe,  den  sollen  die  bauw- 
meister pfenden  als  vorgeschrieben  stehet.  Auch  wan  wir  holtz 
bedurften  in  unserm  haus  des  sollen  ihr  zween  ein  wagen  vol 
holtzes  fuhren,  wen  die  bauwmeister  es  zu  der  zeit  heißen  ahn 
gefehrdte,  darwieder  soll  sich  unser  keiner  setzen  und  wer  das 
nit.  endet,  den  sollen  die  bauwmeister  pfenden  vor  sesse  thornus 
als  vorgeschrieben  stehet  als  dicke  es  nur  geschieht.  Were  es 
auch,  das  wir  bauwens  an  unserm  hauße  bedorffen,  heften  wir 
dan  nitt  gemeynes  geldts,  so  sollen  die  bauwmeister  mit  unser 
aller  rath  oder  der  meinsten  menge  ein7  geldt  setzen8  ein  thornos 
mehr  oder  minder  und  daz  bauwen  nach  rath  als  vorgeschrieben 
stellet,  und  wer  des  geldts  nit  gebe,  den  sollen  die  bauwmeister 
pfenden  als  vorgeschrieben  stehet  vor  zwirnt  als  viel  als 
an  in  gesatzt9  ist.  Were  es  auch  sache,  das  wir  gemeynlichen 
oder  unser  eins  theils  zehren  wolten  in  unserm  hauße,  wan  dan 
unser  knecht  oder  magdl  aus  gewinnet  von  was  Sachen  das  were, 
das  sollen  wir  gutlich  bezahlen  und  wer  das  nit  thete  und  unser 
knecht  oder  magdt  den  bauwmeistern  das  sagten,  den  sollen  die 
bauwmeister  pfenden  als  vorgeschrieben  stehet  vor  zwirnt  als 
viel  als  er  gelten  soll  ohn  geverdte.  Ist  es  auch  sache,  das  unser- 
eins theils  zehren  in  unserm  hauße,  es  sey  eßen  oder  trincken, 
darzu  soll  niemandt  greiften,  er  wolte  dan  mit  gelden  oder  sey  mit 
ihrem  willen,  det  das  iemandt  darüber,  den  sollen  die  bauwmeister 
pfenden  vor  zwirnt  als  viel  als  der  einer  in  der  mitschaft  üilt 
als  vorgeschrieben  stehet.  Were  es  auch  sache,  daz  unser  einer 
oder  mehr  mit  unserm  knecht  und  magdl  zu  schaffen  gewonnen 
oder  sie  mit  uns  von  was  sachen  das  queme,  des  sollen  sie  und 
wir  an  den  bauwmeistern  belieben  und  wen  sie  unter  uns  darzu 
nehmen  und  sollen  des  macht  haben  gutlichen  oder  rechtlichen 
zu  entscheiden.  Auch  soll  ein  jeglich  burgman  der  gesessen  isl 
unserm  knecht  und  magdl  geben  zwischen  S.  Michelstage  und 
S.  MerLenstage  alle  jerlichen  zwo  mesten  korns  und  wer  das  nil 
thete,  den  sollen  die  bauwmeister  pfenden  vor  daz  körn,  und 
wer  sein  pfandl  wehrete,  der  soll  es  verbüßen  mii  eim  gülden. 
Bienge  auch  ein  bauwmeister  ab  von  todts  wegen,  das  gotl  friste, 
so  soll  der  ander  bauwmeister  nach  unser  aller  rath  einen  andern 
bauwmeister  kueßen  oder  nach  reih  der  meinsten  menge  binnen10 
den  nechsten  viertzehen   tauen,  und   darwider  soll   sich   niemand 

7  „mit".   —  8  ..stechen".    —  9  „gesagt".    —  10    „l'iimeii-. 


250  Gustav  Frlir.  Schenk  zu  Schweinsberg'. 

setzen,  Audi  sollen  wir  keinerley  zweygunge  mit  worten  oder 
mit  wercken  in  unserm  hauße  unter  ein  haben,  von  was  Sachen 
das  queme,  und  soll  unser  keiner  auch  den  andern  keinerley 
schuld  in  unserm  hauße  fordern,  wer  das  breche  und  nicht  heltt, 
der  soll  aus  dem  landt11  als  ferne  ryden  und  bleiben  als  die 
bauwmeister  und  wen  sie  unter  uns  zu  ihn  nehmen  sprechen, 
das  er  thun  solle-  ohn  geverdte.  Welche  zeit  auch  unser  bauw- 
meister uns  verbotten  in  unser  haus  umb  unser  noth,  da  sollen 
wir  alle  hinkommen  ohne  gefehrdte,  und  wer  daz  nit  thete,  der 
soll  das  verbüßen  mit  einem  Engeischen,  als  dick  des  noth  ge- 
schieht. Alle  diße  vorgeschriebene  stuck  und  artikul  und  ein 
ieglichen  besonder  haben  wir  gelobt  und  geloben  in  handt  in 
guten  treuen  ahn  aydtstadt  stett  und  veste  zue  halten  ohn  alle 
gefehrdte  und  arge  liste.  Und  des  zu  uhrkundt  und  vestigkeyt 
haben  wir  die  burgmannen  die  in  unser  eynung  sind  alle  mit 
ein  gebeten  die  strengen  herrn  (.'rafften  von  Rodenhausen,  herrn 
Cunen  von  Dernbach,  herrn  Heinrich  vjon  Schwalbach,  herrn  Ger- 
nanden von  Bußecke,  rittere,  das  sie  ihr  eigen  insiegel  vor  uns 
und  unsere  erben  und  vor  sich  selber  umb  unser  bitt  willen  an 
dießen  brieff  gehangen,  des  wir  die  vorbenanten  uns  bekennen. 
Datum  anno  domini  millesimo  trecentesimo  octuagesimo  oetavo, 
in  crastino  Pelri  apostoli  ad  vineula. 

3.  Verzeichnis  des  1435  abgelieferten  Inventars  und  Vorrats 

in  der  Burg  zu  Gießen. 

Anno  domini   m°  cccc  xxxv  sabbato  post  festum  beati  Martini 
sunt  scripta  sub  sequentia. 

Item  hain  ich   Heynrich   Sneydeler   myme   gnedigen   herren 
viiandeleg(et)  in  syme  huse  czun  (iießen  czum  irsten: 

Item  350  maldir  gedroschens   kornß   uff   den   leben   in  dem 
huse  czun   (iießen   und   2OV2   maldir   korneß.  Item  80  maldir 

gedroschener   habern    und    2^  2    maldir.  Item   8V2    maldir   ge- 

droschener erwiß.  Item   3    maldir   unde    4   niesten   oleyß.   — 

Hein  1 1  •>  maldir  unde  5  niesten  robesamenß.  -  ■  Item  80  maldir 
kornes  in  der  schuwern  in  dem  stroe  alz  daz  myns  gnedigen 
herren  hoffemeynsler  unde  sin  gesworn  gesynde  geacht(el)  haint 
dy    <'s    myl    der    band    dar    in    gelegt    hain.  Item    85    maldir 

häbern   auch   in   der  schuwern   in   dorn   stroe  alz  daz  myns  vor- 
ge(nanten)  gnedigen  herren  gesynde  auch  geachtet  haint.  -     Item 
10   maldir   gersten    in    dem   stroe    in   der   schuwern   als    das    dy 
egnant(en)    myns    gnedigen    herren    knechte    geacht(et)    hain. 
[tem  1  vierne  male/,  czu  eyme  gebruwe  unde  hoppen  dar  czu.  - 
Hein  L2  maldir  meles  uff  der  loyben  alz  daz  myns  gnedigen  herren 
hoffemeynster  geacht(et)  hail.  -      Hein  in  unßers  herren  forwergk 
23  melkekuwe.        [tem  20  steer  unde  kelbere.  -  -  Item  73  swyne 
groeß  unde  cleyne.         Item  9   phaelepherde  unde  1  jungfoln.  - 
H-'iii    I  folnhengist  unde  1   mudirchen. 13  -     Hein  85  schefen  kese. 
[tem  .'')2(i  kese  alz  man  plegei  zeun  Gyeßen  machen.  -      [tem 

"  „der  handt".    —  12  „den". 

1:    L437  war  der  Viehbestand:  21    küwe  (16  melke),  91   swine  (16  uf 
dem  koben  zu  mesten),  318  schaffe. 


Alt-Gießen.  251 

80  quart.  botern.'  Item  1  donne  smalczes.  —  Item  150  syten 
fleysch  unde  25  syten.  •  Item  7  kuwe  dorres  fleyschis.  -  Item 
17  kuwe  in  dem  salcze.  -  •  Item1  1  firtel  schale  in  dem  salcze.  - 
Dem  8  fudir  Ijeers.  —  Item  I1/2  fudir  dunbeers.  —  Item  7  kessel 
groeß  unde  kleyn.  -  Item  9  phanne  groeß  unde  cleyn.  •  Item 
6  eren  doppen  groeß  unde  kleyn.  -  •  Item  8  ysern  kochleffel.  — 
Item  9  ysern  unedeckel(!)  Item  2  haeln.  Item  1   dyegel. 

—  Item  4  hackemeßer  unde  1  schabe.  —  Item  8  beslahen  eymer. 

—  Item   1    senffmolen.  Item   2   eßigkruge   unde   eyn   veßchin 
vol  eßiges.  -  -  Item  1  braetspiß.  —  Item  lmorßer  unde  1  stoeßel.  - 
Item  2  ii'enße  panne.       ■  Item  2  roeste.  -   -  Ilem  in  dem  bruhuse 

1  brüphanne.  —  Item  2  koppern  schufen.         Item  1  sodekessel. 

—  Item  200  hemel  unde  3  hemel  in  dem  salcze.  Item  eyn 
brügeczauwe    von    bodden.  Item    4    achtel    salczes.  Item 

2  czyntener  unßlydd(es).  -  Item  50  phund  wachses  alz  daz  der 
hoffemeynster  unde  Henne  Ychel  geacht(et)  hain.  -  -  Item  3  hand- 
vaß.  —  Item  3  erenbecken.  Item  4  erenluchter.  —  Item 
6    armbrost.           Item    1    wynde.  Item    2    sptingurtel    unde 

3  hocken.  Item  5  banckducher.  Item  9  sthlekußen.  — 
Ilem  3  phund  «iarneß  czu  dyeschtuchern.  -  ■  Item  myns  gnedigen 
herren  bette  in  syner  kammern.  Item  1  heubtpöl.  Item 
1  ruwedecke.  Item  1  schärduch.  Item  4  bette  in  des 
schribers  kammern.  -  -  Item  3  heubtpole.  —  Item  7  par  lylachen 
in  der  burgk.          Item   1   bette   der   kelnirßen   unde   1   heubtpöl. 

Item   uff   dem   kellir    1    bette   unde    1    heubtpöl.  Item   dy 

eckirknechte  2  bette  unde  2  pare  lylachen.  •  ■  Item  den  meyden 
1  bette  unde  1  heubtpoel  eyn  decken  unde  1  par  lylachen.  — 
Item  der  hofemeynster  1  bette,  1  heubtpöl,  eyn  betteduch  unde 
1  lylachen.  -  -  Item  des  foydiß  junge  eyn  bette,  eyn  decke  unde 
1   lylachen.   —   Item   2   betteduchir.  Item   Claeß   der   almüser 

1  lylachen.  -  -  Ilem  1  rnwedecken  uff  des  schrybers  bette.  -  Item 
10  küßen  uff  den  betten  in  der  burgk.  Item   10  drelich  dys- 

lachen.  -  -  Item  eyn  gude  lange  drelichs  handtwele  myns  gnedigen 
herren.  Item    anderwerbe    5    kleyne    drelich    handtwelen. 

Item  4  brotducher   den   knechten.  Item  eyn   wenig   fläßes   in 

mviies  gnedigen  herren  kysten.  -  -  Item  3  kluwen  garneß.  -  -  Item 

1  donne  myt  feederm  Item  4  hantbößen.  Item  eyn  halbe 
donne  mvl  pylen.  —  Item  5  nuwe  boßen  dy  myn  gnediger  herre 
geyn  Gießen  hau  gesand  kleyne  unde  groeß.  Item  b'  hindir- 
stoii'ko  an  dy  hoeßen.  Item  eyn  bößen  dy  man  nennyl.  den 
radenhud.  -  Item  Hi  fudirge  vaß.  ■  ■  Item  1  halbfudirg  väß. 
Item  4  kappftßbüdden.  Hein  13  secke  hose  unde  gud. 
Mein  5  mesten.          Item    12  gude  ulen   myl   suermylch.  Item 

2  beslehen  weyne   in   myns  gnedigen    herren    forwlergk.  Item 

1  plugk   unde   3  cyden.14  Hein   4   czenen   schußein.  Hein 

2  halbfirtels  Qeschin.         Item    1    qua r  1    Qesch.         Item    1    firmaß 

Qesch.    -    -    Hein     1    ecke!.).  Item     1    hauw  c^a  belli.  Mein    .")    misl- 

gabelu.  ■ — 

Original   im   GrolJh.    Haus-   11.   Staatsarchiv   zu    Darmstadt,    Domanial- 
gebäude,  Gießen. 


14 


Oh  statt   cydern  =  zetter  (Vordeichsel)? 


Anhang. 

Giessa  Hassorum, 
eine  in  Kupfer  gestochene  Ansicht  der  Stadt  aus 

dem  Jahre  1612. 

H.  v.  Ritgen  hat  in  seinem  Aufsatze:  „Die  erste  Anlage 
Gießens  und  "seiner  Befestigungen"  die  ihm  bekannt  ge- 
wordenen Abbildungen  der  Festungswerke  von  Gießen  auf- 
gezählt.1 Im  Jahre  1887  erwarb  das  Großherzogliche  Haus- 
und Staatsarchiv  aus  einer  aufgelösten  Darmstädter  Privat- 
sammlung einen  bis  dahin  unbekannten  Kupferstich,  der 
Gießen  von  Südost  her  darstellt,  Wie  mangelhaft  er  vom 
künstlerischen  Standpunkt  aus  sein  mag,  so  gibt  er  doch  ein 
deutliches  Bild  der  Festungswerke  und  der  Hauptgebäude 
der  Stadt,  so  daß  er  neben  der  trefflichen  Federzeichnung 
\V.  Dilichs  aus  1591  einen  bescheidenen  Platz  finden  mag. 
Das  Original  mißt  in  der  Breite  32,5  cm,  in  der  Höhe  fast 
18   cm;    nebenstehend    ist    es    verkleinert    wiedergegeben. 

Auf  dem  breiten,  unteren  Rande  sind  zwei  dichterische 
Erzeugnisse  zum  Lobe  Gießens  gedruckt.  Das  in  lateinischer 
Sprache  hat  den  Professor  der  Dichtkunst  und  Historie, 
auch  Universitätsbibliothekar,  Konrad  Bachmann  zum  Ver- 
fasser; der  des  deutschen  zog  es  vor,  seinen  Namen  zu  ver- 
schweigen. Dann  folgt  eine  Erklärung  der  dem  Stiche 
beigefügten  Buchstaben.  Das  Stück  ist  nebenbei  ein  alter 
datierter  Druck  Chemlins2,  der  es  für  die  Besucher  der 
neuen  Universität  hergestellt  haben  wird.  Es  macht  fast 
t\cn   Eindruck   einer    Reklame. 

Sic  facies  GrIESSAE  eil,  quam  foi'sä  atque  aggere  valli 
Cinxit    Amor    Patriae,    Magne    Philippe,   luus. 

Hoc  vallum,  lianc  Eqffam   polt   Caefaris  ira  diremit, 
licl'tiliiil    Fdei3    teil    Ludovicus    honor. 


1  Vierter  Jahresbericht  des  Oberhessischen  Vereins  f.  Lokalgeschichte, 
(ließen    INNO,   S.  57 f. 

2  Er  war  der  Zweitälteste  Gießener  Buchdrucker.  Vergl.  Könnecke,  Hess. 
Buchdruckerbuch,  Marburg  1894,  S.  243,  und  Buchner,  Die  Anfänge  des 
Buchdrucks  ...  in  Gießen,  Mitteil.  d.  Oberhess.  Gesch. -Vor.,  N.  F.,  V, 
S.  34;   \  I.  S.    L61  IT.  —  -;  So  für  Eidei. 


Anhang. 


253 


i>54  Anhang. 

Inipofuitque  domum  Marti  et  belli   ui'ibus   aptam, 

Fecit  et  annona  divite  fubüdium. 
Nunc   Utriusque   Nepos    animam   infpiravit,   et   urbem  ■ 

Eduxit  Coelo,  fideribusque  locat, 
Caefaris  indultu  quando  huc   Academica  jura 

Tranftulit ;   hinc   Patruo   Major   Avoque   cluet. 

Conradus  Bachmannus  Profe/fbr. 

GIESSEN  die  Statt  in  Heffenland 

Nun   mehr   in   aller   Welt   bekand / 
Von  Sud-Ost  her  fo  wird  gelehn  / 

Wie  fie  thut  liier  vor  Augen  ftehn  / 
Philips   Lantgraff  das   Fürstlich  Blut 

Dem   gantzen   Vatterland    zugut 
Die    Fei'tung  /  Burg  /  und    gantze    Stall 

Mit  Wehr  und  Wall  umbgeben  hat : 
Die  doch  hernach   durchs   Keyfers   Zorn 

Zeri'chleifft  /  zerbrochen  /  und  verlorn : 
Biß   das   Ludwig   der   gütig   Helt 

Sie  widerumb  zu  recht  geftellt/ 
Verheuert  hat  Paftei  und  Wall 

Dem  gantzen  Land    zu   wolgefaln. 
Das  Zeughauß  auffgebawet  schon  / 

Daffelbig  mit  Munition 
Gar  wol   verteilen  und  Gefchütz  / 

Und  was  zu  Krieges  Brauch  ift  Nütz. 
Letzlich  aber  Ludwig  der  frumb 

Als   in   fein   erblichs    Eigenthumb 
Ein  hohe  Schul   gerichtet  an  / 

Wie   das    bekannd    ift   Jederman  / 
Dadurch  ihr  Lob  /  Ruhm  /  Preiß  und  Ehr 

Von  Tag  zu  Tag  wechft  mehr  und  mehr  / 
Gott   wol    hinforl    diefelbig  Schul/ 

Widern  Teuffei  und   hellfchen  Pfuel 
Gnädig  befchützen  immerdar/ 

Behüten   auch  für  falfcher  Lahr 

und  uns  erretten  auß  Gefahr. 

Bedeutung  der  Buchstaben  im  Abriß:  a  Bedeul  die  Kirch  /  b  tlio 
Üniversitet  und  neu  Fürstlich  Collegium.  c.  .Das  Zeughauß.  d.  Die  Altaun 
deß  Himmelslauff  zu  observiem.  e.  Das  Ampthaüß.  f.  Das  Rahthauß. 
g.   Die  viel-  Pforten. 

Gedruckt  zu  Gieffen/durch  Cafpar  Chemiein.     1612. 

Auf  dein  Stiche  ist  das  Neuweger  Tor,  dem  das  bei 
Dilieh  erscheinende  Vorwerk  fehlt,  mit  dem  prosaischen 
Namen  „Kuhthor"  bezeichnet,  der  im  Volksmimde  noch  im 
Anfange  des  neunzehnten  Jahrhunderts  gebräuchlich  ge- 
wesen sein  soll. 


VIT. 

Neue  Beiträge  zur  Geschichte 

von  Johann  Balthasar  Schuppius  in  der  zweiten 

Periode  seiner  Marburger  Professorentätigkeit 

(1639  — 1646). 

Von  Wilhelm  Diehl. 


Unter  den  Professoren  der  hessen  -  darmstädlisrhcn 
Landesuniversität  zu  Marburg  hat  keiner  das  Glück  gehabt, 
derartig  oft  nach  allen  Seiten  seines  Wesens  in  Mono 
graphien  dargestellt  zu  werden  wie  Johann  Balthasar 
Schuppius.  Trotzdem  gibt  es  in  der  Lebensgeschichte  des 
Mannes,  vor  allem  in  den  hessischen  Perioden  seines  Lebens, 
immer  noch  rech!  viel  zu  entdecken.  Das  sehen  wir  z.  B. 
an  den  beiden  jüngsten  Arbeiten  von  Fiessen-Darmstädtern, 
die  sieb  mit  Schuppius  beschäftigen:  der  Ausgabe  von  Joh. 
Baltbasar  Schupps  Briefwechsel  mil  dem  Landgrafen  Johann 
von  Hessen,  die  Nebel  1890  in  den  Mitteilungen  des  Ober- 
bessischen Geschichtsvereins,  Bd.  II,  S.  4!) IT.,  veranstalte! 
hat,  iiml  der  vor  kurzem  in  den  „Beiträge  zur  hessischen 
Schul-  und  Universitätsgeschichte",  Bd.  I,  S.  L69  IT.,  abge- 
druckten Aibeil  \V.  M.  Beckers  „Aus  Johann  Balthasar 
Schupps   Marburger   Tagen",   die   eine   Anzahl    von    Briefen 


256  Wilhelm  Diehl. 

Schupps  an  den  Ulmer  Superintendenten  Dieterich  mitteilt 
Beide  Arbeiten  bringen  nicht  nur  eine  Fülle  neuen,  bisher 
unbekannten  und  unbenutzten  Materials  hei,  sie  rücken  auch 
das  Wirken  des  Mannes  unter  ganz  neue  Gesichtspunkte  und 
lassen  manches,  was  man  bisher  nicht  oder  nicht  recht  ver- 
stand, in  einem  neuen   Lichte  erscheinen. 

Nachfolgende  Arbeit  soll  eine  Ergänzung  zu  den  Bei- 
trägen von  Nebel  und  Becker  bilden.  Sie  bezieht  sich  auf 
die  Zeit,  die  zwischen  den  von  beiden  Forschern  behandelten 
Perioden  liegt.  Sie  hebt  mit  dem  Zeitpunkt  an,  wo  der  von 
Becker  herausgegebene  Briefwechsel  Schupps  mit  Konrad 
Dieterich  durch  Dieterichs  im  März  1639  erfolgten  Tod  einen 
jähen  Abbruch  fand  und  erstreckt  sich  bis  zum  Anfang  von 
Schupps  Braubacher  Zeit,  von  der  Nebels  Studie  ihren  Aus- 
gangspunkt nimmt.  In  den  acht  Jahren,  welche  zwischen 
den  beiden  Endpunkten  1639  und  1646  liegen,  sind  für 
Schupps  Leben  drei  Ereignisse  besonders  wichtig  geworden: 
1.  der  Auftrag,  den  ihm  der  Landgraf  Georg  IL  im  Jahre 
1639  zur  Ausarbeitung  einer  Geschichte  Ludwigs  V.  und 
Georgs  IL  bis  zur  Gegenwart  gab,  2.  Schupps  Prorektorat 
im  Jahre  1643  und  3.  die  finanzielle  Not,  in  die  Schupp 
1644  kam,  die  1645  gegen  ihn  geführte  Disziplinarunter- 
suchung und  die  damit  zusammenhängenden  Bestrebungen, 
von  Marburg  wegzukommen.  Die  drei  Ereignisse  stehen  in 
einem  gewissen  Zusammenhang.  Die  beiden  letzten  sind 
die  Ursache  dafür  geworden,  daß  aus  dem  ersten  und  damit 
Schupps  Opus  historicum  nichts  ward.  Hieraus  ergibt  sich 
die   Einteilung   der  nachfolgenden   Studie. 

Das  Material,  das  zu  der  nachfolgenden  Arbeit,  benutzt 
ist,  und  bei  dessen  Sammlung  ich  in  weitgehendem  Maße  von 
Herrn  Staatsarchivar  Dr.  Dieterich  unterstützt  wurde,  ist 
zum  Teil  bereits  früher  von  Forschern  auszugsweise  be- 
nutzt  worden,  zum  Teil  war  es  bisher  unbekannt.  Es  enl- 
stanini!  drei  Fundorten,  dem  Haus-  und  Staatsarchiv  in 
Darmstadt,  der  Registratur  des  Ministeriums  des  Innern  in 
Dannstadt  und  dem  Universitätsarchiv  in  Gießen.  Ganz  un- 
liek.imil  waren  bisher  die  aus  der  Ministerialregistratur 
stammenden  Akten  über  Schupps  Prorektorat  (Faszikel 
,, Rektorwahlen")  sowie  die  aus  den  Gießener  Akten  mit- 
geteilt en  Berichte,  die  sich  auf  Schupps  Professorentätigkeit 
und  seine  Anteilnahme  an  der  Verteidigung  von  Marburg 
beziehen.  Teilweise  benutzt  waren  die  Dannstädter  Archiv- 
akten, die  von  der  Beauftragung  Schupps  mit  der  Aus- 
arbeitung eines  Opus  historicum  hassiacum  handeln,  sowie 
diejenigen,     welche    den    Briefwechsel    Schupps   mit   Maxi- 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  257 

miliar]  zum  Jungen  darbieten.  Notizen  und  Auszüge  aus 
ihnen  haben  Wenck  in  seiner  hessischen  Landesgeschichte 
und  Henke  in  der  Zeitschrift  für  historische  Theologie  (1866) 
dargeboten. 

I.  Wolff  von  Totenwarts  Plan  zu  einer  hessischen  Chronik 

und  das  Projekt  der  Ausarbeitung  einer  Geschichte  Lud wigsV. 

und  Georgs  IL  durch  Schuppius. 

Im  Jahre  1639  tauchte  einmal  wieder  das  schon  mehr- 
mals in  Angriff  genommene,  aber  bisher  noch  niemals  durch- 
geführte Projekt  auf,  zur  „höheren  Ehre  des  hessischen 
Regentenhauses"  eine  hessische  Chronika  bearbeiten  zu 
lassen  und  herauszugeben.  Die  Veranlassung  hierzu  bot 
der  damals  in  Hessen  hochangesehene,  bei  Georg  IL  „in 
besonderen  Gnaden"  stehende  Kanzler  Anton  Wolff  von 
Totenwart,  der  seit  1626  auf  die  Notwendigkeit  der  Heraus- 
gabe eines  solchen  Opus  historicum  hingewiesen  und  es 
zum  Beispiel  auch  fertig  gebracht  hatte,  daß  sein  Freund 
Melchior  Goldast  im  Anfang  der  dreißiger  Jahre  den  Auf- 
trag zur  Bearbeitung  einer  Chronica  hassiaca  erhalten  hatte, 
deren  Vollendung  und  Drucklegung  leider  durch  Goldasts 
Tod  vereitelt  worden  war.  Wolff  von  Totenwart  richtete 
am  19.  März  1639  zwei  und  am  3.  April  1639  ein  drittes 
Schreiben  an  Landgraf  Georg  IL,  in  denen  er  seinen  Plan 
ausführlich  darlegte  und  eingehend  begründete.  Wir  bringen 
diese  drei  Berichte  unten  zum  Abdruck  (Beilage  I).  Nach 
ihnen  sollte  das  von  Totenwart  geplante  Werk  die  ganze 
hessische  Geschichte  in  Vergangenheit  und  Gegenwart  be- 
treffen  und  zu  ihr  die  wichtigsten  Quellenstücke  und  Ma- 
terialien, teils  im  Wortlaut,  teils  im  Auszug  darbieten.  Es 
sollten  diese  Mitteilungen  gleichsam  ein  „Opus  Barilalum 
Hassiacarum"  bilden  und  die  Tendenz  verfolgen,  des  „uhr- 
alten fürstlichen  hessischen  Hauses  Gloria"  so  zu  verherr- 
lichen, wie  diese  es  verdiente.  Dabei  sollte  es  die  Gegen 
wart,  ebenso  berücksichtigen  wie  die  Vergangenheit;  so 
sollten  zum  Beispiel  in  ihm  die  „Schwedische  und  llüssels- 
heimische  Sach"  und  die  I  niversilülsstaluten  ebenso  ge- 
wissenhaft behandelt  werden,  wie  beachtenswert''  Kund- 
gebungen Ludwigs   V.   und  aller  seiner  Vorgänger. 

Außer  diesen  Nachrichten   über  die  Anlage  des  ganzen 
Werkes   bekommen    wir  aus   den   drei  Berichten    noch    Mit- 
teilungen  über   die   Persönlichkeiten,   die    bei   der   Heraus 
gäbe  beteiligt  sein  sollten.    Einen   bedeutenden    Einfluß  auf 
das  Werk  wahrte  sich  der  Kanzler  selbst,   und    zwar  da- 

Heitriifre  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  l" 


258  Wilhelm  Dielil. 

durch,  daß  er  die  Materialsammlungen,  die  er  sich  seit 
Jahren  hergestellt  hatte,  zur  Grundlage  des  Werkes  machte. 
Außer  ihm  sollten  an  dem  Werk  noch  zwei  Personen  in 
besonderem  Maße  arbeiten:  Professor  Konrad  Bachmann, 
dem  der  Kanzler  die  Rolle  eines  Vervollständigers  und  Re- 
daktors seiner  Sammlungen  zugedacht  hatte,  und  der  Ober- 
archivarius  Tülsner,  der  die  Oberleitung  über  den  Druck 
haben  sollte. 

Aus  dem  in  den  drei  Berichten  entwickelten  Plan  des 
Kanzlers  ward  nichts.  Als  er  im  Jahr  1G39  in  Ungnade  fiel, 
fiel  mit  ihm  auch  das  eigenartige  Projekt,  zu  dessen  Her- 
stellung er  so  dringlich  geraten  hatte.  Totenwart  trug  dazu 
selbst  ein  Wesentliches  bei.  Er  vernichtete  im  Zorn  über 
seine  Entlassung  seine  ganze  Materialsammlung1  und  machte 
es  dadurch  unmöglich,  daß  man  bei  der  Absicht  beharren 
konnte,  möglichst  bald  eine  die  gesamte  hessische  Ge- 
schichte umfassende  Chronika  zu  schaffen.  Wollte  man  mög- 
liehst  bald  ein  Opus  historicuni  hassiacum  haben,  so  mußte 
man  nunmehr  sich  dazu  bequemen,  nur  diejenige  Zeit  zu 
behandeln,  für  die  das  von  Totenwart  gesammelte  und  dann 
vernichtete  Material  am  ehesten  wieder  herbeigeschafft 
werden  konnte :  also  die  Zeit  der  letzten  Jahrzehnte.  Man  tat 
dies  auch.  In  den  Berichten,  die  von  der  Weiterführung  des 
Totenwartschen  Projekts  handeln,  ist  stets  nur  die  Rede  von 
einer  Geschichte  der  letzten  zehn  Jahre  des  1626  verstorbenen 
Landgrafen  Ludwig  V.  sowie  der  Regierung  des  derzeitigen 
Landgrafen  Georg  II.  Aus  dem  Opus  Raritatum  Hassiaca- 
rum,  das  alle  Perioden  der  hessischen  Vorzeit  durch  Dar- 
bietung bedeutsamer  Aktenstücke  behandeln  sollte,  ward  ein 
mehr  darstellendes  Werk  über  die  24  letzten  Jahre  hessischer 
Geschichte.  Wie  ein  unseren  Akten  beiliegendes  Blatt  aus 
dem  Jahre  1640  beweist,  sollte  dies  neue  Opus  historicum  den 
Titel  tragen  :  ,,Vitae  Ludovici  fidelis  et  Georgii  Pacifici  Hassiae 
Landgraviorum,  ubi  quasi  in  Theatro,  figuris  aeneis  ingenio 
sissima  manu  Matth.  Meriani  sculptis,  ob  oculum  ponuntur, 
et  simul  per  digressionem  repraesentantur,  et  fide  historica 
recensentur  Res,  in  S.  R.  Imperio  publice  gestae,  ab  Anno 
CIO  IOC  XVII.  usque  ad  antnim  MDCXL."  Was  in  dieses  Buch 
alles  Aufnahme  finden  sollte,  wird  uns  annähernd  klar,  wenn 
wir  das  Aktenstück  betrachten,  das  wir  unter  No.  III  zum  Ab- 

1  Auf  den  Bericht  Totenwarts  vom  19.  März  1639  hat  eine  Hand  aus 
Georgs  II.  Zeit  geschrieben:  „ Diese  herrliche  Gollectanea  hat  der  hoch- 
qualificirte  Herr  St. 'Uli alter  Wolf  von  Todemvart  bey  seiner  Widrigkeit  und 
Verfolgung  verbrennet  und  gesagt:  Es  were  das  Hauss  Hessen  der  gleichen 
hochschätzbaren  Schatzes  nichl  würdig,  uti  audivi  ex  ore  Dn.  filii  Consi- 
liarii  Aulici   Caesarei". 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps. 


259 


druck  bringen.-  Es  ist  ein  Entwurf  zu  dem  von  Georg  II. 
handelnden  zweiten  Hauptteil  des  geplanten  Werkes,  her- 
gestellt von  einem  Mitglied  des  Geheimen  Rates. 

Wie  man  hinsichtlich  des  Inhaltes  des  zu  schaffenden 
Geschichtswerkes  eine  Änderung  eintreten  ließ,  machte  man 


''s  auch  mit  der  Person  des  Bearbeiters.  Der  von  Totenwarl 
als  Redaktor  vorgeschlagene  Professor  Bachmann  wurde  bei- 
seite geschoben  und  für  ihn  der  damalige  Professor  der  Elo- 
quenz und  Historie  Johann  Balthasar  Schuppius  mit  der 
Ausarbeitung  des  Opus  historicum  betraut.  Es  lag  dies 
übrigens  auch  viel  näher.  Schupp  war  zur  Zeit  der  einzig«' 
Vertreter    des    Faches    der    Geschichte    an    der   Universität, 

17* 


260  Wilhelm  Diehl. 

während  Bachmann  zwar  vor  einer  Reihe  von  Jahren  auch 
einmal  Professor  der  Historie  gewesen  war,  1618  sogar  eine 
Übersetzung  von  Christoph  Helwigs  „Chronologia  univer- 
salis" hatte  erscheinen  lassen,  aber  seit  Jahren  sich  aller 
Publikationen  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte  enthalten  hatte. 
Dazu  kommt,  daß  Schuppius  in  den  letzten  Jahren  deutlich 
gezeigt  hatte,  daß  er  der  Pflege  der  Historie  im  Sinne  seines 
verstorbenen  Schwiegervaters  Christoph  Helwig  sein  ganzes 
wissenschaftliches  Können  zu  widmen  bereit  war.  Nachdem 
er  1635  seine  Lehrtätigkeit  mit  einer  —  nach  unseren  Be- 
griffen allerdings  eines  Geschichtsprofessors  wenig  würdigen 
-  dem  Kanzler  Totenwart  gewidmeten  Oratio  solemnis.  be- 
titelt: „Series  chronologica  imperatorum  in  Monar- 
chia  Romana"  (einer  Zeittafel  von  Julius  Cäsar  bis  Kaiser 
Ferdinand  II.)  eröffnet  hatte,  hatte  er  Christoph  Helwigs 
„Theatrum  historicum  et  chronologicum,"  sowie 
dessen  „Chronologia  universalis,"  ersteres  mit  reichen 
Zusätzen,  neu  herausgegeben  und  außerdem  zwei  weitere 
historische  Arbeiten,  seinen  „Deucalion  cristianus  seu 
de  vero  natali  Jesu  Christi  controversia  theologica" 
und  seinen  „Hercules  togatus  seu  de  illustrissimo 
Georgio  II.  Cattorum  Landgravio"  geschrieben.  Welche 
Mühe  er  sich  gab,  auch  die  Studentenschaft  für  das  Ge- 
schichtsstudium zu  interessieren,  beweist  ein  unter  No.  II  ab 
gedruckter  Anschlag  am  schwarzen  Brett,  mit  dem  er  zu 
einer  Oration  eines  seiner  Schüler  einlud.  Er  redet  darin  von 
der  Wichtigkeit  der  Geschichtsforschung  in  hohen  Tönen. 
Jedenfalls  war  Schupp  als  Historiker  dem  alten  Bachmann 
überlegen.  Der  Landgraf  trug  ihm  aus  diesem  Grund  auch 
gleichzeitig  die  Ausarbeitung  des  Panegyrikus  auf  den  ver- 
storbenen Landgrafen  Friedrich,  dessen  Herausgabe  Toten- 
wart ebenfalls  als  notwendig  bezeichnet  hatte,  auf.  Schupp 
ließ  ihn  1642  unter  dem  Titel  „Oratio  de  familia,  vita  et 
obitu  Friederici  Hassiae  Landgravii"  erscheinen. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergibt  sich,  was  man  von  den 
über  Bachmanns  Stellung  in  der  Reihe  der  offiziellen 
hessischen  Chronikenschreiber  verbreiteten  Ansichten  zu 
halfen  hat.  Bachmann  wurde  weder  vor  noch  mit  Schupp 
zur  Ausarbeitung  einer  hessischen  Chronica  herangezogen. 
Auch  wissen  die  Akten  nichts  davon,  daß  er  in  Ungnade  tiel. 
Endlich  ist  es  falsch,  wenn  man  mit,  Bischoff  behauptet, 
Schupp  sei  in  die  Arbeit  nach  Bachmanns  Tod  eingetreten. 
Bachmann,  der  nie  den  Auftrag  zur  Ausarbeitung  des  Opus 
historicum  erhalten  hatte,  freute  sich  noch  sechs  Jahre  nach 
der  Übertragung  der  Chronikbearbeitung  auf  seinen  Schüler 
und  Kollegen  Schupp  des  Lebens. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  "261 

Unter  welchem  Datum  Schuppius  mit  der  Ausarbei- 
tung dieses  Werkes  beauftragt  wurde,  ist  zur  Zeit  aus 
den  vorliegenden  Akten  nicht  zu  ersehen.  Doch  scheint 
es  sicher,  daß  er  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres 
1639  angewiesen  wurde,  sich  an  die  Bearbeitung  eines 
Planes  für  die  „Vitae  Ludovici  fidelis  et  Georgii  paci- 
fici"  zu  machen,  und  daß  man  ihm  schon  damals  „zu 
dissem  Behuff.  Herrn  Goldasti  arbeit  communicirte."  Be- 
reits am  4.  März  1640  erging  eine  Verfügung  von  Seiten  der 
hessischen  Räte  Dieterich  Barthold  von  Pleß  und  Philipp 
Ludwig  Fabricius  an  Schuppius,  die  im  Hinblick  darauf,  daß 
der  Landgraf  „gern  den  anfang  solches  Wercks  haben 
möchte",  den  Wunsch  aussprach,  Schupp  möge  doch  „soviel 
nach  ietziger  betrüblicher  Bewandtnus  der  Leuffte  geschehen 
mag,  nochmahls  seine  Gedancken  auf  das  Werck  schlagen; 
er  halte  sich  gewiß  zu  versichern,  da  Er  in  solcher  ihme  auf- 
getragenen arbeit  deme  von  Ihrer  F.  Gn.  auf  ihne  gestellten 
guthen  Vertrawen  nach  fleißig  fortsetzen  würd,  daß  Seine 
F.  Gn.  solches  mit  würcklichem  gnedigen  Danck  gegen  ihn 
zu  erkennen  ohnvergessen  bleiben  werden".  Zugleich 
wurden  Schupp  zwei  kleinere  neue  Aufträge  gegeben.  Er 
sollte  „den  ihm  übersandten,  zwischen  den  beeden  fürstlichen 
Linien  Cassel  und  Darmstatt  aufgerichteten  Haubtaccord,  wie 
auch  die  darüber  vorhandene  Kayserliche  Confirmation  in 
einem  feinen  zirlichen  Stylo  lateinisch,  je  eher,  je  besser 
vertiren".  Ferner  wurde  er  damit  betraut,  eine  Apologie, 
die  Landgraf  Georg  auf  ein  „an  eine  vornehme  bekandte 
Person  abgelassenes  Schreiben  des  Schwedischen  Hofcantz- 
lars  und  Legatus  in  Teutschland  Herrn  Salvius"  durch 
Professor  Schütz  hatte  abfassen  lassen,  „in  höchster  ge- 
haime"  und  „sobald  immer  müglich,  etwas  kürtzer  und  klärer 
zu  stylisiren",  damit  sie  in  einer  etwas  „weniger  weit  lau  IT 
tigen"  Form  an  ihre  Adresse  befördert  werden  könne. 

Wenn  die  Geheimen  Räte  gehofft  hatten,  daß  Schuppius 
bereits  mitten  in  der  Arbeil  für  die  „Vitae"  wäre,  so  hatten 
sie  sich  getäuscht.  Schuppius  berichtete  am  7.  März  1640 
in  einem  Schreiben,  das  wir  unten  (Beilage  IV)  mitteilen, 
daß  er  vor  Berufsgeschälten  und  anderen  wissenschaftlichen 
Aufträgen  noch  nicht  recht  an  das  neue  Werk  gekommen 
sei;  er  hat  zugleich  um  Fntschuldigung  wegen  dieser  Pro- 
ciaslination. 

Trotzdem  Schuppius  in  dem  obenerwähnten  Schreiben 
versprach,  „daß  ihm  das  bewuste  Historische  Werck  wohl 
recommendiert  bleibe",  kam  er  vor  anderen  Geschäften 
auch  im  Verlauf  des  nächsten  Jahres  nicht  dazu,  dem  Pro 


262  Wilhelm  Diehl. 

jekte  ernstlich  näher  zu  treten.  Das  erste  Schreiben,  das 
wir  über  die  Abfassung  des  Opus  historicum  aus  der  nächst- 
folgenden Zeit  besitzen,  ist  ein  vom  17.  Juni  1641  datierter 
Brief  Schupps  (Beilage  V).  Er  zeigt,  daß  Schuppius  es 
bisher  nur  zu  dem  Entwurf  „einer  disposition"  gebracht 
hat,  daß  er  aber  von  der  Absicht  erfüllt  ist,  nunmehr  das 
Werk  ernstlich  in  Angriff  zu  nehmen.  Ehe  dies  allerdings 
geschah,  hielt  er  es  für  nötig,  daß  allerlei  Vorfragen  ihrer 
Lösung  entgegengeführt  würden.  Vor  allem  wünschte  Schup- 
pius, daß  man  ihm  einen  Amanuensis,  einen  Gehülfen  seiner 
Arbeit,  beigebe,  der  ,,unice  von  ihm  dependire",  über  den 
er  Tag  und  Nacht  verfügen  und  den  er  im  Notfall  auch  ent- 
lassen könne,  ferner,  daß  man  dem  Amanuensis  und  ihm 
selber,  die  durch  ein  besonderes  .lurament  auf  die  neue 
Arbeit  zu  verpflichten  wären,  nicht  bloß  für  die  Zeit  während 
der  Bearbeitung  ein  „Recompens"  verspreche,  sondern  für 
sie  auch  eine  spätere  besondere  Belohnung  in  Aussicht 
nehme.  Für  den  Amanuensis  erbat  er  „einen  schriftlichen 
Promiß  zukünftiger  Beförderung  auf  einen  guten  ahnnehm- 
lichen  Pfarrdinst",  für  sich  aber  richtige  Auszahlung  seiner 
bisherigen  Professorenbesoldung  (hinsichtlich  deren  er  seit 
Jahren  Grund  zu  ernsten  Klagen  hatte),  außerdem  Lieferung 
von  12  Klaftern  Holz  und  ein  par  Stück  Wild  jährlich 
und  ebenfalls  eine  schriftliche  Versicherung  des  Landgrafen, 
daß  er  und  seine  Nachfolger  Schupp  und  seine  Familie 
das,  was  sein  Schwiegervater  Helvicus  und  was  Schupp 
selber  zum  Besten  des  historischen  und  oratorischen  Stu- 
diums bisher  getan  hätten,  und  was  Schupp  mit  seiner  Aus- 
arbeitung des  Opus  historicum  noch  tun  werde,  gnädig 
später  wolle   genießen  lassen. 

Auf  die  soeben  mitgeteilten  Wünsche  Schupps  ging  der 
Landgraf  ohne  weiteres  ein.  Am  6.  Juli  1641  ließ  er  ihm 
durch  ein  Schreiben  von  Philipp  Ludwig  Fabricius  kund 
tun,  daß  man  dem  Amanuensis  „52  Reichsthaler  und  etwa 
noch  eine  Discretion,  jede  Woch  nemlich  1  Reichsthalcr" 
geben  und  die  Versicherumr  tun  werde,  daß  man  ihn,  „wan 
das  Werck  fertig,  zu  einem  guten  annehmlichen  Pfarrdinst 
befördern  wolle,  seinen  Qualitäten  nach".  Ferner  erfühl 
Schupp  aus  dem  Schreiben,  daß  ihm  die  12  Klafter  Holz, 
sowie  zwei  Stück  Wild  und  eine  Wildsau  bewilligt  seien, 
daß  man  für  richtige  Bezahlung  seiner  Besoldung  sorgen 
und  ihm  unter  Hand  und  Siegel  des  Landgrafen  die  ge- 
wünschte  schriflliche  Versicherung  geben  wolle.  Zugleich 
wurde  von  Schupp  Bericht  erfordert,  „ob  der  Amanuensis 
ein  Landkind  und  woher  er  sey",  ob  die  Geldbesoldung  für 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  1263 

den  Amanuensis  genüge,  und  wie  er  etwa  denke,  daß  die 
neue  Geldquelle  für  seine  (Schupps)  Besoldung  erschlossen 
werden  könnte,  auf  die  er  in  seinem  Berichte  vom  17.  Juni 
hingewiesen  hatte. 

Ehe  diese  Verfügung,  die  vom  2.  Juli  datiert  war,  in 
Schupps  Hände  kam,  hatte  er  hereits  einen  neuen  Bericht, 
ein  Memorial,  eingereicht  (Beilage  VI),  in  dem  er  nochmals 
auf  die  Bedingungen,  unter  denen  das  Werk  begonnen  werden 
könne,  einging.  An  wen  dieses  Memorial,  das  wir  unten 
zum  Abdruck  bringen,  gerichtet  ist,  und  unter  welchem  Datum 
es  abgesandt  wurde,  wissen  wir  nicht;  doch  ist  sicher, 
daß  es  in  die  Zeit  nach  dem  17.  Juni  und  vor  Einlieferung 
der  Verfügung  vom  2.  Juli  fallen  muß.  Schupp  wiederholte 
hier  seine  Wünsche  und  erweiterte  sie  zugleich.  Er  bat 
für  den  Amanuensis  um  eine  Discretion  pro  labore,  sowie 
vier  Klafter  Holz  zur  Erwärmung  des  Losaments.  Für  sicli 
aber  bat  er  die  Gnade  aus,  daß  man  ihm  nicht  nur  sofort 
einen  Abschlag  seiner  rückständigen  Besoldung  aus  den 
Geldern  des  geistlichen  Landkastens  gebe,  sondern  der  Uni- 
versität  reskriptlich  mitteile,  „daß  Schupp  lesen  möge,  wann 
er  kann",  daß  er  also  von  seiner  Vorlesungspflicht  teilweise 
entbunden  werde.  Letztere  Notiz  ist  besonders  beachtens- 
wert, weil  Schupp  hier  diesen  Wunsch,  der  später  erfüllt 
wurde,  zum  erstenmal  aussprach.  Das  Memorial  ist  übrigens 
noch  in  anderen  Beziehungen  beachtenswert.  Schupp  läßt 
in  ihm  durchblicken,  daß  er  bereits  an  der  Arbeit  ist:  in 
Punkt  1  bittet  er  um  Akten  über  die  Erziehung,  Reisen  und 
Hochzeit  des  Landgrafen  Georg  II.  und  in  Punkt  3  drängt 
er  auf  Verpflichtung  des  Amanuensis,  damit  „er  ihm  sicher- 
lich eins  undt  anders  abzuschreiben  undt  zu  excerpiren 
abnvertrawen  dörfle".  Ferner  gibt  er  uns  in  Punkt  ö  und 
jler  Beilage  zu  diesem  Alemorial  einen  interessanten  Beitrag 
zur  Gießener  Stadtseschichte. 

Die  Antwort,  die  Schupp  auf  die  Verfügung  vom 
2.  Juli  gab,  kennen  wir  nicht.  Vielleicht  hat  er  sie 
dem  Vizekanzler,  mit  dem  er  in  der  vorliegenden  Sache 
mehrfach  persönlich  konferierte,  mündlich  gegeben.  Es 
ist  dies  um  so  bedauerlicher,  als  wir  dadurch  die  Mög- 
lichkeit  verloren  haben,  den  Namen  dos  Amanuensis,  des 
in  Aussicht  genommenen  zukünftigen  Verfassers  einer  „deut- 
schen Hessischen  Chronic",  zu  erfahren.  Wir  müssen  uns 
damit  begnügen,  festgestellt  zu  haben,  daß  es  ein  Student 
war;  die  Annahme,  Bachmann  (damals  ein  Mann  von 
69  Jahren!)  habe  Schupp  (seinem  Schüler)  als  Amanuensis 
gedient,   ist    damit  endgültig  als  irrig  erwiesen. 


264  Wilhelm  Diehl. 

Trotzdem  nach  der  Verfügung  vom  2.  Juli  nur  noch 
nebensächliche  Punkte  zu  regeln  waren,  kamen  in  den 
nächsten  Monaten  die  Verhandlungen  wegen  des  Opus 
historicum  ins  Stocken.  Schuppius,  der  um  des  über- 
nommenen Werkes  willen  seinem  Freunde  Merian  die  ver- 
sprochene Neuausgabe  der  historischen  Chronik  aufge- 
kündigt, den  Amanuensis  zum  Zweck  besserer  Bewahrung 
des  officii  t  aciturnitatis  in  sein  Haus  und  an  seinen  Tisch 
genommen  und  sich  mit  ihm  bereits  mit  Eifer  an  die  Arbeit 
gemacht  hatte,  glaubte  bereits,  dem  Landgrafen  sei  die  Sache 
wieder  leid  geworden,  er  ,,habe  etwan  seine  Resolution 
geendert".  Um  nicht  zwecklos  arbeiten  zu  müssen,  sandte 
er  gegen  Ende  September  1641  zwei  Schreiben  wegen  des 
Opus  historicum  ab;  eines,  „Memorial"  betitelt,  an  eine 
uns  unbekannte  Adresse,  das  andere  datiert  vom  27.  Sep- 
tember an  den  Vizekanzler  Fabricius  (vergl.  unten  No.  VII 
und  VIII).  In  dem  Memorial  bat  er,  daß  doch  endlich  die 
Anweisung  für  die  12  Klafter  Holz,  die  Formula  juramenti, 
der  wegen  Schupps  Vorlesungstätigkeit  an  die  Akademie 
zu  erlassende  Befehl  und  die  „Versicherungen"  für  ihn  und 
deu  Amanuensis  ausgestellt  und  übersandt  werden  möchten. 
Zugleich  erneuerte  er  die  Bitte  um  Bewilligung  von  vier 
Klaftern  Holz  für  den  Amanuensis,  bat  um  Auskunft,  über 
die  Art  der  „Edition  des  Buchs",  gab  Nachricht,  in  welcher 
Weise  er  für  einen  rechten  Fortgang  des  Werkes  und  seine 
Stellvertretung  in  seiner  Professorentätigkeit  gesorgt  habe 
oder  noch  zu  sorgen  denke,  und  fügte  zum  Schlüsse  einige 
Fragen  an  (über  die  Instrumente  Philipps  von  Butzbach  und 
die  gesetzwidrige  Arretierung  eines  Studenten  durch  ein 
kaiserliches  Kommando),  die  mit  unserer  Angelegenheit 
nichts  zu  tun  haben.  Schuppius  läßt  in  diesem  Memorial 
deutlich  erkennen,  daß  er  eine  bestimmte  Entscheidung 
darüber  wünscht,  ob  das  Werk  fortgeführt  werden  odeij 
liegen  bleiben  solle. 

Ausführlicher  und  darum  wertvoller  wie  dies  Memorial 
ist  der  Bericht,  elen  Schuppius  am  27.  September  an  den 
Vizekanzler  abgehen  ließ  (lieilage  VIII).  In  ihm  kommen 
alle  Klagen  und  Bitten,  die  Schuppius  im  Memorial  aus 
spricht,  wieder  vor.  Daneben  aber  enthält  der  Bericht  einig" 
Stücke,  die  über  das  Memorial  hinausgehen.  Schuppius 
gibt,  uns  davon  Kenntnis,  daß  auf  seine  Veranlassung  ein 
„ehrlicher  .Mann-'  bereit  sei,  ein  Stipendium  für  das  Studium 
der  Eloquenz  zu  stiften,  das  an  zukünftige  Theologen  ver- 
geben werden  solle,  und  macht  Vorschläge,  wie  man  mil 
Hülle  des  zu  diesem  Stipendium  gewidmeten  Grundkapitals 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  265 

4. 

ihn  und  vielleicht  noch  einen  zweiten  Professor  in  dieser  Not- 
zeit eine  Zeitlang  kontentieren  könne,  bis  die  Verhältnisse 
wieder  besser  würden.  Ferner  gibt  er  am  Schlüsse  seines 
Briefes  an,  wie  er  die  Arbeit  jeder  Woche  einzuteilen  gedenke. 
Er  will  drei  Tage  in  jeder  Woche  unice  der  Theologie  widmen 
und  den  Rest  der  Woche  ganz  auf  das  Opus  historicum 
wenden.  Endlich  teilt  er  uns  mit,  in  welcher  Weise  er 
für  die  Vertretung  seiner  ordentlichen  Professur  gesorgt 
habe.  Er  hat  zwei  alte  Studiosen  dafür  gewonnen,  daß  sie  mit 
Hülfe  der  ihnen  von  Schupp  übermittelten  ,,arcana"  seine 
Collegia  oratoria  und  historica  übernehmen  wollen.  Er 
nennt  auch  ihre  Namen:  es  handelt  sich  um  Daniel 
Richter,  einen  Schlesier,  und  Heinrich  Delius,  einen 
Westfalen.  Ersterer  ist  derselbe  Gelehrte,  der  sich  später 
als  Lehrer  an  der  fürstlichen  Schule  zu  Gotha,  und  zwar 
besonders  durch  eine  von  Schuppius  entlehnte  Lehrart  einen 
Namen  machte.  Schuppius  gedenkt  seiner  in  seiner  Schrift 
„Der  teutsche  Lehrmeister"  (II,  S.  71)  mit  folgenden  beach- 
tenswerten Worten :  ,,Ich  habe  hiebevor,  vermittels  eines 
sonderlichen  methodi,  als  ich  noch  Professor  Eloquentiae 
war,  meine  Auditores  zur  Wolredenheit  in  der  Lateinischen 
Sprache  angeführt,  und  ihnen  gezeiget,  wie  sie  copiam  ver- 
borum  et  rerum  sich  leichtlich  sammlen,  und  eine  Rede 
mit  zierlichen  Worten,  fast  auff  unzehliche  Arten  verändern 
können.  Ich  weiß,  daß  alle  die,  so  meiner  information  sich 
hierinn  bedienet,  wohl  dabey  gefahren  sind.  Es  ist,  wie 
ich  berichtet  werde,  dieses  compendium  nunmehr  in  der 
berühmten  Fürstlichen  Schul  zu  Gotha  durch  Herrn  Daniel 
Richtern,  Fürstlichen  Gothischen  Rath  und  Amptsverwesern, 
dem  ich  diese  und  noch  andere  Handgriffe  gezeiget,  einge- 
führet  worden." 

Die  beiden  eben  erwähnten  Briefe  Schupps  bewirkten 
es,  daß  die  Vorverhandlungen,  die  wegen  des  Opus  historicum 
nötig   geworden    waren,    rasch   zum   Abschluß   kamen. 

Am  29.  September  1641  erging  an  die  Universität  eine 
feindgräfliche  Verfügung,  in  der  in  Anbetracht  der  Tatsache, 
daß  Schuppius  „bey  fleißiger  und  schleuniger  Fortsetzung 
äer  ihm  auferlegten  sonderbahren  Arbeit  nicht  wohl  jeder- 
zeit, und  zu  gewöhnlichen  Stunden  die  ordentliche  Lectiones 
werde  halten  können",  bestimm!  war:  „daß  er  Schuppius 
zwar  noch  jeweils  publicas  lectiones  halten  und  einen  wie 
den  andern  Wen  dahin  sehen  solle,  wie  der  sludirenden 
Jugend  in  studio  Eloquentiae  et  Historiariini  und  also  soviel 
seine  Profession  anlangt,  durch  sonst  gute  anderwertliche 
Anstalten  noch  wohl  vorgestanden  werde,  jedoch  aber  solle 


206  Wilhelm  Diehl. 

er  umb  ietzangeregter  Ursachen  willen  die  Verwilligung  und 
Erlaubnus  haben,  daß  er  innerhalb  zweyer  Jahren  nicht 
eben  die  ordentliche  lectiones  praecise  zu  halten  verbunden 
sein  solle". 

Vier  Wochen  später  lief  in  Marburg  das  Formular  für 
die  Eidschwüre  ein,  auf  die  Schuppius  und  sein  Amanuensis 
angenommen  werden  sollten.  Der  Inhalt  des  Eidschwurs,  für 
den  bei  Schuppius  „Handtastung  an  leiblich  geschworenen 
Ayds  statt"  eintreten  sollte,  ging  dahin,  „daß  beide  ver- 
sprechen und  zusagen  mußten,  daß  sie  alles  dasjenige,  was 
durch  Sr.  F.  Gn.  hirzu  verordnete  Rhäte  und  Diener  oder 
sonst  zu  Behuf  des  bewusten  Operis  Historici  von  allerhand 
Original ien  und  andern  Schrifften,  die  in  einem  und  andern 
Gehaimbhaltung  erforderten,  ihnen  zu  "handen  oder  sonsten 
in  Erfahrung  kommen  würde,  bey  sich  in  geheim  behalten 
und  davon  keinem  Menschen,  wer  der  auch  seye,  Offen- 
bahrung  weder  schrifftlich  noch  mündlich  nicht  thun,  noch 
durch  andere  in  einige  Weiß  oder  Wege  thun  oder  propa- 
liren  wollen,  so  wahr  ihnen  Gott  helffe  durch  seinen  Solin 
Jesum  Christum". 

An  demselben  29.  Oktober,  an  dem  die  beiden  Eides- 
formulare expediert  wurden,  ging  an  Schupp  eine  Verfügung 
mit  zwei  Beilagen  ab.  In  der  Verfügung  wurde  Schupp  ge- 
stattet, sich  einen  Amanuensis  zu  halten,  für  den  „ein  ge- 
wisses Salarium,  nemlich  jährlich  52  Reichsthaler  und 
4  Claffter  Holtz"  ausgeworfen  wurde,  und  ihm  Mitteilung 
davon  gemacht,  daß  „er  von  Haltung  der  Lectionum  ordi- 
nariarum  innerhalb  etlicher  Zeit,  wan  er  in  solcher  Arbeit 
begriffen  sein  werde,  befreyet  sein  solle,  daß  man  sich  aber 
dessen  in  Gnaden  zu  ihm  versehe,  er  werde  gleichwohl  der 
studirenden  Jugend  darneben  also  wahrzunehmen  wissen, 
daß  sonderlich  die  Exercitia  oratoria  nicht  gar  zurückblieben." 
Gleichzeitig  wurde  ihm  angefügt,  daß  —  wie  die  beiden  Bei- 
lagen auswiesen  —  „ihm  vom  ersten  anfang  seiner  Arbeit  an 
zu  rechnen,  jährlich  zwölf  Claffter  Holtz  und  dan  2  Stück  Wild 
sambt  einer  Sawen  in  sein  Wohnhauß  und  Küche  geliefert 
werden  sollten;  die  Lieferung  des  Wildprets  sollte  durch  <\:'n 
Oberforst-  und  Landjägernleisler  Caspar  Moritz  von  Waich- 
mar,  die  des  Holtzes  von  dem  Oberforstmeister  von  Marburg 
Jos!.  Burckhard  Lau  von  Holzhausen  erfolgen." 

Mitte  November  wurde  Schuppius  und  seinem  Amanu- 
ensis  das  juramentum  taciturnitatis  abgenommen.  Gegen 
Lude  November  wurden  ihm  drei  Tomi  Akten  von  Gießen  aus 
zugeschickt.  Am  4.  Dezember  bedankte  er  sich  in  einem 
unten   abgedruckten   Briefe  (Beilage  IX)   für  die  Gnadener- 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  :i<>7 

weise,  die  der"  Landgraf  ihm  „zu  dem  vorhabenden  großen 
Werk"  hatte  zu  teil  werden  lassen,  worauf  dieser  wieder  am 
10.  Dezember  in  einem  herzlichen  Schreiben  Schuppius  er- 
mahnte, auch  weiterhin  seinen  Fleiß  dem  Werk  zu  widmen. 
Mit  dem  Schreiben  des  Landgrafen  vom  10.  Dezember 
1641  brechen  unsere  Akten  ab.  Es  ist  dies  auch  begreiflich. 
Schuppius  hatte  die  Vorverhandlungen  zu  Ende  geführt.  Es 
kam  nun  darauf  an,  den  Auftrag  in  ruhiger  Arbeit  durchzu- 
führen. Berichte  an  die  Behörden  waren  nur  nötig,  wenn  es 
galt,  neue  Akten  zu  erhalten,  die  in  dem  Opus  historicum  ver- 
arbeitet werden  sollten.  Wenn  Schupps  Berichte  mit  dem 
Januar  1643  trotzdem  wieder  einsetzen,  so  kommt  dies  daher, 
daß  Verhältnisse  ganz  besonderer  Art  eingetreten  waren,  die 
den  Fortgang  des  Werkes  wesentlich  hemmten.  Wir  gehen 
auf  sie  im  nächsten  Abschnitt  ein. 

II.  Das  erste  Hemmnis  bei  der  Ausarbeitung  des   Opus 
historicum:   Schupps  Prorektorat  im  Jahr  1643. 

Unter  den  Tatsachen,  die  der  Ausarbeitung  des  Opus 
historicum  besonders  hemmend  im  Wege  standen,  steht  oben 
an  die  Arbeit,  die  Schupp  mit  der  Führung  des  Prorektorates 
im  Jahre  1643  hatte.  Da  über  diesen  Punkt  noch  recht  große 
Unklarheit  herrscht,  ist  es  unsere  Aufgabe,  hierauf  etwas  aus- 
führlicher einzugehen.  Wir  sind  dazu  imstande,  da  von  uns 
die  Akten  über  Schupps  Prorektorat  im  Ministerium  des 
Innern  in  Darmstadt  aufgefunden  worden  sind. 

In  seiner  „Ersten  und  Eylfertigen  Antwort  au  ff  M.  Bern- 
hard Schmids  Discurs  de  reputatione  academica"  schreibt 
Schuppius  (1,  S.  776):  „Ich  bin  10  Jahr  ein  Professor  auff 
einer  vornehmen  Teutschen  Universität  gewesen,  habe  die 
vornehmste  officia  academica  als  Rectorat  und  Decanal  ver- 
waltet, und  der  Bengel,  der  noch  in  die  Schule  gegangen,  und 
mit  Ruthen  gestrichen  worden  ist,  als  ich  in  einem  vor- 
nehmen Ehren-Stande  gesessen  habe,  gehet  mit  mir  um,  als 
ob  ich  mit  ihm  Brüderschaft  gesoffen  oder  mit  ihm  die 
Schweine  gehütet  hätte!"  Auf  Grund  dieser  Stelle  behauptet 
Vial  (S.  12),  daß  Schuppius  das  höchste  Ehrenamt  der  Uni- 
versität, das  Rektorat  „wenigstens  hau  Mal  bekleidet  habe." 
Es  ist  unsere  Aufgabe,  zu  untersuchen,  ob  und  wann  dies  der 
Fall  war. 

Vor  allem  möchten  wir  hierbei  feststellen,  daß  Schuppius 
in  seiner  Professorenlau  l'ha  hu  nur  höchstens  einmal  Rektor 
gewesen  sein  kann  und  zwar  entweder  im  Jahre  H'>.">(.>  oder 
im  Jahre  1643.    Die  philosophische  Fakultät  siebte  während 


268  Wilhelm  Diehl. 

der  ganzen  Zeit  der  Professorentätigkeit  von  Schuppius,  wie 
das  ganz  in  der  Ordnung  war,  nur  dreimal  den  Rektor,  1636, 
1639  und  1643;  von  diesen  drei  Jahren  muß  aber  1636  für 
Schuppius  ausgeschaltet  werden,  da  er  erst  vor  kurzem  Pro- 
fessor geworden  war,  und  das  Herkommen  die  Wahl  eines 
,, neuen"  Professors  zum  Rektor  ausschloß.  Ebenso  ist  sicher, 
daß  Schuppius  entweder  nur  im  Jahre  1639  oder  nur  im 
Jahre  1643  das  Rektorat  verwaltet  haben  kann,  da  nach  altem 
Herkommen  jedesmal,  wenn  das  Rektorat  wieder  an  dieselbe 
Fakultät  kam  also  in  der  Regel  alle  vier  Jahre  —  ein 
anderes  Mitglied  als  vorher  für  diese  Ehrenstelle  gewählt 
wurde;  besonders  in  der  philosophischen  Fakultät,  die  viele 
Mitglieder  zählte,  war  es  einfach  unmöglich,  daß  jemand  in 
zehn  Jahren  zweimal  Rektor  werden  konnte 

Sehen  wir  uns  die  im  Ministerium  des  Innern  in  Darm- 
stadt aufbewahrten  Akten  über  die  Rektorwahlen  an,  so  finden 
wir,  daß  1639  ein  anderer  Professor  der  Philosophie  das  Rek- 
torat führte,  und  daß  1643  Schuppius  an  der  Reihe  war,  Rek- 
tor zu  werden.  Es  ist  auch  sicher,  daß  die  Kollegen  1643  ge- 
willt waren,  ihn  zu  wählen,  und  daß  es  unter  den  Studenten 
viele  gab,  die  ihm  von  Herzen  diese  Ehre  gönnten,  während 
andere  wiederum  es  bedauerten,  daß  Schuppius  unter  der  Last 
der  Rektoratsgeschäfte  ihnen  nicht  mehr  das  in  wissenschaft- 
licher Beziehung  weiterhin  sein  könne,  was  er  ihnen  bisher 
gewesen  war.  Alle  diese  Stimmungen  kommen  schön  in 
dem  ersten  Teil  eines  deutschen  Gedichts  zum  Ausdruck,  das 
am  4.  Januar  1643,  zu  einer  Zeit,  wo  der  neue  Rektor  noch 
nicht  gewählt  war,  der  Student  Christoph  Hoffmann  seinem 
verehrten  Lehrer  in  einem  mit  lateinischer  Vorrede  und 
Schlußwort  versehenen  Schreiben  zugehen  ließ.  Er  läßt  in. 
ihm  Aglaia,  Thalia  und  Euphrosyne  auftreten  und  zuerst  ihre 
Gedanken  über  die  bevorstehende  Rektorwahl  vorbringen. 
Aglaia  gibt  der  Stimmung  Ausdruck,  daß  von  dem  bisherigen 
Rektor,  dem  Mediziner  Horst  das  Szepter  an  Schuppius  weiter- 
gegeben werden  müsse;  Thalia  und  Euphrosyne  finden  dies 
bedenklich:  dem  Mann  der  Wissenschaft  ist  Ruhe  nötig, 
darum  soll  man  ihn  mit  der  Last  des  Rektorates  nicht  be- 
laden. Der  erste  Teil  des  Gedichtes,  der  diese  Stimmungen 
zeichnen  will,  laute!  : 

„Aglaia. 

Höret    waß   neues,   Ihr  Schwesteren,   höret! 

Höret,    und    machet   es   männiglich    kund! 

Welcher  unlängsten  mit    Feder  und  Mund 

Musen   und   Gral  im    wieder   verehret 

Voriges  Leben  und  ewige  Zier, 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  ^<i(.l 

Unser    Herr    Schuppraß,    hat    itzt    erlanget. 
Daß  Er  zu  Marpurg,  als  Rektor,  herpranget, 
Daß    Ihm    Glück    wünschet    ein    jeder   alhier. 

Thalia. 
Ist  oder  wird  es  in  Warheit  geschehen, 
Daß  von  Herr  Horsten  Ihm  Scepter  und  Macht 
Heute  wird  ordentlich  werden  gebracht, 
Müssen  wir  traurig    wie  vormals,  hersehen : 
Phöhuß   erhlasset  mit  großem    Wehmuth; 
Pallaß  sich  hermet;  und  alle  Göttinnen 
Müssen   nur   Klage-Gethöne   beginnen, 
Weil  man  an  unserem  Lieben  so  thut. 

Euphrosyne. 
Thut  nicht   so  übel  an  unserem  Lieben ! 
Warumb   sol   sein  getrew-eyfriger  Fleiß, 
Welchem  auch  Leyden   gab  Beyfal  und  Preiß, 
Sich   wie   auch   andre   nicht  herlich   außüben? 
Glaubet  mir  sicher:  Ich  sage  Euch  zu: 
Weißheit    und    Künste   verdunkelt   erliegen, 
Unser  Ruhm  bleibet  auch  gäntzlich  verschwiegen, 
Wo  man  Herr  Schuppen  nicht  gönnet  die  Ruh." 

Euphrosyne  behielt  recht.  Schuppius  wurde  das  Rekto- 
rat nicht  übertragen.  Es  wurde  in  der  Sitzung,  von  der 
das  Gedicht  redet,  beschlossen,  was  vorher  schon  einmal 
in  Aussicht  genommen  worden  war,  dem  13jährigen  Erb- 
prinzen, „Herr  Landgraf  Ludwigen,  uf  den  Fall  Ihr  Fürst- 
liche Gnaden  anhero  zukommen  sich  gnedig  beliben  ließe,  die 
sceptra  Academica  unterthenigst  zu  offeriren."  Hiergegen 
regte  sich  zwar  eine  starke  Opposition.  Der  Präsident  des  Ge- 
heimen Rates  glaubte,  „von  der  Annahme  dieser  Offerte"  ent- 
schieden abraten  zu  sollen,  „in  Ansehung  (wie  es  in  einem 
Bericht  vom  13.  Januar  1643  heißt)  der  darzu  erforderter 
und  bey  diser  Zeit  schwer  fallender  Spesen,  welche  man 
bey  Anstellung  eines  ansehenlichen  Convivii  Ehrenhalber 
wiird  anwenden  müssen,  und  dan  auch,  daß  die  jungen 
Printzen  ein  Zeithero  in  ihren  studiis  und  exercitiis  nichl 
wenig  versäumbt  und  man  wohl  Hrsach  hatt,  mehr  auf 
fleißig  Widereinbringung  desselben  zu  gedenken,  alß  fernere 
Interrumpirung  vorgehen  zu  lassen,  wozu  noch  weiter  kombt, 
daß  ob  man  zwar  in  Ermanglung  fürstl.  Gutschnl'erde  etwa 
bawrenpferde  nehmen  könte,  er  doch  ohngern  darzu  rahten 
wolte,  das  in  Ermangelung  der  Gutscher  man  die  libe  junge 
Printzen  durch  Bawernknechte  den  beißen  Weg  über  den 
walt  solte   hinüber  gen  Marpurg  führen  lassen   und   könte 


270  Wilhelm  Diehl. 

über  diß  alles  die  Electio  ja  wohl  und  gar  leichtlich  biß. 
ins  künfftig  Jahr  verschoben  werden."  Aber  der  Einwand 
des  Präsidenten  half  nichts.  Der  Vizekanzler  und  der  Land- 
graf waren  dafür,  daß  des  Landgrafen  ältester  Sohn,  Land- 
graf Ludwig  (der  spätere  Ludwig  VI.),  die  Rektorwürde  an- 
nahm. Am  28.  Januar  siedelte  Landgraf  Ludwig  mit  seinem 
Hofmeister  v.  Oynhausen  nach  Marburg  über  und  am  29. 
trat  er  in  feierlichem  Akte  das  Rektorat  an  und  „erwiese 
nicht  allein  bey  dero  im  auditorio  publico  gehalttenen  Ser- 
mon, besondern  auch  die  ganze  wehrende  solennität  über 
solche  hochfürstl.  qualiteten,  daß  sowohl  die  gesampte  Herrn 
Professores  alß  studiosi  sich  warhafftig  darüber  verwundert, 
.  .  .  verschidene  ehrliche  Leuth  vor  Freuden  drüber  ge- 
weinet, die  Studiosi  auch  insgesampt  sich  verobligirt,  bey 
ihrem  Magnificentissimo  auf  alle  Begebenheiten  Gut  und 
Blut  aufzusetzen." 

Auch  im  Jahr  1643  war  Schuppius  nicht  Rektor.  Trotz- 
dem wäre  es  verfehlt,  wenn  man  in  der  Nichtübertragimg" 
des  Rektorats  auf  Schuppius  eine  Zurücksetzung  des  Mannes 
sehen  wollte.  Daß  eine  solche  nicht  beabsichtigt  war,  er- 
sehen  wir  schon  daraus,  daß  er  durch  Dekret  vom  18.  Januar 
zum  Prorektor  ernannt  und  dadurch  mit  sämtlichen  Rekto- 
ratsgeschäften, die  der  Rektor  Magnificentissimus  nicht  ver- 
sehen konnte  und  sollte,  beladen  wurde.  Wir  können  sogar 
noch  weiter  gehen:  die  Übertragung  des  Rektorats  auf 
Landgraf  Ludwig  geschah  hauptsächlich  gerade  auf 
Schupps  Veranlassung.  Neben  dem  bisherigen  Rektor, 
Schupps  Schwager  Professor  Johann  Daniel  Horst,  kommt 
in  den  Akten  über  diese  Rektorwahl  immer  nur  ein  Mann 
als  das  eigentlich  treibende  Element  vor:  Schuppius.  Ganz 
besonders  deutlich  trat  dies  zutage,  als  in  der  ersten  Hälfte 
des  Januar  es  schien,  als  werde  aus  der  Sache  nichts  werden. 
Neben  den  Präsidenten,  der  entschieden  gegen  die  Über- 
nahme sich  aussprach,  traten  damals  nämlich  natürliche 
Gewalten!  Es  trat  eine  furchtbare  Kälte  ein,  außerdem  war 
die  Lahn  derart  angeschwollen,  daß  man  z.  B.  in  Gießen, 
wo  „der  Schießplatz  mannshoch  überschwemmet"  war,  den 
Fluß  nicht  passieren  konnte.  In  dieser  Zeit  gab  sich 
Schuppius  die  größte  Mühe,  dem  entgegenzuwirken,  daß  man 
die  Übernahme  des  Rektorats  auf  das  nächste  Jahr,  wie  der 
Präsident  wünschte,  verschob  oder  auch,  wie  es  der  Wunsch 
Anderer  war,  eine  „Creirung  in  absentia"  eintreten  ließ. 
Er  lichtete  mehrere  Briefe  an  den  Vizekanzler  Fabricius, 
von  denen  wir  den  letzten  unten  abdrucken  (Beilage  X),  und 
brachte  es  durch  unablässiges  Bitten  und  Fordern,  auch  eine 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  271 

gewisse  Schärfe  dahin,  daß  aus  dem  Projekt  schließlieh  doch 
etwas  ward. 

Aus  dem  allein  auf  uns  gekommenen  letzten  Brief 
Schupps  an  Fabricius  ersehen  wir  übrigens  auch,  weshalb 
sich  Schupp  so  sehr  dafür  begeisterte,  daß  aus  der  Rek- 
toratsübernahme durch  den  jungen  Landgrafen  etwas  ward. 
Schuppius,  in  dessen  ganzer  Auffassung  des  Studiums  der 
Eloquenz  in  .dem  letzten  Jahr  ein  gewaltiger  Umschwung 
eingetreten  war,  ein  Umschwung  nämlich  zugunsten  der 
bisher  auch  von  ihm  mißachteten  deutschen  Sprache,  sehnte 
sich  danach,  einmal  bei  einer  wichtigen  Gelegenheit  von 
diesem  Umschwung  und  den  dadurch  im  einzelnen  bedingten 
Fortschritten  Zeugnis  abzulegen.  Er  hatte  nicht  nur  sich 
selbst  zu  „großen  Taten"  gerüstet,  sondern  er  hatte  seit 
Wochen  eine  große  Anzahl  seiner  Schüler  dazu  veranlaßt, 
poetische  und  oratorische  Arbeiten  in  deutscher  Sprache 
zu  verfassen,  die  bei  Gelegenheit  der  Rektoratsübernahme 
dem  Landgrafen  dargeboten  werden  sollten.  Er  wollte  sich 
mit  seinen  jungen  Leuten  nicht  umsonst  bemüht  haben; 
er  wollte  auch  nicht,  daß  ihm  diese  günstige  Gelegenheit 
zur   Ostentatio   ingenii   entgehe. 

Durch  einen  günstigen  Umstand  sind  einige  von  diesen 
dichterischen  Erzeugnissen  auf  uns  gekommen.  Eines  haben 
wir  oben  zur  Hälfte  mitgeteilt.  Sein  zweiter  Teil  schildert 
den  Eindruck,  den  die  Nachricht  von  der  Bereitschaft  des 
Landgrafen  zur  Rektoratsübernahme  gemacht  hat,  klagt 
darüber,  daß  der  Landgraf  wegen  der  ,, zornigen  Län"  noch 
in  Gießen  bleiben  muß,  und  schließt  mit  einem  Wunsch 
für  Schupps  weitere  wissenschaftliche  Arbeit.  Dieser  zweite 
Teil  lautet: 

Aglaia. 
Bessere    Zeitung,    Ihr   Schwesteren,    kommet: 
Durumb   so   lasset  das  Sorgen  nur  seyn. 
Itzo  schickt  Darmstad  den  Printzen  herein, 
Welcher  das  Rectorat  über  sich  nimmel. 
Oeffnet  dem  Printzen  von  Hessen  die  Thor! 
Danck-saget  euerem  Vater  und  Helden, 
Daß  Er  Sein   Marpurg  noch  lasset  was  gelten! 
Schwebet  in   völliger  Freuden    und    Flor! 

Thalia. 

Stillet   das  Sausen  und   Brausen,  Ihr  Winde! 
Lasset  das   Bellen    und    Schellen   anstehn! 
Rase  nicht,  also,  du  zornige  Län! 
Fließe  doch!    Fließe  doch  wieder  gelinde! 


272  Wilhelm  Diehl. 

Solche  vor  niemals  gesehene  Fluth, 
Solches  unsägliche  Demmen  und  Schwemmen, 
Sehet!   wil   unser  Verlangen  auffhemmen; 
Machet   unß    einen   recht-traurigen   Muth. 

Euphrosyne. 

Gießen  mag  dieses  Haupt  haben  indessen, 
Bis  sich  der  Himmel  auffs  neue  beschmückt 
Erden  und  Felder  und  Wälder  anblickt. 
Brauche  der  Zeiten;  und  mache,  das  Hessen, 
Wie  du,  Geliebter,  vor  diesem  gethan, 
Möge  dein  Ehren-Lob  weiter  außbreiten! 
Schreibe!    Dein  Nähme  zu  itzigen  Zeiten 
Klimmet  schon  biß  an  der  Sternen  Altan. 

Drei  weitere  Dichtungen,  eine  „Entschuldigung  der  auf- 
geschwellten Lahn",  einen  Dialog,  betitelt  „Marpurger 
Schäffer  Wüntsche"  und  einen  Hymnus  auf  Ludwig  VI., 
bringen  wir  in  Beilage  X  (b — d). 

Sehen  wir  aus  den  soeben  dargebotenen  Nachrichten, 
daß  schon  die  Vorbereitungen  auf  das  Rektorat  Ludwigs  VI. 
gerade  Schuppius  viel  Mühe  machten  und  sich  als  Hemmnis 
seiner  ruhigen  Arbeit  an  dem  Opus  historicum  erwiesen,  so 
war  dies  noch  mehr  der  Fall,  als  ihm  am  18.  Januar  unter 
dem  Titel  des  Prorektorats  die  ganze  Fülle  der  Rektorats- 
geschäfte aufgeladen  wurde.  Seine  Arbeit  mußte  darunter 
notwendig  leiden.  Es  trat  ein  Stillstand  in  der  Ausarbeitung 
des  Opus  historicum  ein,  der  bis  Ende  1643  anhielt. 

III.  Weitere  Hemmnisse  bei  Ausarbeitung  des  Opus  historicum 
und  das  Ende  der  historischen  Arbeiten  Schupps. 

Die  Verwaltung  des  Prorektorates  im  Jahr  1643  warf 
Schupp  in  seiner  Arbeit  am  Opus  historicum  zurück.  Immer- 
hin hätte  er  in  dem  kommenden  Jahr  manches  Versäumte 
nachholen  können,  wenn  sich  nicht  noch  ein  anderes  viel 
gefährlicheres  Hemmnis  eingestellt  hätte:  Schupps  ver- 
zweifelte finanzielle  Lage.  Es  ist  aus  anderen  Darstellungen 
bekannt  und  auch  leicht  begreiflich,  daß  der  im  Jahr  1643 
begonnene  sogenannte  ,, Hessenkrieg"  ganz  besonders  die 
Universität  Marburg,  und  zwar  vor  allem  in  finanzieller  Be- 
ziehung, schädigen  mußte.  Einer,  der  dabei  am  schwersten 
betroffen  wurde,  war  Schuppius.  Schon  1641  hatte  er  über 
mangelhafte  Lieferung  seiner  Besoldung  zu  klagen.  Er  be- 
mühte sich  vergeblich,  Geldquellen  ausfindig  zu  machen, 
aus   denen   der  Landgraf  ihm  das  liefern  könne,   was  ihm 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  273 

von  Rechts  wegen  gebühre.  Als  dies  nichts  half,  suchte  er 
im  Jahr  1642  Geld  zu  leihen.  Dies  gelang  ihm  auch,  alter 
doch  nicht  in  dem  Maße,  daß  er  der  Geldsorgen  auf  die 
Dauer  ledig  geworden  wäre.  Bereits  im  November  1643  be- 
fand er  sich,  wie  Beilage  No.  XI  beweist,  in  solcher  Lage, 
daß  er  zu  ganz  absonderlichen  Maßnahmen  greifen  mußte. 
Im  Jahr  1644  erreichte  das  Elend  des  Mannes,  der  alles 
andere,  nur  nicht  ängstlich  rechnen  konnte,  den  Gipfelpunkt. 
Zum  Beweis  sei  auf  den  Brief  hingewiesen,  den  wir  unter 
No.  XII  mitteilen.  Er  redet  eine  deutliche  Sprache !  Schupp 
hatte  bereits  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1644  die  Über- 
zeugung, daß  er  in  seiner  Marburger  Professur  nicht  bleiben 
könne,  wollte  er  nicht  verhungern.  Er  erneuerte  darum  seine 
bereits  vorher  begegnenden2  Versuche,  in  einen  Dienst  zu 
kommen,  der  ihn  besser  ernährte.  Es  boten  sich  ihm  auch 
verschiedene  Gelegenheiten.  Am  29.  Juli  1644  schrieb  der 
bisherige  Superintendent  von  Schmalkalden,  Hieronymus 
Prätori us,  der  einen  Ruf  nach  Frankfurt  an  des  verstorbenen 
D.  Tettelbachs  Stelle  erhalten  hatte,  daß  er  sich  in  seiner 
Schmalkaldener  Stelle,  um  die  sich  eifrig  sein  Kollega 
M.  Johannes  Stephani  bewerbe,  keinen  anderen  Nachfolger 
als  Schuppius  wünsche.  Er  pries  ihm  die  Stelle  als  ,, conditio 
quieta,  lauta  et  honorinca"  an.  Schupp  hatte  auch  Aussicht, 
die  Stelle  zu  erhalten.  Statthalter  Pleß,  dem  er  sich  wegen 
dieser  Angelegenheit  offenbarte,  trat  in  einem  noch  erhal- 
tenen Bericht  vom  28.  Oktober  1644  warm  für  Schupp 
ein.0  Aber  Schupp  zog  nicht  recht.  Er  hatte  schwere  Be- 
denken, an  einen  Ort  zu  gehen,  von  dem  er  vielleicht  in 
einem  halben  Jahr  wieder  vertrieben  werden  konnte.  In 
dieser  Lage  schrieb  er  an  Maximilian  zum  Jungen  den  in- 
teressanten Brief,  den  wir  unter  No.  XII  abdrucken.  Er 
teilt  dem  vertrauten  Patron  darin  mit,  wohin  eigentlich  seine 
Wünsche  zielen.  Er  möchte  nach  Frankfurt  in  den  Pfarr- 
dienst kommen,  wohin  er  schon  1639  getrachtet  hatte,  und 
dabei  im  Nebenamt  Rektor  des  Gymnasiums  werden.  Wenn 
er  nur  irgend  Aussicht  hat,  will  er  sofort,  seine  Professur 
quittieren,  sich  ganz  dem  Predigtdienst  in  Marburg  widmen 
und  „sich  sonsten  in  der  Theologia  üben". 

Es  ist  ganz  klar,  daß  die  schweren  Existenzkämpfe, 
die  Schuppius  in  dieser  Zeit  durchmachen  mußte,  ihn  zu 
freudiger  Arbeit  nicht  kommen  lassen  konnten.    In  dem  so- 

-  Vgl.  linker,  a.  a.  0.    Außerdem  hatte  er  sich  L642  Mühe  gegeben, 

Superintendent   in   Gießen   zu   worden. 

3  Vgl.  .loh.  Just  Winckelmanns  „Einfältiges  lledenkou",  lieraus<i. 
von  Diehl,  S.  189  f. 

Beiträge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u,  Gießen.  18 


274  Wilhelm  Diehl. 

eben  erwähnten  Brief  vom  4.  Dezember  1G44  sagt  er  ja 
ganz  offen,  daß  er  bereit  sei,  alle  seine  bisherigen  Berufs- 
geschäfte, also  auch  den  Auftrag  betreffend  Ausarbeitung  des 
Opus  historicum  fallen  zu  lassen  und  sich  lediglich  den 
Übungen  zu  widmen,  die  ihm  den  Weg  in  die  Frankfurter 
Pfarrei  besser  ebnen  könnten.  Tatsache  ist  ferner,  daß 
Schuppius  weder  1644  noch  1645  eine  Arbeit  im  Druck  er- 
scheinen ließ,  ganz  im  Unterschied  von  seinen  Gepflogen- 
heiten in  den  vorausgehenden  und  in  späteren  Jahren. 

Schon  aus  den  im  Herbst  1644  geschriebenen  Briefen 
Schupps  geht  deutlich  hervor,  daß  ihr  Autor  verbittert  war. 
War  es  in  der  hessen-darmstädtischen  Kirche  bisher  auch 
schon  mehr  als  einmal  vorgekommen,  daß  leistungsfähige 
Theologen  den  Weg  nicht  machten,  den  sie  hätten  machen 
müssen,  so  war  doch  unter  diesen  Leidenskollegen  Schupps 
keiner,  der  soviel  gearbeitet  und  in  einer  Zeit,  die  so  manchen 
„promovierten  Schwachkopf"  aufwies,  so  wenig  erreicht 
hatte,  wie  er. 

Die  Folgezeit  lieferte  ihm  neue  Anstöße  zu  weiterer  Ver- 
bitteruns;. Er  kam  nicht  nach  Frankfurt  und  auch  in  Hessen 
bot  sich  die  Gelegenheit  zur  Promotion,  die  er  suchte, 
nirgends.  Dafür  brachten  ihm  die'  nächsten  Monate  eine 
Disziplinaruntersuchung,  die  geeignet  war,  das  gute 
Urteil,  das  Landgraf  Georg  von  Schupp  hatte,  wesentlich  zu 
modifizieren  und  dadurch  seine  Aussicht  auf  die  verdiente 
Beförderung  noch  weiter  hinauszurücken.  Aus  dem  Be- 
streben heraus,  die  Marburger  Bevölkerung  religiös  zu 
fördern,  hatte  Schupp,  der  seit  Professor  Steubers  1643  er- 
folgtem Tod  Prediger  im  Deutschen  Haus  in  Marburg  war, 
eine  Betstunde  eingerichtet,  die  allsonntäglich  um  1  Uhr  in 
der  Elisabethenkirche  abgehalten  werden  und  in  „einer  Unter 
richtung  des  Catechismi"  gipfeln  sollte.  Dadurch  hatte  sich 
aber  eine  „unerhörte  Neuerung"  eingestellt.  Die  Betstunde 
wurde  nicht  hur  von  „dem  Teutschhäusigen  Gesinde  und  den 
Armen  im  Hospital",  deren  Parochus  Ordinarius  Schupp  war, 
sondern  auch  von  vielen  Marburger  „Bürgern  und  Bürger- 
innen zusambt  ihren  Kindern,  Knechten  und  Gesind"  be- 
sucht, außerdem  hatte  Schupp  für  das  Gebet  eine  Form  ge- 
wählt, die  über  alles  Herkommen  hinausging:  es  wurde  in 
ihm  nicht  nur  für  den  Kaiser  und  die  hessischen  Fürsten, 
sondern  auch  für  den  Teutschmeister  und  die  Ordens- 
personen gebetet!  Vicestatthalter,  Vicekanzler  und  Räte  in 
Marburg  hielten  Schupps  Vorgehen  für  im  höchsten  Maß  be- 
denklich. Sie  luden  ihn  deshalb  auf  den  4.  Januar  1645  zu 
einer  Vernehmung  vor  die  Kanzlei  und  berichteten  darauf 


Neue  Beitrüge  zur  Geschichte  Schupps.  275 

an  den  Landgrafen.  Das  Protokoll  von  Schlipps  Vernehmung 
ist  um  der  Antworten  Schupps  willen  höchst  beachtenswert. 
Wir  bringen  es  in  Beilage  XIII  zum  Abdruck.  Ehe  die 
Marburger  Regierung  mit  der  Abfassung  ihrer  Anklage- 
schrift gegen  Schupp  fertig  war,  in  der  auf  Erteilung  eines 
„scharpfen  und  ernstlichen  Verweises"  Antrag  gestellt  wurde, 
weil  Schupp  „in  seinem  aigensinnigen  Kopf  allerhand  an- 
zügliche und  verächtliche  Wort  in  seiner  Vernehmung  ge- 
brauchet", trat  ein  neuer  Fall  ein,  der  Material  für  ein  Vor- 
gehen gegen  Schupp  lieferte.  Als  Schupp  es  nicht  erreichen 
konnte,  daß  die  Leichenpredigt  für  das  in  diesen  Tagen  ge- 
storbene Kind  seines  Schwagers  Horst,  das  in  der  Elisa- 
bethenkirche beigesetzt  wurde,  von  dem  deutschherrischen 
Pfarrer  Happel  in  Seelheim  gehalten  werden  durfte,  ließ  er 
nicht  den  Marburger  Archidiakonus  Henckel  die  Beerdigung 
versehen,  sondern  hielt  sie  selbst  und  erwähnte  ,,pro  ex- 
ordio,  wie  es  an  dem  were,  daß  er  jetzunder  billich  bey  den 
Freunden  und  in  der  Trauerreihe  stehen  solte,  hette  aber 
diese  Predigt  übernehmen  müssen,  dan  was  er  thäte  (da 
es  gleich  zu  der  Ehr  Gottes  angesehen),  were  unrecht,  und 
wolle  ihm  alles  sinistre  interpretirt  und  nicht  gut  geheißen 
werden  und  möchte  auch  wohl  darumb  der  unglückseligste 
Mensch  sein;"  außerdem  schloß  er  „bey  gethanem  Gebett 
die  Teutsche  Herrn  wider  Verbott  und  Herkommen  expresse 
mit  ein".  Auch  über  diesen  Vorfall  wurde  von  der  Re- 
gierung in  Marburg  eingehend  an  den  Hof  berichtet. 

Das  Ergebnis  der  Disziplinaruntersuchung  brachte  für 
Schupp  eine  schwere  Ahndung  seiner  Übertretungen.  Am 
21.  Januar  1645  wurde  eine  aus  Gliedern  der  Regierung 
und  der  Universität  bestehende  Kommission  ernannt,  „die 
sich  invorders  mit  allem  nötigen  Underricht  vorher  auß  den 
actis  und  sonst  gefast  machen,  furters  ihn  Schuppium  vor 
sieb  erfordern,  demselben  seinen  Unfug  und  ungeziemende 
Gebahrung  vorhalten,  des  Landgrafen  darob  geschöpfte 
Displicentz  neben  einem  starken  Verweiß  zu  erkennen 
geben  und  die  befehlende  Mainung  dahin  anzeigen  solle, 
daß  er  sich  der  angemaslen  Neuerung  und  seiner  unge- 
ziemenden Gebahrung  künftig  bey  Vermeidung  schwerer 
Andung  gäntzlich  und  allerdings  enthalten  solle."  Am  21. 
März  1645  fand  die  Untersuchungssache  gegen  Schupp  ein 
Ende.  Er  mußte  in  allen  Stücken  nachgeben.  Seine  Bet- 
stunde und  sein  Gehet  fielen;  es  wurde  sogar  ein  Patent  an- 
geschlagen, daß  alle  Bürger  und  selbst  die  Studenten  von 
nun  an  nur  in  der  Stadtkirche  kommunizieren  dürften.  Nur 
soviel   erreichte   Schupp,   daß  es   ihm   gestattet  wurde,   „in 


18* 


276  Wilhelm  Diehl. 

das  Hospital  zu  gehen  und  die  armen,  wan  selbige  gessen 
haben,  aus   dem   Catechismo  zu  examiniren." 

Durch  die  Disziplinaruntersuchung,  deren  Gang  und 
Ergebnis  wir  eben  geschildert  haben,  wuchs  Schupps  Ver- 
bitterung. Wir  sehen  das  aus  den  Briefen  dieser  Zeit.  Noch 
ehe  das  Urteil  gefällt  war,  wandte  er  sich  mit  einem 
Memorial  (Beilage  XIV)  an  den  Landgrafen,  in  dem  er  „aus 
hochdringender  Noth  und  höchstbewegenden  Uhrsachen" 
dem  Landesfürsten  vorträgt,  was  sein  Herz  bewegt.  Er 
gibt  darin  eine  Geschichte  seines  Marburger  Martyriums, 
legt  dar,  was  er  gearbeitet  hat,  und  wie  ihm  die  Arbeit  ge- 
lohnt worden  ist,  und  bittet,  ihm  Gelegenheit  zu  geben,  daß 
er  sich  in  der  Untersuchungssache  rechtfertigen  und  aus 
seiner  Not  erlöst  werden  könne.  Ähnliche  Gedanken  und 
Stimmungen  begegnen  uns  in  einer  Reihe  weiterer  Briefe, 
die  wir  unter  No.  XV  ff.  zum  Abdruck  bringen. 

Schupps  Memorial  konnte  den  Ausgang  der  Unter- 
suchung wegen  der  Betstunde  nicht  modifizieren.  Dafür 
bot  es  aber  die  Veranlassung  dazu,  daß  man  am  Hofe  sich 
wieder  einmal  an  das  Projekt  der  Ausarbeitung  des 
Opus  historicum  erinnerte  und  Maßnahmen  ergriff,  um 
es  aufs  ner.e  zu  fördern,  und  daß  Schupp  gezwungen 
wurde,  diesem  Werk  noch  einmal  vorübergehend  seinen 
ganzen  Fleiß  zu  widmen.  Am  9.  Januar  1645  ließ  der  Land- 
graf den  Statthalter  von  Pleß  auffordern,  sich  doch  einmal 
genauer  über  den  Stand  der  Schuppischen  Arbeit,  von 
der  man  in  Darmstadt  so  lang  nichts  gehört  habe,  zu 
orientieren,  „die  Arbeit  selbst  sobald  sich  zeigen  zu  lassen" 
und  über  das,  „was  dißfals  verfertiget  were,  nachrichtlich 
zu  berichten."  Selbstverständlich  stellte  sich  dabei  heraus, 
daß  Schupps  Arbeit  noch  lange  nicht  vollendet  war.  Schupp 
erklärte  dem  mit  den  Erhebungen  von  Seiten  dos  Statl- 
halters  betrauten  Johannes  Mylius :  „Er  hoffe,  der  Herr 
\  m cslatihaltcr  werde  sich  g.  erinnern,  in  was  Troubles  Er 
eine  geraume  Zeit  gelebt,  welche  Ihn  oftmal  so  verwirret 
in  seinen  Gedanken  gemacht,  dz  er  gar  nicht  eine  solche 
Arbeit  zu  verfertigen  vermocht,  massen  er  anitzo  eben- 
mäßig in  solchen  angustiis  begrieffen,  daß  er  seiner  nicht 
mächtig  sey.  Er  trage  deßwogen  Bedencken  eine  halbaus- 
gefertigte Arbeit  censuriren  zu  lassen,  thue  aber  unsern 
gnedigen  Fürsten  und  Herrn  underthenig  versichern,  so 
wahr  er  ein  ehrlicher  Mann  sey,  wolle  er  das  Ihm  aufge- 
gebene  Werck  zu  hoch  besagter  Ihre  F.  Gn.  Contento  auß- 
l'erti^cn.  Fr  wolle  gleichwohl  auch  dem  Herrn  Vicestatl 
haltcr  morgen  Selbsten   zusprechen  und  Ihm  sein  Anliegen 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  277 

entdecken."  Was  Schuppius  dem  Statthalter  „ entdeckt"  hat, 
wissen  wir  nicht.  Wir  können  es  aber  erraten.  Er  hat  ihm 
wohl  ein  doppeltes  entdeckt :  erstens  den  Stand  seines 
Werkes  und  zweitens  den  Stand  seiner  Finanzen.  Wir 
folgern  dies  daraus,  daß  aus  dieser  Zeit  drei  nicht  genauer 
datierte  Briefe  Schupps  vorliegen,  einer  an  den  Statthalter 
von  Pleß  (Beilage  XVI),  einer  an  den  Kanzler  Fabricius 
(Beilage  XVII),.  und  endlich  ein  Memorial  (Beilage  XV),  in 
denen  diese  beiden  Themata  im  Mittelpunkt  stehen.  In 
dem  Brief  an  Pleß  insbesondere  übersendet  Schuppius  den 
ersten  Bogen  seines  Werkes  und  nimmt  dessen  unvollendete 
stilistische  Form  gegen  etwaige  Einwendungen  in  Schutz. 
Zugleich  bittet  er  dringend  um  völlige  Befreiung  von  seiner 
Professur  und  um  Zahlung  seiner  Besoldung,  da  er  sonst 
genötigt  sei,  den  Dienst  zu  quittieren.  In  dem  Schreiben 
an  Fabricius,  das  von  einem  neuen  gleichzeitig  in  Pflicht 
zu  nehmenden  Schreiber  des  Schuppius  überbracht  wurde, 
handelt  Schuppius  von  denselben  Dingen.  Fabricius  hat 
bereits  den  ersten  Bogen  in  Händen  gehabt  und  an  ihm 
Kritik  geübt,  die  sich  besonders  auf  die  von  Schupp  ge- 
wählte Form  des  Dialogs  mit  Lucidor  bezog.  Schupp  suchte 
die  Einwände  des  Kanzlers  zu  entkräften  und  ließ  gleich- 
zeitig durchblicken,  daß  es  viel  besser  wäre,  daß  man  ihm 
zu  seinem  Geld  helfe,  als  daß  man  an  einem  im  ersten 
Entwurf  befindlichen  Werk  herummäkele.  Die  Klagen  wegen 
mangelnder  Besoldung  muß  Schupp  in  der  Folgezeit  noch 
mehrfach  geäußert  haben.  Sie  führten  schließlich  dazu,  daß 
de»  Landgraf  ihm  im  Mai  1645  ein  Präsent  überreichen 
liel.l,  für  das  Schupp  in  dem  unter  No.  XVIII  abgedruckter] 
Briete  sich  bedankte.  Dieser  Brief  beweist  übrigens  noch 
mehr  als  die  beiden  vorausgegangenen,  daß  Schuppius  wieder 
mitten  in  der  Arbeit  war.  Hatte  er  in  dem  vorhergehenden 
Brief  an  Fabricius  in  Aussicht  gestellt,  daß  er  demnächst 
das  fürstliche  Archiv  in  Gießen  einmal  zu  seinen  Zwecken 
durchmustern  werde,  so  bittet  er  hier  um  ganz  bestimmte 
Akten,  die  er  zu  seiner  Arbeit  braucht,  die  Genealogien, 
die  Bachmann  eins!  dein  Landgrafen  verehrt  balle,  eine 
Arbeit  des  Hofrats  Johannes  Alylius  und  „so  etwa  sonsten 
etwas  von  Hessischen  Antiquitäten  vorhanden".  Gleich- 
zeitig bedankl  er  sich  für  die  Übersendung  einer  „Catzen- 
elnbogischen  Chronick".  In  einem  vom  L3.  Mai  datierten 
Schreiben  bitte!  er  tun  Auskunft  wegen  einer  Lindener 
Sage  und  um  nochmalige  Übersendung  alles  dessen,  „was 
nur  von  alten  schrifftlichen  Documentis  vorhanden  sei". 
Bei  dieser  Gelegenheit  erfahren   wir,  daß  Schuppius  immer 


278  Wilhelm  Diehl. 

noch  in  den  Anfängen  seiner  Arbeit  steckt;  er  hofft  aber, 
zur  „Beschreibung  der  fürstl.  Darmstadischen  Liniae"  über- 
gehen zu  können. 

Schupps  Wunsch  nach  genealogischen  Akten  und  Ma- 
terialien wurde  erfüllt.  Am  17.  Mai  wurde  der  Statthalter 
von  Pleß  aufgefordert,  für  Schupp  alle  einschlägigen  Ma- 
terialien, die  Bachmann  oder  Mylius  unter  Händen  hätten, 
zu  entlehnen.  Gleichzeitig  wurde  zur  Überlieferung  an 
Schupp  „eine  hessische  alte  Chronic  in  4to,  eine  in  folio 
und  eine  Beschreibung  der  an  Hessen  angränzenden  Lande" 
abgeschickt  und  Schupp  eröffnet,  daß  „sich  in  Gießen  von 
Genealogicis  nichts  sonst  und  fast  nur  fragmenta  befunden 
hätten,  außer  einer  großen  Tabula  Genealogica,  deren  In- 
scription  (vera  Genealogia  etc.)  auf  einligendem  Zettul  zu 
sehen".  In  einem  Postskriptum  wurde  Pleß  noch  aufge- 
geben, Schupp  ,,ein  weiteres  zugleich  mittkommendes  Con- 
volutlein  von  hiebevor  in  Vorschlag  gekommener  Zusammen- 
truckung  etlicher  Hessischen  Raritäten"  vorzulegen,  „davon 
Professor  Bachmannus  gute  Nachricht  haben  werde".  Es 
ist  dies  das  in  unseren  obigen  Ausführungen  benutzte,  zur- 
zeit im  Haus-  und  Staatsarchiv  aufbewahrte,  von  Bachmann 
handelnde  kleine  Faszikel. 

Die  Begeisterung,  mit  der  Schupp  trotz  der  Geldnot 
und  des  üblen  Ausgangs  der  Disziplinaruntersuchung  die 
Bearbeitung  des  Opus  historicum  wieder  in  Angriff  gd 
nommen  hatte,  hielt  nur  etwa  ein  halbes  Jahr  an.  Es  ist 
auch  durchaus  begreiflich.  Seine  finanzielle  Not  ward  von 
Monat  zu  Monat  immer  größer  statt  geringer.  Im  August 
1645  belief  sich  sein  Ausstand  an  rückständiger  Besoldung 
auf  über  1000  Kammergulden.  Dazu  kommt,  daß  ihn  das 
Unglück  geradezu  verfolgte.  Seine  Frau  wurde  von  einem 
schweren  Leiden  befallen,  das  ihre  Verbringung  in  ein  Bad 
nötig  machte.  Sein  Vater,  von  dem  Schupp  seit  Jahren 
die  Auslieferung  eines  stattlichen  Patrimonii  erhoffte,  hei- 
ratete im  Jahr  1645  noch  einmal  und  machte  dadurch 
Schupps  Finanzpläne  ein  für  allemal  zuschanden.  Die  Gläu- 
biger drängten  ihn;  er  mußte,  um  die  schlimmsten  unter 
ihnen  zu  befriedigen,  wertvolle  Geschenke  und  sein  Silberge- 
räte verpfänden  (vergl.  hierzu  die  Briefe  aus  dieser  Zeih. 
Außerdem  war  keine  Aussicht,  daß  es  bald  besser  würde. 
Die  l'nmegeml  von  Marburg  füllte  sich  mit  Kriegsgetümmel, 
das  nach  keinem  guten  Ende  aussah,  und  in  Hessen  regte 
sich  niemand,  um  Schupp  auch  nur  eine  Vertröstung  auf 
eine    bessere    Zukunft   zu   geben. 

Schupps  Interesse  am  Opus  historicum  ließ  unter  solchen 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  279 

Verhältnissen  naturgemäß  nach  und  die  Folge  hiervon  war, 
daß  ihn  nun  auch  dieser  Auftrag  nicht  mehr  an  Marburg 
und  seinen  bisherigen  Beruf  kettete.  Als  sich  im  August 
1645  neben  der  noch  immer  offenen  Schmalkaldener  Super- 
intendentur  eine  weitere,  bessere  Pfarrstelle,  die  Stelle  eines 
Hofpredigers  bei  Landgraf  Johann  in  Braubach,  auf  tat,  für 
die  Schupp  einen  Ruf  erhielt,  forderte  er,  kurz  entschlossen, 
von  der  Universität  seine  Entlassung.  Er  erhielt  sie.  Die 
Folge  dieser  Aufkündigung  war  der  Verzicht  auf  Weiter- 
arbeit an  dem  begonnenen  historischen  Werk.  Es  war  daher 
kein  Zeichen  der  Ungnade,  sondern  ein  ganz  folgerichtiger 
Akt,  daß  Landgraf  Georg  II.  am  16.  Oktober  1645  an  Schup- 
pius  den  Befehl  gelangen  ließ,  alle  ihm  überlassenen  Akten 
dem  Sekretarius  Malcomesius  abzuliefern,  „damit  sie  noch 
vor  dem  bevorstehenden  abzugk  naher  Darmstatt  mit 
sicherer  Gelegenheit  zum  fürstl.  Archiv  in  Gießen  gebracht 
würden".  Außerdem  ist  zu  beachten,  daß  Marburg  immer 
mehr  in  Bedrängnis  kam,  wovon  der  Bericht  No.  XXIII  und 
XXIV  Zeugnis  ablegt,  mithin  für  den  Verlust  der  wertvollen 
Stücke    zu    fürchten   war. 

Schupp  blieb  in  Marburg  bis  Anfang  Dezember.  Am 
2.  Dezember  nahm  er  honores  Doctorales  in  Theologia4  an. 
Dann  traf  er  wegen  seiner  zukünftigen  Stellung  die  Wahl. 
Da  Schmalkalden  nun  nicht  mehr  in  Betracht  kam,  weil 
Praetorius  daselbst  verblieb,  entschied  er  sich  für  Brau- 
bach,  für  welche  Stelle  er  anfänglich  nicht  recht  begeistert 
gewesen   war.     Dann  verließ   er  Marburg. 

Mit  Schupps  Abreise  von  Marburg  hören  alle  seine  Be- 
ziehungen zu  dem  Opus  historicum  hassiacum  auf.  Man 
übertrug  dessen  Ausarbeitung  im  Jahr  1647  Schupps  Schüler 
Johann  Justus  Winckelmann,  änderte  dabei  aber  den 
Plan  des  Werkes  wieder  im  Sinne  des  ursprünglichen  Toten- 
wartischen  Projektes:  Winckelmann  bekam  den  Auftrag,  eine 
„hessische  Chronica"  zu  schreiben,  die  die  gesamte  hessische 
Vergangenheit  behandelte.  Ob  Schuppius  bei  der  Auswahl 
dieses  jungen  Mannes  irgendwie  mitgewirkt  hat,  wissen  wir 
nicht.  Wahrscheinlich  ist  es  allerdings  nicht.  Ebensowenig 
wissen  wir,  wohin  nun  das,  was  von  Schuppius  wirklich 
ausgearbeitel  war,  sowie  seine  Materialsammlung  gekommen 
ist.  Schuppius  hat  nach  seinem  Weggang  von  Marburg 
keinerlei  historische  Arbeiten  mehr  im  Druck  herausgegeben. 
Fast  alle  seine  Schrillen,  die  er  in  der  Zeit  zwischen    1646 

i  Hierzu  sollten  ihm  nach  des  Landgrafen  Wunsch  40—50  II.  Zu- 
schuß gegehe»  werden.  Da  kein  Gold  vorhanden  war.  sprach  die  Uni- 
versität für  die  gleiche  Summe  „Wahren  heym  Krämer"  gut. 


280  Wilhehn  Diehl. 

und  1661,  seinem  Todesjahr,  erscheinen  ließ,  bezogen  sich 
auf  die  Gegenwart  und  erörterten  praktische  Fragen  der 
Religion,  Sittlichkeit  und  Bildung.  Er  scheint  sogar  eine 
gewisse  Abneigung  gegen  die  Herausgabe  weiterer  histo- 
rischer Schriften  gehabt  zu  haben.  Sonst  hätte  er  doch 
wohl  die  Herausgabe  einer  der  vielen,  zum  Teil  umfang- 
reichen Schriften,  die  er  in  den  Jahren  1657—1661  er- 
scheinen ließ,  unterlassen  und  dafür  eine  vermehrte  und 
verbesserte  Neuauflage  von  Christoph  Helwigs  Theatrum 
chronologicum  besorgt,  die  Schupp  so  nötig  schien  und 
so  sehr  am  Herzen  lag,  daß  er  in  seiner  Schrift  „Freunde 
in  der  Noth"  im  Jahr  1657  an  seinen  Sohn  Anton  Meno 
schrieb:  „Allein  diss  einige  must  du  mir  zu  Gefallen  und 
auff  meinen  Befehl  thun:  Du  must  deines  Großvaters  Thea- 
trum chronologicum  augiren,  und  wieder  aufliegen  lassen. 
Und  du  solt  es  hinführo  augiren  und  defendiren,  so  lang  du 
lebst.  Res  haec  non  patitur  moram.  Dann  von  unterschie- 
denen Orten  gedrohet  wird,  wann  ich  es  nicht  also  bald 
wolle  aufliegen  lassen,  so  wollen  sie  es  aufliegen.  Und 
ist  allbereit  zu  Londen  in  Engelland  nachgedruckt  worden." 
Vielleicht,  daß  ein  späterer  Fund  uns  einen  Teil  des 
Schuppischen  Manuskripts  wiederbringt!  Bis  dahin  müssen 
wir  uns  mit  den  Notizen,  die  wir  oben  gegeben  haben,  zu- 
frieden geben.  Eines  freilich  muß  hier  zum  Schluß  noch 
einmal  besonders  betont  werden.  Die  Annahme  Bischoffs 
(S.  16),  Schuppius  habe  „wohl  zur  Beruhigimg  des  Land- 
grafen und  als  Vorgeschmack  des  zu  erwartenden  seinen 
Hercules  togatus  sive  de  illustrissimo  celsissimoque  heroe 
Georgio  II.  oratio  1640  in  Druck  gegeben",  mithin:  man 
müsse  diese  Schrift  in  Zusammenhang  mit  dem  Opus  histo- 
ricum  bringen,  ist  unbedingt  abzuweisen.  Schuppius  hat 
diese  Rede,  die  recht  wenig  historischen  Stoff  enthält,  im 
Anfang  des  Jahres  1638  in  Marburg  gehalten  und  sie  erst- 
malig mit  einer  Vorrede,  die  vom  Mai  1638  datiert  ist, 
herausgegeben.  Der  Inhalt  der  Rede  und  der  Plan,  sie 
drucken  zu  lassen,  stammt  also  aus  einer  Zeit,  wo  noch 
niemand  an  das  von  Schupp  auszuarbeitende  Opus  hislori- 
cum  dachte,  wo  noch  nichl  einmal  Wolff  von  Tofonwarl  «lern 
Landgrafen  sein  Projekt  zu  einer  Sammlung  denkwürdiger 
Stücke  ans  Hessens  Vergangenheit  unterbreitel  halte.  Auch 
die  Ansicht,  daß  Schupp  um  dieser  Rede  willen  zur  Heraus- 
gabe des  Opus  historicum  bestimmt  worden  sei,  scheint 
mir  hinfällig.  Beide  Ansichten  tun  dieser  Gelegenheitsrede 
eine    Ehre   an,   die   sie   wirklich   nicht   verdient. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  281 

«. 

Beilagen. 
I. 

Drei   Berichte   des   Kanzlers   Anton    Wolff   von   Todenwarth 
an  Landgraf  Georg  II.  über  die  Abfassung  einer  hessischen 

Chronica. 

(Darmstadt,  Staatsarchiv,  IV,  1,  8.) 
a.  Das  erste  Schreiben  vom  19.  März  1639. 
E.  F.  Gn. -mag  ich,  nechst  unclertheniger  und  gehorsamer 
erbihtung  meiner  pflichtschuldigen  getrewen  Dinste,  nicht  bergen, 
welcher  gestalt  ich,  bey  newlichster  perlustrir-  und  Durchblätte- 
rung meiner  wenigen  privatbibliothec  under  anderm  sonderlich 
observirt,  daß  albereit  von  etlichen  hundert  iharen  hero  die 
höchste  Kayser :  und  Königliche,  auch  Chur :  und  fürstliche 
Häusser,  im  heyligen  Römischen  Reich,  Ihre  große  embsigkeit  und 
intention  dahin  gerichtet,  damit  von  Ihren  und  der  Ihrigen  großen 
und  löblichen  thaten,  auch  tugendhaften  expeditionen,  und  rühm- 
lichen rahtschlägen  und  Verrichtungen  fort  und  fort,  in  der 
weiten  Welt  viel  möge  gesagt,  gerühmet,  aufgezeichnet,  zu  ewigem 
preiß  in  truck  gebracht,  von  vornehmen  Scribenten  und  Ver- 
wahrern, gleichsam  aus  einer  Hand  des  Ruhms  und  encomii  in 
die  andere  gelifert,  und  also  allgemächlich  eine  familia  nach 
der  andern  celebrior,  augustior  et  honoratior  gemacht  werden, 
dessen  dan  viel,  fast  unzehlbare  treffliche  Zeugnussen  vorhanden, 
und  insonderheit  im  hochlöblichen  fürstlichen  Hauß  Hessen  (wan 
auch  schon  weiterer  Bericht  ermangeln  solte)  die  treffliche  historia 
et  series  multorum  praeclarissime  actorum  et  rerum  gestarum 
ex  scriptis  Sleidani,  Thuani  et  aliorum  vorhanden  seind,  und 
sonderlich  ist  Sleidanus  gleichsam  darzu  erbohren,  und  vom 
lieben  Gott,  aus  Niderland  in  Oberteutschland  gesandt  worden, 
daß  er  die,  von  Ewerer  Fen.  Gn.  hochgeehrtem  Herrn  proavo 
weyland  Herrn  Landgraf  Philippsen  dem  Eltern,  laudatissimae 
recordationis  zu  Krigs :  und  Fridens  Zeiten  geführte  wichtige  ex- 
peditiones,  auch  jeweils  dabey  mit  uiid<M'gel()ffene  denckwürdige 
reden,  und  anders  mehr  beschriben  liatl,  und  in  gefolgten  Jahren, 
hatt  mein  in  der  Jugend  gewesener  trewer  praocepfor,  under- 
weiser  und  Informator  Herr  Friderich  Hortleder,  nunmehr 
fürstlicher  Sachsen-Weymarischer  vornehmer  Rhat,  vollends  gar, 
alle  Caroli  Quinti  [mperatoris,  adeoque  etiam  Philippi  Magnanimi 
heroica  et  laudabilia  facta  et  acta  (so  weil  sich  von  Sleidano 
darauf  bezogen,  und  die  gantze  historia  Sleidani  daraus  com- 
pilirt  worden)  zusammen  trucken  lassen,  und  wan  derselbe  Slei 
danus  (welcher  sich  aber  dardurch  dergestall  abgemattet,  daß 
er  endlich  allerdings  bis  puer  worden,  und  seiner  [eiblichen 
Tochter  Taufnahmen,  ans  großer  Schwachheil  des  Gemühts,  nicht 
weiter  nennen  können)  nicht  auf  die  Bahn  kommen  were,  und 
das  seinige,  in  so  mühsamer  fleißiger  Conscribirung  suae  historiae 
Carolinae,  nicht  so  tugendlich  gelaistet,  und  dem  Stättrhal  zu 
Straßburg,  nicht  alles  von  Wort  zu  Wollen  vorgelesen,  und  <\cv 
Rhat  daselbsi  sich  aus  guhtwilliger  anhöninij,  desselben  ah:  und 
vorlesens,  der  Geschichte  und  wahrhaften    Relation  selbst  nicht 


282  Wilhelm  Diehl. 

so  trewlich  erinnert  hette,  So  würde  Thuanus  zu  einem  so  ge- 
waltigen Anführer  und  Wegweiser  wohl  nimmer  kommen  sein, 
und  würde  sich  Ewerer  Fen.  Gn.  hochlöblicher  Herrn  Vorfahren, 
und  Ihres  Uhralten  fürstlichen  Hauses,  billiche  gloria,  nicht 
ohn  die  größeste  Injuri,  sonsten  sehr  geschwächt,  und  gleich- 
sam (salvo  debito  honore  suo)  zu  Bodem  gelegt  und  geschwächt 
hefunden  haben,  welchen  Verlust  keiner  gesunden  Verstands  und 
ehrlichen  Hertzens,  vor  einen  geringen  Schaden,  und  vor  ein 
unschätzbares  halten  und  dises  hohen  uhralten,  alle  Zeit  mit 
Römischen  Kaysern,  auch  andern  christlichen  Königen  starck 
befreundeten  fürstlichen  Hauses  Dignitaet  und  Reputation  ein 
anders  gönnen  würde. 

Und  mag  E.  F.  Gn.  ich  mit  beständiger  redlicher  Wahrheit 
versichern,  auch  wohl  mit  ehrlichen  trewen,  ietzo  noch  lebenden 
Leuhten  beweisen  können,  daß  E.  F.  Gn.  hochseeliger  liebster 
Herr  Vatter  mein  weyland  gewesener  genediger  milder  Fürst  und 
Herr,  nicht  nur  von  Erhalt:  sondern  auch  nur  von  Ergrößerung 
Seiner  Fen.  Gn.  hohen  Hauses,  und  eben  auch  von  fleißiger 
Aufzaichnung  und  künftiger  Edirung  eines  und  des  andern  löb- 
lichen und  rühmlichen  Wercks,  oftmahls  im  spatzirenfahren  und 
dan  im  fast  täglichen  auf:  und  abgehen,  auf  meinem  Wahl- 
garten zu  Darmstatt,  viel  geredet  und  sonderlich  anno  1626  zu 
Rüsselsheim,  under  damahls  von  Hauß  aus  gebrauchter  Sawer- 
bronnencur,  manchmahl  gantze  stunden  oder  halbe  Tage,  zu 
mir,  in  mein  inngehabtes  Zimmer,  mit  großer  fürstlicher  Leuht- 
seeligkeit  kommen,  und  von  so  bewandten  Sachen,  sehr  eyferig 
und  dergestalt  geredet,  alß  ob  Seine  Fe.  Gn.  auch  nicht  gern 
Verzugk  eines  einigen  Tags  darin  gestattet  oder  gesehen  heften, 
und  wan  es  under  so  gestaltem,  respective  genedigem  und  unter- 
1  henigem  Gespräch  ohngefehr  geschehen,  daß  etwa  frembde  Brief 
oder  Posten  angelangt,  oder  sonst  dergleichen  andere  avocamenta 
sich  zugetragen,  haben  Seine  Gottseelige  Fe.  Gn.  sich  sehr  oft 
darüber  bewegt,  und  allezeit  die  Impedition  berewet,  wie  sonder- 
lich der  von  Hertingshausen,  Erbküchenmeister  und  alter  Jäger- 
meister (welcher  deßmahls  Ihrer  Gottseeligen  Fen.  Gn.  sonders 
gehaimer  und  vertrawter  Minister  war  und  Seiner  Fn.  Gn.  etwa 
seihst  von  denen  Sachen  reden  gehört)  bezeugen  kann. 

Nun  habe  Gnediger  Fürst  und  Herr,  ich  eine  Zeithero  under- 
thenig  wahrgenommen,  daß  sehr  viel,  zu  Ihrer  und  Ihres  hohen 
Hauses  fürstlicher  Reputation  auch  billichmäßiger  Extollir:  und 
Laudirung,  gehörige  Sachen,  wo  nicht  gar  nicht  zu  huck  ge- 
setzt, jedoch  nicht  mit  solcher  großen  embsigkeil  und  Aul 
merekung,  wie  es  sonst  wohl  billich  sein  solle,  für  all  zu  großer 
und  häuffiger  menige  der  täglichen  nicht  wohl  umbgänglichen 
Expediendörum  in  achtgenommen  und  considerirt  worden;  dan 
obwohl  in  Seiner  Gottseeligen  Fen.  Gn.  annoch  vorhandenem 
Buch,  dal.»  Ehrengedächtnus  genannt,  viel  feine  und  aninuthige 
Sachen  befindlich  sein  mögen,  so  weys  ich  doch  aus  damahliger 
Zeit  noch  selbst  wie  eylfertig  alles  bey  Bestellung  der  fürstlichen 
Leich  und  Aufsetz :   oder  Vergreiffung  des  fürstlichen  Lebenver- 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  288 

lauffs  habe  müssen  dahergehen,  und  daß  (wie  gemeiniglich  zu 
geschehen  pflegt)  der  Geschäfte  hernach,  da  mann  einmahl  zu 
warten,  aufzuschieben  und  die  darzu  nohtwendige  geringe  Surap- 
tus  zu  ersparen  angefangen,  so  gar  viel  zusammen  kommen, 
daß  man  hernach  alß  schon  alles  considerirt  und  vorüber  ge- 
wesen, nicht  wohl  zu  einem  jeglichen  Werck  genügsame  Zeit 
und  Arbeit  anwenden  können,  und  zweifelt  mir  nicht,  wan  in 
den  Tagen  Seiner  Fen.  Gn.  chrislseeligen  Lebens,  fein  alles  were 
zusammen  gelegt,  und  dardurch  dasjenige,  was  man  hiernechst 
einmahl,  serae  posteritati  gleichsam  zu  Händen  lifern,  und  alß- 
dan  Ihro  daran  einen  verborgenen  Schatz  vertrawen  wolle,  in 
tempore  starck  beobachtet,  und  dem  hohen  fürstlichen  Hauß, 
und  vilen  aus  demselben  Hause,  löblichst  rührenden  und  her- 
stammenden fürstlichen  Häubtern,  zu  Dinst  und  Nutz,  in  Zeiten 
colligirt  worden,  es  solte  sich  mancher  ehrlicher  Patriot  höch- 
lich darüber  erfreuwen  und  selbiger  Gestalt  würde  ohn  einigs 
Menschen  befugte  Beschwernus,  das  Lob  und  die  Würde  dises 
hohen  Hauses  ungleich  weiter  gebracht  und  ergrößert  worden 
sein.  Und  bedünckt  es  mich,  auch  noch  Zeit  zu  sein,  daß  die 
noch  übrige  und  vorhandene  reliquiae  et  fragmenta,  welche  dan 
auch,  auf  dise  stund,  nicht  gering  zu  achten  seind,  compilirt, 
und  in  einen  tomum  oder  sonderbaren  fasciculum  redigirt  würden, 
worzu  Ewerer  Frn.  Gn.  und  dem  gantzen  Land,  auch  dero 
fürstlichen  hohem  Hause,  gantz  trewlich  dinen,  und  trefflichen 
anlaß  geben  könte,  der  noch  alhie  wohnende,  und  an  dergleichen 
sachen,  seine  Lust  und  Frewdigkeit  habende  und  under  den 
Professoren  zum  längsten  in  Dinsten  gewesene,  aus  Niderhessen 
hurtige  und  Ewerer  Frn.  Gn.  aufrichtig  und  trewlich  zugethane 
patriot  M.  Conradus  Bachmannus,  mit  welchem  ich  gestriges 
mittags  lang  und  viel  darvon  geredet,  und  hirmit  derjenigen 
sliick,  welche  ich  nur  hinder  ihm  Gott  lob  stattlich  und  häufüg 
und  copiose  vorhanden  zu  sein  vermercke,  zu  undertheniger 
Nachrichtung  in  abschrift  etwas  überschicke,  und  halle  gantz- 
lich  darvor  es  werde  auch  das  gantze  Werck,  welches  wohl  auf 
etliche  Alphabet  excessiren  möchte,  in  quarta  forma  oder  in 
folio  füglich  können  verlegt,  und  zu  dergleichen  newen  Collec- 
taneis  manchem  Libhaber  so  viler  anmuhtiger  sachen,  ohn  einige 
Beschwerde  geholffen  werden,  doch  stehe!  alles  zu  Ewerer  Fen. 
(in.  hochweiser  genediger  Verbesserung,  all.»  deren  ich  keines- 
wegs, begehre  hirinn  oder  sonst  vorzugreiffen  oder  maas  zu 
geben.  E.  F.  Gn.  und  den»  hochgelible  Imuw  Gemahlin,  auch 
fürstliche  junge  liebe  Kinder  Gelles  allmögender  Obhand  und 
Beschirmung    gantz    trewlichst   in    underthenigkeil    emphelend. 

Datum  Marpurg  am   li).  Martii  anno  l(i.")(.). 
Postscriptu  in. 

Auch    Durchleuehtiger    IJochgehorncr,    Genediger    Fürst    und 
Herr,  hab  ich  biß  dato  underthenig  wahrgenommen,  daß  aus  freund 
licher  guhter  einigkeit,  je  ein   Fürsl   zu    Hessen,   für  des  andern 
seines  Mittfürsten  Reputation  und  existimation  sorgfaltig  gewesen, 
und  darvor  gehallen,  daß  die  honorirung  deß  andern  Anverwandten 


284  Wilhelm  Diehl. 

Fürsten  Ihm  zubefordern  und  in  acht  zu  nehmen,  sonderlich  ob- 
ligen  solle,  und  solches  ist  dem  geschworenen  Erbvertrag  ähnlich 
und  gemäß  gestalt  im  Erbvertrag  mit  haytern  Worten  stehet,  Wir 
-  in  incipes  Hassiae)  sollen  unß  under  einander  fördern,  und  je  einer 
des  andern  nutz  und  ehre  suchen,  und  trewlich  mainen  etc.  und 
zweiffeie  nicht,  wan  etwa  in  vorigen  Zeiten  ein  im  Leben  geblibener 
Fürst,  dem  andern  seinem  Mittfürsten  ehre  erwisen,  und  aber  der- 
gleichen honorirung  dißmahls  nicht  geschehen  und  underbleiben 
solte,  so  würdens  des  seelig  verstorbenen  Fürsten  hinderlassene 
posteri,  vor  eine  vorsätzliche  geringhaltung  oder  gar  despectirung 
ihres  tocls  verblichenen  progenitoris  (wo  eben  nicht  öffentlich,  je- 
doch heimlich)  mit  Unmuht  zu  Hertzen  und  gemüht  führen.  Weil 
dan  nunmehr  fast  geraume  Zeit  verstrichen,  in  welcher  wey- 
land  Herr  Landgraf  Friderich  der  Eitere,  Ewerer  Fen.  Gn.  Herr 
patruus,  unversehens  dises  Leben  geendiget,  so  könte  nicht 
schaden,  daß  E.  F.  Gn.  durch  ein  sonderlich  fürstlich  aus- 
schreiben, dero  Universität  alhie  befehlen  lißen,  daß  Seiner  Gott- 
seeligen Fen.  Gn.  zum  letzten  ehren  ein  professor  ex  Academia 
eine  wohlstudirte  lateinische  laudation  oder  parentation  halten, 
und  darmit  es  ihme  oratori  selbsten,  an  nohttürftiger  materia 
laudum  nicht  leicht  mangeln  möge,  mit  Ewerer  Fen.  Gn.  ge- 
heimen Rhat  und  Vicecantzlarn  D.  Fabricio  fleißig  und  zeitlich 
communiciren  solte. 

Dasselbe  fürstliche  Befehlschreiben  nun,  könte  auch  der 
fürstlichen  Fraw  Wittib  zu  Homberg  vor  der  Höhe  freundlich 
communicirt,  und  darbey  gebetten  werden,  Ihre  Fe.  Gn.  wolten 
daraus  ohnbeschwert  Ewerer  Fen.  Gn.  trewhertziges  redlich  ge- 
meintes intent  und  gemüht,  zum  beßten  versehen,  und  wan 
Sic,  hochgedachte  fürstliche  Fraw  Wittib,  Gott  zu  ehren,  und 
dem  gantzen  fürstlichen  Hauß  zu  rühm,  und  repulation  etwas 
zu  moviren  hette,  dasselbe  noch  bey  guhter  Zeit  thun,  dan 
E.  F.  Gn.  gern  sehen  wolten,  daß  mit  der  vorhabenden  alhiesigen 
Oration  und  parentation  dergestalt  geeylH  würde,  darmit  dieselbe 
in  kurtzem  in  offen  truck  ausgehe,  und  allenthalben  zu  desto 
besserem  glimpf  verstanden  werde. 

Thue  hiermit  E.  F.  (in.  all.)  deren  ich  hierdurch  keineswegs 
begehre  vorzugreifen,  in  dero  beharrliches  fürstliches  Wohl- 
wollen   mich    nochmahls   empfehlen. 

1».  Das  /.weife  Schreiben  vom  1'.).  März  1639. 
Die  Verzaichnus  derienigen  stücke,  welche  meines  unvor- 
greifflichen  underthenigen  Darvorhaltens,  in  das  vorhabende 
sonderbare  große  Opus  Raritatum  Hassiacarum  kommen  sollen, 
hah  ich  <'hcn  ietzo  under  Händen  und  lasse  es  durch  Ewerer 
Fen.  Gn.  Landcancellisten,  Johann  Hermann  Henrici  (welcher 
sonst  von  gar  fertiger  Hand,  und  des  Schreibens  in  Lateinischer 
und  Grichischer  Sprach  zimlich  kündig  sei)  sauber  zusammen-; 
tragen,  in  ünderthenigkeil  darvor  hallend,  wan  es  nur  einmahl 
fein  rein  und  hübsch  zusammengeschriben  ist,  so  werde  hernach 
der  gantze  Truck  desto  schleimiger   fortgehen  können,   und   bitte 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  285 

demütig,  E.  F.  Gfn.  geruhen,  die  hierzu  nohtwendiglich  gehörige 
Moram,   genedig  im   beßten  aufnehmen. 

Das  Werck  an  sich  seihst,  soll  mit  Gottes  Hülff,  sich  so 
füglich  schicken,  und  beschleunigen,  daß  es  verhoffentlich  Ihro 
zu  keiner  Displicentz  geraichen  möge,  und  thue  hiermit  in  Ewerer 
Fen.  (in.  Hulde  und  propension  mich  in  Gehorsam  emphelen. 

Datum  Marpurg  am  19.  Martii  anno  1639. 

c.  Das  Schreiben  vom  2.  April  1639. 

Mir  zweiffeit  nicht,  E.  F.  Gn.  werden  sich  gnedig  erinnern, 
was  vor  etlichen  wenigen  Wochen,  an  dieselbe  ich  von  fleißiger 
Asservir :  und  Zusammentruckung  vornehmer  stücke,  welche  zu 
dero  uhrallen  fürstlichen  Hauses  trefflichem  und  ewigem  Ruhm 
gedeyen   könten,   underthenig   üherschriben. 

Darauf  hab  ich  nunmehr  nicht  underlassen,  die  Verzaichnus 
derselben  stücke,  und  den  Catalogum  selbst,  underthenig  und 
wohlmainend  umb  desto  wenigem  Vergessens  willen,  aufzu- 
zaichnen,  in  ohngezweifelter  demütiger  Hoffnung,  aus  bloßer  über- 
sehung der,  nunmehr  gefertigter  designation,  werde  das  gantze 
Werck,  viel  heller  und  klärer  sich  selbst  recommendiren.  Und 
bleibt  allezeit  der  ältiste  under  den  hisigen  professoren,  M.  Con- 
radus  Bachmannus,  bey  mir  unwürdigem  alten  Diner,  in  der- 
jenigen Recommendation,  daß  er  billich,  einem  guten  und  fleißigen 
antiquario,  wo  nicht  eben  vorzuziehen,  doch  optimo  maximo 
jure  zu  vergleichen. 

Derselbe  ehrliche  alte  Mann  aber  lebet,  wie  ich  wohl  spüre, 
bey  seinen,  disem  hochlöblichen  uhralten  fürstlichen  Hause 
Hessen,  trewlichst  und  willigst  geleisteten  Dinsten,  nicht  in  merck- 
lichem  Überfluß,  also  daß  es  an  ihme  ein  wohlverdinter  rechter 
Gotteslohn  were,  wen  E.  F.  G.  seiner,  alß  eines  alten  Manns, 
nach  fürstlichem  guten  Beliben  und  Wohlgefallen,  etwa  zu  ge- 
legener Zeit,  mit  einem  leidlichen  Stücklein  paaren  Gelds  gnedig 
gedencken  lißen,  doch  bleibet  alles,  ohn  einige  masgebung  zu 
Ewerer  Fen.   Gn.   Beübung  und  Gefälligkeil    lödiglich   ausgesetzt. 

Marpurg,  am  2.  Aprilis  1639. 
PostsC  L'i  pl  ll  in. 

Auch  Durchleuchtiger  flochgeborner  Genediger  Fürst  und 
Herr,  hab  ich  nicht  underlassen,  zuerwögen,  und  in  lindert henig- 
keit  zu  überschlagen,  was  die  ablnukung  des  ganlzen,  zu  dises 
hochlöblichen  uhralten  fürstlichen  Hauses  vornehmer  Reputation 
angesehenen  Wercks,  erfordern  und  kosten  werde.  Und  halte 
ohnmaßgeblich  mil  Vorbehalt  Ewerer  Fen.  Gn.  höherer  Gedancken 
darvor,  Euerer  Ken.  (in.  jetziger  Professor  poeseos  M.  Conradus 
Bachmannus,  als  welcher  ohne  das  wegen  der  an  Herren  Land 
graf  Henrichs  hochseeligen  andenckens,  in  huck  gefertigter  exe- 
quialien,  und  darbey  gehabter  laniiwürigcr  und  vieler  müh,  noch 
zu  begaben,  und  vor  seine  trew,  mildiglich  zu  belohnen  ist, 
werde  in  Underthenigkeit  danckbar  und  sehr  wohl  zufriden  sein, 
wan  von  Ewerer  Fen.  Gn.  er  vor  dieselbe  vorige  müh,  und  dan 
vor   die   jetzige,   an    Conquirirung   des    tomi    singularis   Hassiaci, 


286  Wilhelm  Diehl. 

in  allem  and  allem  getragene  labores  etwa  mit  dreyßig  Reichs- 
thaleni  paar  begnadigt,  und  solches  ihm  forderlich  gelifert  werde. 
Ich  bedencke  auch  underthenig,  daß  bey  edirung  eines  so  an- 
sehnlichen fürstlichen  Buchs  in  Folio,  eine  nohtturft  erhaische, 
an  einem  bequemen  Ort.  nach  collocirung  eben  deßienigen  fürst- 
lichen hessischen  und  fürstlichen  würtembergischen  Wapens,  wie 
solche  Wapen  auf  dem  fürstlichen  Schloßsaal  alhie,  in  dem 
höltzernen  Portal  stehen,  so  dan  nechst  Herbeyfügung  des  Chur- 
sachsi sehen  und  fürstlichen  Brandenburgischen  Wapens,  zwey 
feine  taugliche  emblemata  zu  setzen,  welches  dan  dem  fürstlichen 
Hauß  Hessen  und  disem  gantzen  Buch  einen  merklichen  Wohl- 
stand geben  würde,  und  vermeine  underthänig,  der  Ewerer  Fen. 
Gn.  ohne  das  gehorsamlich  wohlzugethane  Buchtrucker  Merian, 
werde  vor  solche  Wapen  und  emblemata,  wo  nicht  wohl- 
feiler und  leidlicher  doch  etwa  aufs  höchste  mit  vier  und  zwantzig 
Reichsthalern  zu  contentiren  sein. 

Daß  gantze  buch  an  sich  selbst  würd  mit  Gottes  Hülff  gar 
wohl  abgehen,  sonderlich  wan  dieienige  treffliche  teutsche  send- 
brife,  deren  ich  in  meiner  underthenigen  Verzaichnis  gemeldet, 
darin  gelassen,  und  nicht  herausgenommen  werden,  dan  es  seind 
die  in  der  Schwedischen  und  Rüsselsheimischen  sach,  an  den 
damahligen  Römischen  Kayser  abgeschickte  Brif,  so  dan  die 
beede  Schriften,  welche  alhie  zu  Marpurg  anno  1625  auf  dem 
offenen  fürstlichen  großen  Saal,  durch  Malcomesium  lauht  ver- 
lesen worden,  ferner  Ewerer  Fen.  Gn.  hochgeehrten  Herrn  Gros- 
vatters,  Herrn  Landgraf  Georgens  hochseeligen  milden  Andenckens, 
an  das  hochlöbliche  fürstliche  Hauß  Würtenberg  abgangene  War- 
nungen und  andere,  theils  jocose,  theils  serio  abgefaste  und  vor- 
handene Stücke,  trefflich  und  dergestalt  gefasset,  daß  ich  gäntz- 
lich  darvor  halte,  es  werden  dieselben  Sachen  allein  daß  Werck 
sehr  wehrt  und  angenehm  machen,  und  die  daraus  helleuchtende 
Constantz,  Weisheit,  Resolution  und  Redlichkeit,  denen  in  Golt 
ruhenden  hochgeehrten  üben  Fürsten  und  Herren  das  beste  und 
herrlichste  Monument  sein.  Ich  geschweige  der  hisigen  fürstlichen 
Regirungsordnung  auch  statutorum  Academicorum,  welche  Stücke 
sämbtlich,  mit  solcher  Vigilantz  begriffen  seind,  das  sie  allein, 
wohl  etwas,  bey  einem  ieden  Leser  nutzen  werden,  und  billich 
hochzuachten  seind. 

Und  dörfften  E.  F.  Gn.  vor  den  Abtruck  des  gantzen  Wercks 
sei  listen,  sich  in  keinen  Unkosten  wagen,  sondern  die  Buch- 
trucker  werden  Gott  und  Ewerer  Fen.  Gn.  zu  dancken  Ursach 
haben,  wan  ihnen  das  gantze  opus  (dessen  conquirirung  und  Zu- 
sammenbringung gleichwohl  viel  müh  gekostet)  frey  under  die 
Hand    gegeben,   und    überlassen   würde. 

In  alle  Wege  aber,  Genediger  Fürst  und  Herr,  ist  zu  nöhtiger 
Beobachtung  und  fleißiger  correctur  nöhtig,  daß  neben  eines 
ieden  Buchtruckers  ohne  das  billich  underhaltendem  fleißigen 
Correctore,  auch  insonderheit  Ewerer  Fen.  Gn.  Rhat  und  Ober 
archivario  D.  Tülsnern  anbefohlen  werde,  ein  scharpf  Aug  auf 
die    Obercorrection    zu    halten,    und    dieselbe    Correctur    zu   ver- 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  287 

treuen,  und  dannit  dasselbe  mit  desto  mehrer  anmuht  und 
Frewdigkeit  durch  ihn  beschähe,  so  könte  durch  E.  F.  Gn.  ein- 
getingt  werden,  daß  Ihrem  Rhat,  und  Oberarchivario  D.  Tülsnern 
alß  supremo  Correctori  entweder  an  guten,  ihme  seilest  wohl- 
anstehenden rohen  Büchern,  oder  an  paarem  geld  durch  die 
Typographos  der  Wehrt  von  viertzig  gülden  nach  und  nach  ge- 
handreicht werde. 

Wie  hoch  ein  gantzes  vollkommenes  exemplar  dises  vor- 
handenen Wercks  lauffen  werde,  läßt  sich  ietzmahls,  und  eh  man 
weys,  wie  hoch  es  sich  an  der  Anzahl  des  papiers  ertragen 
werde,  schwerlich  bestimmen.  Weil  aber  E.  F.  G.  selbst,  wie 
man  mit  Wahrheit  wohl  sagen  kann,  der  Author  des  gantzen 
Wercks  seind,  auch  auf  solche  maas  und  weise,  wie  ich  in 
Underthenigkeit  droben  vorgeschlagen,  die  gradirstücke,  gantz 
verlegen  werden,  so  vermeine  ich  gehorsamlich,  es  soll  und 
werde  billich  kein  exemplar  über  vier  gülden  kommen  können, 
und  were  alßdan  hirnechst  auch  nothig,  daß  umb  wenigem 
Vertewerns,  und  aus  der  sach  suchenden  privatnutzens  willen, 
die  taxa  aigentlich  bestimbt,  und  dardurch  Ursach  gegeben  werde, 
daß  iederman  welcher  zu  erkauf:  und  Lesung  so  gethanen  gantzen 
Wercks  Neigung  trägt,  desto  leichter  und  ohngehinderter,  darzu 
kommen  könte.  Welches  alles  Ewerer  Fen.  Gn.  ohn  einige  Mas- 
gebung,  ich  underthenig  zugleich  anfügen,  und  mir  solches  zu 
milden  gnaden,  zudeuten,  und  vor  keinen  Vorgriff  aufzunehmen, 
gehorsamlich  bitten  sollen.  E.  F.  Gn.  auch  dero  vielgeliebte 
hochangehörige,  Gottes  starkem  schütz  und  Schirm  zu  allem 
fürstlichen   Wohlstand   trewlich   emphelend. 

II. 

Ein  Programma,  mit  dem  Schuppius  die  Studenten  zu  einer 

historischen   Oration  eines  seiner  Schüler  einlädt, 

vom  16.  Juni  1639. 

(Gießen,   Univ. -Archiv,  Personalakten  Schupps.) 

.loh.  Balthas.  Schuppius,  Eloquent,  el  Historiarum  Professor 
in  Academ.  Marpurgensi  Eloquentiae  aliarumque  artium  liberalium 
Cultoribus   s.   p.    p. 

Euntes  ad  praelium  mildes,  orationis  igniculis  accendendi 
sunt,  ut  hostem  cupianl  prius  quam  Eeriant.  Dux  ipsß  qui  et 
militis  officium  subire  solet,  prius  dicit  quam  ducit,  prius  hor- 
tatur  quam  pugnal,  el  frustra  hostem  arniis  invadit,  nisi  suos 
prius  vicerit  oratione.  Vivimus  et  nos  in  mililia,  o  Juvenes, 
hie  castra  et  arenam  habemus,  intra  hoc  perpetuum  bellum  nobis 
geritur,  et  quotidie  pugnandum  est  contra  ignorantiam.  Hodie 
hora  prima  bono  cum  Deo  in  arenam  producam  tyronem  quendam, 
qui  prhnum  publicae  lucis  tyrocinium  positurus,  aut  vincere  cupil, 
aut  ab  industria  vestra  vinci.  Erit  is  Doclissimus  juvenis  Dn. 
Joann.  Esaias  Fabricius,  qui  Deo  adjuvante  orationem  recitabit 
de  serie  Historiarum  ab  orbe  condito  usque  ad  hoc  aevum.  Reci- 
tari    equidem    debeaf    haec    oratio    in    Auditorio    philosophorum, 


288  Wilhelm  Diehl. 

seil  quia  viri  quidam  in  illustrissima  aula  eminentes,  eam  audire 
cupiunt,  cogimur  actum  nunc  instituere  in  collegio  ad  Laniun. 
Ea  enim  est  philosophicae  gentis  sive  negligentia  sive  fatalis  pau- 
pertas,  ut  ea  subsellia  non  possideat,  quibus  excipere  possit 
hospites  honore  dignissimos.  Solus  Aristoteles,  cogitur  ire  pedes. 
Caeterum  ut  prolixis  verbis  ad  audiendam  orationem  hanc  vos 
invitem,  non  admodum  necessarium  puto.  In  tempore  vivimus, 
turpissimum  itaque  nescire  quid  in  tempore  vel  sit,  vel  fuerit. 
Temporis  lux  est  historia,  historiae  lex  est  veritas.  Veritas 
virtutem  commendat.  Virtutis  censura  requirit  exactum  Judicium 
et  facundum  ingenium.  Si  et  ingenium  et  Judicium  deest,  utrum- 
que  suppleri  potest  labore,  labore  superari  potest  omnis  si  quae 
occurrit  molestia.  Aestas  jain  est  o  commilitones  aut  si  mavultis 
fratres  vocari.  Cogitandum  itaque  de  Hyeme.  Hyems  vitae, 
senectus  est.  Senectutis  baculus,  honesta  Juventus.  Juventutis 
cibus,  varia  doctrina.  Doctrinae  condimentum  Historia.  Non 
video  quomodo  mereatur  nomen  literati,  qui  in  historiis  hospes 
est.  Quoties  amaenissimum  hunc  historiarum  hortum  ingredior; 
puto  me  invenisse  omnia,  quae  alii  mortales  misere  affectant  et 
aut  raro  aut  nunquam  consequuntur.  Jactent  alii  opes  suas, 
mihi,  cum  Cn.  Lentulo,  tot  sestertia  numerare,  licet  quot  übet. 
Alii  in  quibus  nunc  evehendis  nunc  deprimendis  fortuna  jocatur, 
loquantur  quas  gerunt  sive  togae  sive  militiae  primas  dignitates. 
Mihi  nunquam  aditus  praeclusus  est  ad  Rempubl.  Romanam. 
Quotidie  loqui  mihi  licet,  sive  cum  Julio  Caesare  sive  cum 
Augusto.  Si  bellum  delectat,  sine  periculo  cum  Scipione  Cartha- 
ginem  expugno.  Si  putatis  o  amici,  me  vana  opinione  falli, 
respondeo,  eandem  opinionem  totum  fallere  mundum.  Vanitas 
est  in  omnibus  rebus  humanis.  Et  hoc  ex  historiis  discitur. 
Volui  equidem  dicere  an  etiam  inveniri  possint  subsidia  quibus 
in  lectione  Historiarum  uti  possimus.  Ast  non  solum  Charta  me 
destituit,  sed  et  tempus.  •  Aptabit  se  propediem  alia  occasio,  ea 
de  re  disserendi.  Interim  valete  et  vos  amantem  redamare 
peragite. 

Dab.  raptim  16.  Jun.  1639. 

III. 

Zusammenstellung  der  Hauptabschnitte,   die   in   der 
>,Vita  Georgii  II."  von  Schuppius  behandelt  werden  sollten. 
(Entwurf  des   Geheimen   Rats). 
(Darmstadt,  Staatsarchiv,  IV,  1,  8.) 
Praefatio  elegans  praemittatur. 

Eingang  zu  machen  per  diein  natalem.  Parentes.  Auch  nach 
einander  zu  setzen,  wie  verschickt  worden,  wz  vor  Länder  be- 
suchet .  .  .  zur  Zeit  obitus  patris.  Sey  nit  älter  alß  so  und  so 
gewesen,  da  sie  in  liegirung  getreuen,  habe  Privilegium  Majoren- 
uilalis  gezogen.  Trätime.  Notificationes  der  Geheimden  Rälhe, 
wie  Tot  notificirl  worden.  Wie  Comites,  Barones,  Nobiles  Dinst 
gesucht,     angemeldet.      Habe     sich    dargegen     vorgesehen.      Zu 


Neue  Beiträge  zur  Geschiehte  Schupps.  289 

H.  Vattern  Rätlien  gehalten.     Genedige  Versprechnus  der  Gnade. 
Bestallungsrenovation    u.    Pflichtnehmung. 

Illustrissimi  Ausschreiben  nach  H.  L.  Ludwigs  Tot,  so  au 
Kayser,  Chur:  und  Fürsten  ist  geschriben  worden,  item  im  Land 
an  Regir.,  Univers,  und  Superintendenten,  alle  Beambten.  Leich- 
bestattung. 

Caesaris  Gratulatio  zur  Regirung,  Hispanischen  Gesanden 
Gratulation,  der  Churfürsten  Meintz,  Colin,  Bayern,  Sachsen  und 
Pfalz,  underschiedener  Communen  Gratulationes. 

Testamentseröffnung.     Privilegium    Majorennitatis    H.    L. 

Huldigungseinnehmung. 

Einbekomiming  der  Feste  Rheinfels,  feste  Platz  ('atz.  ganz 
und  gar. 

Einbekommung  der  andern  adjudicirten   Oerter. 

Reformatio  zu  Schmalkalden  und  in  der  Nidergrafschafft. 

Landgraf  Johanße  verschickt  in  frembde  Lande. 

Accord  wegen  des  Franck.  Hauses. 

Fürstl.   Beylager  zu  Torgaw. 

Annus  secularis  Academiae  Marpurgensis. 

Gütliche  Handlungsanfang  mit  H.  L.  Wilhelmen. 

Vertragstomus.     Confirmationstomus. 

Selbstabfertigung  einer  Gesandschafft  gen  Wien  pro  confir- 
matione   Caesarea. 

Verschickung  Herrn  Landgraf  Johanßen,  und  wie  der  Ab- 
schied genommen,  auch  wz  vor  ein  Schreiben  mitgegeben  worden. 

Universal  Landtag  zu  Cassell  und  gäntzliche  Vollzihung  deß 
Accords. 

Particularlandtag  zu  Marpurg  und  Schatzungsbewilligung 
de  ao.  28. 

Abschaffung  der  Lindloischen  Soldatesca  auß  dem  Ober- 
fürstenthumb   Hessen. 

Newe  Zunötigung  der  alten  Landgräfin  Fraw  Julianen  und  wie 
Umstrissimus   Ihr  begegnet. 

Her  jungen  Landgrafen,  Casselischeu  und  Darmstadischen 
Lini,    Aidschwür   auff  den   Haubtaccord. 

Abwendung  und  Ausschaffung  der  casselischen  Einquartirung, 
sonderlich  Illustrissimi  Raiss  gen  Schweinfurt,  und  wie  sich 
Collaldo  erzaigt,  auch  wie  Caesar  so  enixe  rescribirl.  Ubi  no- 
tanda  Illustrissimi    solicitudo   pro   subdilis. 

Verschickung  IL  L.  Henrichs  und  L.  Friderichs  in  frembde 
Lande. 

Tötlicher  Hintritt  Fräulin  Amalien  und  Leichbestattung. 
Leichherausbringung. 

Tötlicher  Hintrit  und  Herausbringung  auch  L.  Henrichs  Leich- 
bestattung. 

Periculum   principis  in  piscina  Reinheimensi. 

Fürstlich   Kind  tau  ff  deß   jungen  Prinlzen. 

Kirchenvisitation,  sonderlich  die  Instruction  uff  die  Kirchen- 
visitation. 

Landvisitation  und  Instruction. 

Beiträge  z,  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u    Gießen.  19 


290  Wilhelm  Üiehl. 

H.  L.  Ludwigs  Epitaphium  zu  Marpurgk,  welches  Illustrissi- 
mus  uffrichten  lassen. 

Meldimg  Ehrngedechtnuß. 

Ysenburgische  Sach.  Proceß  mit    Ysenburgk. 

Proceß  mit  Maintz  wegen  etlicher  Ebisdorffischer  Gefälle. 

Commissio  in  der  Teutschmeister  Sache  und  wie  sich  lllustr. 
dargegen  erzaigt.    Seriem  facti  und  wie  Illustrissimus  respondirt. 

(1.  Remonstrationsschrifft,  2.  latinus  Extractus.) 

Zusetzung,  so  Illustrissimo  geschehen,  in  der  Nidergraf- 
schafft,   Religionssachen  betreffend,  von  Churtrier. 

Illustrissimi   Rayß  gen   Regenspurgk   ao   30. 

Uegenspurgische  Puncten,  wie  es  derzeit  im  Reich  gestanden, 
wol   auß   zuführen. 

Cantzleybaw  zu  Darmstatt,  wz  vor  Schrifft  hinein  gelegt 
w  orden. 

Reichsritterschafft  Beginnen  und  wie  Illustriss.  begegnet. 

Leipsischer  Tag  und  warumb  lllustr.  nicht  erschienen  und 
doch  darauf  negotiirt. 

Franckf.    Compositionstag. 

Güttlich  Handlung  im  Reich. 

Schreiben  ad  Caesarem  wegen  Rüsselsheim. 

item   oratio   publica,   Avie   resolvirt   worden. 

Zumuthung,  so  H.  L.  Wilhelm  beschehen,  die  Religion  zu 
mutiren. 

Closter  Geißmar  betr. 

Aii'lerwertliche   Dotirung  der   Universität. 

Renovirung    des    Hohen    Hospital    und    Almoßen. 

Refutatio   Casselischen   Schreibens. 

Statuta  academica  NB.  Titulos  nach  einander  zu  setzen, 
wan  schon  kein  numerus   darbey  ist. 

Discurs    mit  dem   Reichscantzlar   Ochsenstern   pro  pace. 

Große  convicia  wider  lllustr.  et,  Illustrissimi  Leuthe.  Wz  man 
ausgestanden  innocenter.    Drauf  zu  antwortten  glimpflich  et  per  dicia. 

Uffrichtung  des  Gymnasii  zu  Darmstatt. 

Schul  ha  w  zu  Darmstatt. 

Theilung   der  Superintendentzen. 

lllustr.  sein  damit  umbgegangen  ein  Gymnasium  zu  Gißen 
anzustellen,  hab  aber  nicht  pro  voto  von  statten  gehen  wollen 
propter    tempora    ileploratä. 

Comitiva    pro  Juridica  Facultate. 

A.ppellationsprivilegium. 

Ostfrießländisch   lleuralh,  Werbung  zu  Regensburg. 

Abfertigung. 

Anstalt  del.i  Statutenbuchs. 

Große   .lauen,  eventus   mit   dein    Hirsch   und   Schwein. 

Ernewerte   Definitorum   Ordnung. 

Judenordnung    und    was    derselben    anhangt. 

Postanordnungen. 

Executio  über  Straßenräuber,  so  1.  zu  Gißen,  2.  zu  Darni- 
statt    justifieirt    worden. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  291 

Illustrissimi  Vortrag  alhie  zu  Gießen,  ob  Illustr.  Recht  oder 
unrecht  gethan,  daß  sich  des  Leipsischen  Tags  enthalten,  et 
responsum   ad   Landstände. 

Theologorum   responsum   in  eadem   causa. 

Regis  Sueciae  Schreiben  ad   Illustrissimum. 

Regis   Galliae  schreiben   ad   Illustr. 

Zu   gedencken,   daß   Gesandschafften  da   gewest. 

Deß  Kön:  Spanischen  Ambassadeurs  Verdugo  Ankunfft  und 
Gratulation  zu  'Illustr.  Regirung. 

Alß  Spannisch  Volck  in  Illustr.  Land  gewesen  umb  Gießen, 
wie  111.  darum   geschrieben   und  sonst  uffschlagen   wollen. 

Illustrissimi  Schickung  ad  reg.  Sueciae. 

Illustrissimi    Selbstraisen   ad    Reg.    Sueciae. 

Uebergab  Rüsselsheim  et  Capitulatio.  Schreiben  ad  Caesarem 
deßwegen. 

Ordnung  wie  es  mit  den  Stipendiariis,  so  jura  studiren,  soll 
gehalten  werden,  13.  Augusti  1633. 

Vergleich  mit  H.  Landgraf  Johanßen  Fr.  Gn. 

Vorhabende  Anordnung  eines  Newen  Revisions-  oder  Ober- 
appellationsgerichts. 

Newe  Cantzley  Ordnung  und  darauff  erfolgte  kayserl.  Con- 
firmation  den  6.  Martii  1635. 

Ordnung  von  besserer  Haltung  der  Sonn-  und  Feyertag  1632. 

Ordnung   von    besserer    Übung    deß    Catechismi    1633. 

Anstellung  Fast-,  Büß-  und  Bedtägen  de  Anno  1632  et  seqq. 

Bestrafung   der  Gottslästerer. 

Illustrissimi  getragene  Sorgfalt  bey  allgemeinen  Fridens- 
tractaten. 

Wie  Illustrissimo  zugemuthet,  Niderhessische  Volcker  ein- 
zunehmen, item  in  Nidersächsische  Krayßverfassung  zu  begeben, 
und    warumb   Illustrissimus   dessen   Bedenckens   gehabt   1639. 

Deß  Hertzogs  von  Longueville  u.  der  Weimarischen  Armee 
Übergang  über  Rhein  und  genommene  Wintterquartier  in  Illu- 
strissimi Land,  deren  Uffbruch,  Hinderlassung  etlicher  Regimenter, 
deren  Geldpressuren  und  Exorbitantien,  1640  vom  Anfang  des 
Monahts   Januarii   und    in   folgenden   Monaten. 

Beschickung  deß  Churfürstentags  zu  Nürnberg  u.  Antreibung 
zum   Pacificationsweßen    1640. 

Niderhessische   Administrationssach  1637. 

Creiß  Obristen  Atnbt   1636. 

IV. 

Schreibon   von    Schuppius   an   Dieterkh   Barthold    von    Floß 

und   Philipp   Ludwig   Fabricius  vom  7.  März   1640. 

(Darmstadt,  Staatsarchiv,  IV,  1,  8.) 

Derselben  hochgeehrtes  schreiben,  hab  ich  wohl  empfangen, 
bericht  darauff  in  höchster  eyl,  daß  mir  das  bewuste  historische 
Werck  wohl  recommendirt  bleibe.  Nach  dem  ich  aber  in  etz- 
lichen  schweren  Theologischen   Arbeiten  begrieffen,   undt  Maltb. 

19* 


292  Wilhelm  Diehl. 

Merian  zu  Francfort  seine  historische  Chronic  zu  reformiren  ver- 
heißen, welcher  sie  gegen  Johannis  auflegen  will  undt  zu  dem 
endt  mit  grosem  Unkosten  schon  für  einem  Jahr  etzliche  Ball 
Papier  zu  Basel  machen  lassen,  undt  über  das  die  Studiosi  in 
sorgen  stehen,  die  Beschwerung  undt  Trübsal  des  Landes  möge 
zunehmen  undt  wachsen,  daß  sie  etwa  genötiget  würden  von 
hier  abzuziehen,  alß  werde  ich  täglich  ja  fast  stundtlich  von 
ihnen  ahngelauffen,  undt  will  einer  dieses  für  seinem  Abschied 
von  mir  haben,  der  ander  ein  anders.  Daß  mir  also  unmöglich 
ist,  alles  mit  Fleiß  undt  bedacht  zu  elaboriren.  Bitt  demnach 
unterdinstl.  E.  Wohl  E.  St.  auch  E.  Hg.  wollen  diese  abgenötigte 
Procrastination  sowohl  bey  Ihre  fürstl.  Gn.  in  unter thänigkeit 
entschuldigen,    alß   auch    für    ihre    Person    in    bestem   ausdeuten. 

Das  scriptum  Apologeticum  hab  ich  gegenwertigem  Botten 
nicht  können  mit  geben,  will  es  aber  verfertigen  undt  mit  nechster 
post  über  schicken.  Den  Vertrag  zwischen  beyden  Fürstl.  Heusern, 
will  ich  gleichfalss  durchlesen.  Möchte  gern  wissen,  ob  alle 
beygefügte  Schreiben  auch  sollen  vertirt  werden,  welches  auff 
ein  ziemlich  opus  auslauffen  würde.  Befehl  E.  hochE.  St.  auch 
E.  u.  Hgg.  in  Gottes  genädigen  schütz,  undt  mich  dero  beharr- 
lichen Gunst,  verbleibendt 

Deroselben 
alzeit   verobligirter   Knecht   und    Diener 

Marp.  am  7.  Martii  1640. 

V. 

Schreiben    von     Schuppius    an    Philipp    Ludwig    Fabricius 

vom   17.  Juni  1641. 
(Darmstadt,  Staatsarchiv,  IV,  1,  8.) 

Aus  dem  ahn  meinen  Schwager  D.  Horsten  jüngst  abge- 
lassenen Schreiben,  werden  E.  Excell.  verständiget  seyn  worden, 
'laß  ich  wegen  gefährlicher  Schwachheyt  meiner  Kinder  ver- 
hindert, worden  sey,  wegen  Ahnstellung  des  operis  historici  weiter 
Bericht  zu  thun.  Undt  nachdem  diese  Tag  ein  ander  Zufall 
sich  bey  diesen  Kindern  zugetragen,  muß  ichs  nochmalß  biß 
auff  künftige  Post  verschieben.  Sende  inzwischen  E.  Excell. 
diese  in  eyl  entworfene  disposilion,  und  bitte  sie  wollen  per 
ocium  sich  darinn  ersehen,  und  bedacht  seyn,  wie  ich  in  diesen 
acht  puncten  könne  völlig  informirt  werden. 

Wegen  der  Recompens  hab  ich  mich  bedacht,  undt  in  con- 
sideration  gezogen,  daß  sich  bey  diesen  bösen  Zeiten  ein  jeder 
patientiren  müsse.  Es  wird  auch  ein  jeder  der  mein  gemüth 
kennet,  wissen,  wie  so  gar  von  keinem  mercenario  ingenio  ich  seye. 

Bitte  derohalben,  daß  mir  nur  ein  Amanuensis  gehalten 
werde,  und  wohl  accomodirt  werde,  jedoch,  daß  er  unice  von 
mir  dependire  undt  ich  macht  habe,  ihm  tag  und  nacht  zu  be- 
fehlen, undl  ihn  widerabzuschaffen,  wann  er  mir  nicht  ahnständig. 
Für  mich,  bitte  ich  nur  umb  richtige  Bezahlung  meiner  Besol- 
dung.  Will  sie  geliebts  Gott  so  wohl  verdienen,  alß  ein  ander 
der  mil  dergleichen   Arbeiten  nicht   beladen  ist.     Und  will  zu  dero 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps  293 

«. 

Erlangung  ein  sonderliches  extraordinari  Mittel  Eurschlagen,  das 
meinen  Herrn  Collegis  ahn  ihrer  Bezahlung  nicht  soll  verhinder- 
lich seyn.  Dofern  aber  in  unverhofftem  Fall,  dieses  nicht  solte 
ahngehen,  stelle  ich  zu  E.  Excell.  Consideration,  ob  ich  aus 
der  fürstl.  Rentcammer  meine  gewisse  Bezahlung  haben  könne, 
also  daß  eß  hernach  der  Academi  ahn  ihrem  Deputat  abgekürtzt 
werde.  Wollen  ihre  fürstl.  (in.  dem  Oberfnrstm.  befehlen,  daß 
er  mir  auff  den  Winter  12  Claffter  Holt/,  gebe,  und  ein  par  stück 
Wildt  schieße,,  hab  ihrer  fürstl.  Gn.  ich  dafür  unterthänig  zu 
dancken.  E.  Excell.  werden  sich  auch  erinnern,  was  bey  ihrem 
Abzug  wegen  des  Wildts  gedacht.  Wann  ich  es  haben  könte,  woll 
ich  nach  gehaltener  meiner  Disputation  die  Professores  einmahl 
ins  Avellin  bitten  und  auff  ihrer  fürstl.  (in.  Gesundtheit  trincken. 

Damit  mir  der  Amanuensis  desto  williger  sey,  hoffe  ich  ihre 
fürstl.  Gn.  werden  ihm  eine  fürstl.  schriftliche  promiß  thun,  daß 
sie  ihn,  wann  das  Werck  fertig;  sey,  zu  einem  guten  ahnnehmlichen 
Pfardinst  befordern  wollen.  Es  ist  kein  gemeyn  ingenium,  wird 
einmahl  seine  Lücke  wohl  vertreten  können.  Will  ihn  NB.  dazu 
ahnführen,  daß  er  einmahl  bey  einem  solchen  ruhigen  fetten 
Pfarrdinst  eine  schöne  deutsche  Hessische  Chronic  schreibe. 

Ich  hab  auch  das  unterthänige  Vertrauwen  zu  ihrer  fürstl. 
Gnaden,  sie  werden  sich  nicht  zu  wider  seyn  lassen,  mir  eine 
fürstl.  Versicherung  zu  thun,  daß  ihre  fürstl.  Gn.  oder  dero  Suc 
cessores  ahm  Regiment,  diese  Arbeit,  welche  nur  noch  manchen 
süßen  schlaff  brechen  wirdt,  undt  derentwegen  ich  fast  mein 
Studium  theologicum  in  etwas  zurücksetzen  muß,  genädig  gegen 
blich  oder  hinfuro  gegen  die  meinige  erinnern  wollen,  undt 
wollen  mich  oder  die  meinige  genießen  lassen,  nicht  allein  des 
Fleißes,  den  mein  Schwigervatter  D.  Helvicus  bey  der  Universität 
Gießen  ahngewendt,  sondern  auch  ^\i'^  wohlmeynens  dessen  ich 
mich  alhier  gebraucht  in  Widerauffbringung  des  Studii  Historici 
und   Oratorii,  welche  zu  Marpurg  last  erloschen   waren. 

Endlich  stelle  E.  E.  ich  frey.  ob  sie  ein  formulam  juramenti, 
welches  ich  und  der  Amanuensis  ablegen  sollen,  wollen  abfassen 
lassen,  und  mir  es  zuschicken,  damit  ich  mich  darin  ersehen 
könne.  Biß  nechst  hiervon  mehr,  befehl  E.  Excell.  in  Gottes 
stareken  Schutz,   und   wünsch  ihr  eine  glückliche   Bronnen   Cur. 

Marpurg  in   höchster  Eyl  am    17.  .hin.    1641. 

VI. 
Memorial    Schupps,   Juni    1641. 

Darmstadt,  Staatsairhiv.   IV,    1.  8 
Memori  a  1. 

1.  Von  ihre!-  fürstl.  (in.   Herrn  Landgraf  Georgen   1.  educa 
tion,  2.  Reyse;  bey  dem  von  Grünroth. 

Item  ob  Ehrnged.  von  Grünrod  nichts  annotirt,  was  in  einem 
oder  dem  andern  furgangen,  auff  dem  Beylager  in  Sachsen,  undt 
der  Heymführung  zu  Marpurg. 

2.  Daß  ein  fürstl.  Rescripl  ahn  die  Academi  geschehe,  daß 
ich  lesen  möge,   wann   ich  kann.    2.   Daß  mir  das  fürstl.    Rescripl 


294  Wilhelm  Diehl. 

möge  zugeschickt  werden  wegen  versprochener  genädiger  Re- 
muneration, wann  das  Werck  glücklich  verfertiget.  3.  Ob  ich  ein 
Ahnweysung  auff  die  versprochene  12  Claffter  Holtz  haben  könne. 
NB.    Wild.  4.   formula  juramenti. 

3.  Daß  dem  Amanuensi  ein  formula  juramenti  furgeschrieben 
werde,  damit  ich  ihm  sicherlich  eins  undt  anders  abzuschreiben, 
undt  zu  excerpiren  ahnvertrauwen  dövffe.  2.  Daß  ihm  das  fürstl. 
Rescripl  zukommen  möge,  darin  ihre  fürstl.  Gn.  ihm  gg.  ver- 
sprechen, nach  Verfertigung  des  Wercks  ihn  zu  befordern,  undt 
jährlich  eine  Discretion  zu  geben  pro  labore.  3.  Weil  er  viel 
damit  zu  thun  haben  undt  tag  undt  nacht  arbeiten  wird  müssen, 
ob  er  nicht  ein  Ahnweisung  auff  4  Claffter  Holtz  haben  könne? 
Im  übrigen  will  ich  ihn  versorgen. 

4.  Ob  ich  nicht,  wann  mir  andere  Mittel  fehlen  solten, 
etwa  100  oder  150  Rthlr.  auß  dem  Geistlichen  Landtkasten,  in 
itziger  Meß  ahn  Abschlag  meiner  Besoldung  haben  könne?  Ich 
sag,  wann  mir  andere  Mittel,  darauf  ich  vertröstet  binn,  mangeln 
solten. 

5.  In  gg.  Recommendation  zu  behalten,  die  Sache  mit  dem 
Hauß.  E.  Excell.  sehen  hier  ein  Verzeichnüß  von  21  Heusern, 
darin  schlechte  Leuth  wohnen,  welchen  mann  gar  leichtlich  ein 
ander  Losament  schaffen  kann,  undt  ihre  Hern  Hoffineister 
Streyffen  eingeben.  Ich  gedencke  ihrer  fürstl.  Gn.  so  treuwlich 
zu  dienen  alß  der  Herr  Hoffineister,  hoffe  derovvegen  ich  habe 
so  viel  Recht  zu  meines  Vattern  Gütern  alß  er.  Wann  der 
Herr  Hoffmeyster  sagen  wolt,  er  hab  in  diesen  vorgeschlagenen 
Heusern  nicht  Raum  genug,  wüste  ich  ihm  kein  bessern  Rath 
alß  daß  er  den  König  in  Spanien  umbs  Escurial  ahnspreche, 
darinn  hat  er  Palläst  genug.  Wie  mancher  großmütiger  vor- 
nehmer General  behilft* t  sich  unter  einem  Bauwern  Tach?  Die 
Stallung  hat  mein  Vatter  selbst  vonnöthen  und  hat  nicht  so 
viel  Platz,  darinn  er  ein  Handvoll  Grommet  legen  kann.  Ich  ge- 
schweyge,  wie  gefährlich  der  Schornstein  seye,  undt  deswegen 
zu  besorgen  sey,  es  möge  das  Gesindt  in  Abwesen  eines  Hauß- 
hern  der  gantzen  Statt  ein  Unglück  auff  den  Hals  ziehen. 

6.  Wegen  der  fürstl.  jungen  Herrschafft,  ob  ich  den  bewusten 
Grafen    antworten   solle? 

B  e  i  1  a  g  e  : 
(Verzeichnis  von  Gießener  Häusern.) 

1.  Doctor  Otterains  Erben  Hauß,  so  des  Obristleutnampls 
W.  bewohnt I. 

2.  Juncker  Schwalbachs  Hauß,  darinnen  Hermann  Rüdiger 
wohnet  I. 

3.  M.   Bachnians    Hauß,    darinnen   der   Organist   wohnett. 

4.  Hanß  Jacob  Försters  Hauß,  so  Volpert  Daniell  Schenck 
zuvor  ingehabt,   auch   Secretarius   Barda(?)   bewohnett    halt. 

5.  Balthasar    Königs    Hauß,   darinnen   ein    Kutscher   wohnett. 

6.  Jost   Junghauß   Hanß,    wohnett   ein   Trompeter. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  295 

7.  Caspar  Barthen  Hauß.  darinnen  M.  Jacob  'Irr  Schneider 
wohnett. 

8.  Des  Wirth  zum  Hirsch  Hauß  über  der  Lindenbach. 

9.  10.  Zwei  Häuser,  davon  eines  Conrad  der  Trompeter  be- 
wohneü,  das  ander  hatt  Her  Jacob  Fabritius  der  Cammerdiener 
bewohnett. 

11.  Herr  Marien  Stephani   Hauß  von  Gleybergk. 

12.  D.   Kropsan   Hauß. 

13.  Capithän  Ortten  Hauß. 

14.  D.  Samuels  Hauß,  darinnen  Haupttman  Scheuerraan 
wohnett. 

15.  Das  Schohlhauß,   darinnen  ein  Musicant  wohnett. 

16.  Hauß  Henrich  Graulags  Hauß,  so  lödig  stehet!. 

17.  Cloß  Röderß  Hauß.  darinnen  M.  Herman  der  Balbirer 
wohnett. 

18.  Das  kalte  Loch,  darinnen  Caspar  Kirchnerß  \V.  wohnett, 
zuvor  Juncker  Kollenbach  undt  Ehr  l).  Winckelman  S.  Superin- 
tendens,   hatten  dieses  Hauß  bewohne! I. 

19.  Ludwig  Reitzen  Hauß,  darinnen  der  Sattelknechti  oder 
Marstaller  wohnett. 

20.  Henrich  Loni  Hauß,  welches  der  Herr  Erbschenk  dahevor 
innengehapl. 

21.  Hans  Schencken  Hauß,  darinnen  M.  Christoffel  der 
Schneider  gewohntt.  Welches  zuvor  Peter  Junghen  bewohnett, 
auch  seine  Pferdt,  Kühe  undt  Schwein  darinnen  gestaltt,  hat, 
4  wo  nicht  fünf  Stuben. 

VII. 

Memorial  Schupps,   September  1641. 

(Darmstadt,  Staatsarchiv,   IV,  1,  8.) 

Memoriale. 

1.  Ahn  Herrn  Cantzlar  Fabricium  hab  ich  wegen  i\v^  operis 
hislorici  geschrieben,  auch  den  1.  Sept.  mündlich  geredet,  bitte 
dinstl.,  mein  hochgeehrter  Herr  wolle  ahn  seinein  vornehmen  Ort 
dahin  cooperiren,  daß  Resolution  erfolge. 

2.  Ich  hab  damahls  ähngehalten,  daß  mir  mögen  12  Clafter 
Holtz  ahngewiesen  werden,  und!  dann  daß  ich  meine  bey  der 
Universität;  stehende  Besoldung  empfangen  möge.  Welches  hochg. 
Heri-  Cantzlar  mir  auch  2.  Jul.  schrifftlich  versprochen.  Oh  ich 
nun  eine  würckliche  Ahnweysung  bekommen   könne? 

3.  Weil  der  Amanuensis  das  juramentum  taciturnitatis  prae- 
sliren  soll,  wird  sichs  nicht  wohl  schicken,  daß  er  bey  Studenten 
wohne.  Welche  ihm  in  die  Charte  gucken,  also  stell  zu  meines 
hochgeehrten  Herrn  judicio,  oh  Ihrer  Eürstl.  'in.  unterthänig  vor- 
zubringen sey,  dal.'i  iinn  zu  erwärmung  eines  eygenen  losaments, 
welches  ich  ihm  eingegeben  hab,  mögen  1  Claffter  Holtz  ahnge 
wiesen    werden? 

4.  Zu  Beförderung  der  Sachen  hab  ich  den  \.manuensem 
ahn  Discdi  genommen,  undt  versprochen  sonsten  nach  Nothurff! 
ihn  zu  accommodiren,  damit  er  mir  gleichsam  ein  Registratur  in 


296  Wilhelm  Diehl. 

den  actis  halte,  undl  mir  nichl  allein  eines  und!  anders  zu  seiner 
Zeit  auffzusuchen  wisse,  sondern  auch  Achtung  habe,  daß  nichts 
verlohren  werde.  Nun  kann  mein  hochgeehrter  Herr  leicht  lieh  er- 
achten, daß  mir  dieses  schwer  falle.  Bitte  also  dinstl.,  er  wolle 
mir  seinen  Rath  mittheilen,  ob  ich  ihn  bey  Zeyten  dimittiren  solle 
undt  sein  Glück  lassen  anderswo  suchen,  weil  die  würekliche  Ahn- 
ordnung wegen  seines  Unterhalts  etwas  lang  außen  bleibt,  davon 
in  beyliegender  Copia  N.  2  ist  gedacht  worden. 

4.  Ob  Ihre  fürstl.  Gn.  das  juramentum  taciturnitatis  von 
mir  undl  dem  Amanuensi  wollen  abnehmen  lassen,  damit  desto 
sicherer  unß  ein  oder  ander  Document  könne  ahnvertrauwet 
werden?  Ob  etwan  wie  ich  längst  gebeten  ein  formula  juramenti 
auffzusetzen  sey,  daß  ich  mich  zuvor  darinn  ersehe? 

5.  Ob  dem  Amanuensi  das  fürstl.  Genadenschreiben,  davon 
in  dieser  Copia  N.  2  §  1  gedacht,  könne  eyngehändiget  werden, 
damit  er  mir  zu  aller  Arbeit  desto  williger  sey? 

6.  Ob  mir  das  fürstl.  Rescript,  davon  in  dieser  Copia  N.  I, 
§  3  gedacht,  könne  zukommen?  Es  möchte  etwa  kommen,  daß 
Ihre  fürstl.  (in.  ich  wann  das  Werck  glücklich  absolvirt,  in  Unter- 
thänigkeil  umb  ein  genad  ersuchete,  welche  vielleicht  ihrer  fürstl. 
(in.    Rentcammer  nicht  würde  schädlich  fallen. 

7.  Wie  eß  niil  der  Edition  des  Buchß  solle  gehalten  werden? 

8.  Was  ich  gemacht  habe,  will  ich  alle  Monat  oder  alle  Vir- 
theil  Jahr  nach  Hoff  schicken.  Kanu  wocheidlich  über  ein  Bogen 
nicht  machen.  Hoffe  aber,  es  solle  so  gemacht  werden,  daß  es 
sich  mehr  durch  seine  Qualität  alß  Quantität  commendire. 

9.  Ob  das  Schreiben  ahn  die  Academi  abgehen  könne,  daß 
ich  Macht  habe  zu  lesen,  wann  mir  möglich.  Davon  in  Copia 
i\\  1  zu  sehen  §  4.  Ich  hab  schon  solche  Ahnordnung  gemach l, 
daß  so  viel  Privat  collegia  oratoria  werden  gehalten  werden,  daß 
niemand  über  Mangel  der  Information  klagen  wird.  Ich  werde 
auch  nicht  vergessen,  durch  actus  publicos  jehandts  die  Jugend 
zu  excitiren. 

10.  Weyll  ihre  fürstl.  (in.  Herr  L.  Philips  ihre  Instrumen! 
der  Academi  vollend  verehrt,  wie  es  mit  dero  Abholung  solle  ge- 
halten   werden? 

11.  Wo  mann  ein  Platz  nehmen  solle,  da  die  Instrumenta 
hinzustellen   seyen  ? 

12.  Weyl  Johann  Witte  Riga  Livonus,  unahngesehen  daß  er 
ihrer  fürstl.  (in.  Paß  gehabt  auch  ein  offenes  testimonium  von 
der  Universiläl  furgezeygt,  dennoch  vom  Keyserl.  Commendant 
zu  Hermanstein,  Freyherrn  von  Metternich  ahngehalten  worden, 
undt  ihm  nach  Erlegung  einer  Rantzion  seine  Bücher  auffgehalten 
werden,  alß  hat,  er  deswegen  ahn  ihre  fürstl.  Gn.  supplicirt.  Ob 
«•s  nun  nichl  ein  Miltel  sey,  damil  dem  guten  Kerle  geholffen  werde, 
daß  ahn  Ihre  l'iirsll.  (in.  von  der  Academi  geschrieben  würde  undt 
es 'hernach  ihre  l'iirsll.  (in.  einschließen  undl  ahn  den  von  Metter- 
nich begehrten,  daß  er  der  Universiläl  Suchen  möge  statl  geben, 
undt  g.  Willen  die  Bücher  folgen  lassen.  Oder  ob  es  ahn  Herrn 
Cantzlar   Schützen    könne   geschrieben    werden,    daß   er   es   etwa 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  -J'.»7 

ahm  Keyserl.  Hoff  suchte!  Es  periclitirt  ihrer  fürstl.  Gn.  Re- 
putation, indem  der  Paß  nicht  hesser  in  Acht  genommen,  undt 
die  Academi  ist  schuldig  sich  des  Kerles  in  diesem  unverdienten 
Fall  almzunehmen. 

VIII. 
Schreiben  von  Schuppius  an  Philipp  Ludwig  Fabricius 
vom  27.  September  1641. 
.    (Darmstadt,  Staatsarchiv,  IV,  1,  8.) 

E.  Excell.  wollen  mir  großg.  verzeyhen,  daß  ich  nochmahlige 
Erinnerung  thue  wegen  des  operis  historici.  Ich  hab  zwey  stu- 
diosos  dahin  disponiret,  daß  sie  collegia  oratoria  undt  historica 
halten  wollen.  Der  eine  ist  ein  Silesius,  nahmens  Daniel 
Richter,  der  ander  ein  Westphalus  mit  nahmen  Henr.  Delius. 
seindt  2  alte  Cärles.  Hab  ihnen  zu  dem  Ende  etzliche  arcana 
communicirt.  mit  welchen  ich  sonst  noch  ein  Weyl  zurück  ge- 
halten hette.  Undt  weyl  sie  unterschiedene  Materien  tractiren 
werden,  hoffe  ich.  es  soll  eine  Aemulation  zwischen  ihnen  er- 
wachsen, daß  einer  den  andern  zum  Fleyß  ahnfrische  undt  also 
die  Studirende  Jugendt  in  diesem  Paß  keineswegs  verseumht 
werde.  Fürs  ander  hab  ich  Hern  Merian  seine  historische  arbeyt 
auffgekündiget,  damit  ich  zu  diesem  Werck  desto  mehr  Zeyt  undt 
Ruhe  haben  könne.  Undt  bah  hiemit  einen  grosen  Zorn  undt. 
Sauersehens  verdient.  Fürs  dritte  hab  ich  den  Amanuensem  zu 
mir  ins  Haus  und  ahn  meynen  Disch  genommen,  undt  bitte  dem- 
nach E.  Excell.  zum  dinstlichsten,  sie  wollen  ihren  hochwichtigen 
Geschafften,  soviel  abbrechen,  undt  etwa  den  Herrn  Consiliariis, 
welche  itzo  der  Universitätsrechnung  beywohnen,  committiren,  daß 
sie  das  juramentum  taciturnitatis  von  mir  und  meinem  Amanuensi 
ahnnehmen  undt  etwa  sonst  mit  mir  reden,  was  ihre  fürstl.  Gn. 
in  diesem  Fall  wollen  von  mir  gehalten  haben.  II.  Daß  mir  die 
Acta,  alsobalt  gelieffert  werden,  damit  ich  alsohall  horis  successivis 
darauß  excerpire,  was  zu  meiner  intention  dienlich  undt  also 
zum  wenigsten  mache,  daß  mir  der  Amanuensis  nicht  müßig  da 
gehe.  III.  Daß  der  Academi  almgedeutet  werde,  daß  ich  lesen 
möge,  wann  ich  kann.  Ich  werde  doch  nicht  l'eyren,  sondern 
Jehands  ein  actum  publicum  ahnstellen  und!  sehen,  daß  ich  die 
Studiosos  bei  gutem  contentemenl  erhalte.  IV.  Daß  mir  das  Eürstl. 
Genadenschreyben  eingehändigel  werde,  daß  Ihre  fürstl.  Gn.  die 
Arbeit  wann  sie  fertig  ist,  genädig  erkennen  wollen.  Ich  will  mil 
Gottes  genädiger  llülff,  all  mein  euserstes  Vermögen  darin  un- 
ges|tart  lassen.  E.  Excell.  werden  sich  großg.  erinnern,  daß  im 
Nahmen  unsers  Gn.  Fürsten  undl  Nenn  sie  mir  den  2.  .lul.  schrift- 
lich versprochen,  daß  ich  meine  Besoldung  richtig  bekommen 
solle.  Also  stelle  zu  E.  Excell.  großg.  Belieben,  ob  sie  mir  ferner 
die  grose  Gunsl  undt  Beförderung  thun  wollen,  undl  machen,  daß 
die  Herrn  Commissarii  etwa  auff  Mittel  gedencken,  und  mil  mir 
reden,  wie  ich  meinen  geringen  Ausstand  ahn  Gell  und  Fruchl 
bekommen  könne.  Wie  ich  hinfuro  könne  alle  Meß  he/.ahll  weiden, 
dazu  hoffe  ich  Mittel   zu  erlinden,   welche  weder  ihrer   fürstl.  (in. 


298  Wilhelm  Diehl. 

beschwerlich,  oder  eynem  andern  Professori  ahn  seyner  Zahlung 
verhinderlich  seyn  sollen.  Unter  andern  Mitteln  ist  auch  dieses. 
Es  ist  ein  Ehrlicher  Mann,  welchen  ich  dahin  disponirt,  daß  er 
ein  Stipendium  surften  will,  daß  allezeit  ein  Studiosus  zu  Mar- 
purg  desselben  genießen  undt  ihrer  fürstl.  (In.  sich  verobligiren 
soll,  daß  er  sich  auff  das  Studium  eloquentiae  begeben  undt  dahin 
sehen  wolle,  daß  er  es  in  Theologia  appliciren  undt  einen  guten 
Prediger  geben  könne.  Welches  itzo  fast  rarae  aves  sindt.  Wann 
nun  dieser  ehrliche  Mann  von  der  Academi  dieses  Capitals  halben, 
so  er  dazu  vermachen  wirdt,  auff  ein  gewiß  Unterpfand,  genug- 
sam könt  versichert  werden,  also  daß  die  Academi  dieses  Stipen- 
dium davon  richtig  bezahlen  wolte,  könte  mann  dieses  Capital 
nehmen,  undt  nicht  allein  mich  sondern  auch  sonst  noch  einen 
Mann  davon  ein  Jahr  oder  etzlich  contentiren.  Im  Fall  diese 
oder  dergleichen  Mittel  etwa  falliren  solten,  hoffe  ich,  E.  Excell. 
werden  ihrem  gg.  Versprechen  nach,  mir  Beförderung  thun,  daß 
mir  meine  Besoldung  alle  Meß  auß  fürstl.  Renteammer  gegeben, 
undt  der  Academi  ahn  ihrem  Deputat  abgekürtzt  werde.  Es  ist 
ein  geringes,  wirdt  der  fürstl.  Renteammer  wenig  schaden,  ich 
aber  kann  es  ohne  höchste  Beschwerung  undt  Verhinderung  ahn 
meinem  scopo  nicht  entrathen.  E.  Excell.  werden  sich  erinnern, 
daß  derselben  ich  ohnlängst  zu  verstehen  geben,  daß  ich  viel 
auff  frembden  Academien  auff  meine  Studia  und  Conversation 
gelahrter  Leuth  gewendet  und  dannenhero  ein  hundert  Thaler  oder 
etzlich  schuldig  blieben.  Wann  ich  nun  dazu  ohne  Besoldung 
leben  solte,  würde  mir  manche  arbeyt  gar  widerwertig  gemacht 
weiden.  Mann  würdt  es  leichtlich  in  diesem  opere  spüren  können, 
wann  ich  liberi  et  praesentis  animi  gewesen  sey.  E.  Excell.  ver- 
sichern sich,  werde  ich  ein  wenig  contentirt,  ich  will  das  Werck 
mit  Gottes  Hülff  so  freuwdig  und  eyfferig  ahngreiffen,  daß  das 
gantze  fürstl.  Haus  Hessen  bey  der  Posterität  Reputation  davon 
haben  soll.  VI.  Verhoffe  auch,  E.  Excell.  werden  ahnordnung 
machen,  daß  der  Amanuensis  das  versprochene  fürstl.  Rescripi 
bekomme,  daß  ihre  fürstl.  (in.  ihn  nach  vollendeter  Arbeyt,  auff 
seyn  unterthänig  ahnsuchen  ihn  für  andern  gn.  befordern  wollen, 
wozu  er  qualificirt.  Versicher  E.  Excell.,  daß  es  kein  gemeyn 
ingenium  sey,  und  seine  Stell  wohl  einmahl  werde  mit  Ruhm 
zu  orniren  wissen.  E.  Excell.  werden  auch  etwa  eingedenck  seyn, 
wie  er  sonsten  soll  aecommodirt  werden.  Undt  weil  mehr  mit 
diesem  Werck  es  zu  thun  geben  wirdt,  alß  mancher  meynt,  undt 
aber  der  Amanuensis  sehr  fleißig  ist,  und  des  Nachts  wird  wieder 
einbringen  wollen,  was  er  des  Tags  in  seinen  privat-Studiis  ver- 
seumbi.  alß  bitt  E.  Excell.  ich  dinsll.,  sie  wollen  für  allen  Dingen 
dahin  gg.  cooperiren,  daß  ihm  zu  Erwärmung  seiner  Stuben 
mögen  4  Claffter  Holt/,  assignirl  werden.  Ich  wolte  wohl  mittel 
iinden,  daß  ihm  ein  ander  das  Hollz  bezahlt.  Weil  er  aber  die 
Sache  so  er  abzuschreiben  hat,  niemand  darff  sehen  lassen, 
muß  er  ein  eygne  Slnb  haben,  undt  allein  wohnen.  Daß  Übrige 
sey  zu  ihrer  fürstl.  (in.  genädigen  Disposition  gestellet,  ob  sie  zu 
seyner  Adimentirung  etwas  weyters  verordnen  wollen  oder  nicht. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schup]  s  299 

VII.  E.  Excell.  werden  sich  auch  gg.  entsinnen,  daß  sie  den  2.  Jul. 
auß  Gießen  berichtet,  daß  Unser  Gnädiger  Fürsl  und  Herr  dem 
Herrn  Oberforstm.  Rauwen  genädig  befehlen  wollen,  daß  er  mir 
dieses  Jahr  12  Claffter  Holtz,  2  stück  Wildl  undt  1  Sauw  lieffeni 
solle.  Nachdem  nun  der  Winter  für  der  Thür  ist,  alß  stelle 
E.  Excell.  ich  ahnheitnb,  ob  sie  mir  Beförderung  thun  wollen, 
daß  ich  des  Holtz  halben  eine  Ahnweysung  bekommen  könne. 
In  unverhofftem  wiedrigen  Fall  müste  ich  mich  bey  Zeyten  ander- 
werts  versehen,  ehe  etwa,  welches  Gott  gg.  verhüte,  des  Krigs 
Volcks  halben  die  Wald  unsicher  werden  wolten.  E.  Excell. 
machen,  daß  zugleich  im  Befelch  ahn  H.  Oberforstm.  des  Wildts 
gedacht  würde,  dörffte  E.  Excell.  ich  hinfuro  nicht  etwa  weiter 
darumb  bemühen,  undl  würde  veruhrsacht  gegen  E.  Excell.  danck- 
bar  zu  seyn.  Wie  ich  dann  ohne  das  durch  vielfaltige  Guththaten 
von  E.  Excell.  so  hart  verobligirt  binn,  daß  ich  nicht  weyß,  wie 
ich  meiner  Schuldigkeit  genug  thun  könne. 

E.  Excell.  verzeyhen  mir,  daß  dieselbe  ich  dieser  Sachen 
halben  so  weitleufftig  importunire.  Ich  hab  die  betrübte  Weyß 
ahn  mir,  daß  wan  ich  meine  Gedancken  cum  irapetu  auff  ein  Werck 
geschlagen  hab,  undt  werde  daran  verhindert  undt  laß  gemacht, 
so  werde  ich  hernach  des  Dings  gantz  überdrüssig  undt  binn 
hernach  gar  schwerlich  dran  zu  bringen.  Drumb  bitte  ich  dinsll. 
E.  Excell.  wollen  machen,  daß  ich  in  jetzigem  calore  erhallen 
werde.  Ich  hoffe  wann  ich  drüber  komme,  ich  wolle  ball  mit 
Gottes  Hülff  viel  gemacht  haben.  Ich  hab  mir  fürgenommen,  wann 
die  Rechnung  undt  mein  Promotionwesen  furüber  ist,  ich  wolle 
einmahl  ein  par  Monat  nicht  für  die  Thür  gehen,  und  3  Tag  in 
der  Woche  unice  in  Theologia  studiren,  die  übrige  Tag  aber  unice 
auff  diese  Arbeit  wenden.  Im  Fall  Ihre  fürsl I.  (in.  etwa  ihre  Re- 
solution geendert  heften,  undt  das  Werck  wolten  ahnslehen  lassen, 
were  ich  auch  in  Unterthänigkeit  wohlzufrieden  undt  wüste  meine 
Zeit  genugsam  ahnzuwenden.  Ich  habe  jüngst  ahn  Ihre  HochE. 
St.  Herrn  Praesidenten  Plessen  geschrieben,  hoffe  nicht,  daß  Ihre 
HochE.  St.  mir  meinen  gebrauchten  Furwilz  werden  für  übel 
halten.  Im  Fall  aber  seyne  HochE.  St.  eynige  Displicentz  daran 
geschöpfft,  bitt  ich  E.  E.  wollen  ihrer  preyßwürdigen  Gewohn- 
heit nach  mich  bestermahsen  exculpiren.  E.  Excell.  befehl  ich 
damit  neben  ihren  lieben  Ahngehörigen  in  Gottes  Bewahrung  undl 
bleibe  so  lang  ich  lebe. 

E.  Excell. 
ganlz  ergebener   Ireuwer   Diener. 

Marpurg  in  Eyl  am  27.  Sept.   L641. 

IX. 

Schreiben  von  Schuppius  an  den  Landgrafen  Georg  II. 

vom    4.    Dezember    Kill. 

(Darmstadt,  Staatsarchiv,  IV,  1,  8.) 

Was  E.  fürsl I.  (in.  wegen  Ubernehmung  des  operis  Historici 
mir  genädig  befohlen,    undl    deswegen   sich    leine!'   fürstlich    resul 


300  Wilhelm  Diehl. 

virt,  hab  ich  mit  unterthäniger  lleverentz  vernommen,  undt  nicht 
allein  neben  meinem  dazu  benötigten  Amanuensi  das  juramentum 
taciturnitatis  in  Gegenwart  E.  fürstl.  Gnaden  Raths  und  Pro- 
t'essoris  D.  Tülsneri  abgelegt,  sondern  auch  im  Namen  Gottes 
ein  würcklichen  Ahnfang  zu  der  Arbeyt  gemacht. 

E.  fürstl.  Gn.  versichern  sich,  daß  sie  durch  ihre  nicht  allein 
auß  selbigem  schreyben  sondern  auch  andern  fürstlichen  Be- 
zeygungen  verspürte  Cleinentz  mein  gantz  Gemüth  dergestalt  ver- 
knüpft! undt  verbunden  haben,  daß  ich  solang  ein  lebendiger 
Athem  in  mir  bleiben  wirdt,  gantz  begierig  undt  eyferig  seyn 
werde,  alles  zu  thun  und  zu  leysten,  was  in  meinen  eusersten 
Kläfften  und  Vermögen  ist,  und  was  nur  immer  ein  treuwer  auff- 
richtiger  Patriot  seinem  so  gütigen  Landtsfürsten  undt  Herrn  in 
unterthänigem  Gehorsam  leysten  kann  oder  soll.  Ich  hab  offt 
beklagt,  daß  E.  fürstl.  Gnaden  hocherleuchten  von  Gott  reichlich 
gesegneten  Verstandt  undt  andere  heroische  fürstliche  Qualitäten 
andere  Leuth  mir  nicht  allein  alhier  sondern  auch  hiebevor  in 
freinbden  Landen,  so  vielfaltig  gerühmt,  undt  ich  niemalß  das 
Glück  gehabt  habe,  E.  fürstl.  Gnaden  fast  recht  zu  sehen  oder 
dero  fürstliche  hochweyse  Discurs  selbst  ahnzuhören.  Undt  wie- 
wohl ich  zu  diesem  schweren  Werck  E.  fürstl.  Gnaden  voll- 
kommene Tugenden  zu  beschreiben  ich  mich  gantz  ungeschickt 
undt  viel  zu  gering  befinde,  so  will  ich  doch  nechst  fleißiger  Ahn- 
i  nffung  der  Göttlichen  Allmacht  mich  Tag  und  Nacht  dahin  be- 
arbeyten,  daß  E.  fürstl.  Gnaden  undt  die  Posterität  auß  diesem 
opusculo  sehen,  daß  ich  Fleyß,  Vermögen  undt  unterthänige 
Affection  hab  angespart  gelassen.  Hoffe  E.  fürstl.  Gnaden  werden 
ihrer  offt  hochgerühmten  Gütigkeyt  nach  mir  mein  Unvermögen 
bis  zu  besserer  Übung  genädig  zu  guth  halten. 

Ich  ruffe  Gott  den  allerhöchsten  in  warer  Ahndacht  meines 
Hertzens  demütig  an,  und  bitte  er  wolle  E.  fürstl.  Gnaden  noch 
viel  erstreckte  Jahr  in  gesundem  Auffwesen  undt  florirendem  fürst- 
lichem Wohlstandt  erhalten,  damit  sie  als  ein  exemplarischer 
dapfferer  weyser  Regent  nicht  allein  unser  liebes  Vatterlandl. 
sondern  auch  die  übrige  gantze  hochedle  deutsche  Nation  mit 
vielen  hochweysen,  friedfertigen  Rathschlägen  undt  glücklichen 
-^iccessen  erfreuwen,  undt  meiner  mehr  willigen  alß  vermögenden 
Feder  eine  Occasion  über  die  ander  suppeditiren,  E.  Fürstl. 
Gnaden  unsterbliches  Lob  gleichsam  wie  in  einem  Spiegel  der 
Posteritäl  zu  zeygen,  damit  also  E.  fürstl.  Gn.  ihrer  beywohnenden 
hohen  unvergleichlichen  Qualitäten  hochverdienten  Lob  bey  den 
Tugentliebenden  Nachkommen  empfinden,  undt  dieselbige  ein 
Exempel  eines  tugentreichen  Regenleu,  von  E.  fürstl.  Gn.  nehmen 
können.  Derselbe  getreuwe  Gott  wolle  auch  E.  fürstl.  Gnaden 
fürstliche  Gemahlin  und!  junge  Herrschafft  mit  langem  Leben 
sättigen,  undt  auß  einer  fürstlichen  Glückseligkeit  in  die  ander 
führen.  Mit  welchem  christlichen  Wunsch  ich  alles  beschließe, 
undt  E.  fürstl.  Gnaden  genädigen  und!  beharrlichen  Affection  mich 
in    Unterthänigkeil    ferner   recomniendiie. 

Geben  Marpurg  am  4.  Decembr.   1641. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupp-.  301 

x. 

Schreiben  von  Schuppius  an  Philipp  Ludwig  Fabricius 
vom    16.    Januar    1643    nebst    poetischen    Beilagen. 

(Darnistadt,  Ministerium,  Rektoratswahlen.) 
E.  Excell.  sende  ich  hierbey  etzliche  carmina  fast  von  den 
geringsten,  welche  Herrn  Landgraf  Ludwigen  zu  einen  von  den 
Studiosis  gemacht,  undt  bey  seiner  fürstl.  Gn.  ankunfft  haben  ahn 
die  Kirche  sollen  geschlagen  werden.  Andere  schöne  Eccho, 
Lieder,  Sonnet*  Hirten  undt  Musen  Gespräch,  undt  dergleichen 
sinnreiche  poetische  Inventiones,  deren  allzeit  noch  15  Stück 
sindt,  so  theilß  noch  nicht  gantz  außgearbeitet,  theilß  noch  nicht 
abgeschrieben,  werde  ich  mit  nechstem  schicken.  Stelle  noch- 
malß  zu  E.  Excell.  weyser  consideration,  ob  es  nicht  möglich  sey, 
weil  einmahl  ein  geschrey  davon  spargirt,  daß  ihre  fürstl.  Gn. 
Segen  künffligen  Sontag  herkommen.  Ahn  meinem  wenigen  Ort 
wolt  ich  nacht  und  tag  nachsinnen,  daß  Ihre  fürstl.  Gn.  in  diesem 
officio  gleichsam  ein  fundamentum  famae  publicae  legten,  undt 
ohne  nutz  und  frucht  in  Ihren  studiis  nicht  abginge.  Ist  noch 
eine  spes  dazu  übrig,  so  möchte  ich  wünschen,  daß  es  durch 
einen  eygnen  hotten  auf  Darmstatt,  geschrieben  würde,  ich  wolt 
den  botten  gern  bezahlen.  Daß  Ihre  fürstl.  Gnaden  in  absentia 
creirt  werden,  ist  furwar  ihre  fürstl.  Gn.  nicht  reputirlich  proptei 
certas  causas,  quas  praesenti  praesens  exponam.  E.  Excell.  ver- 
zeyhen  mir,  daß  deroselben  ich  so  libere  beichte.  Sie  schließen 
daraus  meine  dinstliche  affection,  welche  E.  Excell.  so  vielfaltige 
beneficien  in  nur  erweckt  und  macht,  daß  ich;  biß  in  mein  grab 
mich  obligirt  erkenne,  beharrlich  zu  seyn 

E.  Excell. 
gantz  ergebener  treuwer  Diener. 
Raptim  in  Marpurg  16.  Jan.   1643. 

a.  Entschuldigung  der  aufgeschwelleten  Lahn. 

1.  Zürnet  nicht,  zürnet  nicht  über  das  Schwellen, 
Edelster  Prinz,  so  ich  neulich  gemacht. 

Warlich  ohn  meine  Schuldt  haben  die  Wellen 

Hessenlandt   in   so   groß  Schaden  gebracht. 

Ich  bin  sonst  vol  Glitte, 

Undt  jage  das  Leidl 

Von  aller  Geinüll<\ 

Die   sich   bey   mir   zu  erquicken  bereit. 

2.  Alle  die  Berge,  so  immer  gefunden 
Und)  diese  Gegendt,  die  hatten  zue  Hanf, 
Nur  bloß  aus   Hachgir  sich  hefftig  verbunden 
Mir  durch  viel  Wasser  zue  hemmen  den  Lauf, 
Weil   ich  so  vol  Gütte  etc. 

3.  Aber  ich  habe  nun  alle>  vertrieben. 
Was  mir  zuvor  so  verwirte  den  Sin, 
Fließe  nun  sänfter  nach   meinem   Belieben 
Wieder   durch   Gärte   und    Felder   dahin. 
Ich  bin  ja  vol  Gütte  etc. 


302  Wilhelm  Diehl. 

4.  Kommet  nur,  kommet  nur,  ich  will  mich  hütten, 
Schönester  Fürst,  daß  ich  bringe  kein  Schad 
Nicht  sobaldt  wiederumh  durch  überschütten, 
Weyll  es  viel  Seufzer  veruhrsachet  hat. 

Ich  bin  ja  vol  Gütte  etc. 

5.  Phoebus  der  wil  Euch  den  Scepter  vertrauen, 
Über  der  Musen  geadelte  Schaar, 

So  will  ich  alsdan  mit  Fleiße  beschawen, 
Wie   Euch  ich   mindre  des  Winters  Gefahr. 
Den  ich  bin  vol  Gütte  etc. 

6.  Wan  nun  der  Früling  wirdt  wieder  erscheinen. 
Sollen  die  Üffer  in  Blatte  da  stehn, 

Weyl  ich  ohn  Fruehtbarkeyt  werde  bey  keinem 
Können    hinrauschen   mit    süßem   gethön. 
Ich  bin  ja  vol  Gütte  etc. 

7.  Alß  dan  soll  von  Euch  die  Tugendt  vermelden 
Unser  Herr  Schupp,   undt  selbieger  Ziehr 

Billich  vorziehen  viel   muthiegen  Helden, 
Unter  dem  schönen   gemürmel   alhir, 
Den  ich  bin  vol  Gütte  etc. 

8.  Kommet  nur,  kommet  nur,  ich  will  mich  hütten 
Schönester  Fürst,  daß  ich  bringe  kein  Schad 
Nicht  sobaldt  wiederumh  durch  überschütten, 
Weyll  es  viel  Seufzer  veruhrsachet  hat, 

Ich  bin  ja  vol  Gütte  etc. 

b.    Marpurger   Schäffer   Wüntsche. 
Wiewohl  die  Winterlufft  sich  hefftig  außgelassen, 
Jedennoch  mit  der  Herdt  auf  einem  Hügel  saßen 
Gantz  nah  bey  dem  Parnaß,  der  weise  Coridon 
Undt  alle  Titirus,  undt  redeten  darvon, 
Daß  großen  Schad  gethan  mit  vielem  Uebergießen 
Die  vormahls  kleine  Lahn.    Indem  kont  man  nicht  wissen, 
Was  vor  ein  schöner  Thon,   nicht  weit  darvon  geschach, 
Darumb  der  Titirus  in  solche  Wort  entbrach. 

Titirus. 
Was   mag  dieses   wohl  bedeuten, 
Daß  dort  oben  ein  Geschrey? 
Man  siht,  daß  schon  diesen  Leuten 
Nunmehr  fast  vergessen  sey, 
Waß  das  Wasser  und)  undt  an 
In   gantz  Hessen   hat   gel  bau. 

Coridon. 

Laß   sich   doch   die   Armen  frewen 
Wiederumb  nach  solchem  leidt. 
Denn  der  Himmel   zu  verleihen 
Ihnen  wollust  ist  bereit, 
Weil!    der   Fürst    in  diesem   Landt 
Herr   der  .Musen  ist  erkant. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  303 

*. 

Ti  t  i  r  u  s. 
Ey,  so  will  ich  dan  nicht  schweigen. 
Will    mein  Sackpfeif   hissen    gehn. 
Nimm   du  Coridon  dein  Geigen, 
Ich  will  besser  wohl  bestehn 
Alß  due,  undt  es  machen  recht 
Bisin   schon  ein    Musenknecht. 

Coridon. 
Nun  es  soll  mir  auch  behagen, 
Waß  wiltu  dan  setzen  auf? 
Ich  will  diesen  Stab   hir  wagen, 
Gib  ein  Schaf  due  aus  dem  Häuf, 
Wan  der  Sig  im  Singen  mein; 
So  kanstu  der  Erste  sein. 

Titirus. 
Wie  der  Lähnberg1   vielen  andern 
Gehet  in  der  Höhe  vor, 
Wie  due  wirst  umbsonst   durchwandern 
Diese  Gegent  bis  auf  Lohr 
Undt   nicht   finden   wohl   ein   Haus 
Dem  dis  Schloß  was  gebe  rauß ; 
Wie  mein  Stab   vor  andern  allen 
Jungen  Mägdlein  wohl  gefeit; 
Also   muß  auch   wohl   gefallen 
Allen  Völckern  auf  der  Welt 
Dieser  Fürsten  hoher  Stamm 
Undt   so  weyt  berümbter  Nahm. 

Coridon. 
Wie  Parnassus  edle  Spitzen 
Alle  Berge  stechen  ab, 
Wie  die  Mauren,  so  beschützen 
Konten  vieler   Volcker    Hab 
Undt  das  Große  Babylon 
Andere  stißen  von   dein   Thron 
Wie  Apollo  Leyer  können 
Keiner  Sackpfeif  werten   gleich, 
Also   w  i is t u   dich   besinnen 
Gantz  vergebens  auf  ein   Reich, 
Da  ein  Slam,  den  dieser  nichl 
Weyi   an  Tugend!    übersticht. 

Ti  t  i  rus. 
Wie  ein  Böcklein  vor  zuegehen 

Baldl   sich  schicket   vor  <\rv  Herdt  : 
Wie  zue  reiten   Unit   bestehen 
Alsohaldl   ein  statlich  Pferdt 
Also  thut  Herr  Ludwig  auch 
Wieder   aller  Jugend!    Brauch. 


Ursprünglich :   Langenberg. 


304  Wilhelm  Diehl. 

Coridon. 

Wen  ein  Adler  kaum  bekühlet 
Schwingt  er  sich  schon  in  die  Höh' 
Wen  ein  Lew  die  Zähne  fühlet, 
Sucht  er  wo  er  Raub  erseh' 
Auch   der  Fürst  in   diesem   Landt 
Macht  sich  in   der  Blütt  bekandt. 

Til  irus. 
Ey,  so  sollen  dan  die  Felder 
Ihm   zue  ehren   fruchtbar   sein, 
Alle  püsch'  undt  alle  Wälder 
Grünen,   wan  der  Sonnenschein 
Wieder    Hirt    undt    Herd    erfreuet 
Mitt   der   güldnen   Frülingszeyt. 

Coridon. 
Muthieges  Hessen  thue  nicht  vergessen  der  voriegen  Trew; 
Liebe  vermehre  und  stets  verehre,  Herr  Ludwig  aufs  New. 
Alles   gesinnen,   alles    beginnen   dis   fürstliche   Hertz 
Wirt  dahin  richten,  daß  es  mög  schlichten  den  traurigen  Schmertz, 
Den  von  viel  Jahren  due  nun  erfahren  durch  Krieges  Gewählt 
Schädlicher  Leute,  die  wegen  Beute  in  Lieben  erkalt. 
Drumb  Ihn  auch  krönet  undt  itz  belehnet  der  Phoebus  mit  Macht 
Über  die  Schaaren,  so  zuevor  wahren  von  Musen  verwacht. 
Wen  dis  geführet  undt  sich  verliehret  bestimmete  Zeyt, 
Haben   viel   Kräntze,   fröliche   Täntze    die   Musen   bereit. 
Herr  Schupp  Euch  tragen  nach  dem  Behagen  des  Helicons  auf 
Allen  zue  singen  von  diesen  Dingen,  zue  ziehren  den  Lauf. 
Alles  bekleibet,  so  Ers  beschreibet  bey  ewiger  Welt, 
Was  nur  wirdt  können  weißlich  ersinnen  der  Edelste  Heldt. 

Was    wiltu    nun    hierzue    sagen? 

Gehn  dir  solche  Reim  auch  ab  ? 

Wirstu  es  nun  weyter  wagen 

So  bin  ich  ein  rechter  lap, 

Gelt  due  kanst  itzundt  gar  Naut? 

Sehern  dich  nur  in  deine  Haut. 
Her    Titirus    blutrot,    warf    seine    Sackpfeif   nieder, 
Sah  Coridon  schel  an,  verfluchte  alle  Lieder, 
Undt  gab  ein  Schaf,  undt  meint,  er  hette  sehr  geirrt, 
Daß  er  so  töricht  mit  dem  Mauskopf  sich  verwirt. 

c. 

0  wolle,  wolte  Gott,  ihr  hette t  ewre  Gaben, 

Die  in  der  Poesi  Opitz  und  andre  haben, 

0   Musae  mir  verehrt,   so   würde  diesesmahl 

Der  Printz,  der  Edle  Printz,  der  Hessen,  dem  die  Wahl 

Und  Würde  hat  gebracht,  daß  er  ein  Scepter  führet, 

Ein  Scepter,  wie  bekand,  daß  Königen  gebühret, 
Ein  würdig  Lobgedicht  in  Unterthenigkeit 
Kinpfuiiüen.      Hier  gebrichts.     Doch   ist.  der   Will   bereit. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  305 

Wohlan  du  liebe  Leyr,  so  laß  ein  Thon  erklingen 
Der  schlechten  einfalt  nach,  laß  (leine  Seyten  zwingen 
Von  unerfahrner  Hand,  und  sey  auff  Lob  bedacht 
Nach   bester  Möglichkeit,   nichl    wie   maus   sonsten  acht. 
Sing,  weret  ihr,  o  Printz,  nicht  fürstlich  vom  Gheblüthe 
Daß  Königlich  doch  ist,  hett  gleichwohl  daß  gemüthe 

Zum  Fürsten  Euch  gemacht!     Ja  singe  auch,  daß  Blulh 
Wie  gottlich  es  auch  ist,  bey  euch  das  tninste  thut. 
Dan  seyt  ihr  rrit  ein  Bild  und  Spiegel  aller  Tugend  i 
Von  Mutterbrüsten  ahn,  vom  ersten  Jahr  der  Jugendt? 
Hatt.  nit  der  große  Sin  und  fewrige  Verstand! 
Auff  daß  waß  göttlich  ist,  von  Kindheit  sich  gewandt? 
Drumb  hatt  der  große  Fürst,  von  dem  ihr  seyt  entsprossen 
So  bald  er  nur  vermerckt,  daß  Phoebus  hab  begossen 
,  Den  unvergleichten  Sin  mit  seiner  gaben  schaar 
Gantz  keine  müh  gespart,  dieweil  er  Vatter  war, 
Dem  Vatterland  zu  gnth,  also  zu  unterbawen 
Daß  die  Posterität  hieran  mög   Wunder  schauen. 
Diß  aber  hatt  gefehlt,  weil  Phoebus  nit  gewolt, 
Daß   sein   beliebter   Sohn   Regierer   werden   solt 
in   seinem  großen  Reich,  erst  nach  so  vielen  Jahren: 
Nein,    sprach  er,   nit  also.     Jetzt  sollet  ihr  erfahren 
Sonst  unerhörte  Ding.     Dieweil  sichs  umgewand 
Daß  (ließe r  junge  Printz  den  Alten  ahm  Verstand 
Und  Künsten  kommet  gleich;  Soll  er  Gesetze  geben 
Darnach  in  meinem  reich  all  Unterthanen  leben, 

In  seinci'  Jugendtblüth :  dan  der  die  Cron  verdient 
Er  sey  jung  oder  alt,  der  wird  damil  gekrönt. 
Glück  sey,  o  wehrter  Fürst,  bey  dießen  hohen  ehren 
Die  der  gelehrten  schaar  und  Phoebus  euch  gewellten  : 
Die  Weyßheit  selber  nuhn  euch  ihren  Herren  nennt, 
Daß  ist  der  rechte  Lohn,  daran   mau   Tugend   kent. 
Der  Macedonier  und  andre  Potentaten 
Wan  sie  umb  höchstes  Glück  die  alte  Götter  bathen, 
So  wünschten  Sie  allein,  daß  in  der  Weisen  Chor 
Und  Künsten  in  der  Welt,  sie  andern   kehmen  vor. 
Diß  habt  ihr,  Edler  Fürst,   mil   höchstem   rühm  erlanget, 
Und  noch  zum    Überfluß   ihr   mit   dem   Scepter   pranget 
Das  alle  Kunst  regiert;  dem  Scepter,  so  die  Welt 
Und  gute  Policey   in  ihren  Schrancken   bell. 
Glück    zu,   o   Hessenlandt,   du    magsl    dreh    seelig    nennen, 
Daß  du  wirst  dermahleins  ein  solchen   Fürsten  kennen. 
Durch    dessen    hohen   Sin    und    inechtigen    \  erslandl 
Wird   wohl    regieret  sein    daß   gantze    v*atterlandt. 
Durch  den  die  güldne  Zeit  und  Fried  wird  wiederkommen 
Den   über  zwantzig   Jahr   gantz   Teutschland    nit    vernommen 
Dan  wird  die  große  angsl  und  Threnenflüß  verkehrt 
In  Frewdenzeichen  sein  und  waß  man  lang  begehr! 
So  wird  daß  öde  Feld   und   ambgekehrte  Auen 
Versüngen   ihre   Frewd.   wan   jedes   sehn    wird    bauen 

Beiträge  z.  Gesch.  d.  Universitäten  Mainz  u.  Gießen.  20 


306  Wilhelm  Diehl. 

|)as.  so  Pest,  Raub  und  Brand  in  Grund  verwüstet  hat 
Ja  lauter  Frewdigkeit  kombt  an  der  Threnen  stat. 
Wan  dan  ein  besser  Lied  von  den  gelehrten  Zungen 
Dir  wird,   o   thewrer  Printz,   zu  Ehren  sein  gesungen, 

So  soll  mein  alte  Leyr,  wan  gleich  auch  keiner  will. 
Von  deiner  Tugendt  Lob  doch  nimmer  schweigen  still. 

XI. 

Schreiben  von   Schuppius  an  Maximilian  zum  Jungen 

vom   7.   November   1643. 

(Darmstadt,  Staatsarchiv,  XII,  154.1 
Nechst  dem  von  E.  Hhg.  ich  abgeschieden,  hat  es  so  viel 
seltzame  änderunge  an  diesem  Ort  gegeben,  undt  last  sich  noch 
ferner  so  seltzam  an,  daß  ich  undt  andere  gute  leuth  unser  fast 
selbst  vergessen.  Undt  ist  dieß  die  Uhrsach,  daß  E.  Hohg.  ich  biß- 
hero  nicht  ferner  zugeschrieben,  undt  mich  bedanckt  für  alle  er- 
zeygte  hohe  Gunst  und  Beförderung,  welche  zu  verdienen  ich  mir 
mein  Lebtag  will  hochlich  angelegen  seyn  lassen.  Undt  damit 
E.  Hohg.  ich  ferner  Occasion  an  Hand  gebe,  mich  je  mehr  und 
mehr  zu  verknüpfen,  so  erinnere  dieselbe  ich  unterdinstlich,  daß 
ich  jüngst  gedacht,  wie  meine  nothurfft  erfordere,  daß  ich  ein 
Stück  Gelt  uff  meines  genädigen  Fürsten  undt  Hern  schrifftlichen 
Consens  undt  sowohl  ihrer  fürstl.  Gnaden  alß  auch  meine  ge- 
thane  genügsame  Versicherung  aufnehme.  Hab  zu  dem  End  unter- 
dinstlich gebeten  E.  E.  hochg.  wollen  mir  ferner  die  grose  Be- 
förderung thun,  und  auß  gewissen  Uhrsachen  an  ihrem  hohen 
Ort  durch  ihre  vielgeltende  Authorität  dahin  cooperiren,  daß  der 
Jud  im  Vogelgesang  könne  dazu  disponirt  werden,  alß  welchem 
der  meynigen  Zustand  bekant,  undt  der  auch  desto  kühner  bey 
hochg.  ihrer  fürstl.  Gnaden  im  Widerfordern  seyn  undt  derowegen 
mich  desto  eher  wider  auß  der  Obligation  bringen  könte,  in  dem 
er  mir  Anlaß  geben  würde,  auf  die  Zahlung  desto  besser  zu 
tringen,  wann  er  mich  treiben  würde.  Wann  nun  dazu  Hofnung 
vorhanden,  bitte  ich  unterdinstlich  E.  E.  hhgg.  wollen  durch  dero 
praecep torein  mich  mit  zweyen  Worten  berichten  lassen.  Oder 
durch  Zeygern  dieses  Herrn  Hans  Georgen  Neubauwern,  dem  ich 
ol was  zu  thun  undt  darauf  vertröstet  habe.  E.  E.  Hhgg.  würden 
mich  sehr  dadurch  obligiren,  undt  es  würde  an  starcker  Ver- 
sicherung a  parte  Illustrissimi  nicht  mangeln,  alß  desen  Fürstl. 
Gnaden  itzo  meiner  armen  Feder  zu  gebrauchen,  undt  derowegen 
es  mir  an  genädiger  Hülf  nicht  werden  mangeln  lassen,  wann  ich 
nur  Mittel  zu  helfen  vorschlagen  werde.  Wolle  von  Unserm  Zu- 
stand  particularia  schreyben,  wann  ich  nicht  eben  mit  andern 
verdrießlichen  negociis  obruirt  würde  undt  Zeiger  dieses  eyletr. 
E.  E.  Ilh^u.  weiden  theils  von  Ihm  selbst  vernehmen  können. 
Womit  E.  E.  Hgg.  neben  allen  dero  lieben  Angehörigen  ich  in 
Gottes  genädigen  Schutz  empfehle,  undt  bleib  so  lang  ich  lebe 

E.  E.  u.  Hhgg. 

gantz  ergebener  treuwer  Knecht  undt  Diener 
In  höchster  eyl. 
Marpurg  am  7.  Nov.  1643. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  307 

xir. 

Schreiben   von   Schuppius  an  Maximilian  zum  Jungen 

vom   5.   Dezember  1644. 

(Darmstadt,  Staatsarchiv,  XII,  154.) 

Wie  hoch  E.  Wohl  E.  St.  ich  mich  obligirt  erkenne,  hette 
ich  schon  längst  in  einem  publico  scripta  remonstrirt,  wann  nicht 
andere  sonderbare  Geschaffte,  Widervvertigkeyten  undt  Schwach- 
heyten  mich  bisher  dran  verhindert  undt  es  aufzuschieben  mich 
genötiget  heften.  Inzwischen  schwebt  E.  St.  grose  Humanität  mir 
immer  für  Augen,  und  macht  mich  so  kühn,  daß  dieselbe  als 
einen  arbitrum  meines  künfftigen  Glücks  ich  ersuche,  undt  die- 
selbe bey  dieser  zwar  eylfertigen  jedoch  sicheren  Gelegenhevt 
umb  einen  guten  Rath  bitte.  E.  St.  hab  als  einem  berühmten 
Patrono  operum  literatorum,  ich  schon  für  einem  Jahr  zu  Franck- 
fort  geklagt,  wje  mjt  groser  Beschwerung  ich  mich  nun  ins 
zehende  Jahr  bey  der  Philosophischen  Facultät  zu  Marpurg  auf- 
gehalten, undt  weyl  der  Universität  alle  Mittel  zerrinnen,  undt 
mit  menschlichen  Augen  keine  Besserung  noch  in  vielen  Jahren 
zu  ersehen  sey,  were  mir  unmöglich  dieß  Leben  länger  zu  con- 
tinuiren.  in  sonderbarer  Betrachtung,  daß  ich  weder  mein  oder 
meiner  Hausfrauwen  Patrimonium  in  Händen  hab,  sondern  an 
meiner  Besoldung  hangen  müsse  wie  ein  Kind  an  seiner  Mutter 
Brüsten.  Weil  nun  dieselbe  so  viel  Jahr  außen  blieben,  müsse 
ich  mich  notwendig  in  despect  setzen,  weyl  ich  keinen  Credit  halten 
könne  etc.  etc.  Euwer  St.  versichern  sich,  wann  ich  meinem 
ärgsten  Feind  mein  Uhrsachen  all  entdecken  sollt,  welche  mich 
bewegen,  daß  ich  alß  ein  mühdes  abgemattetes  Pferd,  aus  diesem 
Professorischen  Joch  gern  wolte  ausgespaunet  seyn,  er  würde 
sie  für  erheblich  genung  halten,  wann  nur  noch  ein  christlicher 
BJutstropffen  in  seinem  Hertzen  zu  finden  were.  Ein  Stück  dieser 
Tili sachen  hab  ich  meinem  Patron  Vice  Statthalter  Plessen  ent- 
deck!, welcher  zwar  ungern  siehet,  daß  ich  von  der  Universität 
sollt  abgerissen  werden,  weyl  er  aber  meine  Resolution  so  fest 
gegründet  befunden,  hat  seine  St.  mich  gar  beweglich  an  Unsern 
Genädigen  Fürsten  und  Herrn  recommendirt,  undt  gebeten,  daß 
ihre  Fürstl.  Gn.  auf  anderwertliche  Beförderung  genädig  bedacht 
seyn  wollen.  Es  hat  auch  Herr  Statthalter  mir  zu  verstehen 
geben,  was  Ihre  fürstl.  (in.  Ihm  mil  eygnen  Händen  geantwortet 
halten. 

Undt  ist  an  dem,  daß  ich  zum  Superintendenten  zu  Schmal 
kalden  begehrl  werde,  wie  E.  St.  unter  andern  aus  Herrn  Super- 
intendenten Praetorü  Originalschreyben  zu  ersehen,  da  er  gedenckl 
in  medio  epistolae:  Successorem  praeter  Te  nulluni  aliinti  de- 
sidero  esse.  Nun  stehe  ich  abermals  in  Sorgen,  ob  meine  Wider- 
Wertigkeit  hierdurch  möge  geendet  oder  vielmehr  in  ein  ander 
Model  gegossen  undt  also  nur  geändert  werden?  Dann  1.  ist 
Schmalkalden  ein  Ort,  den  Unser  (Jenädiger  Fürst  und  Herr  nur 
pfandsweys  inn  hat,  undt  isl  mann  nicht  versichert,  daß  mann 
einen   Monal    da    sicher    bleiben    könne,    so    gar   lassen    sich    die 

20* 


308  Wilhelm  Diehl. 

Cassellaner  itzo  mit  ihrer   Intention  heraus.     Nun   hab  ich  eine 
weitlaufftige  Bibliothec,  welche  ich  nicht  zurücklassen  kann,  soll 
ich  diese  mit  grosem  Unkosten  den  unsichern  Weg  führen,  eine 
neuwe   Haushaltung   formiren,    undt   nicht   wissen,    ob    ich   über 
Nacht  wider  aufbrechen  müsse,  das  kompt  mir  undt  den  meynigen 
sehr  beschwerlich  für.     Zum  Andern  hab  ich  einen  alten  Vatter, 
von  dem  ich  ein  ehrlich  Patrimonium  zu  erwarten,  ziehe  ich  weit 
von    Giesen,    so   sind    Unser   Sachen    so    gethan,    daß    ich   deren 
wann  ich  weyt  davon  binn,  nichts  werd  genießen  können.   Anderer 
Discommoditäten  zu  geschweygen.     Ich  hab  zwar  alles  in  Gottes 
genädigen  Willen  gestellet.     Jedoch  hat  ein  Mensch  auch  seinen 
Verstandt    von    Gott,    daß    er    desen    brauche..     E.    WohlE.    St. 
verzeyhen  der  eylfertigkeyt  desen,   dem  ich  diesen  Brief  anver- 
trauwe,    welcher   mir   nicht   zuläst   mich    recht   zu   expectoriren, 
und  mit  gebührender  Discretion  E.  WohlE.  St.  mein  Anliegen  zu 
entdecken.      Mit   wenigem   erinner    E.    WohlE.    St.    ich    etzlicher 
hochg.   Wort,   so   dieselbe   gegen   mich   schießen   lassen,   als  von 
derselben    ich    zu    Francfort    Abschied   nahm.     Undt    schütte    in 
höchster   Demuth   dieß   Arcanum   in   E.   St.    Schos-,    und   beychte 
deroselben    von    Hertzen,    daß    mir    nach    Marpurg    kein    Ort    in 
der  gantzen  Welt  bequemer  sey,  darin  ich  mein  Leben  zubringen 
möchte,    als    Francfort.      Wann    nun    Hern    D.    Tettelbachs    Stell 
besetzt   were,    undt   ich    könte    im    Minis terio    eine    quamcunque 
siaiionem    haben,   also    daß    mir    dabey    das    Gymnasium   anver- 
trauvvt  würde,  dasselb  in  Flor  und  Aufnehm  durch  Gottes  Hülf 
zu  bringen,  Ich  wollte  alle  meine  Kläffte  darin  consumiren,  und 
leicht   auf    Mittel    dencken,    daß    Ihre    Fürstl.    Gnaden    mich    in 
Genaden    dimittirten.      E.    St.    entdeck    Ich    dieß    arcanum    nicht 
alß  einer  vornehmen  Regimentsseulen,  sondern  als  ihrer  Privat- 
person,  und   meinem   Hochgeehrten   Patron,    undt  sage   das,   daß 
ich  keinem  Menschen  auf  der  Welt  lieber  gönnen  wolt  die  Ehr 
mich    zu    befördern,    alß    E.    St.    Will    demnach    derselben    mich 
biemit   selbst   gleichsam   schencken   undt   verehren.     Ein    besser 
Geschenck  als  mich  selbst,  hab  ich  nicht.     E.  St.   machen  aus 
mir,  was  sie  selbst  wollen,  so  wird  das  Geschenck  desto  precioser 
werden.     Rathen  E.   St.   mir,   daß  ich  die  Condition  zu  Schmal- 
kalden  acceptire,   so   seyen   sie   versichert,   daß   sie   an  dem   Ort 
einen    Diener    haben    werden,    der    täglich    für    sie    beten    wird. 
Rathen  sie  mir  aber  etwas  anders,  so  will  deroselben  ich  auch 
gehorsamlich  folgen.     Euwer  St.  thuen  doch  in  diesem  Fall  bey 
mir  wie  sonsten  Ihre  hoch  löbliche  Gewohnheyt  ist  gegen  tugend- 
liebende  undt   arme   Leuth    zu    thun.     Die   erste   Belohnung,   er- 
warten   sie    von    Gott,    die    ander    mit    meinen    treuwen    I husten 
zu  erlegen  will  ich  mir  aufs  höchst  angelegen  seyn  lassen.    Herr 
Praetorius  wird  den  nechsten  allhier  erwartet.    Drumb  bitt  E.  Sl. 
ich   demütig,   sie   wollen   Ihrem   Domestico   M.   Matthiae  nur  mit 
zweyen  Worten  befehlen,  mir  zu  schreyben,  ob  und  wie  ich  mich 
wegen    Schmalkalden    resolviren     solle?      Ich     schreyb    Unserm 
Herrn   Gott  nicht  für,    hoffe   aber  E.   St.   werden   meine  innerste 
llii  Izensgedancken,  welche  ich  wegen  Franckfort  hab,  nicht  übel 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  309 

ausdeuten.  Ich  "rede  also  davon  nach  menschlicher  Thorheyt, 
undt  überlasse  Gott  (qui  per  media  agit)  die  Disposition.  Undt 
damit  ich  in  meiner  Thorheyt  fortfahre,  so  mach  ich  mir  leicht 
die  Gedancken,  es  werde,  wann  etwas  furgehen  sollte,  Difficultät 
haben,  wegen  der  Oberstell.  Allein  E.  St.  seyen  versichert, 
wann  mir  dieselbe  offerirt  würde,  daß  ich  sie  constantissima 
modestia  recusiren  wolte.  Mallem  ego  locum  ornare  quam  a 
loco  ornari.  Ich  binn  durch  so  viel  Vanitäte  gangen,  daß  ich 
nun  das  Ding  .weniger  als  nichts  achte.  Ich  weys,  was  es  thut, 
wann  man  von  seynen  Collegis  geneydet  undt  nicht  recht  geliebt 
wird.  E.  St.  lassen  mir  nach  ihrer  beywohnenden  Höflichkeit 
zu,  daß  ich  meiner  süßen  phantasey  weyter  indulgire,  undt  mich 
erbiete,  wann  ich  spem  an  das  Ort  haben  könt,  undt  an  meinen 
Qualitäten  in  Theologicis  mangel  were,  wolt  ich  alsobalt  meine 
Profession  quitiren,  undt  mich  eynig  im  Deutschen  Haus  noch 
ein  Jahr  concionando  exerciren,  mich  sonsten  in  Theologia  üben 
und  also  ferner  durch  Gottes  Hülf  capable  machen.  Sed  quorsum 
ego?  E.  Wohl  E.  St.  nehmen  hieraus  ab  die  grose  Confidentz, 
so  zu  derselben  ich  geschöpft,  undt  wie  begierig  ich  sey,  mich 
i lielei'  in  deroselben  Schuld  und  Observantz  zu  setzen.  Die  eyl- 
fertigkeit  des  Überbringers  vergönnet  mir  nicht,  daß  ich  alle  Wort, 
auf  die  Wag  lege,  welches  ich  auch  nicht  für  gar  nötig  halte  bey 
einem  solchem  Patron,  desen  hoher  Verstand  mein  demütiges 
Hertz  ansehen,  undt  dieses  von  einem  geängstigten  redlichen 
Gemüth  hergeflossenes  eylfertiges  Schreyben  mit  ewiger  Ver- 
schwiegenheyt  vergraben  wirdt.  Ich  widerhohle  meinen  christ- 
lichen Wunsch  so  für  E.  WohlE.  St.  und  dero  hochangehörige 
ich  oft   thu,  undt  bleib  mit  gantzem  hert.zen 

E.  WohlE.  St. 
treuwer  gehorsamer  Knecht  u.  Diener  solang  ich  lebe 

llaptim  5.   Xbris   1G44  in   Marpurg. 

XIII. 

Protokoll  der  Vernehmung  Schupps  in  der  Disziplinarunter- 
suchung wegen   Anstellung  der  Betstunden. 
(Darmstadt,   Staatsarchiv,    Y,  7,   16.) 

Den  4.  Januarii  Anno  1645. 

Isi  Herrn  Lt.  Schuppen,  Professorn  und  Predigern  zu  St.  Eli- 
sabethen Kirchen  durch  den  Cantzleyknecht  angezeigt  worden, 
wie  daß  im  Nahmen  und  von  wegen  des  Durchleuchtigen  Hoch 

gebornen    Fürsten    und    Herrn,    Herrn    G gen,    Landgrafen    zu 

Hessen,  Unsers  gnedigen  Fürsten  und  Herrn,  wir  mit  ihme  etwas 
aothwendiges  zu  reden  heften,  und  er  doch  auf  die  Cantzley 
kommen,  und  solches  vernehmen  wolle,  solle  Er,  wie  der  Cantzley- 
knecht berichtet,  zur  Antwort  gegeben  haben,  1.  Er  wehre  etwas 
unpäßlich,  2.  helle  auf  zwey  Predigten  zu  studiren  und  :'».  wüste 
nicht,  ob  er  ohne  Serenissimi  Specialbefelch  erscheinen  solle, 
sich  aber  doch  zu  bestimbter  Zeit  noch  eingestelt. 


310  Wilhelm  Diehl. 

Darauf  ist  in  Praesentia  Herrn  Vicepraesidentens,  Johann 
Adolph  Rawens  von  Holtzhaußen,  Herrn  Vicecancellarii  D.  Ruppels, 
Herrn  Superintendentis  D.  Herdenii,  Herrn  D.  Hannekenii,  Herrn 
D.  Seilen,  Herrn  D.  Gehren,  und  Herrn  Lt.  Ruppels  mit  ihm  ver- 
handelt worden,  wie  folget. 

Anfänglich  ward  ihm  vorgehalten,  welchergestalt  die  fürstl. 
Regirungs  Räthe  in  Erfahrung  gebracht,  ob  solte  Er  in  der 
St.  Elisabethen  Kirchen  eine  sonderbare  Rettstund  angeordnet, 
solches  publice  vor  dem  Altar  verkündiget  und  noch  darzu  ein 
eigenes  Gebet  begriffen,  solches  trucken  zu  lassen  begehret,  und 
darinn  gesetzet  haben,  daß  erstlich  vor  den  Römischen  Kayser, 
2.  vor  den  Teutschmeister,  3.  vor  das  fürstl.  Hauß  Hessen  und 
4.   vor   die   Ordens   Personen   solle   gebeten   werden. 

Nun  hetten  wir  unß  selbst  christlich  zu  erinnern,  daß  das 
Beten  hochnötig  wehre,  und  wir  die  Intentionem,  welche  Herr 
Lt.  Schupp  etwa  haben  möchte,  nicht  improbiren  könten.  Es 
müste  aber  solcher  Anstalt  also  gemacht  werden,  damit  unserm 
gnedigen  Fürsten  und  Herrn  und  dero  hochlöblichem  Fürstlichem 
Hauß  Hessen  dardurch  in  nichts  praejudicirt  noch  einige  ge- 
fährliche Newerung  zugezogen  würde :  wie  dann  niemahls  erhört, 
daß  in  St.  Elisabethen  Kirchen  vor  den  Herrn  Teutschen  Meister, 
oder  die  Ordens  Personen  gebeten  worden  wehre,  So  pflege  man 
auch  nicht  in  genere  vor  die  Fürsten  zu  Hessen  zu  bitten,  sondern 
es  würde  jedes  Orts  der  Landsfürst  vorgesetzet,  dero  F.  Gn.  Fraw 
Gemahlin,  fürstliche  Kinder  und  dann  dero  Herrn  Brüder  dar- 
auf benand,  und  endlich  des  fürstl.  Hauses  Hessen  in  genere  ge- 
dacht, und  hette  ihme  in  allwege  obligen  und  gebüren  wollen, 
solcher  nachdencklichen  wichtigen  Sachen  sich  nicht  allein  nicht 
anzumaßen,  sondern  uffs  wenigst  die  F.  Regirung,  oder  den 
Herrn  Superintendenten  darvon  zu  berichten,  alsdan  hette  alles 
mit  besserer  Manier  hergehen  können:  Rem,  man  möchte  ietz- 
under  leichtlich  etwas  anordnen,  welches  hirnechst  die  Pontiiicii 
allegiren,  extendiren,  und  zu  ihrem  großen  Vortheil  gebrauchen 
dürften,  doch  hetten  wir  vor  eine  Notturft  erachtet,  Ihn  selbst 
zu  hören,  und  mit  ihm  aus  diser  Sachen  zu  communiciren.  wie 
er  etwa  vermeine,  eines  und  das  ander  zu  behaubten. 

Ille:  hette  ietzunder  seine  Gedancken  nicht  frey,  möchte 
wünschen,  daß  er  zu  anderer  gelegenheit  erfordert  worden  wehre, 
doch  wolte  er  so  viel  ihm  thunlich  sich  vernehmen  lassen,  fragte 
demnach  sobald,  ob  der  Teutsche  Meister  nicht  der  Teutschen 
Ordens  Personen  Obrigkeit   wehre? 

Nos:  Ja,  doch  certo  respectu,  und  daß  unser  gnediger  Fürst 
und  Herr  als  Landsfürsl  vornehmlich  geehrt  und  dessen  Lands- 
Eürstliche   Hoheit  beobachtet  würde. 

Ille:  Weil  dan  wir  geständig,  daß  der  Teutsche  Meister  der 
Ordens  Personen  Obrigkeil  wehre,  so  wehre  Gottes  Wort  gemäß, 
daß  man  vor  die  Obrigkeit  betten  solle,  welches  er  gethan. 

Nos:  Er  müste  aber  auch  nichts  newes,  noch  solche  zur 
bösen  Consequentz  gereichende  Ding  anstellen,  sondern  der  fürstl. 
Hessischen  Kirchenordnung  und  herbrachter  Observantz  sich  con- 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  311 

formiren,  da  rinn"  würde  er  finden,  daß  zwar  vor  alle  Christliche 
Potentaten  in  genere  solte  gebeten  werden,  gar  nicht,  daß  er 
in  specie  vor  den  Teutschen  Meister  beten   solle. 

Ille:  Er  wüste  nicht,  wie  er  sich  in  dise  Sachen  richten 
solte,   man  wolte  Mücken  säugen,  und  Cameel  verschlucken. 

Nos:  Das  wehren  sehr  harte  piequante  unbedachtsame  Wort, 
da  man  also  zu  reden  nicht  pflegete.  Wir  sässen  alhir  im  Nahmen 
und  von  wegen  des  Landsfürsten,  und  seyen  schuldig  und  pflichtig, 
Ihrer  f.  Gn.  juxa  besten  Fleißes  in  acht  zu  nehmen,  gantz  nichts 
aber  zu  negligiren,  oder  zu  versäumen,  und  netten  mit  ihm 
placide  reden  wollen.  So  gebrauchte  er  sich  nur  solcher  un- 
bescheidener Worten,  solte  sich  versichert  halten,  daß  wir  an 
gehörigen  Ort.  dises  underlhänig  berichten  werden,  und  wan  er 
mit  dem  Herrn  Superintendenten,  als  seinem  Obern  auß  diser 
Bachen  vorher  communicirt  nette,  wie  er  zu  thun  schuldig  ge- 
wesen, würde  selbiger  ihm  andere  und  bessere  Information  ge- 
geben haben,  maßen  dan  ander  anderm  zum  Exempel  referirt  ward, 
ohnangesehen  Chur-Trier  Condominus  zu  Ober-Rospach  wehre, 
daß  doch  der  Pfarrer  in  specie  vor  selbigen  nicht  bitten  dörffte. 

Ille:  Er  respectirte  den  Herrn  Superintendenten  als  einen 
alten  vornehmen  Theologum,  aber  als  seinen  Obern  zu  respec- 
tiren,  dessen  hette  er  keinen  Befelch,  auch  hette  D.  Steuberus 
sei.  selbigen  als  einen  Obern  niemahls  agnoscirt,  wie  dan  auch 
der  Herr  Landcommenthur  nicht  nachgeben  wollen,  daß  er  sich 
alhir  in  der  Stattkirchen  hette  ordiniren  lassen  dörffen,  sondern 
hette  ehei'  naher  Franckfurt  reisen,  und  daselbsl  sich  ordiniren 
lassen  sollen. 

Nos:  Der  Carlstadische  Vertrag  brächte  clärlich  mil  sich, 
daß  Serenissimus  Landsfürst  weine,  und  in  dero  Land  das  jus 
eniscopale  hette.  Item  daß  die  Prediger  in  St.  Elisabethen  Kirchen 
nach  der  fürstlichen  Hessischen  Kirchenordnung  sich  reguliren 
müsten,  hette  nun  Serenissimus  das  jus  episcopale  und  kein 
an  ler,  so  würde  er  auch  Serenissimum  und  diejenige,  welche 
Ihre  F.  Gn.  an  dero  statt  verordnet,  als  seinen  Superiorem  halten 
und  erkennen  müssen,  und  hette  ihme  daramb  gar  nicht  gebüret, 
ein  absonderliches  Gebet  zu  machen,  und  gantz  neuerlich  den 
Teutschen  Meisler  und  andere  Ordens  Personen,  darin  zu  setzen, 
weniger  vor  sich  eine  absonderliche  Bettstund  anzuordnen,  son- 
dern hette  er  erstgedachten  Carlstadischen  Vertrag  besser  be- 
obachien    sollen. 

Ille:  Der  Carlstadische  Vertrag  würde  ihn  nichl  selig  machen, 
noch  am  jüngsten  Tag  verantworten,  Er  hette  seine  erhebliche 
Ursachen  zu  solchem  gemachtem  Anstalt,  insonderheil  aber  wehre 
ihm  beweglich  zu  gemühl  gangen,  daß  auf  den  Soniag  im  Teut- 
Bchen  Hauß  nur  eine  Predig  und  zwar  des  Morgens  umb  Sechs 
Uhr  gehalten  und  darauf  der  gantze  Ta^  entweder  mil  Fressen 
und  Saunen,  Müßiggang  und  sonsten  das  sextum  praeeeptum  zu- 
bracht werde,  item  daß  die  Armen  in  ihrem  Chris tenthum  so 
schlecht  erbawet  wehren,  daß  über  zwey  oder  drey  das  Vatter 
unser  nicht  rechl  beten  könten,  disem  allem  nun  hette  Er,  so  viel 


312  Wilhelm  Diehl. 

möglich  vorbawen,  auch  daran  sein  wollen,  daß  die  arme  Leuthe 
besser  hetten  beten  lernen  sollen. 

Nos:  Seine  Intention  würde  von  uns  gar  nicht  improbirt, 
sondern  er  hette  einen  andern  modum  gebrauchen,  und  es  mit 
Vorbewust  Serenissimi  oder  der  f.  Regirung  anstellen,  und  dem 
fürstl.  Hauß  Hessen  zu  Praejuditz  und  dem  Pabstumb  zu  Vortheil 
gereichende  Newrung  nicht  vornehmen  sollen. 

Ille:  Er  hette  mit  den  Herrn  Theologis  auß  diser  Sachen  com- 
municirt,  die  hetten  sich   ja  solches  belieben  lassen. 

Herr  D.  Hannekenius:  Sagt  Ja,  Er  hette  mit  Ihme  geredel, 
auch  das  abgefaste  Gebet,  zu  censiren  geschickt,  darmit  es  ge- 
I  rucket  werden  möchte,  Er  hette  aber  mit  dem  Herrn  Superinten- 
denten und  andern  seinen  Herrn  Collegis  in  Facultate  Theologica 
communicirl,  welche  nebens  ihm  darvor  gehalten,  es  wehre  nicht, 
zuzugeben,  daß  das  Gebet  sonderlich  mit  der  Ueberschrift  auf 
Anordnung  des  Herrn  Landcommenthurs  getrucket  würde,  so  er 
Herrn  L.  Schuppen  angezeigt,  und  darbey  errinnert.  Er  wüste 
nicht,  ob  es  slyli  wehre,  daß  man  vor  den  Teutschmeister  und 
Landcommenthur  also  bäte  und  solte  Lic.  Schupp  sich  darinn 
wol  fürsehen.  Item  es  würde  sich  nicht  schicken,  daß  man  nur 
in  genere  vor  die  regirende  Fürsten  in  Hessen  bähte  und  unsers 
gnedigen  Fürsten  und  Herrn  in  specie  nicht  gedächte,  sintemahl 
wir  ja  mehr  vor  Ihre  f.  Gn.  als  vor  die  Fürstin  zu  Cassel  zu  bitten 
hetten :  Kern  Herr  Lt.  Schupp  hette  referirt,  das  Gebet  solte  im 
Hospital  abgelesen  und  verrichtet  weiden,  und  wehre  der  Kirchen 
nicht  gedacht   worden. 

Ille:  Wann  er  wissen  solte,  daß  es  ihm  Unc;eley,enheit 
geben  solte,  wolte  er  lieber  den  Dinst  gahtz  resigniren,  hette  doch 
nicht   so   viel    darvon,    daß   er   einer   Magd   lohnen    könne. 

Herr  D.  Hannekenius:  Er  solte  sich  hedencken,  was  er 
redete,  es  ließ  sich  nicht  thun,  daß  man  unserm  Herrn  Gott  den 
Stul  wolte  vor  die  Thür  setzen. 

Nos:  Das  wehre  keine  Ursach,  den  Dinst  zu  resigniren,  dann 
daß  wir  die  Errinnerung  thäten,  und  zwar  nicht  unbillich,  vor 
unserm  gnedigen  Fürsten  und  Herrn,  exclusis  Magistro  et  mini- 
stris  ordinis  Teutonici  allein  zu  bitten,  das  wehre  die  Ursach. 
weil  Ihre  f.  Gn.  Landsfürst  wehre,  und  dan  auch  nicht  die  Teut- 
schen  Ordensherrn  die  Intraden  zu  Underhaltung  der  Armen,  deren 
die  Teutschen  Herrn  Pflegere  wehren  verschaffet,  sondern  die 
Fürsten  von  Hessen  nach  und  nach  alles  hergeben  Indien,  Er 
solle  seihst,  hedencken,  was  vor  gefehrliche  Inconvenientien  dar- 
außer  entstehen  könnten  wann  der  Anstalt  mit  der  Bettstunde 
bey  dem  Landcommenthur  stehen,  oder  man  vor  dem  'Deutschen 
Meister  und  die  Teutschen  Ordens  Personen  in  der  Kirchen  beten 
wolle,  und  daß  sich  solche  und  dergleichen  nachdenekliche  Sachen 
ohne  Ihrer  F.  (in.  Vorbewust  nicht  anstellen  ließen,  wie  dan  wir 
niehi  nachgeben  könten  noch  wollen,  daß  er  die  Betstunde  ferner 
halten  möchte,  sondern  solle  warten,  biß  Unser  gnediger  Fürsl 
und  Herr  von  der  Sachen  underthämig  berichtel  wehre,  und  sich 
daran!'   gnedig    resolvirl    helle. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  313 

*. 

Hirauff  hal  "Herr  Superintendens  per  discursum  gedacht, 
wie  so  vielmahl  Errinnerung  geschehen,  daß  ein  Prediger  im 
Teutschen  Hauß,  wan  er  die  Beicht  hörete  und  das  Abendmahl 
des  Herrn  halten  wolte,  außer  den  Ordenspersonen  und  Dienern, 
Niemand  weiter  admittiren,  sondern  die  Bürger  und  Bürgerin 
remittiren  solto,  dessen  aber  unerachtet,  vernehme  man,  daß 
noch  immer  fort  sehr  viel  Bürgersleuthe  in  der  St.  Elisabethen 
Kirchen  zum  Tisch  des  Herrn  gingen. 

llle:  Er  \yüste  nicht,  was  das  vor  Picquen  wehren,  daß  man 
solches  verbieten  wolle. 

Herr  Superintendens:  Ey  wie  er  doch  darzu  komme, 
und  dise  Erinnerung  Picquen  nennen  möchte,  die  Geistliche  in 
der  Stattkirchen  hetten  ihre  befugte  gnugsam  erhebliche  Ursachen, 
und  hetten  selbige  allein  wegen  der  Bürger  curam  animarum 
und  wehre  billich.  wo  einer  hingepfarret  wehre,  daß  er  auch 
daselbst  zum  Tisch  des  Herrn  gehen  müste,  maßen  dan  die 
fürstl.  Erleuterungs  Puncten  über  die  Kirchenordnung  solches 
austrucklich   erfordern. 

Ille:  Es  wehre  ihm  leid,  daß  soviel  Personen  bey  ihm  im 
Teutschen  Hauss  zum  Tisch  des  Herrn  gingen,  und  wüste  er 
nicht,  wie  er  solche  zurückweisen  könte,  Er  sehe  selbst,  daß  es 
eine  Confusion  gebe  und  wüste  er  wohl,  daß  die  Bürger  in  der 
Statt   seine  Schaafe  nicht  wehren. 

Nos:  Dieweil  die  Bürger  in  der  Statt  seine  Schaafe  nicht 
wehren,  so  solte  er  Sie  auch  nicht  weiden,  und  könte  er  der 
Sachen  leichtlich  rahten,  wan  er  die  Bürgersleuthe  von  sich  ab, 
und  zur  Stattkirchen  wiese,  wann  man  aber  die  Leuthe  gleichsam 
an  sich  reitzete,  und  Ursach  darzu  gebe,  so  gienge  es  alsdan 
alsoher,  und  hetten  wir  vernommen,  daß  verwichenen  Newen 
Jahrsfag  Er  einen  Pfarrer  von  Seelheim  zu  sich  genommen, 
welcher  nebens  ihm  die  Beicht  hören  helffen,  welches  gleichfalls 
niemals  erhöret  worden  wehre. 

Ille:  Er  wehre  ein  Ordenspfarrer,  den  würde  er  ja  zu  ge- 
brauchen  Macht    haben. 

Nos:  Das  geben  wir  nicht  nach,  sondern  (sicut  Dn.  Super- 
intendens äddebat,  der  Pfarrer  von  Selheimb  M.  Happel  helle 
seine  Vocationem  naher  Sehlheimb  und  nicht  anhero)  und  seye 
(dien  die  Ursach,  daß  die  Bürgers  Leuthe  so  heuffig  in  der  St. 
Elisabethen  Kirchen  zum  Tisch  des  Herrn  u;ieiia;en.  Er  solle  bey 
des  Ordens  Leuthen  bleiben,  und  die  andere  zur  Haubtkirchen 
remitliren,  zumal  er  verschiedene  Leuthe  admittire,  umb  welcher 
Thim  die  Stattprediger  und  Kirchen  Seniores  offtmals  solchen 
Bericht  hetten,  daß  selbige  allezeit  so  schlechthin  nicht  zu  ad- 
mittiren wehren.  Er  hefte  die  Kirchenordnung  und  die  Erklärungs- 
puneten,   darnoch  solte  er  sich   achten. 

Ille:  Er  hotte  kein  Exemplar,  Herr  I).  Steuber  hette  zwey 
Exemplafia  gehabt,  und  wüste  er  nicht,  wo  solche  hinkommen 
wehren. 

Nos:  Wir  wollen  schon  darauf  bedacht  sein,  daß  Er  ein 
Exemplar   bekommen   solle. 


314  Wilhelm  Diehl. 

XIV. 
Memorial   Schupps   an   den   Landgrafen,   Anfang   1645. 

(Darmstadt,   Staatsarchiv.   V.  7,  46.) 
Memorial. 

1.  Daß  Ao  1632,  als  das  Studium  Eloquentiae  lange  Zeyt 
auf  dieser  Academi  darnieder  gelegen,  und  ich  von  fremden  Uni- 
versitäten kommen,  und  exercitii  gratia  memoriter  perorit  und 
ein  collegium  historico-Geographicum  angeschlagen,  Herr  Cantzlar 
Wolf  wider  meine  Gedancken  mich  zu  sich  erfordert,  und  nach 
gethanen  grosen  promissen  mich  adhortirt,  daß  ich  mit  dem 
Studio  Theologico  das  Studium  Oratorium  fleißig  treiben,  in 
ihre  fürstl.  Gnaden  Dinst  mich  begeben,  und  nicht  allein  mit 
den  Stipendiaten,  sondern  auch  mit  andern  Studiosis  allerhand 
exercitia  anstellen  solte.  Dafür  wollen  Ihre  fürstl.  Gnaden  mir 
nicht  allein  ein  jährliches  Recompens  geben,  sondern  auch  2  oder 
3  Jahr  auf  ihrer  fürstl.  Gnaden  Unkosten  auf  frembde  Univer- 
sitäten schicken. 

2.  Als  aber  ich  solches  eine  Zeit  lang  angetrieben,  undt  darauf 
in  Holland  gereyst,  da  heutiges  tags  die  beste  Oratores  lehen, 
ist  die  böse  Zeyt  eingefallen,  und  sonderlich  nach  der  Nörd- 
linger  Schlacht,  das  Land  durch  Pest  und  Krieg  sehr  ruinirt 
worden,  Herr  Cantzlar  Wolf  auch  meyste  Zeyt  außerhalb  Lands 
dem  Pacificationswesen  abgewartet,  also  daß  sich  niemand  meiner 
angenommen,  da  ich  dann  meinem  genädigen  Landsfürsten,  dem 
Vatterland  und  der  Universität  zu  ehren,  von  meinen  eygnen  Un- 
kosten dieß  Studium  continuirt,  und  nun  hören  muß,  daß  man 
mir  diese  wohlangewendete  sumptus  an  meinem  patrimonio  ab- 
kürtzen  wolle. 

3.  Im  Anfang  meiner  Profession  hab  ich  mich  bey  rechter 
Pferdtsarbeyt  mit  140  fl.  Besoldung  contentirt,  biß  endlich  ihre 
fürstl.  Gn.  meinen  Fleis  und  Treuw  mit  genädigen  Augen  ange- 
sehen und  mir  die  Besoldung  vermehrt.  Da  aber  alsobalt  die 
Weymarische  Armee  ins  Land  kommen,  und  bishero  die  Besoldung 
ins   Stecken  gerathen. 

4.  Was  ich  durch  Gottes  Beystand  bey  der  Profession  gethan, 
davon  werden  die  zeugen  können  (wann  sie  aufrichtig  wollen 
zeugen)  die  sich  meiner  Inventionen  gebraucht,  mit  meinen 
Federn  geschmückt  undt  in  oder  auser  dem  Land,  in  DinsteB 
sitzen  oder  sonsten  noch  sich  qualificirt  machen. 

5.  Weil  ich  aber  mit  dem  Ding  et  quidem  docendo  nun  über 
12  Jahr  zubracht,  nichl  allein  in  Academiis,  sondern  auch  in 
officio  das  meinige  drüber  zugesetzt,  meine  beste  Zeyt  damit 
verderbt  und  mich  in  meinem  studio  theologico  gehindert,  da 
hiergegen  andere  so  auf  Ihrer  fürstl.  Gnaden  Unkosten  studirt, 
haben  ruhig  sitzen  und  ihrer  facultati  superiori  abwarten  können, 
undt  nun  die  unuinbgangliche  Nothurfft  erfordert,  daß  ich  mich 
mit  ernst  und  allem  Fleiß  aufs  Studium  theologicum  lege. 


Neue  Beiträge  zur  Geschichte  Schupps.  315 

6.  Als  ersuche  Ihre  fürstl.  Gnaden  ich  unterthänig  und  de- 
mütig, sie  wollen  meiner  genädig  eingedenck  seyn,  und  mich  als 
ein  mühdes  Pferd  genädig  ausspannen,  utidi  zu  einem  officio 
ecclesiastico  genädig  befordern  lassen,  da  ich  meines  Lebens 
ehrlichen  Unterhalt  und  Occasion  haben  könne,  im  Prediger 
und  andern  exercitiis  sacris  mich  unice  zu  üben.  Es  mag  sonst 
das  officium  so  unansehnlich  und  gering  seyn  als  es  woll. 

7.  Unterdessen  bitt  ihre  fürstl.  Gnaden  ich  demütig  und  unter- 
thänig, sie  wolten  der  Professionis  Eloquentiae  mich  in  genaden 
erlassen,  und  biß  zu  eröfnung  anderer  Promotion  mich  bey 
der  Universität  schützen,  und  inzwischen  die  Anordnung  thun 
lassen,  daß  mir  alle  Viertheil  Jahr  der  vierdte  theil  meiner  aus- 
stehenden Bestallung  geliefert  werde. 

8.  Dagegen  versprech  Ihrer  fürstl.  Gnaden  ich  in  Unter- 
tänigkeit, daß  ich  das  opus  hisboricum,  darauf  ich  bißhero 
meine  meditationes  geschlagen,  unter  der  Zeyt  mundiren,  undt 
alle  Viertheil  Jahr  ein  Stück  davon  uberschicken.  auch  kein 
Gelt  fordern   wolle,   die  Arbeyt  sey  dann   schon  da. 

9.  Weyl  etzlichen  unter  den  fürstlichen  Herrn  Käthen  bekant, 
daß  mir  gantz  und  zumahl  unmöglich  falle,  meine  familiam  rebus 
sie  stantibus  alhier  in  die  Läng  zu  führen,  undt  vielleicht  in- 
zwischen sich  keine  Beförderung  zu  einem  officio  ecclesiastico 
diesen  Oertern  eröfnen  möchte,  alß  will  ich  hoffen  Ihre  fürstl. 
Gnaden  werden  es  für  keine  perfidiam  ausdeuten,  wann  ich 
andern  meinen  fautoribus  exlra  patriam  meine  Noth  klage,  und 
deren  Beförderung  entweder  suche  oder  aeeeptire.  Ihre  fürstl. 
Gnaden  verobligir  ich  mich  in  Unterthänigkeit,  daß  krafft  einmahl 
gethanen  juramenti  ich  derselben  treuw  verbleiben  wolle  hiß  in 
mein  (irab,  und  dofern  ihre  fürstl.  Gnaden  hinfuro  meiner  wenigen 
Person  wider  begehrten  ich  gehorsamlich   wider  folgen   wolle. 

10.  Weil  ich  auch  vernehme,  daß  das  Werck  mit  der  im 
deutschen  Haus  angefangenen  Bethstund  ungleich  aufgenommen 
worden.  Alß  bitt  ich  unterthänig  ihre  fürstl.  (Inadeu  wollen 
etwa  durch  dero  Hofräth  mich  hören  und  de,n  rechten  Grund 
vernehmen  lassen.  Ich  binn  in  meinem  Hertzen  und  Gewissen 
versichert,  daß  ich  neque  in  ipsa  re  neque  in  modo  peccirl  hab, 
sondern  vermög  meines  Ampts  und  desen  dem  deutschen  Orden 
ubergebenen   Revers  weniger  oder  mehr  nichl   hab  thun  können. 

Ich  bah  alzeyt  b'  Wochen  zuvor,  nichl  nur  mit  einem  sondern 
mit  unterschiedenen  Ihrer  fürstl.  <in.  geystlichen  und  weltlichen 
vornehmen  Dienern  davon  geredt,  welche  mir  von  keinem  Interesse 
gesagt,  das  Ihre  fürstl.  Gnaden  hey  dieser  Sachen  haben,  also 
hab  ich  dafür  gehalten,  ich  hab  keinen  Beruf  dazu,  in  dieser 
Sachen  mehr  oder  weniger  zu  thun.  Wollen  ihre  fürstl.  Gnaden 
mich  in  geheym  genädig  abhören  lassen,  so  will  ich  mein  ein- 
fältiges Bedencken  hierin  lerner  eröfnen,  welches  in  Schrifften  zu 

thun    ich    liedelickens     lr;i-e. 


316  Wilhelm  Dielil. 

XV. 

.Memorial  Schupps,  Anfang  164Ö. 

(Dannstadt,  Staatsarchiv,  IV,   1.  8.) 

Memorial. 

1.  Nachdem  ich  solche  Wort,  deren  ich  gestern  hab  hören 
müssen,  nicht  mehr  hören  kann  oder  will,  alß  will  ich  mit 
Gottes  g.  Hülf,  omni  diligentia«  impetu  mich  über  bewuste  arbeyt 
machen,  daß  ich  davon  komme,  und  soll  mir  unterweilens  die 
Sonn  so  früh  nicht  aufgehen,  daß  ich  nicht  schon  will  drüber 
seyn,  soll  auch  keine  Woch  oder  keine  Post  furbey  gehen,  da  ich 
nicht  etwas  davon  uberschicken  will,  sobalt  nur  bewuste  com- 
mission, welche  den  22.  Aprilis  angestellt,  abgelegt  ist.  Welche 
mir  so  zu  thun  macht,  daß  an  deren  guten  oder  bösen  Fortgang, 
ein  gros  Stück  meines  zeytlichen  Glücks  oder  Unglücks  dependirt. 

2.  Ich  will  aber  verhoffen,  ich  wer  le  meine  Zahlung,  wie  mir 
versprochen,  erlangen.  E.  E.  hab  ich  meinen  elenden  Zustand  ent- 
deckt. Er  kann  leicht  schließen,  was  einer  bey  solchem  Zustand 
für  influentz  habe.  Frigent  carmina  quae  scribuntur  ab  aquae  po- 
toribus,  sagt  jener.  Protestir,  daß,  wo  mir  nicht  mit  meinem  aus- 
stand nach  und  nach  geholten  wird,  so  kann  ich  solche  arbeyl 
mit  keiner  Dexterität  verrichten.